Präambel

  1. Die gesellschaftliche Debatte zur Bewältigung der Klimakrise, die wir bis­her geführt haben, ist an ihre Grenzen gelangt. In immer drastische­rer Form vor den bedrohlichen Veränderungen des Klimasystems zu warnen, greift zu kurz. Denn damit verbunden ist die Erwartung, dass Politik und Gesellschaft allein deshalb in einem rationalen Dialog geeignete Maß­nahmen ergreifen. Wer Klimaschutz und Klimaanpassung vorantreiben möchte, ist aufgerufen, in einer neuen, aktivierenden Form zu kommunizieren.

  2. Diese neue Klimakommunikation nimmt Menschen in ihren Denkweisen, Lebenswelten und Bedürfnissen ernst und knüpft daran an. Hierfür treten wir mit dieser Charta ein. Kommunikation ist für demokratische Gesell­schaften entscheidend, damit sie einen Weg finden, im Einklang mit den planetaren Grenzen zu leben.

  3. Diese Charta will Leitlinien für Menschen definieren, die beruflich oder aus gesellschaftlichem Engagement über Klimakrise und Klimaschutz kommu­nizieren. Wir rufen dazu auf, Kommunikation weit über ihre bisherige Rolle hinaus als Teil der Lösung zu betrachten statt als mehr oder minder not­wendiges Beiwerk.

  4. Der Beitrag öffentlicher Institutionen ist dabei entscheidend. Im Pariser Abkommen von 2015 haben sich die unterzeichnenden Staaten dazu ver­pflichtet, „Maßnahmen zur Verbesserung der Bildung, der Ausbildung, des öffentlichen Bewusstseins, der Beteiligung der Öffentlichkeit und des öffent­lichen Zugangs zu Informationen auf dem Gebiet der Klimaänderun­gen zu ergreifen“. Diesen Auftrag hat der UN-Klimagipfel in Glasgow 2021 präzisiert: Demnach sollen Vertragsstaaten auf Basis gezielter sozial­wissenschaftlicher Forschung Strategien für eine Kommunikation über den Klimawandel entwickeln, die Verhaltensänderungen im Blick hat und Men­schen dazu ermutigt. Wir sehen darin eine Verpflichtung der Regierungen und des öffentlichen Sektors zu ganzheitlicher, aktivierender und wir­kungsorientierter Klimakommunikation.

Was wir beobachten – und in Zukunft vermeiden wollen

  1. Die Wissenschaft liefert hinreichend gesicherte Erkenntnisse über den vom Menschen verursachten Klimawandel. Wissen über Ursachen, Folgen und Handlungsmöglichkeiten ist essentiell – aber Wissen allein genügt nicht, um die Gesellschaft auf einen Pfad zu bringen, der die natürlichen Lebens­grundlagen schützt und bewahrt. Verschiedene umsetzbare Lösungsoptio­nen liegen für die gesellschaftliche Aushandlung auf dem Tisch.

  2. Noch immer herrscht das Informations-Defizit-Modell der Kommunikation vor. Ihm zufolge genügen Fakten, um Menschen zu überzeugen und zu Kli­maschutz zu motivieren. Dieses Modell ist wissenschaftlich widerlegt und unbrauchbar für eine wirksame Klimakommunikation.

  3. Die bisherige Form der Kommunikation betont das Problem und zeigt nicht selten katastrophische Szenarien. Aber zu häufig lähmt, verunsichert und polarisiert solche Kommunikation, insbesondere wenn sie Probleme und Risiken nur benennt, ohne Lösungen und Handlungsoptionen aufzuzeigen. Klimakommunikation ist gefordert, Orientierung zu bieten, also zu gewich­ten und einzuschätzen, welche dieser Optionen effektiv sind und welche nicht.

  4. Es herrscht häufig die perfektionistische Vorstellung vor, dass Klimaschutz nur möglich ist, wenn man widerspruchsfreie Lösungen findet. Da Klima­schutz aber in der Realität immer Abwägungen und Aushandlung bedeutet, ist dieser Anspruch ein weiterer lähmender Faktor.

  5. Kommunikation zum Klimaschutz versäumt es häufig, Ziele und Zielgrup­pen klar zu definieren. Sie ignoriert die Vielfalt menschlicher Werte und Eigenschaften und die ungleich verteilte Handlungsmacht. Auch darum überlässt sie dem destruktiven Potential von Desinformation und Diskur­sen der Verzögerung zu viel Raum.

  6. Klimakommunikation verlässt sich bislang zu sehr einzig auf Intuition, handwerkliches Können oder gar Marketing. So verschenkt sie beachtliches Potential: Wo Naturwissenschaften unerlässliches Wissen zum menschen­gemachten Klimawandel erarbeiten, liefert sozialwissenschaftliche For­schung zentrale Erkenntnisse zum gesellschaftlichen Wandel. An diese Ein­sichten knüpft Klimakommunikation bisher kaum systematisch an.

  7. Auch die beste Kommunikation stößt an Grenzen, wo die aktuellen Rah­menbedingungen einem klimaverträglichen Handeln entgegenstehen. Viel zu häufig ist dies teuer, aufwendig oder ganz unmöglich, viel zu häufig wird stattdessen klimaschädliches Handeln begünstigt und subventioniert. Unter diesen Bedingungen greift Kommunikation ins Leere, ja, sie läuft sogar Gefahr, Unwillen und Reaktanz auszulösen.

Wofür wir eintreten – und wie wir arbeiten wollen

  1. Diese Charta setzt sich ein für eine Kommunikation, die fragt: Was sind die Bedingungen menschlichen Empfindens und Verstehens, Entscheidens und Handelns? Wie greifen diese Ebenen ineinander? Klimakommunikation nutzt diese Erkenntnisse, damit Menschen Klimapolitik mittragen und selbst ins Handeln kommen. Sie zielt gleichermaßen auf Veränderungen auf struktureller wie individueller Ebene.

  2. Die neue Klimakommunikation wirkt Polarisierung und gesellschaftlicher Spaltung entgegen. Sie ermächtigt Menschen, Desinformation und Diskurse der Verzögerung zu erkennen und ihnen zu begegnen. Sie fördert gesell­schaftliche, auch kontroverse Debatten im Ringen um bestmögliche Lösun­gen. Sie ist anschlussfähig an die Wertvorstellungen verschiedener sozialer Gruppen und gesellschaftlicher Milieus – soweit sie sich im Rahmen demo­kratischer und freiheitlicher Normen bewegen. So trägt Klimakommunika­tion dazu bei, eine geteilte gesellschaftliche Vorstellung von einer Lebens­weise im Einklang mit den natürlichen Lebensgrundlagen zu entwickeln.

  3. Klimaschutz erschöpft sich nicht in Verboten und Appellen zu Verzicht, wie seine Gegner glauben machen wollen. Längst liegen attraktive und wirt­schaftlich vorteilhafte Lösungen vor, um die Zukunft zu gestalten. Mit der Umsetzung lassen sich häufig „erwünschte Nebenwirkungen“ (Co-Benefits) erzielen. Diese Vorteile herauszustellen und so die Perspektive zu wech­seln, kann helfen, Zustimmung zu gewinnen und Widerstände zu verrin­gern.

  4. Aktivierende Klimakommunikation richtet einen unvoreingenommenen Blick auf die gesamte Bandbreite politischer Instrumente. Diese reicht von Instrumenten des Ermöglichens und Förderns über Bepreisung bis hin zu Regulierung.

  5. Eine lösungsorientierte Klimakommunikation befähigt Menschen dabei auch dazu, mit Mehrdeutigkeit umzugehen (Ambiguitätstoleranz). Nicht jeder Lösungsansatz ist ohne Probleme und hat vielleicht auch uner­wünschte Nebeneffekte. Deshalb ist es bei der Suche nach Klimaschutz­lösungen wichtig, verschiedene Aspekte und Sichtweisen abzuwägen und Widersprüche auszuhalten.

  6. Aktivierende Kommunikation braucht ein wissenschaftliches Fundament. Sie stützt sich auf Erkenntnisse aus einem breiten Spektrum verschiedener Disziplinen der Sozial-, Geistes-, Kultur- und Humanwissenschaften sowie auf Erfahrungswissen des praktischen Handelns.

  7. Die neue Klimakommunikation muss am alltäglichen Erleben und Wissen der Menschen anknüpfen. Menschen müssen erfahren, dass sie die Trans­formation mitentscheiden und mitgestalten können. Menschen müssen erfahren, dass es auf ihr Handeln ankommt, und dass es Wirkung entfaltet.

  8. Die neue Klimakommunikation muss Menschen dazu befähigen, Fakten und Fiktionen voneinander zu unterscheiden. Wenngleich Desinformation kein neues Phänomen ist, bieten die technischen und rechtlichen Voraus­setzungen im digitalen Raum heute Optionen der Manipulation nie dagewe­senen Ausmaßes, nicht nur im Klimabereich. Wir treten daher dafür ein, den digitalen Raum so zu regulieren, dass er den notwendigen demokrati­schen Aushandlungsprozessen dienen kann. Wir plädieren dafür, unabhän­gige Fact-Checking-Organisationen sowie eine bessere Medienkompetenz zu fördern.

  9. Damit klimapolitische Maßnahmen wie auch gesellschaftliche Initiativen und soziale Innovationen nachhaltigen Erfolg haben können, müssen ihre Planerinnen und Urheber kommunikative Aspekte von Anfang an berück­sichtigen: gleichberechtigt und systematisch neben technischen, recht­lichen, politischen oder wirtschaftlichen Fragen.

  10. Darüber hinaus brauchen wir Institutionen, die das Mandat und die Res­sourcen haben, gesellschaftliche Gruppen, öffentliche Einrichtungen und staatliche Stellen zu aktivierender Klimakommunikation zu unterstützen, diese zu beraten sowie Wirkungsanalysen öffentlicher Klimakommunika­tion zu betreiben.

Die Charta als PDF-Datei können Sie hier herunterladen

 

Initiiert wurde die Charta von

Carel Mohn Klimafakten, Christopher Schrader Journalist, Marie-Luise Beck Deutsches Klima-Konsortium, Severin Marty ProClim, Martha Stangl Climate Change Centre Austria