Zwischen den Folgen des Klimawandels und dem öffentlichen Diskurs über die Klimakrise gibt es eine interessante Parallele: Beide führen auf eine Achterbahn der Extreme. Was Temperaturanomalien, Dürren und Hochwasserkatastrophen auf der naturwissenschaftlichen Seite sind, hat in polarisierenden Debatten und Kommunikationsdesastern seine gesellschaftliche Entsprechung.
Nach dem Mobilisierungsschub der Fridays-Bewegung, dem normativen Kipppunkt des Klimaurteils des Bundesverfassungsgerichts und den „Klimawahlen“ der Jahre 2019 bis 2021 scheint die Achterbahnfahrt die Klimapolitikdebatte inzwischen regelrecht aus der Kurve zu tragen. Beispiele für Verhakungen gibt es immer häufiger: An jeder Bratwurst kann sich Kulturkampf entzünden, militante Bauernproteste werden gegen militante Klebeproteste verrechnet, Heizungskeller zum Ort der politischen Traumatisierung.
Die Landwirtschaft ist Treiber und zugleich einer der Hauptbetroffenen der Doppelkrise aus Klimawandel und Artensterben. Die Branche steht unter großem Transformationsdruck; Foto: Carel Mohn
Mittlerweile werden erste Konsequenzen aus dem diskursiven Kladderadatsch gezogen: Bereits beschlossene industriepolitische Weichenstellungen, wie etwa der Zulassungsstopp für neue Verbrenner-Autos ab 2035 werden zur Disposition gestellt, die Agrarpolitik hebt Naturschutzregeln auf. Und Politiker von Grünen bis Union formulieren als vermeintliche Erkenntnis aus einem gefühlten Klima-Backlash: ‚Wenn es wirklich ernst wird mit dem Klimaschutz, ziehen die Bürger nicht mehr mit‘.
Es besteht kein Grund, den Klimaschutz in die politische Abstellkammer zu verbannen, um sich vor der etwaigen „Reaktanz“ der Bürger zu schützen
Empirisch ist ein solcher Backlash in dieser Härte nicht nachweisbar. Harsche Kritik ja, breite Totalopposition nein. Es besteht kein Grund, den Klimaschutz in die politische Abstellkammer zu verbannen, um sich vor der etwaigen „Reaktanz“ der Bürger zu schützen. Letzten Endes steht der Klimaschutz vor derselben Herausforderung wie jedes anderes demokratische Anliegen auch: Was sich durchsetzen soll, muss überzeugen.
Was aber sind die mentalen Eckpunkte, die in den unübersichtlichen, von Überspitzungen geprägten Klimadebatten Orientierung geben können? Wir schlagen vier solche Eckpunkte vor:
Klimaschutz, ja bitte ...
Die allermeisten Menschen sind keine Gegner, sondern Bündnispartner (in spe) für guten Klimaschutz: Laut der Umweltbewusstseinsstudie des Umweltbundesamtes nehmen schon heute 85 Prozent der Menschen in Deutschland die Folgen des Klimawandels in ihrem eigenen Leben wahr. In der Regel muss also nicht mehr „wachgerüttelt“ werden. Im Gegenteil: Die Gesellschaft erwartet von der Politik, dass sie Klimaschutzlösungen entwickelt. Dies zeigen zahlreiche Befragungen.
Und anders als oft kolportiert ist im Angesicht von Kriegen, Krisen und Inflation empirisch auch keine grundsätzliche Abkehr der Wählerschaft vom Klimaschutz festzustellen – vielmehr sehen viele Menschen weiterhin großen Handlungsbedarf. Die Tatsache, dass sie derzeit noch andere Probleme haben, sollte ihnen nicht zum Vorwurf gemacht werden.
... aber es kommt start auf das 'Wie' an
Wenn also die Erwartungen groß und der grundsätzliche Rückhalt für Klimapolitik hoch sind, stellt sich dennoch die Frage: Wie lässt sich generelle Zustimmung politisch übersetzen in Zustimmung für ganz konkrete Klimaschutzmaßnahmen? Hier ist den Verantwortlichen aller demokratischen Parteien wiederum ein Blick auf die messbaren Erwartungen und Einstellungen zu empfehlen. Die mehrheitliche Forderung nach Klimaschutz ist nämlich keinesfalls als Blankoscheck für „irgendwelchen Klimaschutz“ zu verstehen.
Das „Wie“ macht einen Unterschied: Politik sollte an den richtigen Gestaltungsprinzipien andocken.
- Mehrheiten wollen, dass Klimaschutz mit Investitionen in öffentliche Infrastruktur verbunden wird.
- Mehrheiten wollen, dass die Verantwortung für klimaverträgliches Handeln nicht primär den Einzelnen zugeschoben wird.
- Mehrheiten wollen, dass das rechte Verhältnis gilt – wonach diejenigen einen größeren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten haben, die mehr emittieren und an den längeren Hebeln sitzen, zum Beispiel in großen Unternehmen.
Mit anderen Worten: Wer Zustimmung für konkrete Maßnahmen bekommen will, sollte anschaulich machen, dass und wie Klimaschutz auf diese Gestaltungsprinzipien ganz konkret einzahlt.
Transformation muss gerecht sein
Fairness gehört zu den Kernprinzipien, die Menschen bei der Ausgestaltung von Klimapolitik sehr wichtig sind. Allerdings gilt es, kommunikative Fallen zu vermeiden. So läuft die Debatte über „Klimagerechtigkeit“ teils Gefahr, genau jene Ängste vor unfairer Behandlung zu wecken, denen sie begegnen will. Insbesondere mit Blick auf globale Klimagerechtigkeit wird von Teilen der Klimabewegung nachvollziehbarerweise betont, es dürften nicht diejenigen belastet werden, die am wenigsten zur globalen Klimakrise beigetragen haben. Daher müsse der übermäßige Ressourcenverbrauch von Ländern mit hohen Einkommen reduziert werden.
Diese Argumentation kann jedoch gerade bei Durchschnittsverdienern in diesen Ländern Ängste wecken, sich einschränken zu müssen – während Reiche sich von den Folgen hoher CO2-Preise freikaufen können. Steht die Forderung nach Klimagerechtigkeit allein, stärkt sie die weitverbreitete Intuition, dass Klimaschutz ein Verlustgeschäft für die breite Masse in diesem Land ist. Deshalb brauchen wir Politikvorschläge gerade auch dazu, wie unsere eigene Gesellschaft durch Klimaschutz besser und (im besten Sinne) reicher wird – an Lebensqualität, Daseinsvorsorge, Chancen und Fairness.
Verständigung statt Zuspitzung
Für die Klimapolitik braucht es eine neue Streit- und Debattenkultur: Zum einen darf nicht jede Kritik, jeder Einwand gegen bestimmte Klimaschutzmaßnahmen als „Verzögerungsargument“ und „fossiler Lobbyismus“ gebrandmarkt werden. Andererseits wird jede lösungsorientierte Diskussion durch populistische Zuspitzungen und polarisierende Vereinfachungen enorm erschwert. Um hierbei einen demokratischen Mittelweg zu finden, braucht es eine Verständigung.
Einer der zentralen Punkte hierbei wäre, bei aller kurzfristigen Polit-Taktik anzuerkennen, dass alle demokratischen Akteure in der Pflicht stehen, konstruktive Klimavorschläge zu entwickeln. Es braucht ein Ringen um die besten Lösungen. Bei der Entwicklung helfen kann auch der Blick auf die Wissenschaft – denn die Fachleute sind sich viel einiger, welche Klimaschutzlösungen wirklich etwas bringen, als man es angesichts des Parteienstreits über Reizthemen wie CCS, E-Autos oder E-Fuels vermuten könnte. Wenn dann noch die politische Ausgestaltung zu den Zukunftswünschen der Bürger (z.B. starke Infrastrukturen) passt, wird ein Schuh daraus.
Bei aller kurzfristigen Taktik muss zwischen demokratischen Akteuren Konsens sein: Das gemeinsame Ziel der Klimaneutralität wird nicht infrage gestellt – über die beste Route aber darf und soll mit konstruktiven Vorschlägen gestritten werden
Klar ist: Auch die beste Absicht und größte Expertise werden nicht verhindern, dass einzelne Klimaschutzlösungen scheitern, Nebenwirkungen zeitigen oder gesellschaftlich umstritten sind. Deswegen ist ein weiterer Punkt zu nennen, der die vier genannten Eckpunkte verbindet: Gerade wegen der Komplexität der Thematik sind alle demokratischen Parteien gefordert, das „große Ganze“, das Prozesshafte auf dem Weg zur Klimaneutralität immer wieder zu erklären, Politiken stetig zu verbessern.
So gesehen ist Klimapolitik wie eine risikoreiche Expedition in hochalpinem Gelände – über die beste Route darf und muss gestritten werden. Aber kein Bergführer darf die Expeditionsteilnehmer darüber im Unklaren lassen, dass der Gipfel vor Einbruch der Dunkelheit erreicht sein muss.
Dieser Text erschien zuerst bei Tagesspiegel-Background Energie&Klima