Kann Poesie das Bewusstsein für den Klimawandel erhöhen, gar zum Handeln anregen? Will und kann sie Worte finden, die über Hürden hinweghelfen, die durch die naturwissenschaftliche Beschreibung des Themas, durch deren oft abstrakte Zahlen- und Diagrammsprache für viele Menschen entstehen? Anders ausgedrückt: Kann Poesie anders beschreiben, wie der Klimawandel sich auf menschliches Leben auswirkt, als dies die Sprache der Forschung, der Politik, des Journalismus oder auch von Umweltorganisationen können?
Die Antwort jener Dichterinnen und Dichter, die sich vergangene Woche im Rahmen des 19. Poesiefestivals Berlin in der Berliner Akademie der Künste trafen, ist eindeutig. Ihr "Ja" brachten sie mit einem "Weltklimagipfel der Poesie" literarisch auf die Bühne.
Kendel Hippolyte gehörte zu den Dichterinnen und Dichtern, die auf dem diesjährigen Poesiefestival Berlin Werke zum Klimawandel vortrugen; Foto: Gerald Zörner/gezett.de
Das Festival findet seit 2000 jährlich in Berlin statt. Für rund zehn Tage präsentieren dann Gäste aus aller Welt zeitgenössische Dichtkunst, die Veranstaltung gilt als größtes Lyrik-Festival Deutschlands. Die Idee, im Rahmen der diesjährigen Ausgabe dem Klimawandel Raum zu geben, sei nach den verheerenden Verwüstungen in der Karibik durch Hurrikan Irma 2017 entstanden, erklärt Isabel Aguirre, eine der Macherinnen des poetischen Weltklimagipfels. Unterstützung für die Idee fanden sie bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Berliner Think Tank Ecologic Institut. Ziel sei es gewesen, dass "Dichterstimmen der Welt gehört werden, die sich zum Klima, Veränderungen der Natur, Meeresspiegelerhöhungen, Trockenheiten und anderen menschlich und natürlich herbeigeführten Katastrophen äußern".
Gäste aus Holland und Simbabwe, Grönland und St. Lucia
Auf fünf Kontinenten habe man deshalb nach Autorinnen und Autoren gesucht und schließlich eine Mischung von Leuten eingeladen, die sich auf unterschiedliche Art im Bereich des Klimawandels engagieren, so Aguirre, "sei es durch Schulungen, Workshops und Reden in Bildungszusammenhängen und Theater oder auch schlichtweg durch ihre Poesie". In Berlin zu Gast waren schließlich Autoren wie der Niederländer Tsead Bruinja, den die Folgen des bedrohlichen Meeresspiegelanstiegs beschäftigen, oder der junge HipHop-Künstler Tongai Leslie Makawa (Bühnenname: "Outspoken") aus Simbabwe, der die Dürre in seinem Land poetisch verarbeitet.
Im Rahmen des Festivals lasen die Autorinnen und Autoren aus ihren Werken, die der Performancekünstler Kalle Laar mit einem sphärischen Klangteppich aus Naturkatastrophen einrahmte. So unterschiedlich die vorgetragenen Arbeiten waren, so sehr prägten einige stets wiederkehrende Leitmotive sämtliche Gedichte und Gedanken: Zum einen wollten alle Gäste nicht nur klimatische Geschehnisse abbilden, sondern auch die Dringlichkeit des Handelns vermitteln. "If you see a poet writing poems, run!" - in diese Worte fasste es Kendel Hippolyte. Wenn man einen Dichter dichten sehe, so der Theaterregisseur und Autor von der Karibik-Insel St. Lucia, dann sei ein Problem so wichtig und dringend, dass man sich besser sofort in Sicherheit bringe.
Nicht nur in "Paragraphen-Sprache" über den Klimawandel reden
Zum anderen geht es den Autorinnen und Autoren ausdrücklich darum, durch poetische Sprache Brücken zu bauen, um von abstrakter Information zu Wissen und dann von Wissen zum Handeln zu gelangen. Denn, so der Afrikaner Outspoken: "That thing [der Klimawandel] will never trend on instagram" - zu deutsch etwa: "Das Thema wird niemals ein Hit auf Instagram werden." Es reiche nicht aus, über den Klimawandel nur in "Paragraphen-Sprache" zu reden, ergänzte die grönländische Autorin Jessie Kleemann, die ihre Gedichte auf Inuit, Englisch und Dänisch verfasst.
Von den Marshall-Inseln aus formulierte die Dichterin Kathy Jetnil-Kijiner, die 2014 auch schon vor den Vereinten Nationen gesprochen hat, per Video-Botschaft, dass die Kraft der Poesie darin bestehe, Kompliziertes zu kondensieren und erfahrbar zu machen – und ihre große Stärke sei, das globale Phänomen Klimawandel auf spezifische Momente zu verdichten. Poesie gelinge es, das Problem zu humanisieren (im Sinne von den Menschen näher zu bringen). Imtiaz Dharker aus Pakistan ergänzte, dass die Poesie tatsächlich sehr stark ins Detail gehen könne.
Ihr sei es besonders wichtig gewesen, "die internationalen Dichter selbst über ihre Länder sprechen zu lassen", betont Mit-Organisatorin Isabel Aguirre rückblickend. Wer den diesjährigen "Weltklimagipfel der Poesie" verpasst hat, kann sehr wahrscheinlich im nächsten Jahr daran teilnehmen – denn, so Festival-Organisatorin Aguirre, 2019 soll es eine Fortsetzung geben.
Eva Freundorfer