Die richtigen Worte zu finden, ist eine Kunst. Vor allem, wenn es um bedrückende Themen wie den Klimawandel geht. Wer die richtigen Worte findet, den Ton trifft, kann etwas in Bewegung setzen. Beim Zuhörer, der dann – dank gewaltiger Wortmacht – aus der Rolle des passiv Lauschenden ausbricht und selbst aktiv wird. So soll er wirken, der Klima-Slam. Unter diesem Titel versteht man lockere Dichterwettstreite, wie sie Energieministerien, Klimaschutzagenturen oder umweltpolitische Organisationen seit Jahren ausrichten, um Menschen zu klimafreundlicherem Verhalten anzuregen.

Christian Gutsche vom Ökostromanbieter Bremer Solidarstrom - schwarze Zimmermannshose, die Haare zum kurzen Pferdeschwanz nach hinten gebunden - ist von der Wirkung überzeugt. Schon zum dritten Mal veranstaltete er Anfang Mai, zusammen mit der Heinrich Böll-Stiftung und anderen Klima-Aktiven aus Bremen, einen solchen Vortragswettbewerb für Klimapoeten. "Unser Klima-Slam soll ein Fest sein, auf dem wir eine Kultur des Wandels feiern", sagt der 34-Jährige.

Fünf - sehr verschiedene - Programmpunkte gab es beim Klima-Slam in Bremen, hier die Poetry-Slammerin Eva Matz; Foto: Jonas Lövenich

Die Regeln eines Klima-Slams sind der Poetry-Slam-Szene entlehnt, die sich seit den 1990er Jahren beim deutschsprachigen Publikum rasant zur beliebtesten Kleinkunstsparte entwickelt hat. Laut Wikipedia finden hierzulande jährlich mehr als 300 Poetry-Slams mit bis zu Tausend Zuschauern pro Veranstaltung statt. Ursprünglich haben die Poeten nur die Bühne, ihren Text und ein Mikrofon zur Verfügung. Beim Klima-Slam hingegen ist die Form frei: Ob Lied, Gedicht oder Theater – alles darf auf die Bühne. Jeder Slammer kann sich für fünf bis zehn Minuten auf der Bühne präsentieren. Das Publikum ist zugleich Jury, bestimmt den Gewinner der Dichterschlacht sowie die Höhe seines Preisgeldes: Jeder wirft so viel Geld in den Hut, wie ihm die Sache wert ist.

"Zugängliche, massentaugliche Instant-Sprechtexte"

Da wären wir auch schon bei der landläufig geäußerten Kritik, die Literaturwissenschaftler dem Poetry Slam entgegenhalten. Viele sehen in den Sprechgedichten zum Performen eine oberflächliche, kulturindustriell geprägte Form des Spektakels. Von "Kitsch in Performance" spricht der Autor Boris Preckwitz. "Die Lesezeit von meist fünf Minuten, die den Auftretenden für ihre Performance eingeräumt wird, führt zu Darbietungen, die ein Publikumsverständnis im Sekundentakt anstreben: schnell zugängliche, massentaugliche Instant-Sprechtexte“, schrieb er 2012 in der Süddeutschen Zeitung. Laut dem Literaturwissenschaftler Stephan Porombka werden Poetry Slams durch Merkmale wie Episodenhaftigkeit, Gemeinschaftlichkeit, ein Minimum an Beteiligung des Publikums und die Einzigartigkeit des Ereignisses zum "Literatur-Event par excellence".

Klar, wer an diesem Samstagabend den Weg ins Kulturzentrum Kukoon im Bremer Stadtteil Neustadt links der Weser findet, will unterhalten werden. Aber nicht nur. In dem gemütlichen Lokal mit Loftcharakter - hohe Decken, grußeiserne Säulen, Lampenschirme, Sessel, Stühle und Tische aus Omas Wohnzimmer - findet sich ein altersgemischtes Publikum ein. Der Andrang ist groß, nur hundert Sitzplätze – etliche ziehen enttäuscht wieder ab.

Der Bremer Rapper Flowin Immo sorgt mit Freestyle-Rap für spontane Auftakt-Lacher; Foto: Jonas Lövenich

Wer einen Platz ergattert, darf als umweltbewusst gelten. Martin, 67, braune Harry-Potter-Brille, Stoppelbart, von Beruf Anwalt, bemüht sich um Verzicht in Sachen Flugreisen. Sein Freund Jochen, Geschäftsführer einer Firma für Naturkostgroßhandel, kämpft auch beruflich für mehr Klimaschutz: "Ich war neulich auf der Branchenmesse 'Biofach'. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner war an unserem Messestand zu Besuch. Ich habe lange mit ihr gesprochen. Der Ökolandbau muss gestärkt, unsere Ernährung klimafreundlicher werden", sagt er. Erwartungen an den Abend hat er keine: "Das ist mein erster Klima-Slam. Ich lasse mich mal überraschen." Stella, 23, Bionik-Studentin hat konkretere Vorstellungen: "Ich wünsche mir eine gute Mischung aus witzigen, ernsten, aber auch motivierenden Beiträgen. Und ein paar Tipps zum Klimaschutz fände ich gut."

Die liefern die fünf Slammer des Abends allerdings nicht. Der Mix hingegen ist gut. Der Bremer Rapper Flowin Immo von „Die komplette Palette“ sorgt mit Freestyle-Rap für Ulk und spontane Auftakt-Lacher. Drei Worte wirft ihm das Publikum zu: Smog, Autos und Solar. Er dichtet spontan einige Zeilen und rappt sie zu einer groovigen Baseline:

"Obwohl man ja durchstarten will/
ist die Parkplatzsuche der Overkill.
Ich sage, woran scheint das zu liegen/
die Leute wollen ihre Beine nicht mehr verbiegen.
Sie keuchen sogar im Liegen/
und das wird zu oft verschwiegen.
Doch wir brauchen, noch schlauer/
eine ganz andere Art von Power.
Nicht mehr Kohle, nicht mehr Öl,
Sonne ist das, was ich will.
Ich sag Solar,
Smog, ja das wird dann schon jedem klar..."

Den tragikomischen Part übernehmen Annegret und Martina von der Klimawerkstatt mit Improtheater, das weniger improvisiert als inszeniert wirkt, den Zuschauern aber am Ende mit einer gekonnten Pointe viel Heiterkeit beschert. Eine Protagonistin zieht einen Revolver und sagt: "Der Klimawandel ist wie russisches Roulette: Keiner weiß, wann die Kugel trifft." Die restlichen drei Beiträge gehen das Thema ernster an, mit getragener Melodie oder nachdenklich stimmenden Reimen.

Improtheater:

Da ist die offene Musik- und Aktionsgruppe Lebenslaute, die seit 1986 in bundesweiten Aktionen klassische Musik für politischen Protest zum Klingen bringt. Sie erheben ihre Stimmen für ein zorniges Schmählied zur Melodie des traditionellen irischen Chorals "Lord of the dance":

"Braunkohle, Fluch im Land des Rheins/
Goldgrube eines Scheißvereins/
der VoRWEgeht nur in der Welt des Scheins/
ja, das ist der Klimakiller Nummer Eins."
Und als zornigen Schluss:
"Ende Gelände rufen wir!
Raus aus der Kohle und das nicht nur hier.
Ob in Russland, Kolumbien oder USA:
Klimakiller, nun ist euer Ende da!"

Lebenslaute:

Klassisch poetisch hingegen verarbeitet die Bremer Poetry-Slammerin Eva Matz die Äußerung eines Bekannten, der Antikohle-Aktivisten während der Blockaden im Hambacher Forst seine Wohnung als Unterschlupf zur Verfügung stellte:

"Du sagst, dass sie stinken/
Das ist alles, was du sagst/
hast du nur an ihnen gerochen?
Und ganz penibel stelltest du fest/
dass du dich öfter wäschst.
Oder hast du auch mit ihnen gesprochen?
Weißt du, weshalb sie 'stinken'?
Weil sie wissen, dass es Wichtigeres gibt, als konform zu riechen
Weil sie für uns alle kämpfen/
für diesen Wald/
für seinen und/
für unseren Erhalt/
sie kämpfen – auch für deine Kinder."

Eva Matz:

Den Appell an nachkommende Generationen schließlich bemühen im letzten Slam-Beitrag des Abends auch Jana, Emelie und Fritzi, drei Fridays-For-Future-Aktivistinnen aus Bremen. Bei ihnen gibt‘s wenig zu lachen, dafür aber so manches zu schlucken: "Im Jahr 2050. Ich bin 48, meine Kinder sind so alt wie ich 2019 war und noch für eine bessere Zukunft gekämpft hab ... Unser Kampf war erfolglos, heute ist jeder achte Mensch auf der Flucht ... Als ich jung war, lag die Hoffnung in der Luft, doch heute ist es nur noch der Frust ... Es ist immer warm, doch mir ist kalt. Ich mache mir Vorwürfe. War ich zu zahm? Hab ich es verpeilt?"

Fridays For Future:

Die Letzten des Abends sollen denn auch die Ersten sein, so die Entscheidung vieler kleiner, spontan von den Zuschauern gebildeter Jury-Grüppchen. Gut 550 Euro Preisgeld erhalten die drei Klima-Slam-Gewinnerinnen. "Damit ist die nächste große Demo am 24. Mai finanziert", sagt Jana. "Wir wollen noch einen großen Erdball kaufen."

Gewinnerinnen des Bremer Klima-Slams waren schließlich drei Fridays-For-Future-Aktivistinnen; Foto: Jonas Lövenich

Eine oberflächliche, kulturindustriell geprägte Form des Spektakel? Stella, die sich mit ihrer Freundin Lea, BWL-Studentin, den Weg nach draußen bahnt, sieht das nicht so: "Mich hat das emotional sehr berührt. Besonders gefallen haben mir die nachdenklichen Slams. Vor allem der letzte ging echt unter die Haut." Auch Lea spürte für kurze Zeit Gänsehaut: "Das ist gut, dann merkt man sich die Sachen besser." Und ein paar konkrete Klimaschutz-Tipps konnten die beiden Studentinnen doch mitnehmen - Moderator Christian Gutsche gab sie im Laufe des Abends. "Vieles davon mache ich schon. Aber jetzt möchte ich endlich mal zu einer Bank wechseln, die nach ethischen, sozialen und ökologischen Kriterien investiert. Das habe ich bislang immer vor mir hergeschoben", sagt Stella.

"Massentaugliche Performance" als Antriebsmotor für menschliches Handeln? Bei ihr hat der Klima-Slam offenbar funktioniert.

Tania Greiner