Eine kleine grüne Insel im warmen Sonnenschein: sanfte Wiesen, gackernde Hühner und Sonnenblumen. Mithilfe einer Axt wird ein Baum, der gerade noch im Wind wog, zu Baumaterial für eine gemütliche Hütte. Und dann gibt es noch fliegende Roboter, die Gemüseplantagen bewässern. Außerdem Solarpaneele und kleine Windräder, die Energie erzeugen. Es ist eine Welt, in der Selbstversorgertum und Science-Fiction auf Klima- und Energiefragen treffen. Und wem es auf seiner Insel zu langweilig wird, der kann in sein Luftschiff steigen und neue Orte erkunden.
Weiches Licht, liebliche Umgebung, Gemütlichkeit – im Computerspiel "Solarpunk" soll es eine klimafreundliche und friedliche Welt geben; Foto: Cyberwave/Screenshot
Diese Welt findet sich im Computerspiel Solarpunk, das 2025 erscheinen und auf Steam, PS5, Xbox und Nintendo Switch verfügbar sein wird. In diesem Spiel wird nicht mehr nur für den Klimaschutz geworben und gekämpft – eine klimafreundliche und friedliche Welt ist bereits erreicht. Optimismus, weiches Licht, Klaviermusik und Gemütlichkeit – Solarpunk zu spielen, soll sich gut anfühlen. Als sogenanntes Cozy-Game ist auch das genau die Absicht des Entwicklerstudios Cyberwave aus Essen. Konkurrenz, Kämpfe, gar Gewalt sind in dieser Art von Spiel nicht vorgesehen. Stattdessen geht es, ähnlich wie bei anderen Cozy-Game-Klassikern wie Sims oder Animal Crossing, um Bauen, Gestalten und Bewirtschaften aus der Ich-Perspektive.
Solarpunk ist Teil eines Trends: Themen wie Klima, Umweltschutz und Nachhaltigkeit werden in digitalen Spielen immer häufiger platziert. Games haben ein großes Potenzial, viele Menschen zu erreichen. In Deutschland greifen rund sechs von zehn Menschen regelmäßig zum Controller, Smartphone oder Tastatur und Maus. Entgegen dem häufig verbreiteten Bild von Gaming als Hobby von Kindern und Jugendlichen ist Spielen eine beliebte Beschäftigung für Menschen jeden Alters und Geschlechts: In Deutschland sind 48 Prozent der Spielenden weiblich, 52 Prozent männlich; das Durchschnittsalter liegt knapp über 38 Jahre. So steht es im aktuellen Jahresreport der deutschen Gaming-Branche. Zumindest in der Theorie klingt die Platzierung von Klimathemen in digitalen Spielen nach einer Chance, Wissen zu vermitteln und die Achtsamkeit für Klimathemen zu stärken.
Computerspiele sind mitnichten nur etwas für Kinder und Jugendliche, das Durchschnittsalter der Spielenden in Deutschland liegt knapp über 38 Jahre
Schlummert in Solarpunk also eine Vorlage für die realisierbare, umweltverträgliche Zukunft, frei von Energie- und Versorgungsfragen? Die Utopie einer perfekten Welt? Abgesehen vom Offensichtlichen (wir leben nicht in einer Welt aus schwebenden Inseln), gibt es noch einen weiteren Haken: Einen Baum fällen, um eine Hütte oder ein Möbelstück zu bauen oder leicht verfügbare Solarmodule ohne produktionstechnischen Fußabdruck installieren? Für Dominik Rinnhofer ist Solarpunk kein glaubwürdiges Umweltspiel, ihm fehlt im Design die grundlegende Nachhaltigkeitslogik. “Eine Grundprämisse ist die ausbeuterische, expansionistische, und die ist schon in Frage zu stellen”, sagt der Professor für Game Design an der Macromedia Hochschule in Stuttgart.
Viele Spiele basieren auf einem positiven Bild von Expansion und Eroberung
Rinnhofer war lange Zeit selbst als Medienkünstler und als Mitgründer eines Game-Studios in der Spieleszene aktiv. Er beschäftigt sich mit Games, die unter die Kategorien “Serious Games”, “Impact Games”, “Edutainment” oder “Lernspiele” fallen. Zu seinem Fachgebiet gehören unter anderem Spiele, in deren Welten die Zerstörung oder der Erhalt der Umwelt thematisiert werden.
Dass Solarpunk trotz vieler klimagerechter Ideen Schwierigkeiten hat, eine ressourcenschonende Welt zu bieten, hat auch etwas mit den gegebenen Spielmechaniken und Spielgewohnheiten der User:innen zu tun. Um zu fesseln, sagt Rinnhofer, würden viele Spiele „bedeutsame Entscheidungen beinhalten, die Wirkung zeigen, die Veränderung herbeiführen”. Kontinuität und Balance hätten es da grundsätzlich schwer. Auch, weil wir gelernt haben, Expansion, das Erobern und Vorankommen, als etwas Positives zu empfinden.
Ein Klassiker des Genre Öko-Games: Balance of the Planet; Foto: Wikimedia Commons
Dass es auch anders geht, zeigt beispielsweise das Spiel Balance of the Planet (Chris Crawford), ein Simulationsspiel aus den frühen 1990er Jahren. Der Trick: Die Spieler:innen müssen ein ökologisches Gleichgewicht herstellen, um die Erde zu bewahren. Indem sie sich mit ihren Handlungsmöglichkeiten auseinandersetzen, kann das Bedürfnis nach Veränderung und Vorankommen erfüllt werden. “Progression bedeutet in diesem Fall nicht Expansion, sondern Stabilität”, erklärt Rinnhofer.
Eine konsequent nachhaltige Version von Solarpunk würde also statt immer neuer Inseln, die mit dem Luftschiff erkundet werden können, zum Erhalt der eigenen Insel animieren. Doch das Spiel ist auch eine Hommage an das gleichnamige Literatur-Genre. Das wiederum ist an die Science-Fiction-Welten von Steam- und Cyberpunk angelehnt: eine fantastische Auseinandersetzung mit dystopischen oder, im Fall von Solarpunk, utopischen (post-)Industriellen Zeitaltern. Das Streben nach Expansion ist damit praktisch schon vorgegeben.
Die Themen in Videospielen sind ein Spiegel der Gesellschaft
Dass immer mehr Klimaspiele ihren Weg auf den Game-Markt finden, ist für Robert Dagci ein gutes Zeichen. Er ist selbst begeisterter Spieler, Medienpädagoge und Experte in der Kommunikation von Klima- und Energiepolitik. „Spiele sind der Spiegel aktueller Gesellschaftsdebatten“, sagt Dagci. „Das, was die Gesellschaft umtreibt, findet man auch in Themen von Spielen wieder.“
Ein Aufwärtstrend deutet folglich auf ein wachsendes gesellschaftliches Bewusstsein für Klimathemen hin. Und tatsächlich: Auf der Gaming-Plattform Steam, auf der das Spiel auch zum Kauf verfügbar sein wird, ist Solarpunk aktuell eines der beliebtesten bald erscheinenden Spiele. Schon vor dem Release landete es bei vielen User:innen auf der Wunschliste. Mit dem Hinzufügen eines Spiels auf die eigene Wunschliste signalisieren Gamer:innen, dass sie am Spiel interessiert sind und Updates erhalten wollen. Auf der anderen Seite können Entwickler durch die Wunschliste das Interesse am Produkt und damit spätere Verkäufe abschätzen.
Sogar beim Spiele-Klassiker Catan ist die Energiewende jetzt Thema
„Es gibt auch immer mehr Mainstreamspiele, die den Sprung ins Klima wagen“, sagt Robert Dagci. Beispiele hierfür sind der Brettspiel-Klassiker Catan – dieses vielfach ausgezeichnete Spiel hat kürzlich eine neue Spielversion „Energien“ veröffentlicht, in der es um verschiedene Varianten der Energieversorgung für die eigene Insel geht. Oder das Computerspiel The Sims 4 mit der Erweiterung „Eco Lifestyle“, in der die eigene Spielfigur möglichst nachhaltig leben soll. Auch über einzelne Spiele hinaus sind Nachhaltigkeit und Klimaschutz in der Szene ein Thema geworden. So unterstützt ein Bündnis namens „Playing For The Planet“ Videospielentwickler:innen bei grünen Ideen.
Klimagames finden Anklang – trotz der Schwere des Themas. Oder gerade deshalb? „Mit Spielen haben wir eine Möglichkeit, eine Welt zu simulieren und zu erleben – auch eine dystopische Welt, bevor wir sie real erleben müssen“, sagt Robert Dagci. Im Spiel lassen sich sogar ökologische Untergangsszenarien in einem sicheren Raum austesten. „Wir können immer nochmal neu anfangen. Das ermöglicht uns im Spiel auch, ein riskanteres Verhalten an den Tag zu legen, als wir es im Real Life vielleicht tun würden“, sagt Dagci. Daraus könne man Erkenntnisse fürs alltägliche Leben ziehen.
„Mit Spielen haben wir eine Möglichkeit, eine Welt zu simulieren und zu erleben – auch eine dystopische Welt, bevor wir sie real erleben müssen“
Oder aber man wechselt die Perspektive – diese Chance ergibt sich in Spielen, in denen man kein Mensch ist, sondern beispielsweise ein Tier. Dies kann dabei helfen, Empathie für nicht-menschliches Leben zu entwickeln. Ein Beispiel für diese Art von Spiel ist Endling – Extinction is Forever, in der man in die Rolle der letzten Füchsin der Erde schlüpft, die versucht, in einer zerstörten Welt mit ihren Welpen zu überleben.
Psychohygiene: Mit Cozy Games in positive Welten eintauchen
In digitale Spielwelten zu versinken, etwa jene der Fuchsmutter, ermöglicht einen viel intensiveren emotionalen Zugang, als es mit Brett- oder Kartenspielen möglich wäre. Immersion beschreibt in den Medienwissenschaften einen Zustand vollkommenen Eintauchens von Spieler:innen in das digitale Geschehen – bis hin zu körperlichen Wahrnehmungen. Darin kann eine weitere Stärke von Games wie Solarpunk liegen. Wer im Spiel (körperliche) Freude am Leben in und mit der Natur, der Pflege eines Ackers und Solartechnologie erleben konnte, bekommt vielleicht auch im Alltag Lust, sich damit zu beschäftigen.
Der interaktive Charakter von Spielen kann laut Rinnhofer ebenso zu einem verbesserten Lerneffekt gegenüber etwa dem Lesen von Büchern führen: “Wir haben Studien dazu, dass man sich besser daran erinnert und Handlungsoptionen aus Spielen viel besser in seinen eigenen Baukasten – den man zur Verfügung hat, um Entscheidungen zu treffen – integrieren kann.”
Vielleicht macht ein "kuscheliges Spiel" wie Solarpunk ja Lust darauf, sich in der Realität mit Solarenergie oder Gärtnerei zu beschäftigen; Foto: Cyberwave/Screenshot
Dass Solarpunk Defizite in Sachen Nachhaltigkeit zeigt, sieht Rinnhofer daher entspannt. Im Zweifel ließe sich in jedem Spiel ein Makel finden. Wichtiger sei es, dass überhaupt Umweltthemen platziert würden und dadurch zusätzliche Aufmerksamkeit erhalten. Wie etwa auf der Gamescom 2024 in Köln, nach eigenen Angaben die wichtigste Computerspielmesse weltweit. Dort erhielten die Entwickler von Solarpunk eine große Bühne für die Vorstellung ihres neuen Videospiels, beispielsweise durch das Zeigen eines brandneuen Trailers, einen Live-Talk und ein Live-Gameplay mit der bekannten deutschen Streamerin “GNU”. Natürlich könne man das Werben mit “grünen Spielen” als Greenwashing kritisieren, also als Versuch von Unternehmen, ein umweltbewusstes Image zu kreieren, anstatt tatsächlich konsequenten Umweltschutz zu betreiben, sagt auch Rinnhofer – doch er sieht eher den positiven Aspekt: “Selbst wenn es Greenwashing ist, ist es ja auch ein gutes Zeichen, dass es marketingtechnisch offensichtlich eine Funktion erfüllt und offensichtlich gesehen wird.”
Wer im Spiel (körperliche) Freude am Leben in und mit der Natur, der Pflege eines Ackers und Solartechnologie erleben konnte, bekommt vielleicht auch im Alltag Lust, sich damit zu beschäftigen.
Die gesellschaftliche Veränderung berge jedenfalls Potential für weiteres Wachstum. Eine zunehmend klimabewusste Spieler:innenschaft kann inzwischen Umweltgames über das eigene Spielen hinaus aktiv fördern – etwa durch Crowdfunding für neue Spiele, auf das Indie-Studios wie Cyberwave inzwischen zurückgreifen. Nicht zuletzt erfüllen Cozy Games mit Umweltinhalten, so Rinnhofer, in Zeiten hoher mentaler Belastung noch einen weiteren wichtigen Zweck: “Meiner Meinung nach ist das Psychohygiene, sich ab und zu mit positiveren ästhetischen und narrativen Welten zu beschäftigen. Ich glaube, das benötigen wir einfach.” Selbst angebautes Gemüse zu essen, ein eigenes Haus mit Sonnenenergie zu versorgen und dabei ab und zu mit dem Luftschiff dem harten Boden der Realität entfliehen – eine digitale Vision mit Lücken, aber trotzdem eine, die guttut.