Marius Hasenheit ist Herausgeber des Magazins transform. Als Partner der Agentur sustentio, Mitglied der genossenschaftlichen Beratung sustainable natives eG und Vorstand der Genossenschaft selbstverwalteter Projekte eG setzt er sich für eine sozial-ökologische Transformation ein. Philip Barnstorf ist Radio- und Onlinejournalist beim rbb. Der studierte Ethnologe und Sozialwissenschaftler berichtet regelmäßig über ökologische, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen der Energie- und Mobilitätswende in Brandenburg. Besonders im Fokus steht dabei die Ansiedlung des Elektroautoherstellers Tesla in Grünheide. Fotos: Nils Schwarz/privat

Der folgende Text ist ein Nachdruck aus dem Magazin transform

 

Wer ein Teelicht abdeckt, wird merken, dass die Kerze bald erlischt. Der Kerze geht der Sauerstoff aus – sie erstickt. Obwohl man CO2 weder riechen noch sehen kann, lässt sich seine Existenz nicht leugnen. Wieviel davon aus dem Verbrennen fossiler Rohstoffe entsteht, können wir exakt berechnen. Wie es auf die Erderwärmung wirkt, wird immer genauer modelliert. So lange bereits, dass sich ältere Modellsimulationen durch die Messdaten der Gegenwart bestätigen lassen. Natürlich ist das Klimasystem mit all den Rückkopplungen und selbstverstärkenden Effekten hochkomplex. Doch auszurechnen, dass wir durch die von uns verursachten Treibhausgasemissionen auf eine Heißzeit zusteuern, ist ähnlich der jährlichen Steuererklärung: Nicht jeder kann es – aber es geht um Zahlen, keine Zauberei.

Es ist absurd, dass gerade Klimaschützer:innen bisweilen Irrationalität vorgeworfen wird. Gleichzeitig sind die religiösen Vorprägungen vieler Bilder, Geschichten und Symbole rund um Klimaschutz deutlich: Da ist die kindlich-unschuldige Greta Thunberg, die als eine Art Märtyrerin ihre Jugend für die gute Sache opfert. Diese definiert sich unter anderem über einen Katalog der guten und schlechten Taten: über eine vegane oder vegetarische Ernährungsweise, Fahrrad- statt Autofahren und regional Urlauben kann man mitwirken am Heil des Planeten. Durch Fliegen, Fleischfuttern und Plastikverbrauch dagegen befördert man eine apokalyptische Riesenflut, die unsere Städte hinwegreißen wird als Strafe für unsere Klimasünden.

Auch die allgemeiner gefasste Kritik an Konsum und unbegrenztem Wachstum passt in die religiösen Schablonen von Askese und Verzicht. Weil es um das Leben von Natur, Tieren, Menschen, letztlich um den ganzen Planeten geht, werden diejenigen, die nicht daran glauben, entsprechend hart ausgegrenzt. So als wären sie Ketzer:innen.

Irrationale Religion vs. rationaler Klimaschutz?

Wird Klima-Aktivismus also gerade zur Religion des 21. Jahrhunderts in Deutschland? Baut sich die „Mitte der Gesellschaft“ in Deutschland nach der Erosion des Christentums, des Nationalismus‘ und des Glaubens an ewigen Fortschritt nun ein neues, post-postmodernes metaphysisches Dach? Und was hat das mit der Glaubhaftigkeit des Klimaschutzes zu tun?

Müssen sich Klimaschutz und Religion unversöhnlich gegenüberstehen? Muss klimapolitisches Engagement unbedingt nicht-religiös sein, um heute glaubhaft zu sein? Das Foto zeigt den Altarraum der Marktkirche Wiesbaden (Hessen); alle Bilder: Carel Mohn

Darauf gibt es mehrere Antworten, je nachdem, wen man fragt. Eine besonders abstruse Antwort gibt die Zeitschrift Compact, das Hausblatt rechter Verschwörungserzähler:innen. Schon im April 2020 nörgelte sie auf ihrem Titelblatt: „Greta nervt. Klima-Hysterie als Ersatz-Religion“. Klimaaktivist:innen werden hier als naiv und hysterisch dargestellt. Laut dieser rechtsradikalen Autor:innen geben sie sich unkritisch einer Bewegung hin, welche von dubiosen reichen Hintermännern gesteuert werde. Diese würden angeblich Fakten einseitig interpretieren, um mit moralinsaurer Besserwisserei Machtpositionen in der Mitte der Gesellschaft zu besetzen. Verschwörungsmythen treffen auf Wissenschaftsfeindlichkeit und rechtpopulistisches Gedankengut.

Chefredakteur Jürgen Elsässer und seine Schreiber:innen benutzen hier einen Religionsbegriff, der blinde, irrationale Hingabe und unkritischen Glauben an die eigene moralische Überlegenheit in den Vordergrund stellt. Weil das aber längst nicht auf alle Religionsformen zutrifft, handelt es sich um eine polemische Verkürzung von Religion. Ziel des Ganzen: Das Klischee soll mit pseudo-historischer Bildung und tendenziell antisemitischen Verschwörungserzählungen von der faktischen Evidenz des Klimawandels ablenken.

Jedoch nutzen nicht nur Leugner:innen des menschengemachten Klimawandels dieses Klischee. Interessanterweise greifen auch einige Klimaaktive auf denselben Gegensatz von Religion und Vernunft zurück, indem sie ihre Überzeugungen vehement von aller Religion abgrenzen: Klimaschutz wird zum Produkt des aufgeklärten, säkularen Verstandes des modernen Menschen. Für diesen führt einzig und allein die Vernunft zur (An-)Erkenntnis des Klimawandels und der Einsicht in die Notwendigkeit seiner Verhinderung. Religion, die in diesem Kontext meist vulgär-marxistisch à la „Opium des Volkes“ daherkommt, führt dabei zwangsläufig weg vom rechten Weg der Vernunft.

Jenseits von Vernunft

Aber müssen sich Klimaschutz und Religion so unversöhnlich gegenüberstehen? Muss klimapolitisches Engagement unbedingt nicht-religiös sein, um heute glaubhaft zu sein? Kilian Rüfer arbeitet im Bereich des grünen Marketings und sagt: „Rein rational entscheidende Menschen gibt es nicht.“ Damit ein Argument oder eine Geschichte verfängt, bedürfe es immer einer Emotionalisierung. Für manche Menschen könnten religiöse Motive diese Emotionalisierung leisten. Laut dem Kommunikationsprofi kann es durchaus sinnvoll sein, an Bilder verbreiteter Wertesysteme anzudocken. „Gerade wegen unserer religiösen Vorprägung, inklusive der Apokalypse, haben entsprechende Beschreibungen vielleicht einen gewissen Erfolg.“

Der Nachteil dabei, die Auswirkungen von Klimakrise oder Biodiversitätsverlust als drohenden Armageddon zu beschreiben, ist, dass dabei vergessen wird: Klimakrise und das Verschwinden von Arten und Wildtieren sind bereits allgegenwärtig. In Europa verschwanden allein in den vergangenen vier Jahrzehnten 300 Millionen Acker- und Wiesenvögel, in Nordamerika verschwanden auf den landwirtschaftlich genutzten Flächen schätzungsweise drei Milliarden Vögel. Das Spiel mit religiösen Narrativen kann also auch kontraproduktiv sein.

Doch wer Menschen zu klimapolitischem Engagement animieren möchte, ist mit nackten Fakten allein schlecht ausgerüstet. Messwerte, Graphen und Temperaturprognosen überzeugen mehr Menschen, wenn sie durch Geschichten veranschaulicht werden – etwa durch religiöse Bilder. Rüfer spricht von einer buddhistischen Vorstellung der Verbundenheit, mit der man religiöse Menschen zu mehr Wertschätzung für ihre Umwelt bewegen könnte.

Klimaschützer:innen könnten also an religiöse Bilder anknüpfen, wie das unschuldige Kind, die Sintflut oder die Kopplung aus Sünde und Apokalypse. Ist da aber vielleicht noch mehr als die Nutzung religiöser Mittel für einen weltlichen Zweck? Gibt es doch eine tiefere Verbindung zwischen Religion und Klimaschutz? Man könnte argumentieren, dass dieser weltliche Zweck eigentlich gar nicht so weltlich und rational sei. Denn mal ehrlich: Wie kann man rational erkennen, dass man den Planeten retten sollte?

Mit rationaler Wissenschaft lässt sich erkennen und beweisen, dass der menschengemachte Klimawandel existiert und unsere Lebensverhältnisse zerstört. Aber ob das gut oder schlecht ist, und ob man etwas dagegen machen sollte oder nicht, dazu schweigen die Klimafakten. Sie sagen einfach nur, was ist. Sie sagen nicht, was daraus moralisch folgt, folgen muss.

Woher kommt dann unser Bedürfnis, diesen Planeten zu retten? Weil es dabei auch um unser Überleben geht, würden viele Klimaaktivist:innen wahrscheinlich antworten: Wir möchten den Planeten aus unserem Selbsterhaltungstrieb heraus retten.

Doch: Wo kommt der her? Vielleicht entspringt das Bedürfnis, Pflanzen und Tiere zu retten, einer gewissen Zuneigung, einer allgemein positiven Einstellung gegenüber Natur, Tieren, Menschen, letztlich uns selbst. Diese Zuneigung wäre weder rational noch irrational, sondern irgendwie einfach natürlich.

Wenn man sich auf diesen Gedanken einlässt, liegt der Glaube nahe, dass uns diese Zuneigung von irgendwo anders her zukommt; von einem Ort, der jenseits unseres Verstandes liegt - Mit diesem Ort beschäftigt sich nicht nur die Moralphilosophie, auch viele Religionen erklären die Welt in Rückgriff auf diese moralische Vorprägung des Menschen.

Wendet man also diesen zugegebenermaßen weiten Religionsbegriff an, dann sind nicht nur die Mittel, sondern auch der Zweck auf eine Weise religiös geprägt, die rationale Wissenschaft nicht ausschließt. Aber was lässt sich daraus praktisch schließen? Können wir mit dieser Erkenntnis Klimaschutz besser kommunizieren?

Wie lassen sich Klimakrise und Gegenmaßnahmen kommunizieren?

Mit diesen Fragen beschäftigt sich Prof. Dr. Torsten Schäfer. Der Professor für Journalismus ist Buddhist und schrieb lange Zeit für diverse Zeitungen und Magazine. Seiner Meinung nach werden spirituelle Fragen im Naturjournalismus unterschätzt: „Wir haben kein Informationsproblem. Wir wissen, was los ist. Aber wenn es darum geht, zu spüren und zu verinnerlichen, was los ist, stehen wir noch am Anfang.“ Nach Schäfers Meinung bieten Religionen und Spiritualität einen Weg, um das Ausmaß der Klimakrise und die Dringlichkeit zu handeln im wörtlichen Sinne nachzuempfinden. „Nackte Fakten reichen zur Sinnstiftung nicht aus, spirituelle Deutungen bringen uns hingegen weiter. Und diese bringen wir mit, sie sind tief in uns verankert – auch in den Agnostikern und Pantheisten, die wie Goethe glauben, dass das Göttliche in den Dingen liegt.“

Vielleicht braucht eine vielseitige Kommunikation über den Klimawandel religiöse Muster nicht unbedingt, um zu erklären, dass der Mensch untrennbar mit seiner Umwelt verknüpft ist oder um Angst vor der Klima-Apokalypse zu machen? Das Foto zeigt den Hauptaltar der Klosterkirche Sankt Annen in Kamenz (Sachsen)

Die Gefahr, dass auf diese Weise das Gewohnte mit etwas spirituellem Puderzucker bestreut wird und sich nichts ändert – von der Selbstdarstellung der religiösen Ökos abgesehen – erkennt der Journalismus-Professor. Doch die Chancen einer Integration solcher Perspektiven überwiegen seiner Meinung nach. „Natürlich besteht die Gefahr, in Eskapismus oder hohlen Individualismus zu verfallen. Doch in Ansätzen wie der Tiefenökologie liegt die große Chance, den Dualismus zwischen Natur und Mensch aufzulösen.“ An dieser Stelle könnten wohl selbst streng atheistische Naturwissenschaftler:innen zustimmen: Auch wenn wir Menschen die Umwelt so sehr verändert haben, dass wir erdgeschichtlich vom „Zeitalter des Menschen“ sprechen, dem Anthropozän, sind wir, mit allem was wir sind und tun, mit ihr verbunden.

Gleichzeitig sind Zahlen und Fakten in der politischen Auseinandersetzung unersetzlich. Dem stimmt auch Torsten Schäfer zu. „Wir lieben Zahlen. Das Ansteigen der CO2-Konzentration in der Atmosphäre bietet einen Nachrichtenwert, und wir brauchen klare Anhaltspunkte wie das 1,5-Grad-Ziel des Paris-Abkommens.“ Gleichzeitig schränkt er die Macht der Zahlen ein: „Wir dürfen die Dimensionen Spiritualität, Kultur und Ästhetik nicht vergessen. Momentan wird das Thema Klimawandel technologisch und ökonomisch gedeutet. Letztendlich aber ist er eine kulturelle Frage im Sinne von Akzeptanz und Handlungsbereitschaft.“

Doch vielleicht braucht eine vielseitige Kommunikation über den Klimawandel religiöse Muster nicht unbedingt, um zu erklären, dass der Mensch untrennbar mit seiner Umwelt verknüpft ist oder um Angst vor der Klima-Apokalypse zu machen. Stattdessen sollten wir viel mehr darüber sprechen, was kommen mag und Lust auf Zukunft machen! Wir sollten zu ergründen versuchen, wie sich eine Gesellschaft aufbauen lässt, die planetare Belastungsgrenzen achtet und zudem Spaß macht – das gute Leben halt. Es muss nicht gleich ein „Klima-Paradies“ sein. Sicher will auch niemand auf das Jenseits vertröstet werden. Doch das Metaphysische kann uns heute, in Zeiten, in denen „das Ende der Welt eher vorstellbar ist als das Ende des Kapitalismus“, dabei helfen, Utopien aufzubauen und anzustreben.