Bernhard König; Foto: Vera Senn

Bernhard König ist Komponist und Musiker, Hörspielmacher und Konzertpädagoge. In zahlreichen Projekten hat er seien Kunst mit gesellschaftlichen Themen verknüpft, seit 2019 stehen die Wechselbeziehungen zwischen Musik und Klima im Mittelpunkt seines Interesse. 2024 veröffentlichte er im Oekom-Verlag ein Buch zum Thema

 

 

Klimafakten: Herr König, was haben Musik und Klimawandel miteinander zu tun?

Bernhard König: Sehr viel! Da ist zum einen die Frage, an welchen Stellen Musikkultur durch Klimaveränderungen bedroht ist. Das ist etwas, über das bisher relativ wenig nachgedacht und gesprochen wurde in der Kulturszene. Zum zweiten die Frage, wo Musikkultur Teil des Problems ist, also indem zum Beispiel im Konzertbetrieb Emissionen durch Reisen entstehen. Hierüber wird verhältnismäßig viel nachgedacht und gesprochen, allerdings auf einer einseitigen, auf das technische Emissionsgeschehen verengten Ebene. Und zum dritten die Frage, ob und wie Musikkultur möglicherweise auch zu einem Teil von Lösungs- oder Linderungsansätzen werden kann.

Bleiben wir gleich beim ersten Punkt, also wie Musik durch den Klimawandel gefährdet ist. In Ihrem Buch nennen Sie ein eindrückliches Beispiel: Sie erwähnen das Hochwasser im Sommer 2021 in Wuppertal, bei dem das Opernhaus derart stark beschädigt wurde, dass an diesem einen Gebäude Schäden in einer Höhe entstanden sind, die allein den halben Jahresetat der Stadt Wuppertal für Kultur auffressen. Gibt es inzwischen ein Bewusstsein dafür, wie gefährdet der Kulturbetrieb durch diese Gefahren ist?

Zu wenig. Denn das wäre ja ein Antrieb, sich davon erschüttern zu lassen und dann wirklich Dinge ganz anders zu machen. Den Leserinnen und Lesern ihres Portals muss ich das eigentlich nicht erzählen: Wir hatten jetzt erstmals ein Jahr, wo der symbolische Zahlenwert von 1,5 Grad überschritten wird, an dem die Klimawissenschaft immer die Hoffnung festgemacht hatte, dass wir halbwegs unbeschadet durch dieses Jahrhundert kommen. Das ist eine kulturgeschichtliche Zäsur. Ungefähr so, als wenn man sagen würde: „Ab sofort werden Jahr für Jahr die Kulturbudgets halbiert!“

Wenn das jemand sagen würde, würden alle auf die Barrikaden gehen. Dass die zu erwartenden Klimafolgen ähnlich gravierend sind, ist noch nicht wirklich in den Köpfen angekommen.

In diesem Zusammenhang wird immer wieder die vermeintliche Alternative diskutiert, ob man Menschen eher durch Bedrohungs- oder eher durch Hoffnungsszenarien zum Handeln motivieren könne …

In der Tat. Diesen Widerspruch habe ich für mich bisher nicht so ganz aufgelöst gekriegt: dass es kontraproduktiv sein kann, wenn man die Dinge so düster beschreibt, wie sie nun mal sind. Dennoch habe ich das Gefühl, ich muss davon erzählen, weil das Ausmaß der Bedrohtheit im Musikbetrieb noch nicht hinreichend bewusst ist.

Wenn Menschen, die Musik lieben, sich wirklich klar machen würden, in welchem Maße das, wofür sie brennen und arbeiten, verletzlich und bedroht ist – dann würden sie eine ganz andere Motivation entwickeln, sich dafür einzusetzen, das zu bewahren. Denn das ist ja eine starke Triebfeder für viele Kulturmenschen: das Bewahren, Weitergeben, Verändern, Weiterentwickeln unseres kulturellen Erbes.

Was die plötzliche Gefährdungen der Grundlagen von Kultur und Musik betrifft, verweisen Sie in Ihrem Buch auf die Corona-Pandemie: Ein vom Tier auf den Menschen übergesprungenes Virus habe in kürzester Zeit allein in Europa hunderttausende Musiker in ihrer Existenz gefährdet. Offenbar hat das die Musikszene bereits schnell wieder verdrängt.

Ja, einschließlich der hoffnungsvollen Seiten, die sich (ohne jetzt zynisch werden zu wollen) in dieser Pandemie ja durchaus auch gezeigt haben. Die großen Strukturen haben nicht mehr funktioniert, die Häuser mussten zumachen. Aber es schlug ja dann die Stunde kleiner Initiativen: Straßenmusik auf Abstand, Nachbarschaftschöre über den Gartenzaun, Musizieren vor dem Altenheim. Das hat auf einmal eine ungeheure Relevanz bekommen, diese Sehnsucht nach Begegnung und Berührung auf Abstand.

Deswegen finde ich dieses kollektive Erlebnis sehr ambivalent, auch in dem Sinn, dass da vorübergehend positive Dinge entstanden waren, wo man hätte dranbleiben können, anstatt nach dem Ende der Pandemie sofort wieder in die herkömmliche wachstumsgetriebene Logik des Kulturbetriebs zurückzukehren.

Das bringt mich zu einem Bild der Kulturanthropologie des 20. Jahrhunderts, das Sie in Ihrem Buch zitieren. Demzufolge gibt es den Homo sapiens, der verstehend, rational, kognitiv versucht, sich zu orientieren; den Homo faber, den erschaffenden, bauenden Menschen und eben den Homo ludens, den spielenden Menschen. Wie ordnen Sie da die Musik ein – und wie schlagen Sie von dort den Bogen zum Klima?

Ich verknüpfe damit die Frage, ob nicht das Spielerische insgesamt als Lösungsbeitrag mehr Aufmerksamkeit verdient hat. Denn die technologischen Lösungen helfen uns ja ganz offenkundig nicht oder zumindest nicht allein aus dieser Misere heraus Es ist, trotz aller Fortschritte im Bereich der Effizienz und der Entkarbonisierung, noch nie so viel CO2 in die Atmosphäre geblasen worden wie 2024. Das heißt: so wichtig und unverzichtbar diese technologischen Wege auch sind, braucht es offenbar noch etwas anderes.

 

„Wenn man in die großen klimapolitischen Beratungsgremien, Thinktanks und so weiter reinguckt, dann wird da über die sogenannten „harten“ Themen nachgedacht – Ökonomie, Technologie, Soziales – aber viel zu selten über die Kultur.“

 

Nun wäre es vermessen und naiv, zu denken, dass sich die Klimakrise auf irgendeine spielerische und schöngeistige Weise lösen ließe. Aber es wird zu wenig gesehen, dass die Kraft der kulturellen Rituale und der spielerischen Imagination ein zentraler Teil unseres Menschseins ist und in Krisenzeiten zu einer wichtigen Ressource werden kann. Wenn man in die großen klimapolitischen Beratungsgremien, Thinktanks und so weiter reinguckt, dann wird da über die sogenannten „harten“ Themen nachgedacht – Ökonomie, Technologie, Soziales – aber viel zu selten über die Kultur.

Müssen wir die Musiker also auch in Beratungsgremien hineinholen? Brauchen wir so Programme wie Kunst am Bau, wo bestimmte Mittelanteile automatisch vorgesehen sind für diesen Zugang?

Es geht mir nicht um Kunstwerke oder Musikstücke über den Klimawandel, sondern um etwas anderes. Ich verknüpfe das Bild vom „Homo ludens“ in meinem Buch mit dem Katastrophenflug der Apollo 13-Rakete im Jahr 1970. Damals haben die Astronauten in einer existentiellen Bedrohungslage, als an Bord des Raumschiffs mehrere technische Systeme ausgefallen waren, aus Socken und Pappdeckeln einen lebensrettenden Luftfilter gebaut – aus Dingen also, die gerade zufällig an Bord waren.

Mit anderen Worten: Sie haben sich, inmitten all dieser irrsinnig hochgerüsteten Technik, auf die menschliche Fähigkeit besonnen, etwas aus dem zu machen, was gerade zur Hand ist. Wie ein Kind, das sich ja auch etwas aus Socken und Pappdeckeln macht und sie zu lebendigen Wesen werden lässt, wenn gerade keine Spielgefährtinnen da sind.

Und was hat das mit der Klimakrise zu tun hat? Welchen Ressourcen sollten wir mehr Beachtung schenken?

Ich will hier mal einen großen Sprung zu einem ganz anderen Begriff von Kultur machen, nämlich zur Bodenkultur. Wie wenig wir zum Beispiel die Bedeutung der Regenwürmer wertschätzen, bringt mich regelrecht zur Verzweiflung. Es wird viel zu wenig ernstgenommen, wieviel CO2 sich durch Humusaufbau und lebendige Böden binden ließe, weil es eben keine großen Ingenieursleistungen erfordert.

Mit Regenwürmern die Welt retten? Das wird gerne belächelt. Aber daran ist nichts zu Belächelndes. Die Bodenorganismen sichern seit Millionen Jahren unser Leben ab. Auf den ersten Blick mag das nichts mit Kunst und Kultur im engeren Sinn zu tun haben. Aber die Art und Weise, wie wir unserer nichtmenschlichen Mitgeschöpfe wahrnehmen, die uns tagtäglich beim Überleben helfen – das hat sehr viel mit Kultur zu tun.

Es sind kulturell geprägte Normen, ob wir in der Lage sind, unsere eigene natürliche Bedingtheit zu erkennen, oder ob wir nur menschliche Meisterleistungen wertschätzen. Klimaschutz braucht Perspektivenvielfalt und einen anderen Kulturbegriff, auch in den politischen Beratungsgremien.

Ich höre hier auch einen Appell heraus, den Eigenwert von Leben zu schätzen, den Eigenwert von Organismen, über die wir nicht verfügen können oder sollten. Womit wir dann auch beim Begriff von Ästhetik und Schönheit sind. Sie ringen in Ihrem Buch regelrecht damit, weil ja der westliche Schönheitsbegriff im 20. Jahrhundert gewissermaßen in der Kultur abgeschafft wurde oder man zu dem Übereinkommen gelangt ist, das könne man nicht mehr mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit definieren. Sie fordern aber einen neuen Stellenwert für die Schönheit.

Ja, der Ausgangsgedanke dabei ist folgender: Wenn ich mich in Gesellschaftsbereichen und Wissensdisziplinen umschaue, die es geschafft haben, die Klimakrise für sich selbst zu einem relevanten Thema zu machen, dann sind das diejenigen gesellschaftlichen Systeme, die die Klimakrise in ihr eigenes Denken, ihr eigenes Wertesystem übertragen haben.

Zum Beispiel haben die Religionen irgendwann angefangen, nochmal neu über Schöpfungsverantwortung nachzudenken. Die Medizinerinnen und Mediziner haben erkannt, dass die Klimakrise ein Gesundheitsrisiko ist und haben das Thema in ihr medizinisches Denken hereingeholt. Vor nicht allzu langer Zeit hat das Bundesverfassungsgericht gesagt: die Klimakrise ist ein Gerechtigkeitsproblem, weil die nach uns kommende Generationen ein Gerechtigkeitsdefizit erfahren, wenn wir so weitermachen wie bisher. Damit lässt sich die Klimakrise dann plötzlich in juristisches Denken übersetzen, was vorher nicht so ohne weiteres möglich war.

 

„Der Klimawandel macht die Welt nicht nur unbewohnbarer, kostet nicht nur Geld und so weiter, sondern er macht die Welt auch hässlicher. Wir Musikliebenden und Kulturliebenden sind ja eigentlich nicht angetreten, die Welt hässlicher zu machen“

 

Wonach ich suche, ist also eine Antwort auf die Frage, wie kann eigentlich die Klimakrise für uns Kulturleute relevant sein? Wie kann sie in unsere eigene Sprache, unser eigenes Denken, unsere eigenen Werte übersetzt werden? Und da sage ich, der Klimawandel macht die Welt nicht nur unbewohnbarer, kostet nicht nur Geld und so weiter, sondern er macht die Welt auch hässlicher. Wir Musikliebenden und Kulturliebenden sind ja eigentlich nicht angetreten, die Welt hässlicher zu machen. Wir wollen sie – auch wenn es uns schwerfällt, das Schöne abschließend zu definieren – auf irgendeine Weise „schöner machen“.

Was dem Musikbetrieb in seiner modernen Verfassung ironischerweise nicht gelingt …

Exakt. Das, was langfristig von uns bleibt, sind ja nicht unsere Songs oder unsere Bilder, sondern die Emissionen, die wir bei deren Produktion in die Atmosphäre pusten. Die werden auch in zehntausenden Jahren noch da sein, wenn sich kein Mensch mehr an unsere Romane und Lieder erinnert.

Ich sehe da eine Verbindung zu dem medizinischen Grundsatz primum non nocere, also zuallererst keinen Schaden anzurichten.

Ganz genau. Musik sollte die Welt nicht dauerhaft hässlicher machen.

Berhard König beim Projekt Fugato

Bernhard König bei der Arbeit – hier mit dem Ensemble des Projekts "Fugato: Verbotene Töne" 2017 in Reutlingen; Foto: Württembergischen Philharmonie Reutlingen

Kann es, soll es die Aufgabe von Musikern, von Künstlerinnen sein, sich auch inhaltlich, programmatisch mit dem Klimawandel zu beschäftigen, Menschen vielleicht auch zu aktivieren, zu mobilisieren durch den künstlerischen Inhalt?

Als ich für mein Buch recherchiert habe, bin ich auf ganz wunderbare Ansätze gestoßen. Zum Beispiel indigene Protestkulturen in Kanada oder auf den Marshallinseln, in denen Musik eine wichtige Rolle spielt. Oder eine nordindische Frauenbewegung, die Lieder in Dörfern mit einer geringen Alphabetisierungsquote nutzt, um Umweltwissen zu vermitteln. Diese Beispiele sind großartig – aber ich möchte niemanden dazu überreden, sich aktivistisch zu betätigen und politische Verlautbarungskunst zu produzieren.

Ich höre bei Ihnen aber auch eine Kritik an der gedanklichen Figur, dass Musik unter gar keinen Umständen irgendwie politisch sein darf, dass sie sozusagen immer in einer völlig getrennten Sphäre vom Politischen und Gesellschaftlichen sich bewegen müsse und schon die Frage, inwieweit sie auch auf das Politische einwirkt, eine Zumutung ist. Das lehnen Sie ab?

Das lehne ich nicht ab, sondern bezweifle, dass Musik tatsächlich komplett „unpolitisch“ sein kann. Meine Grundaussage ist: Musik hat immer einer gesellschaftliche und politische Wirkung – auch dann, wenn sie mit der Intention entstanden ist, etwas Autonomes und vom Politischen Losgelöstes zu sein.

 

„Das klassische Konzert hat über viele Jahrhunderte für sich beansprucht, ein Ort zu sein, an dem autonome Kunst einfach nur autonome Kunst ist und sonst nichts. Aber die Erfindung des bürgerlichen Konzertes im 19. Jahrhundert ist eminent politisch. Da steckt ganz viel Expansion, ganz viel Macht, ganz viel fossile Energie drin“

 

Nehmen wir zum Beispiel das klassische Konzert, das ja über viele Jahrzehnte und Jahrhunderte für sich beansprucht hat, ein Ort zu sein, an dem autonome Kunst einfach nur autonome Kunst ist und sonst nichts. Aber auch diese Kulturform ist ja in einem bestimmten historischen Kontext entstanden – in einer Epoche nämlich, in der die industrielle Revolution stattfand. Einer Epoche, in der das europäische Modell des hohen Energieumsatzes in alle Welt exportiert wurde. Einer Epoche, in der Europa einen sehr überheblichen Überlegenheitsanspruch formuliert und in seiner Kultur zum Ausdruck gebracht hat. Die Erfindung des bürgerlichen Konzertes im 19. Jahrhundert ist also eminent politisch. Da steckt ganz viel Expansion, ganz viel Macht, ganz viel fossile Energie drin.

Schauen wir mal noch auf den Bereich, wo es ganz praktisch wird. In den vergangenen Jahren haben sich viele Kulturinstitutionen erstmals die Frage gestellt: Was haben wir eigentlich mit dem Klimawandel zu tun? Und eine der ersten Sachen, die dann betrachtet werden, sind die Emissionen, die man selbst verursacht durch Konzertbetrieb, Reisen, Produktionsstätten und so weiter. Es wird viel Geld und Personalaufwand verwendet, die Emissionen zu senken und sich daran abzuarbeiten. Sie kritisieren das. Was ist daran denn so schlimm?

Ich lehne das nicht ab, sondern sage, dass es lediglich ein erster Schritt ist. Wenn man glaubwürdig sein will und in der Öffentlichkeit steht, muss man natürlich bei sich selbst anfangen mit Klimaschutz. Das ist ganz klar. Aber bei sich selbst anfangen müssen auch ein Supermarkt oder ein Finanzamt. Es ist unverzichtbar, dass man Fahrradständer vorm Haus und Solarpaneelen auf dem Dach hat. Aber es ist für sich genommen noch kein spezifisch kultureller Beitrag und man sollte da nicht stehenbleiben.

Das Problem ist: wenn man einen Schritt weitergeht, wird es für den Kulturbetrieb schnell unbequem. Es ist ein offenes Geheimnis, dass diese hausgemachten Emissionen nur einen relativ kleinen Anteil darstellen. Der allergrößte Anteil geht auf das Konto des Publikums. Und das ist natürlich erstmal schwierig, denn man will ja sein Publikum nicht vergraulen und beschimpfen. Aber die Publikumsmobilität und das rapide wachsende Streaming von Veranstaltungen sind nun mal die beiden wichtigsten Emissionsfaktoren in der Kultur. Der Energieaufwand für Streaming, Gaming und KI wird den des Flugverkehrs wohl schon bald überholen – in den USA werden bereits neue Atomkraftwerke geplant, um all die Rechenzentren zu betreiben.

Die Fokussierung auf die eigene, hausgemachte Betriebsökologie greift also viel zu kurz, weil da die wirklichen strukturellen Zusammenhänge nicht angegangen werden. Das ähnelt der Strategie von Autokonzernen, die sagen: ‚Auf unserem Werkgelände ist alles supergrün und was die Leute mit den verkauften Autos machen, das geht uns nichts mehr an.‘ Ich finde es falsch, dass große Teile der Kulturwirtschaft diesem Argumentationsmuster folgen und so tun, als ginge es sie nichts an, wo die Leute herkommen, wie weit sie anreisen, mit welchen Verkehrsmitteln sie unterwegs sind und wieviel Energie sie beim Streamen verbrauchen.

Wir Kulturschaffenden sollten uns in diesen Fragen nicht auf das gleiche Niveau begeben, wie ein Erdölkonzern oder die Autoindustrie. Schließlich sind wir ja zu Recht stolz darauf, dass wir die Menschen bewegen. Also sollten wir auch die Verantwortung dafür übernehmen.

Damit wäre man auch bei Ihrer Kritik am Star- und Promi-Kult im Kulturbetrieb, dass Leute meinen, mal nach New York fliegen zu müssen oder zur Mailänder Scala, um den feinen klanglichen Unterschied zum A-Orchester in Deutschland raushören zu können und sich daran zu ergötzen?

Auch das ist wieder zweischneidig. Es ist ja eigentlich etwas Wunderschönes, sich mit diesen Nuancen und Feinheiten auseinanderzusetzen. Aber es passt nun mal nicht mehr in unser Jahrhundert, sich dafür ins Flugzeug oder ins Auto zu setzen. Diese Form von Kulturtourismus ist hochgradig ungerecht, weil sie natürlich nur einem winzigen Prozentsatz von Menschen zur Verfügung steht. Und sie macht die Welt hässlicher.

2018 hat die Hamburger Elbphilharmonie mit durchaus nachvollziehbarem Stolz vermeldet, dass sie es geschafft hat, die Zahl der Interkontinentalflüge aus den USA nach Hamburg um 14,3 Prozent zu erhöhen. Das ist eine beeindruckende Leistung. Aber sie geht in eine völlig verkehrte Richtung, die dem Planeten nicht guttut.

Wie hat sich Ihre eigene Art, Musik zu machen, verändert durch die Beschäftigung mit dem Klimathema?

Das hat sich ein Stück weit radikalisiert. Wobei ich mit Radikalität nicht meine, jetzt noch vehementer Dinge einzufordern oder noch lauter und noch provokativer zu sein – sondern noch radikaler an die Wurzeln des Musikmachens zu gehen, das ja erstmal überhaupt gar kein Klimaproblem ist. Wenn sich Menschen zusammentun, um miteinander Musik zu machen, im Hier und Jetzt, dann gehen davon praktisch keine Schadstoffe und Emissionen aus. Das klingt naiv, aber es ist in unserer wachstumsfixierten und von hohen Reichweiten und Mobilisierung getriebenen Kultur gar nicht so einfach, sich diesen Wachstumszwängen zu entziehen.

 

„Wenn sich Menschen zusammentun, um miteinander Musik zu machen, im Hier und Jetzt, dann gehen davon praktisch keine Schadstoffe und Emissionen aus“

 

Mit Radikalität für mein eigenes Tun meine ich zum Beispiel eine radikale Regionalisierung. Das bedeutet dann beispielsweise auch, nicht über das Dorf oder das Stadtviertel hinaus einzuladen, in dem ich gerade arbeite. Nicht überregional dafür zu werben und zu sagen: kommt alle hierher, ich mache hier was Tolles. Gelungen ist meine Arbeit dann, wenn ich wirklich die Menschen erreiche, die dort leben, wo ich gerade tätig bin – und zwar in möglichst großer Diversität.

Das heißt, meine Messgrößen für das Gelingen oder Misslingen meiner eigenen Arbeit sind schon lange nicht mehr quantitativ. Ich will nicht möglichst viele Menschen erreichen, sondern ich orientiere mich an der erreichten oder nicht erreichten Diversität. Wenn sich in einem Projekt nicht die reale kulturelle, religiöse, generationelle und soziale Vielfalt des Ortes widerspiegelt, an dem ich gerade bin, sondern wenn ich damit nur eine Teil-Community erreiche (oder gar ein überregionales, eigens angereistes Publikum), dann habe ich etwas falsch gemacht. In diesem Fall betrachte ich meine eigene Arbeit als nicht gelungen.

Wenn sich hingegen in den Mitwirkenden und im Publikum die Vielfalt des Ortes widerspiegelt, an dem ich mich gerade befinde, dann habe ich nach meinen eigenen Ansprüchen etwas richtig gemacht.

Buchcover Musik und Klima

Bernhard König:
Musik und Klima
Oekom Verlag, München
522 Seiten, 36,00 Euro
ISBN: 978-3-98726-109-1

Autorenfoto: Vera Senn