Zusammenfassung:
Noch vor wenigen Jahren war Wasserstoff ein Nischenthema, nur einige Fachleute beschäftigten sich damit. Inzwischen aber taucht der Stoff regelmäßig in Diskussionen rund um Klimaschutz auf. Doch etliche Expertinnen und Experten warnen davor, das Potenzial zu überschätzen. Wo steht eigentlich die Entwicklung der sogenannten Wasserstoffwirtschaft? Was ist in den kommenden Jahren zu erwarten? Und was sind sinnvolle Einsatzfelder für den Wasserstoff. Antworten dazu aus der Wissenschaft
Wasserstoff ist ein chemisches Element, abgekürzt H2, das im Periodensystem an erster Stelle steht und das häufigste Element im Universum ist. Auf der Erde allerdings kommt Wasserstoff kaum in reiner Form vor. Hier finden wir es meist gebunden mit Sauerstoff als H2O, also als Wasser. In Kombination mit Kohlenstoff ist H2 als Kohlenwasserstoff allerdings auch ein Grundbaustein fossiler Energieträger. Genau deswegen ist Wasserstoff ein prinzipiell guter Kandidat, um viele Prozesse für die heute Erdöl oder Erdgas gebraucht wird, sozusagen zu „defossilisieren“. Aus Klimaschutz-Sicht ist allerdings entscheidend, wie dieser Wasserstoff hergestellt wird.
Der größte Vorzug von Wasserstoff: Anders als etwa bei Kohle oder Erdgas entsteht bei der Verbrennung kein klimaschädliches Kohlendioxid als Abgas – es bleibt nur Wasser in Form von Wasserdampf zurück. Allerdings hat Wasserstoff auch Eigenschaften, die seinen Einsatz erschweren: Eine hohe Energiedichte hat es nur, wenn es auf minus 253 Grad abgekühlt und/oder bei sehr hohem Druck (700 bar) gespeichert wird. Bei Normaltemperatur nimmt es im Vergleich zu Erdgas sehr viel Volumen ein; um die gleiche Energiemenge aufzunehmen, muss ein Wasserstoffspeicher nach Industrieangaben etwa fünf Mal so groß sein wie bisher bei Erdgas. Außerdem ist Wasserstoff sehr leicht entflammbar und kann bestimmte Materialien spröde machen, darunter auch Metalle. Das muss bei der Konstruktion von Leitungen und Tanks und der oft diskutierten Umstellung vorhandener Erdgas-Infrastruktur auf Wasserstoff berücksichtigt werden.
Dass Wasserstoff eine Rolle in der Energiewirtschaft spielen kann, war schon sehr früh klar. Im Jahr 1838 entdeckte der walisische Naturwissenschaftler William Grove das Prinzip der Brennstoffzelle, also aus Wasserstoff elektrische Energie zu erzeugen und damit einen Motor anzutreiben. Der französische Science-Fiction-Autor Jules Verne sprach gut 40 Jahre später in seinem Roman Die geheimnisvolle Insel sogar davon, dass Wasserstoff die “Kohle der Zukunft” sei. Und tatsächlich: Im Jahr 1895 lief in Dänemark das erste integrierte Wind-Wasserstoff-Kraftwerk der Welt. Der Volksschullehrer Poul la Cour versorgte so Teile seiner Schule mit elektrischer Energie, nutzte auch bereits das Prinzip der Elektrolyse, bei der Wasser mit Strom in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten wird. Schon das 20. Jahrhundert hätte also das Jahrhundert des Wasserstoffs werden können – jedenfalls sind die wesentlichen Grundideen und technologischen Optionen für eine künftige Wasserstoffwirtschaft schon sehr alt und gut erprobt.
Allerdings setzten sich im Zuge der Industrialisierung schnell fossile Brennstoffe durch. Sie waren leichter zu handhaben, an vielen Orten der Welt verfügbar bzw. durch Bergbau leicht zugänglich – vor allem aber waren sie deutlich billiger als Wasserstoff. Jahrzehntelang beschäftigten sich in erster Linie Chemiker und Raumfahrtingenieure mit Wasserstoff. Chemiker nutzten ihn als Grundstoff, um zum Beispiel Kunstdünger (oder Sprengstoffe) herzustellen. Ingenieure der US- Raumfahrtbehörde NASA setzten Wasserstoff seit den 1960er in den Gemini- und Apollo-Missionen ein; weil Traglast ein entscheidender, begrenzender Faktor in der Raumfahrt ist, konnte der leichte und energiedichte Wasserstoff seine Vorteile dort voll ausspielen.
Weltweit kamen 2022 rund 95 Millionen Tonnen Wasserstoff für die verschiedenen Zwecke zum Einsatz, aber fast die gesamte Menge wurde aus fossilen Rohstoffen gewonnen und verursachte daher große Mengen an Kohlendioxid. Weniger als eine Million Tonnen – also nicht einmal ein Prozent des global genutzten Wasserstoffs – wurden nach Angaben der Internationalen Energieagentur emissionsarm erzeugt (IEA 2023a).
Betrachtet man das chemische Element isoliert, ist die Antwort eindeutig: ja. Denn bei der Verbrennung von Wasserstoff entstehen keinerlei Treibhausgase. Allerdings gibt es nur sehr wenige natürliche Wasserstoff-Vorkommen auf der Erde, in denen das Element ähnlich wie etwa Erdöl oder Erdgas direkt gefördert werden könnte. Die bekannten Vorkommen in Mali, Frankreich oder den USA sind bisher zu klein, um in der Energiewende substanziell weiterzuhelfen.
Wer Wasserstoff einsetzen will, muss ihn also zuvor herstellen; dies ist auf sehr verschiedene Arten möglich. Allen Methoden ist gemein, dass dabei erhebliche Mengen an Energie und mindestens ein Grundstoff wie Wasser oder fossiles Erdgas nötig sind. Im Kontext von Klimaschutz und Energiewende ist Wasserstoff also ein Energieträger, aber keine Energiequelle.
Bei fossilen Brennstoffen oder auch bei erneuerbaren Energien wie Solar- oder Windkraft ist das anders: In Öl, Gas oder Kohle ist Sonnenenergie gespeichert, die Hunderte Millionen Jahre alt ist; fossile Brennstoffe sind nichts anderes als sehr lange in der Erde lagernde, gut zersetzte und energiedichte Pflanzenreste. Erneuerbare Energiequellen wie Solar- oder Windkraft wiederum brauchen keine langsamen geologischen Prozesse; sie können direkt und schnell Energie bereitstellen, die ursprünglich aus solarer Einstrahlung (also aus der in der Sonne ablaufenden Kernfusion) stammt oder aus Luftbewegungen in der Atmosphäre (die indirekt ebenfalls durch Sonnenenergie verursacht werden).
Die für die Klimabilanz entscheidende Frage bei der Nutzung von Wasserstoff ist also, woher die Energie und Grundstoffe stammen, mit denen er hergestellt wurde. Stammt beides aus fossilen Quellen (wie es bislang fast ausschließlich der Fall ist – siehe Punkt 2), kann das fürs Klima sogar schlechter sein als eine direkte Nutzung von Kohle oder Erdgas. Denn es ist ein energetisch sehr ineffizienter Prozess, aus einem fossilen Rohstoff erst Wasserstoff herzustellen, diesen dann zu transportieren und später anderswo zu verbrennen.
Um anzuzeigen, wie verwendeter Wasserstoff hergestellt wird – es gibt derzeit weit mehr als ein Dutzend Methoden –, sind in der Fachwelt und zunehmend auch in öffentlichen Debatten Farbbezeichnungen üblich. Hier einige der gebräuchlichsten:
- Grüner Wasserstoff: wird mit regenerativer Energie im Elektrolyse-Verfahren gewonnen; er gilt als klimaneutral, allerdings müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein, beispielsweise muss die Elektrizität für seine Erzeugung aus neu gebauten Ökostrom-Anlagen stammen, statt lediglich sowieso erzeugten Strom umzunutzen für die Wasserstoff-Erzeugung. Auf Grünem Wasserstoff ruhen gewaltige Hoffnungen in der Energiewende. Doch um ihn per Elektrolyse herzustellen, braucht es wie erwähnt neben Strom auch Wasser; dies kann in trockenen Regionen ein hinderlicher Faktor bei der Wasserstofferzeugung sein.
- Grauer Wasserstoff: Hier kommen fossile Energieträger zum Einsatz; und es gibt verschiedene Methoden, sie zu verarbeiten. Am häufigsten genutzt wird bisher die sogenannte Dampfreformierung, bei der ein Kohlenwasserstoff (meist Erdgas bzw. das darin enthaltene Methan) bei hohen Temperaturen mit Wasserdampf reagiert; dabei entstehen Wasserstoff und Kohlendioxid. Für eine Tonne grauen Wasserstoff können bis zu zehn Tonnen CO₂ anfallen. Wird Wasserstoff durch Elektrolyse mittels Strom hergestellt, der aus fossilen Energien (etwa aus Kohlekraftwerken) stammt, spricht man ebenfalls von grauem Wasserstoff.
- Blauer Wasserstoff: Bezeichnung für grauen Wasserstoff (also mittels fossiler Energien hergestellt), bei dem allerdings der größte Teil des anfallenden CO₂ mit der sogenannten CCS-Technologie [einen ausführlichen Klimafakten-Text dazu gibt es hier] aufgefangen und meist unterirdisch eingelagert wird, sodass es nicht in die Atmosphäre gelangt. Weil CCS aber nicht hundert Prozent der Emissionen vermeidet, gilt Blauer Wasserstoff nicht als wirklich klimafreundlich (Bauer et al. 2022; Riemer/Duscher 2023).
- Pinker Wasserstoff: Wird ebenfalls im Elektrolyse-Verfahren gewonnen, allerdings unter Einsatz von Strom aus Kernkraftwerken.
- Türkiser Wasserstoff: Wasserstoff wird hier mittels Methanpyrolyse gewonnen: (Fossiles) Erdgas wird bei hoher Temperatur in Wasserstoff und Kohlenstoff gespalten. Besonderheit: Der Kohlenstoff ist fest und kann dann gelagert und/oder weiterverwendet werden. Diese Technologie steckt aber noch in den Kinderschuhen.
Die verschiedenen Arten von Wasserstoff unterscheiden sich erheblich in ihrer Klimawirkung. Laut einer im Juni 2023 erschiene Metastudie britischer Forscher, für die rund hundert Einzeluntersuchungen ausgewertet wurden, gibt es bei den vorliegenden Daten eine große Spannbreite. Im Durchschnitt lässt sich aber grob sagen, dass grauer Wasserstoff (hergestellt aus Erdgas) sicherlich dreimal so klimaschädlich ist wie grüner; je nachdem, wieviel klimaschädliches Methan entlang der Produktionskette freigesetzt wird, kann es aber auch viel mehr sein (Bauer et al. 2022). Am schlechtesten schneidet Wasserstoff ab, der mit Strom aus dem aktuellen Energiemix gewonnen wird oder mit Kohlekraft ohne CCS. Am klimaschonendsten ist neben Grünem Wasserstoff noch solcher, der mit Hilfe von Atomstrom gewonnen wird (pink). Die Studie betrachtete neben der Klimaschädlichkeit („global warming potential“, kurz: GWP) auch andere Umweltwirkungen der verschiedenen Produktionsmethoden, etwa anfallende Abfälle, Wasser- und Luftverschmutzung oder den Flächenverbrauch. Ergebnis:
„Vergleicht man Indikatoren jenseits des GWP, dann haben Elektrolysemethoden grundsätzlich die niedrigsten Auswirkungen, und solche auf Basis von Windkraft haben die niedrigere Gesamt-Umweltauswirkungen als solche auf Basis von Solarstrom aus Photovoltaik oder auf Basis von Kernenergie.“ (Wilkinson et al. 2023)
Die insgesamt beste Klima- und Umweltbilanz hat demnach Wasserstoff aus Windstrom.
Bei den bisherigen Rahmenbedingungen, das zeigt diese Studie genauso wie auch andere (Kayfeci et al. 2019), sind die klimaschonenden Wasserstoff-Arten aber deutlich teurer. So kostet etwa die Herstellung eines Kilogramms grauen Wasserstoffs rund ein bis zwei US-Dollar – ein Kilo grüner Wasserstoff hingegen rund vier bis neun Dollar, also mindestens doppelt so viel. Grauen Wasserstoff durch Einsatz der CCS-Technologie weniger klimaschädlich zu machen, ist aufwändig und ebenfalls teuer – je nach eingesetztem Verfahren steigen die Investitionskosten der Anlagen um schätzungsweise fünf bis 50 Prozent, die Betriebskosten um hundert oder gar 130 Prozent (IPCC 2022, AR6, WG3, Kapitel 6.4.5.1).
Im Prinzip kann emissionsarm erzeugter Wasserstoff überall eingesetzt werden, wo bislang fossile Rohstoffe Strom, Wärme oder chemische Grundstoffe bereitstellen. Weil aber die klimaschonendsten Wasserstoffarten zugleich die teuersten sind (was voraussichtlich noch lange so bleibt) und weil der direkte Einsatz von Strom in vielen Bereichen deutlich sparsamer ist (etwa in Wärmepumpen oder batterie-elektrischen Fahrzeugen) als der Umweg über den Energieträger Wasserstoff, geht die Fachwelt davon aus, dass Wasserstoff nur in ausgewählten Bereichen zum großtechnischen Einsatz kommen wird. Auch der IPCC betont in seinem Sechsten Sachstandsbericht (IPCC 2022, AR 6, WG3, Box TS.9):
„In der Regel und über alle Sektoren hinweg ist es effizienter, Strom direkt zu nutzen und die [mit jedem Verarbeitungsschritt] größer werdenden Umwandlungsverluste bei der Herstellung von Wasserstoff, Ammoniak oder synthetischen, emissionsarmen Kohlenwasserstoffen [sogenannte E-Fuels – siehe dazu diesen Klimafakten-Artikel] zu vermeiden."
Anders formuliert: Bei Einsatzfeldern, in denen eine Umstellung auf Strom möglich und marktreif ist (etwa bei Pkw oder Heizungen), ist es sinnvoll und zu erwarten, dass diese Elektrifizierung auch tatsächlich passiert, weil es die preiswertere und in der Gesamtbetrachtung (energie)effizienteste Option ist.
Die Forschung sieht hauptsächlich drei Bereiche, in denen Wasserstoff künftig eine tragende Rolle spielen dürfte, weil es dort bei der Dekarbonisierung bzw. Defossilisierung (also dem Umstieg von fossilen Rohstoffen und Prozessen auf kohlenstofffreie) keine oder kaum besseren Alternativen gibt: als chemischer Grundstoff zum Beispiel bei der Düngemittelherstellung; als Langfristspeicher für erneuerbare Energie; als Antriebsstoff für große Schiffe und für Flugzeuge (wobei es hier meist nicht um reinen Wasserstoff geht, sondern um wasserstoffbasierte E-Fuels – siehe dazu diesen Klimafakten-Text).
Bei allen anderen Anwendungen, die gelegentlich diskutiert werden, ist die Wahrscheinlichkeit deutlich geringer, dass Wasserstoff in großem Maßstab zum Einsatz kommen wird, etwa als Treibstoff für Pkw (siehe dazu Punkt 7) oder Eisenbahnen oder auch als Brennstoff in den Heizungen von Privatwohnungen. Für letzteren Sektor kam beispielsweise eine Metastudie, die mehr als 30 Einzeluntersuchungen analysierte, zu dem Ergebnis, dass Wasserstoff im Bereich der Gebäudewärme keine signifikante Rolle spielen werde, weil vor allem Wärmepumpen die effizientere und preiswertere Option sind (Rosenow 2022, siehe zum Beispiel auch Aunedi et al. 2023). Laut Internationaler Energieagentur (IEA) werden aktuell nur marginale Wasserstoff-Mengen im Heizungsbereich eingesetzt, und das werde auch auf lange Sicht so bleiben (IEA 2023a); die „Net Zero Roadmap“ der IEA sieht für 2050 null Wasserstoff für den Sektor Gebäudewärme (IEA 2023b).
Der Weltklimarat kommt in der Gesamtschau der weltweiten Forschungsliteratur ebenfalls zu einer klaren Bewertung:
„Die Elektrifizierung wird voraussichtlich die vorherrschende Strategie in Gebäuden sein, da Strom zunehmend zum Heizen und Kochen verwendet wird. ... Wärmepumpen werden zunehmend in Gebäuden und in der Industrie zum Heizen und Kühlen eingesetzt. Die einfache Umstellung auf Elektrizität bedeutet, dass Wasserstoff im Gebäudebereich voraussichtlich keine dominierende Rolle spielen wird. Die Verwendung von Strom direkt für Heizung, Kühlung und anderen Gebäudeenergiebedarf zu verwenden, ist effizienter als die Verwendung von Wasserstoff als Brennstoff, z. B. in Heizkesseln oder Brennstoffzellen. Außerdem ist die Elektrizitätsverteilung in vielen Regionen bereits gut entwickelt, während eine Wasserstoffinfrastruktur praktisch nicht vorhanden ist, abgesehen von einigen wenigen Pipelines der chemischen Industrie.“ (IPCC 2022, AR 6, WG3, Box TS.9)
Der Weltklimarat betont in seinem Sechsten Sachstandsbericht, dass Wasserstoff (neben anderen Maßnahmen wie intelligenter Netzsteuerung oder nachhaltigen Biokraftstoffen) „letztendlich erforderlich sein [wird], um große Anteile erneuerbarer Energien in Energiesystemen zu ermöglichen” (IPCC 2022, AR6, WGIII, SPM, C.4.3). An anderen Stellen heißt es:
„Wasserstoff bietet einen zusätzlichen zeitlichen und räumlichen Spielraum für Strom, der aus schwankenden, sauberen Quellen erzeugt wird.” (IPCC 2022, AR 6, WG3, Box TS.9)
und
„Wasserstoff ist ein vielversprechender Energieträger für eine dekarbonisierte Welt.“ (IPCC 2022, AR6, WG3, Kapitel 6.4.5.1)
Wasserstoff als Speichermedium kann also ein Ermöglicher eines weitgehend erneuerbaren Energiesystems sein, weil er Eigenschaften besitzt, die den schwankenden Energiequellen Wind oder Sonne fehlen: Flexibilität und Transportierbarkeit. Wasserstoff ist in dem Sinne flexibel, dass mit ihm Energie bereitgehalten werden kann für den Moment, wenn Bedarf besteht. Er kann zum Beispiel die unstete Einspeisung von Windenergie gewissermaßen glätten: In Wetterphasen, in denen zu viel Strom produziert wird, dieser also im Überfluss verfügbar und deshalb billig ist, kann Wasserstoff per Elektrolyse produziert und später wieder zurückverstromt werden, wenn der Wind nicht kräftig weht. Zudem lässt sich einmal hergestellter Wasserstoff auch über weite Distanzen transportieren (allerdings zu teils erheblichen Kosten, siehe dazu z.B. Staiß et al. 2022). Direkt kann Wasserstoff durch vorhandene (in der Regel wohl umzurüstende) oder neue Pipelines geleitet werden, alternativ in andere Stoffe (etwa in Ammoniak) umgewandelt und dann zum Beispiel per Schiff transportiert werden.
In Summe, so der IPCC, könne Wasserstoff
„sich als wertvoll erweisen, um die Widerstandsfähigkeit von Elektrizitätssystemen mit einem hohen Anteil an schwankender erneuerbarer Stromerzeugung zu verbessern. Flexible Wasserstoff-Elektrolyse, Wasserstoff-Kraftwerke und Langzeit-Wasserstoffspeicher können die Resilienz verbessern”. (IPCC 2022, AR 6, WG3, Box TS.9)
Wasserstoff kann also (zusammen mit anderen Speicheroptionen wie Batterien) Lücken füllen, die in einem Energiesystem entstehen, das von Erneuerbaren dominiert wird. Und er kann erneuerbare Energie in Sektoren bringen, für die eine direkte Elektrifizierung nicht oder nur schwer möglich ist.
Bislang werden fossile Brennstoffe nicht nur zur Stromerzeugung genutzt, mit ihnen lassen sich auch Wärme und viele Grundstoffe gewinnen, die die Industrie braucht.
Die im Erdöl (oder auch Erdgas) enthaltenen Kohlenwasserstoffe werden zum einen als Kohlenstoff-Lieferant genutzt, um beispielsweise Kunststoffe, Medikamente oder Straßenteer herzustellen. Zum anderen dient der enthaltene Wasserstoff als Ausgangsstoff beispielsweise bei der Düngemittelherstellung. In der sehr weit verbreiteten Methode des Haber-Bosch-Verfahrens wird Erdgas eingesetzt, um daraus („grauen“) Wasserstoff zu gewinnen, der wiederum mit Stickstoff aus der Luft kombiniert wird, um Ammoniak zu erzeugen. Problemlos ließe sich hier mit grünem Wasserstoff arbeiten (und der Kohlenstoff aus fossilen Kohlenwasserstoffen könnte zum Beispiel durch aufgefangenes Kohlendioxid ersetzt werden, der Fachbegriff hier ist „Carbon Capture and Usage“, CCU – siehe dazu unseren separaten Text zu CCS, Abschnitt 4).
Ein besonders wichtiger Sektor für den künftigen Wasserstoff-Einsatz ist die Stahlherstellung. Dort fallen bislang sehr hohe CO2-Emissionen an: Fossile Energieträger werden nicht nur zur Energiegewinnung genutzt, sondern auch stofflich – Koks etwa liefert Kohlenstoff, der bei der chemischen Umwandlung von Eisenerz in Eisen nötig ist. Eine klimaschonende Alternative ist das sogenannte Direktreduktionsverfahren, bei dem Erz mithilfe von Wasserstoff in Eisen umgewandelt wird. Eine derartige Anlage errichtet der Stahlkonzern ThyssenKrupp derzeit in Duisburg, die Bundesregierung unterstützt dies mit rund zwei Milliarden Euro (langfristig soll dort grüner Wasserstoff zum Einsatz kommen, vorerst ist es hingegen grauer Wasserstoff).
Fachleute gehen davon aus, dass Wasserstoff bei der klimaschonenden Umstellung vieler solcher Industrieprozesse weitgehend alternativlos ist. Eine Elektrifizierung ist oft nicht möglich, weil Wasserstoff nicht energetisch gebraucht wird, sondern stofflich.
Nicht so eindeutig ist das Bild bei dem anderen großen industriellen Anwendungsfeld von Wasserstoff: Hochtemperatur-Wärme. An einer Reihe von Stellen benötigt die Industrie sehr hohe Temperaturen von teils mehr als 1000 Grad Celsius, etwa um Glas zu schmelzen, chemische Prozesse auszulösen oder bestimmte Materialien wie Kunststoffe oder Keramik bearbeiten oder herstellen zu können. Diese Hochtemperatur-Wärme wird bisher meist durch die Verbrennung von Erdgas erzeugt – in einem klimaschonenden Energiesystem jedoch muss sie aus einer anderen Quelle stammen. In manchen Studien und von Seiten der Industrie wird hier Wasserstoff als Option genannt (Acatech et al. 2023). Andere Studien (etwa Madeddu et al. 2020) oder Papiere verschiedener Institute und ThinkTanks kommen zu dem Ergebnis, dass fast alle heutigen Industrieprozesse, für die Wärme benötigt wird, elektrifiziert werden können. Erste Pilotprojekte, etwa die Elektrifizierung eines sogenannten Steamcrackers bei BASF in Ludwigshafen, zeigen die Potenziale – aber auch den immensen Stromverbrauch, der aus einer Umstellung der Energiequelle resultieren würde.
Im Sechsten Sachstandsbericht des IPCC heißt es zu dieser Frage:
„Der Bedarf an industrieller Prozesswärme, der von unter 100°C bis über 1000°C reicht, kann durch eine breite Palette elektrisch betriebener Technologien gedeckt werden, anstatt auf Brennstoffe zurückzugreifen. […] Angesichts der zunehmenden Elektrifizierung der Industrie wird erwartet, dass Wasserstoff […] in der Industrie eher stofflich genutzt werden wird als energetisch.“ (IPCC 2022, AR 6, WG3, Box TS.9)
Ob es für die Bereitstellung hoher Temperaturen in der Industrie wirklich Wasserstoff braucht, darüber herrscht derzeit noch kein Forschungskonsens. Was sich durchsetzt, ist letztlich nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch eine politische und ökonomische Frage.
Die hohen Erwartungen, die bisweilen in Politik und Medien zum Einsatz von Wasserstoff im Transportsektor geäußert werden, sind selten durch Forschungsergebnisse gedeckt – die Wissenschaft rechnet nur in Teilbereichen damit, dass Wasserstoff eine große Rolle spielen wird. Im Sechsten Sachstandsbericht des IPCC heißt es zu dieser Frage:
„Bei verschiedenen Arten des Personen- und leichten Gütertransports findet bereits eine Elektrifizierung statt […] Die Rolle von Wasserstoff im Verkehr hängt davon ab, wie weit sich die Technologie entwickelt. Batterien sind derzeit eine attraktivere Option als Wasserstoff und Brennstoffzellen für leichte Nutzfahrzeuge. Wasserstoff und aus Wasserstoff abgeleitete synthetische Kraftstoffe wie Ammoniak und Methanol könnten eine wichtigere Rolle bei schweren Fahrzeugen, in der Schifffahrt und im Luftverkehr spielen”. (IPCC 2022, AR 6, WG3, Box TS.9)
Wasserstoff-Antriebe im Bereich kleinerer und leichterer Fahrzeuge (also bei Personenwagen oder auch Kleintransportern) sind gegenüber batterie-elektrischen Alternativen in den vergangenen Jahren immer weiter ins Hintertreffen geraten. Zwar wächst die Zahl von Fahrzeugen mit Brennstoffzellen, laut Internationaler Energieagentur gab es Ende 2022 weltweit rund 72.000 Stück. Doch während bei Brennstoffzellen-Fahrzeugen in jenem Jahr weltweit 15.000 Stück neu zugelassen worden, kamen im gleichen Zeitraum rund zehn Millionen batterie-elektrische Fahrzeuge neu auf die Straßen (mit China als Treiber der Entwicklung). Die Zuwächse bei direkten E-Autos betragen also ein Vielfaches, bei ihnen verläuft die Entwicklung laut IEA exponentiell. 2022 waren weltweit bereits 14 Prozent aller Neuwagen E-Autos, gegenüber neun Prozent 2021 und unter fünf Prozent 2020. (IEA 2023b)
Bei Schwerlasttransporten sowie vor allem im Luft- oder Seeverkehr jedoch ist Wasserstoff nach Experteneinschätzung eine aussichtsreiche Klimaschutz-Option. Batterien kommen für Langstreckenflugzeuge oder Containerschiffe praktisch nicht infrage; sie wären so groß, dass sie mit ihrem Gewicht den Energiebedarf so stark erhöhen würden, dass wiederum noch größere Batterien nötig wären. Doch würden Flugzeuge und Schiffe in einer postfossilen Welt eher selten direkt Wasserstoff tanken, sondern wohl mit synthetischem, also künstlich hergestelltem Kerosin fliegen bzw. im Falle von Schiffen beispielsweise mit Methanol fahren. [siehe dazu unseren Text über E-Fuels] Für beide Treibstoffe wird Wasserstoff als Zwischenprodukt gebraucht. In beiden Bereichen steht die Entwicklung aber noch am Anfang (IPCC 2022, AR6, WG3, Kapitel 10.5 und 10.6). Und allein der stark wachsende Luftverkehr wird in den kommenden Jahrzehnten riesige Mengen an klimaschonendem Treibstoff brauchen (Gössling et al. 2021; Sacchi et al. 2023), er wird ebenso wie Seefahrt oder Industrie um die knappe Ressource konkurrieren – ein breiter Einsatz von Wasserstoff im Straßenverkehr würde die Knappheit noch weiter verschärfen.
Laut Nationaler Wasserstoffstrategie der Bundesregierung wird Deutschland bereits im Jahr 2030 schätzungsweise 95 bis 130 Terawattstunden (TWh) klimaneutralen Wasserstoff benötigen. Wie viel Wasserstoff die gesamte EU im Jahr 2050 brauchen wird, ist unklar – die Schätzungen dazu schwanken teils um mehr als 800 Prozent, so eine Metastudie dreier Fraunhofer-Institute (Fraunhofer 2021). Im extremsten Szenario sind es gut 1800 TWh. Zum Vergleich: Derzeit werden in Deutschland circa 55 TWh Wasserstoff hergestellt (allerdings nur winzige Menge davon auf klimaschonende Weise).
In jedem Falle sind gewaltige Investitionen in diesem Bereich nötig (die auf lange Sicht aber – wie bei Klimaschutz-Investitionen generell – auch riesige Vorteile bringen, weil durch die vermiedenen Emissionen die Erderhitzung gebremst wird und die dadurch verursachten Schäden geringer ausfallen). Laut EU müssen bis 2050 bis zu 470 Milliarden Euro in die Wasserstoffwirtschaft investiert werden. Vor allem die Produktion von grünem Wasserstoff läuft gerade erst an, und im Zuge der massenhaften Einführung etwa von Elektrolyseuren rechnet die Forschung mit erheblichen Effizienzfortschritte und Kostensenkungen (die es ja in der Vergangenheit etwa bei der Photovoltaik oder Batteriespeichern auch gab).
Es gilt als sicher, dass Deutschland seinen künftigen Bedarf an grünem Wasserstoff nicht selbst decken kann. Die Bundesregierung zum Beispiel rechnet laut ihrer Wasserstoffstrategie damit, dass im Jahr 2030 mindestens 80 Prozent des hierzulande benötigten Wasserstoffs importieren werden müssen.
Eine Studie des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme in Freiburg hat untersucht, woher diese kommen könnten. Dafür wurden 39 Regionen in zwölf Ländern analysiert, zum Beispiel die dortigen Bedingungen für die Erzeugung von Solar- und Windstrom sowie möglichst effiziente Transportoptionen. Besonders gut schnitten in dem Vergleich Brasilien, Kolumbien und Australien ab, dabei würde der grüne Wasserstoff in Form von Ammoniak, Methanol und Kerosin in Großtankern importiert. Direkte Wasserstoffimporte per Pipeline wären demnach preiswert aus Tunesien, Algerien und Spanien möglich, sofern die nötigen Leitungen zügig gebaut werden (Fraunhofer-ISE 2023).
Erste Lieferverträge hat die Bundesregierung bereits geschlossen, unter anderem mit Kanada. In Namibia ist eine deutsche Firma beim Aufbau der dortigen Wasserstoff-Struktur federführend. Zwischen Spanien und Frankreich wird eine Wasserstoff-Pipeline gebaut, die bis nach Deutschland verlängert werden soll; und aus Norwegen sollen in einer Kooperation zwischen dem norwegischen Öl- und Gaskonzern Equinor und der deutschen RWE ab 2030 vier Millionen Tonnen Wasserstoff über eine eigens errichtete Pipeline nach Deutschland fließen. Zunächst soll es sich dabei um blauen, später um grünen Wasserstoff handeln.
Es gibt aber auch Studien, denen zufolge die EU seinen künftigen Wasserstoffbedarf komplett (Neumann et al. 2023) oder zumindest großteils (Fleiter et al. 2023) auch selbst decken könnte. Allerdings müssten dafür viele Länder, vor allem Frankreich, den Ausbau der Erneuerbaren Energien massiv und schnell vorantreiben.
Durch einen Import von Wasserstoff würden neue geopolitische Abhängigkeiten entstehen. Allerdings wären diese laut wissenschaftlichen Analysen insgesamt deutlich geringer als heute. So heißt es in einer Untersuchung des Ariadne-Forschungskonsortiums zur deutschen Energiewende:
„Im Gesamtbild zeigt sich, dass der Energieimportbedarf Deutschlands auf dem Weg zur Klimaneutralität sowohl absolut als auch anteilig stark abnehmen wird. Anstatt der bisherigen, sehr großen Mengen an fossilen Energien und Uran wird Deutschland in Zukunft deutlich kleinere Mengen an klimaneutraler Energie, überwiegend H2, importieren müssen. Dabei wird die Höhe des Importbedarfs im Wesentlichen von Deutschlands Erfolg bei der Reduktion des Energieverbrauchs, der direkten Elektrifizierung und dem Ausbau der erneuerbaren Energien (EE) abhängen.“ (Piria et al. 2021)
Grob zusammengefasst in ganz einfachen Worten
Wasserstoff wird beim Klimaschutz in vielen Bereichen eine Schlüsselrolle spielen – etwa in der Industrie (beispielsweise in Stahlwerken), bei Langstreckenflugzeugen oder Containerschiffen. Wirklich klima- und umweltfreundlich ist aber nur „Grüner Wasserstoff“, der mithilfe von Wind- oder Solarstrom hergestellt wird. Dieser wird auch auf lange Sicht knapp und teuer sein und großteils importiert werden müssen. Für Pkw oder Heizungen ist der Einsatz nicht sinnvoll, weil es dort billigere, effizientere und weiterentwickelte Alternativen gibt.
Rico Grimm/Klimafakten
zuletzt aktualisiert: Dezember 2023