Behauptung: Seit es die Erde gibt, hat sich das Klima auf ihr immer wieder geändert. Sich daran anzupassen, ist für Tiere und Pflanzen im Laufe der Evolution geradezu eine Routineangelegenheit geworden.
Fakt ist: Der menschengemachte Klimawandel verläuft viel zu schnell, als dass sich die Natur daran einfach anpassen könnte
Antwort: Zahlreiche Fälle, in denen in der Erdgeschichte Tier- oder Pflanzenarten ausstarben, standen in engem Zusammenhang mit Klimaveränderungen. Weil der gegenwärtige Klimawandel viel schneller verläuft als frühere, ist im Laufe des Jahrhunderts mit besonders schweren Folgen für Fauna und Flora zu rechnen: Die Erde erwärmt sich so rasant, dass sich Arten kaum auf die übliche Weise anpassen können. Zum Beispiel verschieben sich die optimalen Lebensräume infolge der Erwärmung schneller polwärts, als viele Tiere oder Pflanzen wandern können.
Selbstverständlich können sich Tiere und Pflanzen auf Veränderungen in ihrer Umwelt einstellen. Die Natur war schon immer ein flexibles System, und durch Anpassung an veränderte Umweltbedingungen und natürliche Auslese der bestangepassten Exemplare entstehen neue Arten. Doch häufig wird übersehen und unterschätzt, dass es für die Anpassungs- und Veränderungsfähigkeit auch Grenzen gibt. Und dass viele Tier- und Pflanzenarten wegen anderer menschlicher Einflüsse – Verlust von Lebensräumen, Umweltverschmutzung etc. – ohnehin stark unter Druck stehen.
Die Klimaänderung der vergangenen Jahrzehnte hat bereits zu Reaktionen in der Natur geführt. Weil beispielsweise in vielen Regionen die Schnee- und Frostperiode kürzer wird, blühen auch Pflanzen früher, Tiere bringen ihren Nachwuchs früher zur Welt. Außerdem haben sich die Verbreitungsgebiete von Tier- und Pflanzenarten verschoben: Als Reaktion auf gestiegene Temperaturen sind beispielsweise Wanderungsbewegungen weg vom Äquator und in Richtung der Pole zu beobachten, an Land und auch in den Weltmeeren (Chen et al. 2011; IPCC 2022, AR6, Band 2, Kap. 2.4).
Doch die vom Menschen verursachte Erderhitzung verläuft schneller als die meisten natürlichen Klimaveränderungen in der Erdgeschichte. Schon diese haben mehrfach Phasen eines massenhaften Aussterbens von Arten verursacht – der rasante Klimawandel, den heute der Ausstoß von Treibhausgasen verursacht, dürfte daher erst recht schwerwiegende Folgen für die Natur haben. Um mit dem zu erwartenden Tempo der Erderwärmung schrittzuhalten, müssten sich Arten bis Ende dieses Jahrhunderts mehrere Tausend mal schneller anpassen, als sie es in der bisherigen Erdgeschichte taten (Quintero/Wiens 2013). Als besonders bedroht gelten Arten in den Tropen (Jezkova/Wiens 2016).
Zu den Arten, die sich am langsamsten an Klimaveränderungen anpassen können, gehören Bäume: Sie haben sehr lange Lebenszyklen, oft dauert es Jahrzehnte, bis ein Keimling zu einem Baum herangewachsen ist, der Samen produziert. Wenn sich die Lebensräume verschieben, müssen diese Samen irgendwie in die neuen Gebiete kommen. Dort müssen neben den Temperaturen dann beispielsweise auch noch die Bodenverhältnisse stimmen, und die neuen Lebensräume dürfen nicht bereits durch andere Pflanzen besiedelt (sozusagen „besetzt“ sein). Diese und andere Faktoren führen dazu, dass für viele Arten infolge des Klimawandels zwar theoretisch auch neue Lebensräume entstehen (sie sich also in bisher kühlere Gegenden ausdehnen), diese aber praktisch nicht oder kaum genutzt werden können. Dem steht ein sicherer Verlust am „warmen Ende“ des Verbreitungsgebiets gegenüber. Unterm Strich dürften deshalb die Lebensräume vieler Arten kleiner werden.
Je weniger Klimaschutz, desto mehr Artensterben
Was beim weiteren Voranschreiten der Erderwärmung zu erwarten ist, hat vor Jahren eine großangelegte Studie zu rund 100.000 Tier- und Pflanzenarten untersucht (Warren et al. 2013): Bei ungebremstem Ausstoß von Treibhausgasen muss bis zum Jahr 2080 für rund 57 Prozent der Pflanzen- und rund 34 Prozent der Tierarten damit gerechnet werden, dass sie die Hälfte ihrer Lebensräume einbüßen. Es ist nicht vorstellbar, dass dies ohne Folgen für das Überleben der Arten bleibt.
Diese Bedrohung der Artenvielfalt ließe sich durch Klimaschutzmaßnahmen deutlich verringern: Wäre der Ausstoß an Treibhausgasen schon ab 2016 gesunken, so die Studie, wären die Lebensraumverluste um bis zu 60 Prozent geringer ausgefallen. Bei einem Rückgang der Emissionen ab 2030 würden immerhin noch 40 Prozent der Verluste vermieden. Das Fazit der Studie lautete:
„Ohne Klimaschutz ist mit großen Einschränkungen selbst für heute weit verbreitete Arten zu rechnen. Dies läuft auf einen erheblichen weltweiten Verlust an Artenvielfalt hinaus.“
Basierend auf einer Folgeuntersuchung (Warren et al. 2018) hat der IPCC in seinem Sechsten Sachstandsbericht von 2021/22 (AR6) in einer Grafik dargestellt, wie Klimaschutz die Gefahren für die Artenvielfalt mindert: Bei einem Temperaturanstieg um 4 °C würde es in ausgedehnten Weltgegenden zu sehr starken Verlusten der Biodiversität kommen (oberste Karte in Abbildung 1); würde die Erwärmung auf 1,5 °C begrenzt, wäre dies nur vereinzelt der Fall. Besonders schwer getroffen würden vom ungebremsten, klimawandel-bedingten Artensterben das nördliche Südamerika, das südliche Afrika, der größte Teil Australiens und die Regionen im Hohen Norden (IPCC 2022, AR6, Band 2, Kapitel 2, Executive Summary).
Abbildung 1: Auswirkungen eines geringeren Treibhausgas-Ausstoßes auf die Biodiversitäts-Risiken – die Karten zeigen drohende Verluste an Artenvielfalt bei verschiedenen Niveaus der Erderhitzung, je mehr Fläche in dunkleren Rottönen, desto größer die Verluste in den jeweiligen Regionen; Quelle: IPCC 2022, AR6, Band 2, Figure 2.6
Wie groß das Risiko genau ist, dass Arten tatsächlich aussterben, wann dies sein wird und wie viele es betrifft, lässt sich insgeamt aber nur schwer beziffern (Urban et al. 2016). Denn es hängt von zuvielen Faktoren ab, exakt wie sich Lebensräume verändern, ob und inwieweit sich Arten anpassen können, wie sie mit anderen Tier- oder Pflanzenarten interagieren.
Trotz Unsicherheit über präzise Zahlen herrscht über die grundsätzliche Entwicklung seit langem Konsens in der Wissenschaft. So schrieb der IPCC schon in seinem Fünften Sachstandsbericht von 2013/14:
„Es ist sehr sicher, dass der im 21. Jahrhundert und darüber hinaus zu erwartende Klimawandel dazu führt, dass ein großer Teil der Arten an Land und im Süßwasser mit einem erhöhten Aussterberisiko konfrontiert ist – vor allem, wegen des Zusammenspiels von Klimawandel und anderen Gefahren für die Artenvielfalt, beispielsweise Veränderungen natürlicher Lebensräume, Übernutzung, Verschmutzung und das Eindringen fremder Arten. In allen Szenarien, sowohl bei starken Minderungen der Emissionen als auch bei ungebremstem Treibhausgasausstoß, steigt das Risiko von Artensterben. Je größer das Ausmaß und das Tempo des Klimawandels, desto größer das Risiko.“ (IPCC 2013, AR5, Band 2, Kapitel 4, Executive Summary)
Im darauffolgenden Sechsten Sachstandsbericht sind die Befunde und Bewertungen nicht weniger besorgniserregend (vgl. IPCC 2022, AR6, Band 2, Kapitel 2.5.1.3). Wenn Arten aussterben oder Ökosysteme zusammenbrechen, ist das übrigens nicht nur eine Angelegenheit der Natur. Weil auch der Mensch auf vielerlei Weise von Tieren und Pflanzen und den von ihnen erbrachten, sogenannten „Ökosystem-Dienstleistungen“ profitiert, kann ein Verlust an Artenvielfalt weitreichende Folgen haben. So warnt der IPCC in seinem Sechsten Sachstandsbericht zum Beispiel vor schweren Auswirkungen für die weltweite Nahrungsmittelproduktion (IPCC 2022, AR6, Band 2, Technical Summary, TS.C.3.5):
„Der Klimawandel wird die Effektivität der Bestäubung [von Nutzpflanzen] verringern, da Arten aus bestimmten Gebieten verschwinden oder das Zusammenspiel von Bestäuberaktivität und Empfänglichkeit der Blüten in einigen Regionen gestört wird (hohe Gewissheit). Treibhausgasemissionen werden sich negativ auf die Luft-, Boden- und Wasserqualität auswirken und damit die direkten klimatischen Auswirkungen auf die Ernteerträge verschärfen (hohe Gewissheit).“
klimafakten.de, März 2015;
zuletzt aktualisiert: November 2022
Weltweit verändert der Mensch die Natur. Jahrhundertelange Waldrodungen, Flächenverbrauch durch Urbanisierung und Industrieentwicklung, Überfischung, Förderung von Rohstoffen und Verbrennung fossiler Energieträger – der Aufstieg der modernen Gesellschaft basierte auf einer historisch ungekannten Ausbeutung der Natur. Fast keine Weltgegend ist noch unberührt vom Menschen, auf schätzungsweise drei Vierteln der Landfläche setzt er die Natur unter Druck (Venter et al. 2016). Und der Klimawandel wird die Probleme für Tier- und Pflanzenarten weiter verschärfen.
Überall auf der Erde ist seit langem zu beobachten, dass die biologische Vielfalt unter den Folgen menschlichen Handelns leidet. So zog der Millenniumsbericht zur Bewertung von Ökosystemen aus dem Jahr 2005 (ein Umweltbericht vergleichbaren Umfangs wie die Klimareports des IPCC) eine düstere Bilanz: 60 Prozent aller Ökosysteme waren damals bereits geschädigt. Die Aussterberate war bereits hundert bis tausend Mal höher als in der Erdgeschichte üblich. In Südostasien beispielsweise könnten laut einer Studie (Brook 2003) bis zum Jahr 2100 bis zu 42 Prozent aller Arten allein durch Abholzung und die Fragmentierung ihrer Lebensräume aussterben.
Angesichts dieser seit vielen Jahren bekannten Bedrohungen drängt sich die Frage geradezu auf, ob die globale Erwärmung die prekäre Lage nicht noch wesentlich verschärfen wird. Dass der Klimawandel nicht im Fokus vieler Naturschutzbiologen steht, dürfte vor allem daran liegen, dass bislang andere Bedrohungen noch stärker und drängender waren.
Bereits beobachtete Veränderungen bei Pflanzen und Tieren
Zahlreiche Studien belegen, dass sich die globale Erwärmung bereits deutlich auf viele Arten ausgewirkt hat, zum Beispiel auf deren Brut-, Wander-, Blütezeiten usw. (Walther et al. 2005, Parmesan 2006, Penuelas et al. 2013, Menzel et al., 2020). In Europa etwa wurde beobachtet, dass der Frühling immer früher beginnt, der Zeitpunkt, an dem Bäume austreiben, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten um durchschnittlich 4,2 Tage pro Jahrzehnt nach vorn verschoben; in China waren es sogar 5.5 (Piao et al. 2019).
„Der vom Menschen verursachte Klimawandel hat die Ökosysteme Bedingungen ausgesetzt, die über Jahrtausende hinweg beispiellos sind (hohe Gewissheit), was sich stark auf Arten an Land und im Meer ausgewirkt hat (sehr hohe Gewissheit). Erwartungsgemäß haben Arten in allen Ökosystemen ihre geografischen Verbreitungsgebiete verlagert und den Zeitpunkt saisonaler Ereignisse verändert (sehr hohe Gewissheit).“
Das grundsätzliche Muster ist klar: Wenn es wärmer wird, verschieben Arten ihre Verbreitungsgebiete polwärts und/oder in höher gelegene Gebiete, weil es dort in der Regel kühler ist – sie versuchen sich also Klimaveränderungen anzupassen, indem sie den gewohnten Temperaturen quasi hinterherwandern. So wurde etwa in Kanada, Nepal, China oder auch Russland über mehrere Jahrzehnte hinweg eine Aufwärtsverschiebung von Nadelwäldern in Gebirgen beobachtet, die je nach Beobachtungszeitraum und Standort zwischen 30 und 300 Metern betrug. In Kanada zum Beispiel wurde eine klimawandel-bedingte Nordwärtsbewegung von Laubwäldern seit den 1970er Jahren beobachtet (IPCC 2022, AR6, Band 2, Kapitel 2.4.3.2.1).
Abbildung 1: Wie das Klima bereits polwärts wandert und künftig sicherlich noch schneller wandern wird, zeigt beispielhaft diese Simulation des Lawrence Berkeley National Laboratory – klimatische Verhältnisse, wie sie aktuell in der Prärie des Mittleren Westens der USA herrschen, werden zum Ende des Jahrhunderts hunderte Kilometer weiter nördlich erwartet, wo heute noch boreale Wälder wachsen Quelle: Koven 2013/Berkeley Lab
Im Durchschnitt sind Arten, so das Ergebnis einer vielzitierten Überblicksstudie, in den vergangenen Jahrzehnten um etwa 17 Kilometer pro Dekade polwärts und etwa elf Meter pro Dekade in die Höhe gewandert (Chen et al. 2011). Allerdings führen solche Verschiebungen von Lebensräumen häufig dazu, dass sie sich insgesamt verkleinern: Während nämlich durch steigende Temperaturen am „warmen Ende“ des Verbreitungsgebiet Raum verloren geht, sind die am „kalten Ende“ theoretisch neu entstehenden Räume für viele Arten in der Praxis nicht oder kaum nutzbar, weil dort beispielsweise zu wenig oder zu viel Wasser zur Verfügung steht oder die Bodenbeschaffenheit ungünstig ist oder bereits andere Arten dort siedeln, also die Konkurrenz zu groß ist usw.
Verschiebungen von Lebensräumen haben daher in der Regel auch zur Folge, dass sich die Größe von Populationen verändert (meist verringert) oder eine Art in einer bestimmten Gegend sogar ausstirbt (Bertrand et al. 2011, Cahill et al. 2013). Ein bekanntes Beispiel für letzteres ist das Verschwinden einer Kolonie von Kaiserpinguinen in der Westantarktis infolge lokaler Klimaänderungen (Trathan et al. 2011, Barbraud et al. 2011). Um brüten zu können, sind sie von einer stabilen Meereisdecke abhängig. Projektionen zufolge könnte deren Verlust durch mangelnden Klimaschutz den Kaiserpinguin bis zum Ende des Jahrhunderts an den Rand des Aussterbens bringen (Jenouvrier et al. 2021).
Natürlich gibt es auch Arten, die vom Klimawandel profitieren könnten, weil auf einem größeren Teil der Erde Bedingungen herrschen, unter denen sie gut leben können. Doch selbst wenn diese sich ausbreiten, sinkt durch den Verlust anderer Arten die Biodiversität. Am Beispiel der zu Norwegen gehörenden arktischen Inselgruppe Spitzbergen (Svalbard) hat ein Forscherteam gezeigt, dass zwar einige lokale Arten von einer Klimaerwärmung profitieren - die meisten jedoch Schaden nehmen (Descamps et al. 2016).
Eine Überblicksstudie, die mehr als hundert Untersuchungen aus den Jahren 1990 bis 2015 auswertete, kam zu dem Ergebnis, dass schon heute viele bedrohte Arten unter dem Klimawandel leiden: Fast die Hälfte der Säugetiere auf der sogenannten Roten Liste sei bereits negativ von der Erderwärmung betroffen sowie fast ein Viertel der Vögel (Pacifci et al. 2017).
Künftige Veränderungen bei Pflanzen und Tieren
Der Fakt, dass Arten zum Beispiel durch Wanderung auf die bisherige Erwärmung reagieren konnten, darf nicht zu dem Schluss verleiten, Tiere und Pflanzen könnten sich problemlos auf den Klimawandel einstellen. Ihre Anpassungsfähigkeit ist nämlich begrenzt. Der IPCC warnte in seinem Sechsten Sachstandsbericht (IPCC 2022, AR6, Band 2, Kapitel 2, FAQ 2.1):
„Der Klimawandel hat bereits zum Aussterben einiger Arten geführt und wird wahrscheinlich weitere Arten zum Aussterben bringen. In der Geschichte unseres Planeten sind schon immer Arten ausgestorben, aber die durch menschliche Aktivitäten verursachten Klimaveränderungen beschleunigen diesen Prozess. Jüngste Forschungsergebnisse sagen vorher, dass ein Drittel aller Pflanzen- und Tierarten bis 2070 ausgestorben sein könnte, wenn der Klimawandel so weitergeht wie bisher. Bis zu einem gewissen Grad können sich Arten an diese sich rasch verändernden Klimamuster anpassen. […] Diese Veränderungen sind jedoch klein, und die Anpassung ist begrenzt.“
Aus einer ganzen Reihe von Gründen werden Klimaänderungen die Artenvielfalt künftig schwer treffen:
a.) Wanderung ist nur begrenzt möglich
Die übliche Strategie, den passenden Lebensräumen zu folgen, stößt schnell an Grenzen. Zum Beispiel können alpine Tier- und Pflanzenarten logischerweise nur so weit in die Höhe wandern, wie die Gebirge überhaupt reichen. Und selbst wenn ein Ausweichen Richtung Bergspitzen noch möglich ist, steht dort oft weniger Fläche zur Verfügung – die Populationen der Tiere werden also kleiner und damit auch anfälliger beispielsweise für Krankheiten. Dasselbe Problem stellt sich bei der Wanderung in Richtung der Pole: In landumschlossenen Gewässern, etwa dem Mittelmeer, können Arten irgendwann nicht mehr weiter nach Norden ausweichen. Analog gilt dies Landlebewesen auf Landmassen, die von Küsten begrenzt sind. Weitere natürliche Barrieren sind Gebirgszüge oder auch Veränderungen der Bodenqualität.
In der modernen Welt kommen noch zahlreiche menschengemachte Barrieren hinzu: Bedrohte Pflanzen- und Tierarten können schlicht nicht in Gegenden ausweichen, die bereits durch Menschen besiedelt oder anderweitig genutzt sind. Salopp gesagt: Samen von Bäumen, die auf einen bewirtschafteten Acker fallen oder Schmetterlinge, die auf einer Monokultur Nahrung suchen, werden scheitern.
Arten, die bereits heute hoch in den Bergen oder nahe an (naturgegebenen oder menschengemachten) Grenzen leben, sind demnach am stärksten durch den Klimawandel gefährdet (Thuiller et al. 2005, Engler et al. 2011, Sauer et al. 2011). Eine Studie über die Zukunft der Schneehasen in den Schweizer Alpen ergab, dass diese Art bis Ende dieses Jahrhunderts etwa ein Drittel seiner dortigen Lebensräume verlieren dürfte (Rehnus et al. 2018).
Daneben gibt es Folgen der CO2-Emissionen, auf die grundsätzlich nicht oder nur schwer durch Wanderung reagiert werden kann: So nehmen die Weltmeere infolge des höheren Kohlendioxid-Gehalts der Atmosphäre ebenfalls mehr CO2 auf. Dadurch sinkt der pH-Wert des Ozeanwassers, es wird saurer. Diese Entwicklung schädigt kalkbildende Organismen, etwa Korallenriffe – ob und wie sie darauf durch Wanderung reagieren können, ist vollkommen unklar.
b.) Die Erderwärmung ist zu schnell für viele Arten
Die durch den Menschen verursachte Erwärmung vollzieht sich schon jetzt rasant, und sie wird sich während der kommenden Jahrzehnte noch beschleunigen. Je nachdem, wie stark die Treibhausgasemissionen wachsen, erwarten die Szenarien des IPCC bis Ende dieses Jahrhunderts eine Erderwärmung um bis zu rund 0,5 °C pro Jahrzehnt. Zum Vergleich: Der letzte Wechsel von einer Eiszeit zu einer Warmzeit vollzog sich über einen Zeitraum von rund acht Jahrtausenden (von vor 15.000 bis vor 7.000 Jahren), und während dieser Periode stiegen die Temperaturen um etwa 0,005 °C pro Jahrzehnt. Das Tempo, in dem sich die Erde bis Ende dieses Jahrhunderts bei ungebremsten Emissionen erwärmen könnte, ist also bis zu hundertmal so hoch wie zum Ende der letzten Eiszeit. Eine Studie, die 4,5 Milliarden Jahre Erdgeschichte mit dem gegenwärtigen Klimawandel verglich, kam zum Ergebnis, dass die aktuelle Erderwärmung etwa 170-mal so schnell vor sich geht wie natürliche Klimaveränderungen (Gaffney/Steffen 2017).
Bei einer solch rapiden Erwärmung werden sich die Lebensräume vieler Arten schneller verschieben, als diese mitwandern können. Die meisten Baumarten zum Beispiel können auf natürliche Weise (durch Samenverbreitung) nur einige Kilometer pro Jahrzehnt migrieren (Johnston et al. 2009). Für Kanada wird etwa erwartet, dass sich die Klimabedingungen weit schneller verschieben werden, als Baumarten wandern können (NRC 2021). Schließlich müssen in den neu besiedelten Gebieten erst die Bedingungen für Wachstum entstehen, z.B. durch die Entwicklung des Bodens. Und, einmal etabliert, brauchen Baumarten zum Teil Jahrzehnte bis sie wieder Samen entwickeln und sich weiterverbreiten können. Hingegen können beispielsweise Schmetterlingsarten um Dutzende Kilometer pro Jahrzehnt und damit vergleichsweise schnell wandern – übrigens sogar schneller als Vögel (Devictor et al. 2012). Doch selbst Schmetterlinge mit ihrer relativ hohen Mobilität stehen vor dem Problem, dass sie häufig auf bestimmte Pflanzenarten angewiesen sind, diese aber nur deutlich langsamer wandern können (Schweiger et al. 2012).
Ob und welche Arten ihren Lebensräumen werden folgen können, hängt stark davon ab, wie hoch die künftigen Treibhausgasemissionen ausfallen und wie schnell sich folglich das Klima verschiebt. Bei ambitioniertem Klimaschutz, so der IPCC in seinem Fünften Sachstandsbericht würden viele Arten bis Mitte des Jahrhunderts nur wenig wandern müssen – jedoch bei ungebremsten Emissionen etwa 70 Kilometer pro Jahrzehnt (IPCC 2014, AR5, Band 2, Kapitel 4.3.2.5.2). Mit einer Grafik hat der IPCC illustriert, dass viele Pflanzen-, aber auch manche Tiergruppen nicht mehr werden Schritt halten können:
Abbildung 2: Maximale Geschwindigkeiten, mit dem Arten wandern können (basierend auf Beobachtungen und Modellen, linke Skala) sowie Geschwindigkeiten, mit dem sich Temperaturzonen je nach Emissionsniveau verschieben (rechte Skala). Die Kürzel RCP2.6, RCP4.5, RCP6.0 und RCP8.5 stehen für verschiedene Szenarien des Klimawandels, bei denen die Emissionen drastisch gebremst werden, stärker, schwächer oder aber gar nicht. Gestrichelte Linien zeigen das Tempo in flachen Regionen an, durchgezogene Linien den weltweiten Durchschnitt. Die Balken stehen für (von links nach rechts) Bäume, krautige Pflanzen, Paarhufer, Raubtiere, Nagetiere, Primaten, pflanzenfressende Insekten und Süßwassermuscheln, der schwarze Strich in den Balken zeigt das jeweilige Mittel an. Menschliche Einflüsse (etwa die Zerteilung natürlicher Lebensräume oder der Transport von Tieren oder Pflanzen) können das Wandertempo deutlich verringern oder auch erhöhen. Liegt die maximale Geschwindigkeit einer Art unter einer der Linien, wird für das jeweilige Emissionsszenario erwartet, dass diese Art (ohne menschliche Hilfe) mit der Veränderung ihrer Lebensräume nicht schritthält; Quelle: IPCC 2014, AR5 WG II Fig. TS 7
Eine Untersuchung von mehr als 500 Arten kam zu dem Ergebnis, dass angesichts der in diesem Jahrhundert zu erwartenden Erderwärmung die Anpassung mehrere Tausend mal schneller ablaufen müsste, als es bisher an den Arten zu beobachten war (Quintero/Wiens 2013). Wenn die Emissionen von Treibhausgasen nicht sinken und der Klimawandel gebremst wird, so das Ergebnis einer Überblicksstudie, dann könnte bis zu ein Sechstel weltweit aussterben, am stärksten ist die Bedrohung demnach in Südamerika, Australien und Neuseeland (Urban 2015). Eine andere Studie nannte generell die tropischen Breiten als Region, in der die Bedrohung für die Artenvielfalt besonders groß ist (Jezkova/Wiens 2016). In seinem Sechsten Sachstandsbericht kam der IPCCjedenfalls zu dem Fazit (IPCC 2022, AR6, Band 2, Kapitel 2.4.2.8):
„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nach heutigem Kenntnisstand die Evolution voraussichtlich nicht ausreicht, um das Aussterben ganzer Arten zu verhindern, wenn der Klimaraum einer Art verschwindet (hohe Gewissheit).“
Bei einer Erwärmung von rund 3 °C werden schätzungsweise 49 Prozent der Insekten-, 44 Prozent der Pflanzen- und 26 Prozent der Wirbeltierarten weltweit bedroht sein oder gar aussterben. Würde die Erwärmung auf lediglich 1,5 °C begrenzt, läge der Anteil nur bei 6, 8 beziehungsweise 4 Prozent (IPCC 2022, AR6, Band 2, Kapitel 2.5.1.3.3 basierend auf der Studie Warren et al. 2018).
c.) Die Artenvielfalt steht sowieso schon unter Druck
Wie bereits erwähnt, haben die heutigen Ökosysteme ohnehin schon massive Veränderungen erfahren und sind daher weniger anpassungsfähig als früher. Bedingt durch menschliche Einflüsse sind die meisten Lebensräume bereits geschädigt, die Bestände an Pflanzen und Tieren mehr oder weniger dezimiert. Jahrtausendelang fand die Einwirkung durch den Menschen zwar mit hoher Intensität, jedoch örtlich begrenzt statt. Seit wenigen Jahrhunderten haben wir jedoch physikalische und biologische Veränderungen globalen Ausmaßes eingeleitet.
So verstärken sich globale Erwärmung, Versauerung der Meere, Zerstörung oder Fragmentierung von Lebensräumen, die Verbreitung invasiver Arten sowie Umweltverschmutzung gegenseitig und haben sich laut dem Weltbiodiversitätsrat IPBES in den vergangenen fünf Jahrzehnten besonders beschleunigt (IPBES 2019: Global Assessment Report, SPM B2, S. 13). Der Klimawandel verschärft die ohnehin bestehenden Risiken für die Artenvielfalt, warnt der IPCC in seinem Sechsten Sachstandsbericht (IPCC 2022, AR6, Band 2, Technical Summary TS.C.1.5).
d.) Es droht ein für moderne Arten unbekanntes Klima
Selbst bei einer optimistisch geschätzten Erwärmung von etwa 2,5 °C bis Ende Jahrhunderts würde die globale Durchschnittstemperatur der Erdoberfläche klimatische Bedingungen herstellen, die zuletzt in der Mitte des Pliozäns vor rund drei Millionen Jahren herrschten. Eine Erderwärmung um 4 °C hingegen (worauf es bei ungebremstem Treibhausgasausstoß hinauslaufen würde) würde die Erde innerhalb nur eines Jahrhunderts zurückkatapultieren in ein Klima, das längerfristig zu einer weitgehend eisfreien Erdoberfläche führt, wie es zuletzt während des Eozäns vor ungefähr 35 Millionen Jahren herrschte. Demgegenüber beträgt die durchschnittliche Überlebensdauer einer Art nur eine bis drei Millionen Jahre – es ist also durchaus möglich, dass in dem aus geologischer Sicht extrem kurzen Augenblick eines Jahrhunderts Bedingungen auf der Erde entstehen, mit denen moderne Arten noch nie konfrontiert waren. Es ist deshalb auch nicht einfach voraussagbar, wie diese darauf reagieren werden.
Oder andersherum formuliert: Sicherlich wird sich auch bei einem veränderten Klima langfristig (wieder) eine Artenvielfalt auf der Erde entwickeln – nur dürfte dies einige Millionen Jahre dauern. Im menschlichen Zeithorizont hingegen, also innerhalb der nächsten Jahrzehnte oder Jahrhunderte, werden die bekannten evolutionären Mechanismen sicherlich nicht ausreichen, dass die jetzigen Arten sich dem Klimawandel anpassen können.
Führt Klimawandel denn nun zu globalem Artensterben?
Zusammengefasst: In der Vergangenheit passten sich Tier- und Pflanzenarten an klimatische Veränderungen meist dadurch an, dass sie ihre Lebensräume verlegten – in nördlichere oder südlichere Breiten (je nach Erwärmung oder Abkühlung des Klimas) oder in höhere oder niedrigere Gebirgshöhen. Außerdem kam es zu evolutionären Adaptionen: Die anpassungsfähigsten Exemplare einer Art überlebten und vererbten ihre Belastbarkeit an künftige Generationen. Heute aber helfen diese Anpassungsstrategien aufgrund der obengenannten Gründe in den meisten Fällen nicht oder nur unzureichend. Der aktuelle globale Klimawandel ist schlichtweg zu tiefgreifend und vollzieht sich zu rasch.
Die Forschung warnt deshalb schon lange davor, dass der Klimawandel zu einem weltweiten Artensterben führen könnte (zum Beispiel Thomas et al. 2004). Doch genaue Aussagen hierzu sind schwierig, jedenfalls wenn sie wissenschaftlich korrekt sein sollen – denn ein expliziter Nachweis von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen ist beim Aussterben von Arten schwer zu führen. Von mehr als 850 dokumentierten Fällen von Artensterben in den letzten Jahrzehnten wurden 20 in Zusammenhang mit der Erderwärmung gebracht (Cahill et al. 2013). Aber selbst bei diesen 20 Fällen spielten stets auch andere Einflüsse eine Rolle, etwa der Verlust oder die Verschmutzung von Lebensräumen.
Bei einigen Aussterbe-Ereignissen ist der Zusammenhang geklärt
Der Sechste Sachstandsbericht des IPCC nannte aber bereits drei Fälle, bei denen das (Beinahe)Aussterben einer Art dem Klimawandel zugeschrieben werden kann (IPCC 2022, AR6, Band 2, Kapitel 2, Executive Summary): das Verschwinden der Goldkröte (Incilius periglenes) nach extremen Dürren in Costa Rica; eine weiße Unterart der Lemuren-Ringbeutler (Hemibelideus lemuroides) gilt nach mehreren extremen Hitzewellen im australischen Queensland als so gut wie ausgestorben; und eine Art der Mosaikschwanzratten (Melomys rubicola) verschwand wahrscheinlich durch steigenden Meeresspiegel und Sturmfluten aus ihrem Lebensraum auf der Insel Bramble Cay am nördlichsten Ort Australiens.
Doch solche Fälle sind rar. Meist ist nicht mit der notwenden Gewissheit nachweisbar, ob zum Beispiel – wie im Falle der Goldkröte zunächst vermutet wurde – eine bestimmte Pilzinfektion, die sich infolge von Klimaänderungen ausbreitet und Amphibien befällt, eine Arte nicht irgendwann auch ohne Erderhitzung ausgerottet hätte (AR6, Band 2, Kapitel 2, Case study 2: Chytrid fungus and climate change). Und vielen Fällen spielen auch andere Einflüsse eine Rolle, etwa der Verlust oder die Verschmutzung von Lebensräumen.
Je stärker der Klimawandel, desto mehr Arten geraten in Gefahr
Trotz ausgiebiger Forschung lässt sich daher das Aussterberisiko nicht genau beziffern; unbestreitbar aber ist, dass es bei stärken Temperaturanstiegen deutlich zunimmt. Während bei einer Erderwärmung um 1,5 °C auf (so die mittlere Schätzung) neun Prozent der weltweiten Arten eine hohe Gefahr des Aussterbens zukommt, so der IPCC, wären es bei 2 °C etwa zehn Prozent, bei 3 °C zwölf Prozent, bei 4 °C rund 13 Prozent und bei 5 °C bereits 15 Prozent. Es sei aber gut möglich, dass die Werte auch viel höher liegen – bei 5 °C Erderhitzung könnte sogar fast die Hälfte aller Arten bedroht sein (IPCC 2022, AR6, Band 2, Executive Summary).
Viele Hinweise geben übrigens auch paläoklimatische Erkenntnisse: In der Erdgeschichte gab es nämlich einerseits lange Phasen mit relativ gemächlichem Klimawandel – mit dessen Tempo konnte die Anpassungsfähigkeit der Arten schritthalten. Andererseits gab es aber mehrfach auch abrupte Klimawechsel, die ähnlich rasant abliefen, wie heute der menschengemachte Klimawandel – und diese plötzlichen Klimaereignisse hatten schwere Auswirkungen auf die Artenvielfalt. Das dramatischste Aussterben vor 250 Millionen Jahren zum Beispiel, mit dem das Paläozoikum endete, steht im Zusammenhang mit einem abrupten Klimawechsel. Etwas weniger katastrophal, aber dennoch zerstörerisch war ebenso das Paläozän/Eozän-Temperaturmaximum (PETM) vor 55 Millionen Jahren. Erhellend ist auch ein Blick auf die Jüngere Dryaszeit (vor ca. 12.000 Jahren): Damals kam es zu schnellen, regionalen Temperaturanstiegen – Ökosysteme und Arten reagierten darauf mit Verlagerungen und Veränderungen der Populationsgröße, und es starben auch eine Reihe von Arten aus.
„Die paläoökologischen Belege [also solche über Ökosysteme in der Erdgeschichte] zeigen sehr verlässlich, dass große Veränderungen des Erdklimas, deren Ausmaß vergleichbar ist mit jenen, die für das 21. Jahrhunderts erwartet werden, zu großen ökologischen Veränderungen führen können – dazu gehören großräumige Verschiebungen von Ökosystemen, Zerrüttung von Lebensgemeinschaften und das Aussterben von Arten.“
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