Das Buch Alice, der Klimawandel und die Katze Zeta versucht auf ganz eigenwillige Weise, die komplexe Welt der Klimamodelle zu erklären. Die Autorin, Margret Boysen, ist Geologin und leitet das künstlerische Programm am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Erst kürzlich hat sie einen Lyrikband veröffentlicht. Auf die Idee für das Buch kam sie durch die Kaninchen auf dem Potsdamer Telegraphenberg, wo das PIK beheimatet ist.

Eben dort beginnt auch die Geschichte: Wie bei Lewis Caroll verfolgt Alice ein Kaninchen und fällt durch ein tiefes Loch in eine andere Zeit – unsere Gegenwart. In der Zukunft, aus der Alice kommt, ist das Klima nämlich schon gerettet. Ein tröstlicher Gedanke. Verwirrend aber ist Alice' Reise durch die Klimamodelle, in die sie durch den Computermonitor eines freundlichen PIK-Forschers eintreten darf. Gefährlich sei es dort nicht, beruhigt er sie.

Doch seltsam unwirklich wie in einem Traum ist es doch. Alice tritt nun schon wieder eine Zeitreise an, erlebt Jahrzehntausende in wenigen Stunden, weil die Modelle ganze Epochen rasant durchmessen. Eiszeiten kommen und gehen, der Meeresspiegel steigt und fällt in wahnwitzigem Tempo. Auf ihrem Weg trifft Alice seltsame Gestalten wie den Fürsten von Albedo und Lord Waterlow, spricht mit verdurstenden Bäumen und einem gefügelten Schwein.

Surreal wie das Original - aber definitiv kein Kinderbuch

Am Ende muss sie sich vor einer Klimakonferenz verantworten, die unversehens zu einem Strafgericht wird. Alice wird als Komplizin der Klimawissenschaftler verurteilt, die zu spät vor dem Klimawandel gewarnt und die Fakten zu vorsichtig bewertet haben. Doch mithilfe der berühmten Schwarzschild-Formel kann sie durch ein Wurmloch zurück in die Gegenwart entkommen. Insgesamt ist die Handlung nicht weniger verworren und surreal als beim Original von Lewis Caroll - aber wegen des wissenschaftlichen Themas ist Boysens Werk definitiv kein Kinderbuch.

Wie nebenbei erfährt der Leser auf Alice' Reise, wie Klimamodelle funktionieren und warum es Klimawandel gibt – sowohl den aktuellen, menschengemachten als auch die alten, natürlichen Klimawandelprozesse, die schon immer da waren. Dabei gelingen Margret Boysen schöne poetische Passagen. Etwa, wenn Alice den Rat bekommt, beim Besuch in der Bibliothek der Wahrheit unbedingt ihre Phantasie dabeizuhaben. "Wenn du deine Phantasie mit in die Bibliothek nimmst, geht alles viel schneller … Alles, was du je gelernt hast, verbindet sich zu einem großen Ganzen. Auch das, was du vergessen hast", sagt das Mädchen Emma, die unglückliche Tochter eines Großgrundbesitzers, der den Wald roden lässt, um Plantagen anzulegen.

Im "Impakt-Theater" ist zu sehen, wie hässlich eine Sechs-Grad-Welt wäre

Schön ausgedacht und berührend ist Alice' Besuch im Impakt-Theater, wo die Auswirkungen des Klimawandels auf die Bühne kommen. Je nach Stärke der Erderwärmung heißen die Stücke "Der Deichbruch", "Wenn die Welt kippt" und "Der Mensch verlässt das Holozän". Sehr hässlich wie die Menschen in der Welt mit sechs Grad Erwärmung um das letzte Bisschen Wasser kämpfen … Solche Szenen fängt Boysen aber immer wieder mit heiligem Unernst und kuriosen Wortspielen auf: "Keine Eiskapaden … immer der NASA nach", heißt es, wenn Alice' auf dem Rücken eines Albatros' zu einem Flug durch den Jetstream aufbricht.

Die mathematische Welt der Klimamodelle mit einem Werk der Nonsens-Literatur zu verklammern, ist natürlich gewagt. Die Autorin baut hier vor und lässt die Katze Zeta sagen: "Mathematik und Poesie sind zwei Arten des Sehens..." Um die Welt der realen Klimamodelle und die vielen Anspielungen im Text zu erklären, braucht das Buch dann aber doch einen ganz ansehnlichen Anmerkungsapparat. Ohne ihn wäre man in seiner großen, weiten Gedankenwelt etwas verloren.

Beim zweiten Hinsehen aber wirkt Margret Boysens Einfall fast logisch: Ist nicht das komplexe Klimageschehen so unübersichtlich wie Alice' Reise durchs Wunderland? Und passen die bedrohlichen Situationen, die Alice erlebt, nicht zu den Gefahren der Erderwärmung? So ist der schön gestaltete Band ein gelungener Versuch, den Klimawandel einmal anders zu erzählen. Wer sich darauf einlässt, kann Erkenntnisgewinn mit literarischem Vergnügen verbinden.

Margret Boysen: Alice, der Klimawandel und die Katze Zeta. Edition Rugerup 2016. 278 Seiten. 21,90 Euro

sue