Vor einigen Jahren war alles noch viel schlimmer. Diesen Satz hört man allerorten, wenn man danach fragt, welchen Anteil die Sozialwissenschaften an Forschungsprojekten zum Klimawandel ausmachen. Nicht nur im Weltklimarat IPCC hat es in den vergangenen Jahren Diskussionen darüber gegeben, welche Rolle etwa Verhaltensforscher und Soziologen spielen sollen. Der Politikwissenschaflter David Victor von der University of California sorgte im April 2015 mit einem Kommentar im Fachmagazin Nature für größeres Aufsehen. Auch in Deutschland mischen sich Sozialwissenschaftler zunehmend ein in Debatten um die Folgen des globalen Klimawandels. Denn für die Frage, ob und wie Gesellschaften auf die Herausforderungen durch den Klimawandel reagieren, dürften die Sozialwissenschaften mindestens ebenso viel beizutragen haben wie die Naturwissenschaften.
Sigmund Freuds Sofa im Freud-Museum in London: Bei der Frage, wie die Gesellschaft die Wende zum Klimaschutz schaffen kann, werden Psychologen und andere Sozialforscher mindestens so sehr gebraucht wie die Naturwissenschaften; Foto: Robert Huffstutter/Flickr
Während also der Anteil von Sozialwissenschaften vor einigen Jahren noch verschwindend gering war, müht man sich inzwischen umzudenken: Förderinstitutionen in Deutschland, der Schweiz und Österreich betonen mittlerweile gern, dass interdisziplinär oder gar transdisziplinär geforscht wird – in vielen eigentlich naturwissenschaftlichen Untersuchungen dürfe auch die sozialwissenschaftliche Sicht nicht fehlen. Auch das Deutsche Klima-Konsortium (DKK), der Dachverband der deutschen Klimaforschungseinrichtungen, forderte in einem Positionspapier bereits 2015 ausdrücklich, die sozialwissenschaftliche Forschung zu stärken. Bei der "Analyse gesellschaftlicher Dynamiken und der Eigenlogik demokratischer Prozesse", sah das DKK eine Leerstelle.
Dennoch spielt bis heute die sozialwissenschaftliche Klimaforschung in den deutschsprachigen Ländern eine vergleichsweise geringe Rolle. Das ist zumindest das Ergebnis einer breitangelegten Recherche, in der klimafakten.de in den vergangenen Wochen die öffentliche Forschungsförderung untersuchte. Dort dominieren weiterhin Disziplinen wie Physik oder Biologie, Geowissenschaften oder Umweltverfahrenstechnik. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Förderung der naturwissenschaftlichen Klimaforschung ist sicherlich weiter notwendig, noch viele Fragen sind dort zu klären. Aber immer besseres Wissen etwa über die Atmosphärenchemie hilft eher wenig bei der anstehenden Transformation von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft.
Psychologie oder Verhaltensforschung spielen in den Förderprogrammen des deutschen Forschungsministeriums zum Klimawandel keine Rolle
In Deutschland, dem größten der untersuchten Länder, sind Forschungsprogramme mit einem sozialwissenschaftlichen Anteil rein zahlenmäßig noch am häufigsten: Insgesamt fördert das Bundesforschungsministerium (BMBF) derzeit 14 Programme, die sich mit dem Klimawandel befassen. Davon beschäftigt sich die Hälfte mit ausschließlich naturwissenschaftlicher Materie. Zwei der Projekte sind rein sozialwissenschaftlich und arbeiten zu ökonomischen Fragestellungen – der Rest der Projekte ist interdisziplinär, aber oftmals mit einem deutlichem Schwerpunkt auf Naturwissenschaften.
Unter jenen Programmen mit sozialwissenschaftlichem Anspruch laufen insgesamt 20 Projekte, die einen direkten sozialwissenschaftlichen Bezug haben. Zwei davon können der Klimakommunikation zugeordnet werden: Unter der Maßnahme "Nachwuchsgruppe Globaler Wandel -4+1" läuft das Projekt EnergyCultures, das zur "wechselseitigen Verknüpfung von Energie mit gesellschaftlicher Ordnung und Kultur (=Energiekulturen)" forscht und herausfinden will, "wie ein solcher kultureller Wandel beeinflusst werden kann". Bei der Maßnahme "Nachwuchsförderung Sozial-ökologische Forschung" gibt es einen Klimakommunikationsbezug im Projekt "Rebound-Risiken und Suffizienz-Chancen" – hier sollen "Konzepte für ein suffizienzorientiertes Marketing" entwickelt werden.
Die meisten der genannten 20 Unter-Projekte haben einen sozialwissenschaftlichen Ansatz, der soziologische, politikwissenschaftliche und ökonomische Ansätze kombiniert. Keines der Forschungsprojekte greift hingegen auf psychologische oder verhaltenswissenschaftliche Fragestellungen zurück – beispielsweise in Bezug auf die Risiken des Klimawandels oder die Motivation für Klimaschutz. Das wiederum erklärt auch den geringen Anteil der Klimakommunikationsforschung.
"Aus Sicht des BMBF kann von einem strukturellen Defizit sozialwissenschaftlicher Projekte im Bereich Klimaforschung nicht die Rede sein", heißt es dazu von Seiten des Ministeriums. "Anknüpfend an die Zielsetzung von FONA3 (Forschung für nachhaltige Entwicklung) bezüglich der Förderung der Interdisziplinarität, ist das BMBF laufend um eine stärkere Einbeziehung der Sozialwissenschaften bemüht und baut entsprechende Angebote auch im Bereich der Klimaforschung weiter aus" – ganz so wie es das DKK-Papier zur Klimaforschung 2015 gefordert hatte.
Ein gutes Beispiel, so das Ministerium, sei die deutsche Mitarbeit am geplanten Sonderbericht des Weltklimarats zum 1,5-Grad-Ziel. Insgesamt wurden, ergab eine Nachfrage bei der deutschen IPCC-Koordinierungsstelle in Bonn, 22 deutsche Forscherinnen und Forscher nominiert - doch wie hoch der Anteil der Sozialwissenschaften daran war, ließ sich nicht ermitteln, weil die Namen der Nominierten vertraulich sind und auch auf Nachfrage nicht genannt wurden. Bekannt sind lediglich die drei letztlich vom IPCC als Autoren Berufenen: eine Meteorologin, ein Physiker (Forschungsschwerpunkt: Szenarien und Modellierung etwa der Energiewende) und eine Ökonomin.
Pionierarbeit leisten das IASS in Potsdam. Und das Exzellenzcluster CliSAP in Hamburg: Es beherbergt die bisher einzige Professur für Klimakommunikation
Das BMBF fördert jedoch nicht nur konkrete Forschungsvorhaben sondern auch sogenannte "Forschungsinfrastruktur". Für den Klimawandel und die sozialwissenschaftliche Forschung relevant ist dabei vor allem das Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam. Das Institut mit seinen rund 50 Wissenschaftlern nennt als einen seiner Schwerpunkte die Forschung zur Umsetzung des Klimaabkommens von Paris. Und ausdrücklich werden dabei auch "Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft" untersucht oder die "Legitimation von politischen Strategien". Dabei arbeiten am IASS Umweltpsychologen, Physiker und Politikwissenschaftler Hand in Hand; geleitet wird es von dem Sozialpsychologen und Risikoforscher Ortwin Renn. Kommunikationswissenschaftliche Forschungsansätze finden sich denn auch in IASS-Projekten wie "Narrative und Bilder der Nachhaltigkeit" und "Denkweisen und Geisteshaltungen für das Anthropozän (AMA)" wieder.
Pionierarbeit leistet auch die Exzellenzcluster CliSAP, das von der Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird – und damit eine Mischfinanzierung von Bund und Ländern erhält. Das Forschungscluster bezahlt die bisher einzige deutsche Professur für Klimakommunikation. Ein Schwerpunkt des Clusters sind denn auch die Medien: Im "Mediawatchblog" analysieren die Forscher beispielsweise die Klimaberichterstattung seit dem Weltklimagipfel in Paris oder beobachten die Debatte um den Klimawandel in Sozialen Medien. "Die Klimaforschung in Hamburg soll auch in Zukunft interdisziplinär angelegt und Klimakommunikation ein wichtiger Teilbereich sein", erklärt Michael Brüggemann, der die Professur innehat. Einziger Wermutstropfen: Das Cluster ist zeitlich begrenzt, die derzeitige Förderphase läuft Ende des Jahres aus.
Die Schweizer Forschungsförderung gesteht offen ein, dass die Sozialwissenschaften in der Klimaforschung eine deutlich größere Rolle spielen müssten
In Österreich finanziert das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) insgesamt zehn Forschungsprogramme zum Klimawandel. Lediglich drei davon haben einen konkreten sozialwissenschaftlichen Bezug. Beispielsweise förderte das Forschungsprogramm StartClim für Universitäten und außeruniversitäre Einrichtungen zum Thema "Klimawandel in Österreich" im Jahr 2016 ein Projekt zum Thema "Bewusstseinsbildung als Motor für gesellschaftliche Transformation im Kontext des Klimawandels". Einige Programme beschäftigen sich mit Demographie und Migration, die meisten jedoch mit der Vernetzung von Wissen und Forschungsstrukturen sowie naturwissenschaftlichen Projekten zur Datenerfassung, beispielsweise von Gletschern oder der Schneebedeckung.
"Das BMWFW betreibt kein spezifisches Einzelprogramm für Klimaforschung", so das Ministerium. "Wir verfolgen jedoch eine inter- und transdisziplinäre Ausrichtung für eine Reihe klimarelevanter Projekte." Der österreichischen Wissenschaftsfonds zur Förderung der Grundlagenforschung (FWF) unterstützt zudem mehr als 80, teils bereits abgeschlossene Projekte zum Klimawandel. Darunter sind zwei mehrheitlich sozialwissenschaftliche Projekte. Eines der beiden, das PAWCER-Projekt am Institut für Höhere Studien in Wien, arbeitet an der vergleichenden Forschung über "die Haltung der Öffentlichkeit zu Wohlfahrt, Klimawandel und Energie" – und hat somit einen deutlichen Kommunikationsschwerpunkt.
Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) wiederum gesteht offen ein, dass die sozialwissenschaftliche Forschung in der Klimaforschung bislang zu kurz kommt: "In den Klimaprogrammen wird der Anteil der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung bezogen auf die großen Herausforderungen der Klimapolitik in den vergangenen Jahren als nicht ausreichend eingeschätzt", so ein Sprecher des SNF. Demnach liege der Anteil der geistes- und sozialwissenschaftlichen Projekte in der Klimaforschung bei 17 Prozent. Nach eigenen Recherchen haben von den rund 1400 bisher klimawissenschaftlich orientierten Programmen nur 130 eine sozialwissenschaftliche Fragestellung. Das einzige Projekt im Bereich Kommunikation, das derzeit aufgelegt ist, beschäftigt sich mit der Vermittlung von Risiken CO2-armer Technologien.
Ökonomen sind bislang die einzigen Sozialwissenschaftler, die im Konzert der Klimaforscher eine deutlich wahrnehmbare Rolle spielen
Keine der von klimfakten.de befragten Institutionen sieht jedoch akuten Handlungsbedarf. Häufig wird darauf verwiesen, dass der Anteil sozialwissenschaftlicher Forschungsprojekte in den vergangenen Jahren ja zumindest teilweise schon gestiegen sei. Doch hat von diesem Wachstum vor allem eine Disziplin profitiert – die Wirtschaftswissenschaften. Sie spielen im Konzert der Klimaforscher inzwischen eine vernehmliche Rolle, der prominenteste Kopf hierzulande dürfte der Ökonom Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sein.
Raimund Schwarze, Ökonom am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig, übt deutliche (Selbst-)Kritik. In Zeiten eines erstarkenden Populismus sei es umso gefährlicher, große Teile der Bevölkerung aus dem Blick zu lassen: "Die Sozialwissenschaften stehen vor einem Scherbenhaufen – die Früherkennung hat in Ländern wie den USA komplett versagt", moniert Schwarze hinsichtlich des überraschenden Wahlsieges von Donald Trump im vergangenen November. Viele Forscher hätten zu lange in ihrer eigenen Welt gelebt, ohne die Veränderungen in der Gesellschaft wahrzunehmen.
Naturwissenschaftlern, sagt Schwarze, fehle häufig das Verständnis für die Aufgaben der Sozialforschung. In der Vergangenheit sei zum Beispiel viel zu wenig betrachtet worden, "was die Folgen des Klimawandels oder was gesellschaftliche Veränderungen eigentlich für die Individuen bedeutet", so Schwarze, der auch Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von klimafakten.de ist. Aus dem Trump-Debakel müsse die Forschung deshalb entsprechende Lehren ziehen: "Forschung muss wieder mehr mit der Gesellschaft interagieren".
Susanne Götze
Anmerkung der Redaktion: Auch im Wissenschaftlichen Beirat von klimafakten.de sind die Sozialwissenschaften bislang deutlich unterrepräsentiert. Unter den 18 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern finden sich lediglich zwei klassische Sozialwissenschaftler, beides Ökonomen.