Der IPCC wurde 1988 gegründet, um die Ergebnisse der immer breiter werdenden Klimaforschung auszuwerten. Die wichtigste Aufgabe des„Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimawandel“ – so die wörtliche Übersetzung des Titels „Intergovernmental Panel on Climate Change“ – ist, den Forschungsstand für das wissenschaftliche Laienpublikum (zu dem ja in der Regel auch die Verantwortungsträger in der Politik gehören) aufzubereiten. Zu diesem Zweck veröffentlicht der IPCC alle sechs bis sieben Jahre sogenannte Sachstandsberichte über die gesamte Klimaforschung, dazwischen gelegentlich weitere Reports zu Spezialthemen.
Der IPCC arbeitet nach streng wissenschaftlichen Standards. Zu den Prinzipien gehört beispielsweise, die Studien detailliert zu nennen, die in seine Berichte eingeflossen sind. Ein weiteres Prinzip ist Transparenz. Der gesamte Erarbeitungsprozess samt der Kritiken, die während der Redaktionsarbeit an einem Report geübt wurden, sind nach dessen Veröffentlichung im Internet nachlesbar (hier beispielsweise jene für den Teilband I „Naturwissenschaftliche Grundlagen“ des Sechsten IPCC-Sachstandsberichts von 2021). Wer will, kann also die Originalquellen leicht mit den Zusammenfassungen und Bewertungen des IPCC vergleichen oder auch Kritiken an Entwürfen der Berichte nachlesen bzw. den Umgang der IPCC-Autorinnen und -autoren damit.
Nach dem Vierten Sachstandsbericht von 2007 wurde breit über den sogenannten Himalaja-Fehler berichtet – in Band II jenes Reports hatte es fälschlich geheißen, die Gletscher im Himalaja drohten schon bis 2035 zu verschwinden (der IPCC hat dies korrigiert und bedauert). Zwar blieben die wesentlichen Aussagen zum Klimawandel im 2007er IPCC-Sachstandsbericht unberührt von dem Fehler – denn dieser war der Arbeitsgruppe II unterlaufen („Auswirkungen, Anpassung, Gefährdungen“) und berührte nicht die Szenarien der für das Thema eigentlich „zuständigen“ Arbeitsgruppe I („Naturwissenschaftliche Grundlagen“).
Trotzdem wird mit Verweis auf diesen einzelnen Fehler von 2007 gelegentlich behauptet, der IPCC oder seine Reports würden den Klimawandel generell übertreiben. Bei genauer Betrachtung jedoch finden sich dafür keine Belege – stattdessen zeigt die Erfahrung, dass Bewertungen des IPCC eher konservativ ausfallen. Es gibt etliche Fälle, in denen seine Berichte (also die Zusammenfassungen veröffentlichter Forschungsergebnisse) sich rückblickend als zu optimistisch herausgestellt haben.
Hier nur drei Beispiele:
1. Ausstoß von Kohlendioxid
Im Jahr 2000 veröffentlichte der IPCC einen Sonderbericht zu Emissionsszenarien. Darin wurden verschiedene Annahmen über die künftige Entwicklung der Welt skizziert und insgesamt 40 verschiedene Zukunfts-Szenarien umrissen. Darunter waren zum Beispiel Varianten mit großem oder kleinem Wirtschaftswachstum, mit raschem oder langsamerem technologischen Fortschritt, mit einer starken oder schwachen Nutzung fossiler Energiequellen. Darauf aufbauend wurden dann mögliche und wahrscheinliche Entwicklungen des künftigen Ausstoßes an Treibhausgasen prognostiziert.
Ein Blick auf die tatsächliche Entwicklung seither lässt ahnen, wie unberechtigt der Vorwurf der Schwarzmalerei ist: Die realen Emissionen lagen jahrelang nahe an oder gar über den pessimistischsten Szenarien (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Vergleich von IPCC-Szenarien (bunte Linien) mit dem später real eingetretenen CO2-Ausstoß aus der Verbrennung fossiler Energieträger und Veränderungen bei der Landnutzung, etwa Waldrodungen (schwarze Linie). Grün dargestellt sind SRES-Szenarien aus einem 2000er IPCC-Sonderbericht, in Hellblau noch ältere Szenarien, die dicken bunten Linien zeigen die RCP-Szenarien, die im Fünften IPCC-Sachstandsbericht von 2013/14 verwendet wurden. Die schwarze Linie lag zeitweise zum Beispiel nahe am bekannten Szenario RCP8.5 (worst case ohne Klimaschutz). Im Laufe der 2010er Jahre mit zunehmendem Klimaschutz und dem beginnenden Boom der Erneuerbaren Energien, entfernten sich die Realemissionen von den schlimmsten Szenarien und bewegen sich nun etwa im Mittelfeld. Klar erkennbar ist übrigens (vorletzter Punkt auf der schwarzen Linie) der kurzzeitige Rückgang der weltweiten Emissionen im Jahr 2020 als Folge der Covid-19-Pandemie bzw. der weltweiten Lockdowns mit zwischenzeitlichen Einbrüchen bei Verkehr und Industrieproduktion; Quelle: Glen Peters
2. Anstieg der Meeresspiegel
Mindestens genauso deutlich ist das Bild, wenn es um die Entwicklung des globalen Meeresspiegels geht. Auch hier hat der IPCC die Entwicklung alles andere als überschätzt, im Gegenteil: Laut Sechstem Sachstandsbericht von 2021 stiegen die Meeresspiegel zwischen 2006 und 2018 um rund 3,7 mm pro Jahr, Tendenz zunehmend (IPCC 2021, AR6, WG1, SPM A.1.7). In seinem Dritten Sachstandsbericht jedoch hatte das Gremium 2001 noch von einem mittleren jährlichen Anstieg um rund 1,9 mm gesprochen – der Anstieg geschieht also fast doppelt so schnell wie einst vom IPCC erwartet.
Abbildung 2 vergleicht den tatsächlichen Anstieg des mittleren globalen Meeresspiegels mit früheren IPCC-Projektionen (aus dem Dritten Sachstandsbericht):
Abbildung 2: Projektionen zur Veränderung des Meeresspiegels aus dem Dritten IPCC-Sachstandsbericht von 2001 im Vergleich zum tatsächlich gemessenen Anstieg (dicke rote Linie). Die verschiedenfarbigen dünnen Linien zeigen den erwarteten Anstieg laut der sechs wichtigsten IPCC-Szenarien, die graue Fläche zeigt den erwarteten Anstieg in allen 35 vom IPCC betrachteten Szenarien, und die äußersten schwarzen Linien oben und unten markieren den damals angegebenen Bereich wissenschaftlicher Ungewissheit. Der durch Satellitenmessungen ermittelte reale Meeresspiegelanstieg zwischen 1993 und 2022 (graue Zick-Zack-Kurve sowie dick-rot die längerfristige Trendlinie "quadratic fit") verläuft über dem grauen Bereich der vom IPCC betrachteten Szenarien und am oberen Rand aller Modellergebnisse, sie liegt also nah an den pessimistischsten Erwartungen. Der IPCC hat die Entwicklung folglich alles andere als alarmistisch eingeschätzt; Quelle: eigene Darstellung unter Verwendung von IPCC 2001, TAR, WG 1, Kapitel 11, Figure 11.12 (Ausschnitt) und University of Colorado
Im Dritten Sachstandsbericht von 2001 bezifferte der IPCC den zu erwartenden Anstieg des Meeresspiegels bis Ende des Jahrhunderts auf 9 bis 88 Zentimeter (im Vierten Sachstandsbericht von 2007 waren es 18 bis 59 cm, wobei die Zahlen nicht direkt vergleichbar sind, weil der AR4 nur einen engeren Unsicherheitsbereich berücksichtigte, also einige Faktoren mit hoher Ungewissheit explizit ausgeklammert hatte).
Im Rückblick wird klar, dass die früheren IPCC-Schätzungen zu konservativ waren, unter anderem weil das Tempo der Eisverluste auf Grönland und der Antarktis deutlich unterschätzt wurde. Jedenfalls liegen die aktuellen Meeresspiegel-Projektionen des Sechsten Sachstandsberichts (AR6) von 2021 erheblich über den vorherigen. Laut IPCC muss gegenwärtig selbst bei strengstem Klimaschutz mit einem Anstieg von mindestens 28 bis 55 Zentimetern bis Ende des Jahrhunderts gerechnet werden, bei ungebremsten Emissionen gar um 63 Zentimeter bis 1,01 Meter (jeweils verglichen mit dem Zeitraum 1995-2014, als die Pegel bereits rund 16 Zentimeter höher lagen als zu Beginn der Industrialisierung). Wegen der Ungewissheiten darüber, wie sich die Gletscher und Eisschilde künftig angesichts der zunehmenden Erwärmung verhalten, könne der Anstieg noch deutlich höher ausfallen, warnt der AR6: rund zwei Meter bis 2100 oder fünf Meter bis 2150 seien nicht auszuschließen (IPCC 2021, AR6, Band 1, SPM B.5.3).
3. Schmelzen des arktischen Meereises
Auch bei der Entwicklung des Meereises, das rings um den Nordpol auf dem Ozean schwimmt, hat der IPCC die Entwicklung deutlich unterschätzt. Während der arktischen Sommer schmilzt die Eisfläche deutlich schneller, als es der IPCC einst erwartet hatte. Bereits im Jahr 2007 wies ein US-amerikanisches Forschungsteam darauf hin, dass die im Vierten Sachstandsbericht verwendeten Klimamodelle den tatsächlichen Schwund des arktischen Meereises unterschätzten. Die Modelle hätten im Durchschnitt einen Rückgang um rund 2,5 Prozent pro Jahrzehnt (seit den 1950er Jahren) ergeben – tatsächlich aber war der Rückgang mit rund 7,8 Prozent pro Jahrzehnt rund dreimal so stark. Die reale Entwicklung sei der modellierten Eisschmelze um rund 30 Jahre voraus (Stroeve et al. 2007).
Abbildung 3: Ausdehnung des Meereises der Arktis für den Monat September in Millionen Quadratmetern. Die dicke schwarze Linie zeigt den Durchschnitt aus 13 Modellen des Vierten IPCC-Sachstandsberichts von 2001, die schwarz gepunkteten Linien darüber und darunter umgrenzen die Bandbreite der vom IPCCberücksichtigten Modelle, die vielen farbig gepunkteten Linien sind die Ergebnisse einzelner Modelle. Die dicke rote Linie zeigt die tatsächliche Entwicklung des arktischen Meereises zwischen 1953 und 2006, sie liegt seit Jahrzehnten deutlich unter dem Modellmittel, zuletzt sogar tiefer als die pessimistischsten vom IPCC 2001 berücksichtigten Modelle; Quelle: Stroeve et al. 2007
Die Leitautorin der Studie, die Arktisforscherin Julienne Stroeve, hat Anfang 2023 auf Bitten von klimafakten.de ihre damalige Auswertung fortgeschrieben (Abbildung 4). In der neuen Version sind einerseits mehr Klimamodelleberücksichtigt (weiterentwickelte Modelle können die tatsächliche Entwicklung des arktischen Meereises besser erfassen, siehe dazu z.B. Notz et al. 2020). Andererseits jedoch ist zu sehen, dass die sommerliche Ausdehnung des arktischen Meereises weiterhin stärker geschrumpft ist, als es selbst die pessimistischsten Klimamodelle des 2001-er IPCC-Reports erwartet hatten.
Abbildung 4: Ausdehnung des Meereises der Arktis für den Monat September in Millionen Quadratmetern. Die dicke rote Linie zeigt Messdaten der Jahre 1953-2022, die dicke schwarze Linie den Durchschnitt aus 13 Modellen des Vierten IPCC-Sachstandsberichts von 2001, die schwarzen gestrichelten Linien darüber und darunter umgrenzen die Bandbreite der vom IPCC in jenem Report berücksichtigten Modelle, die vielen farbigen Linien sind die Ergebnisse einzelner (auch neuerer) Modelle; Quelle: Stroeve 2023 auf Basis von Stroeve et al. 2007
Neben der Fläche nimmt übrigens auch die Dicke des arktischen Meereises seit einigen Jahrzehnten stetig ab, seit Beginn des Jahrtausends ist dies mittels Satelliten gut messbar (IPCC: AR6, Band 1, Kapitel 2.3.2.1.1). Eis, das vier oder mehr Jahre alt ist und damit weniger anfällig wäre für saisonales Abschmelzen, ist inzwischen beinahe verschwunden (Perovich et al., 2020). Diese Entwicklung hat sich ebenfalls deutlich schneller vollzogen, als es der IPCC einst erwartet hatte (Rampal et al. 2011). Bereits in seinem Fünften Sachstandsbericht stellte auch der IPCC selbst fest, dass frühere Modelle die Entwicklung des Meereises deutlich unterschätzten (AR5: Band 1, Kapitel 12.4.6.1).
Fazit
Die Behauptung, der IPCC betreibe "Panikmache", lässt sich also nicht halten – und vermutlich stimmt eher das Gegenteil. Kurz vor Veröffentlichung des Fünften Sachstandsberichts kam eine Überblicksstudie (Brysse et al. 2013) zum Ergebnis:
„Die verfügbaren Indizien legen nahe, dass Wissenschaftler tatsächlich konservativ gewesen sind in ihren Projektionen zum Klimawandel. Untersuchungen zeigen, dass wenigstens einige der wichtigsten Erscheinungen der Erderwärmung untertrieben wurden, vor allem in den Teilbänden 1 (‚Wissenschaftliche Grundlagen’) der IPCC-Sachstandsberichte. Übertreibungen kamen in derartigen Berichten weniger häufig vor. Wir nehmen deshalb an, dass Wissenschaftler nicht in Richtung Alarmismus voreingenommen sind, sondern eher in Richtung des Gegenteils: hin zu zurückhaltenden Schätzungen. … Wir nennen diese Tendenz das ‚Irren auf der Seite des geringsten Dramas’ [im Original: ‘erring on the side of least drama’].”
G. P. Wayne/klimafakten.de, August 2013;
zuletzt aktualisiert: Mai 2023