Die beiden gehören zu den derzeit renommiertesten deutschen Soziologen: Stephan Lessenich (Universität München) und Harald Welzer (Universität Flensburg und Stiftung FuturZwei). Beide beschäftigen sich seit vielen Jahren unter anderem mit Gerechtigkeits- und Umweltthemen. Das Magazin der Süddeutschen Zeitung lud sie nun zu einem überaus erhellenden Doppel-Interview.

In Sachen Klimaschutz setzen die beiden unterschiedliche Schwerpunkte. Welzer setzt eher auf den Einzelnen, Lessenich betont die Rolle der Politik: "Bei der erdrückenden Sachlage, die wir heute kennen, wird doch klar, dass individuelles Handeln nicht mehr reicht", so Stephan Lessenich. "Nachhaltiges Verhalten ist schön und gut, auch gut gemeint. Soll man machen. Aber die gegenwärtige Konstellation schreit nach Kollektivität und Politisierung."

"Du musst die Weihnachtsgans zu dir nach Hause einladen"

Die Macht von Informationen, betonen die Soziologen, sei begrenzt: "Wissen ist eine Art Sidekick, der kaum je handlungsleitend ist", formuliert etwa Harald Welzer. "Menschen handeln nicht auf der Grundlage von Fakten, sondern auf der Grundlage von Beziehungen. Meine Kinder mögen Currywurst? na, dann kaufe ich denen eben eine! Die sollen mich ja gutfinden." Wolle man etwas verändern, so Welzer, solle man weniger Statistiken über die Umweltschäden durch Tiermast lesen - sondern man müsse zum Beispiel die Weihnachtsgans "zu dir nach Hause einladen, dann können die Kinder sie kennenlernen und danach darüber nachdenken, ob sie die wirklich schlachten und essen wollen".

Beide kritisieren die traditionelle Klimaforschung, die allzu stark darauf auf die Überzeugungskraft ihrer Klimamodelle und -daten vertraue - als würden sie zwangsläufig Verhaltensänderungen anstoßen: "Man kann doch nicht aus einer naturwissenschaftlichen Rechnerei heraus Schlussfolgerungen für Geschichtsverläufe ziehen. Und auch noch absolute Deutungshoheit darüber reklamieren", so Welzer. "Die ganze Nachhaltigkeitsdebatte ist naturwissenschaftlich überformt. Nach dem Motto: Jetzt müssen die Leute das und das tun, damit ... Und dann wundern sich alle, dass die das eben nicht tun."

"Beim Weltuntergangsargumentieren gewinnt immer der Status Quo"

Und wie sollte bessere Klimakommunikation aussehen? "Das Gefährliche am negativen, reaktiven Weltuntergangsargumentieren ist, dass das vorhandene Modell dadurch immer gewinnt", mahnt Harald Welzer. Solange die Leute den Arsch an der Wand haben, sagen sie: 'Kann schon sein, dass es in anderen Teilen der Welt schlimm ist, aber hier bei uns habe ich die Butter auf dem Brot und meinen SUV.'" Es mangele an "alternativen Szenarios und attraktiven Bildern".

Stephan Lessenich hielte es dennoch für verkehrt, auf eindrückliche Warnungen zu verzichten: "Wie soll man denn ohne Alarmismus anprangern, dass wir hier auf eine Weise leben, die dazu führt, dass anderen woanders das Leben zur Hölle wird?" Doch der Blick in die Ferne und auf die drohende Klimakatastrophe sei ein schwaches Argument für Veränderungen, so Welzer: "Es ist ja falsch zu denken, dass alles total dufte wäre, wenn nur dieser blöde Klimawandel nicht wäre." Eine autofreie Stadt zum Beispiel wäre auch dann ein erstrebenswertes Ziel, wenn es gar kein Problem mit Autoabgasen gäbe. Menschen erreiche man am besten durch "radikal andere, attraktive Zukunftsbilder" ihrer direkten Umgebung, beharrt Welzer. "Es gibt so viele bessere Argumente, die Welt zu verändern, als nur irgendwelche Klimadiagramme!"

ts