Die Berufsbezeichnung "Klimamanager" kann Thomas Königstein nicht leiden. "Das klingt doch nach Klimatechnik - und dafür bin ich nicht zuständig", erklärt er, als er am Donnerstagabend vergangener Woche in einem Kursraum der Volkshochschule (VHS) in Brackenheim steht. Vielmehr ist er Klimaschutzmanager der 16.000-Einwohner-Gemeinde im nördlichen Baden-Württemberg. Und das wiederum heiße, seufzt er, dass er für sehr viele Themen zuständig ist: Radwege bauen, Bäume vor dem Fällen retten, unnötigen Abfall vermeiden – irgendwie habe ja alles mit dem Klima zu tun.
Königstein eröffnet an diesem Abend einen VHS-Kurs mit dem Titel "klimafit!" Das Angebot in Brackenheim ist einer der ersten von insgesamt 36 Kursen, die in diesen Wochen starten - vor allem in Norddeutschland und Baden-Württemberg. Der Umweltverband WWF und der Helmholtz-Verbund Regionale Klimaänderungen (Reklim) haben in den vergangenen Jahren gemeinsam das Konzept entwickelt, die Inhalte erstellt und sie in einigen Probekursen getestet. Gefördert wird das Projekt von der Robert-Bosch- und der Klaus-Tschira-Stiftung. Eine Bedingung gibt es, dass an einem Ort der Kurs läuft: Es muss dort einen Klimaschutzmanager geben, der von seiner Arbeit berichten kann. Außerdem werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Vertreter lokaler Klimaschutzinitiativen und aus der Wissenschaft kennenlernen.
Über sechs Abende erstrecken sich die Kurse jeweils. In Brackenheim haben sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer angemeldet, weil sie persönlich und in ihrer Kommune mehr für den Klimaschutz tun möchten. Der Kurs sollen ihnen zeigen, was möglich ist. Doch einige der Leute, die nun vor Königstein sitzen, sind schon tief im Stoff. Gleich zwei Gemeinderäte sitzen mit im Raum und haben sofort eine Fachfrage - sie wollen von Thomas Königstein wissen, ob er denn einbezogen werde, wenn Brackenheim neue Baugebiete ausweist.
"Ich mache Vorschläge", antwortet der. Manche würden aufgenommen, andere nicht. In einem Fall wurden die Häuser eines Neubaugebiets ans Nahwärmenetz angeschlossen. Das konnte der Kämmerer in den Kaufverträgen durchsetzen, denn in Brackenheim verkauft er die Grundstücke. Aber die Käufer zu einer Solaranlage auf dem Dach zu verpflichten, wie es sich Königstein vorstellt, das ging der Gemeinde zu weit.
Der Kurs richtet sich an alle, die sich irgendwie engagieren möchten
In Brackenheim wird der Kurs unter anderem vom Landratsamt Heilbronn finanziert. Barbara Hennrich, die dort die Stabstelle Energie & Klima leitet, berichtet den Teilnehmern ebenfalls von einem vielfältigen Aufgabengebiet: Es reicht von Schulprojekten über Kampagnen zur Abfallvermeidung bis zur Energieberatung. Von dem vhs-Kurs erhofft sich Hennrich neue Mitstreiter. "Ich kann mit meinen beiden Mitarbeitern die Bürger nicht immer persönlich erreichen", sagt sie. Klimaschutzmanager helfen beim Kontakt vor Ort, doch es gibt nur rund 500 in Deutschland – bei mehr als 11.000 Gemeinden und fast 300 Landkreisen. Mit den VHS-Kursen sollen die jeweiligen Klimaschutzmanager gestärkt und auch Multiplikatoren gewonnen und ausgebildet werden.
Zunächst richtet sich aber der Kurs an alle, die sich irgendwie engagieren möchten. Keiner der Teilnehmenden in Brackenheim hat beruflich viel mit Klimaschutz zu tun. Und auf die Frage, ob sie schon aktiv seien, antworten die meisten: "Noch nicht." Sie seien gekommen, um mehr über die Möglichkeiten zu erfahren, auch Argumentationshilfen seien ihnen wichtig.
"Ein intensiver Dialog zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft"
Einer berichtet von einem Autofahrer, der neulich vor dem Nachbarhaus wartete und eine halbe Stunde den Motor laufen ließ. "Ich sprach ihn darauf an, aber er sagte mir, er gehöre zu Fridays For Hubraum", erzählt der Teilnehmer. "Da habe ich nicht mehr gewusst, was ich antworten soll." Ihm gegenüber sitzt ein pensionierter Lehrer, der erzählt, dass seine Nachbarn morgens, während sie beim Frühstück sitzen, den Motor ihres Autos laufen lassen, um die Scheiben zu enteisen. Er habe sich im Ministerium erkundigt und erfahren, dass dafür Bußgelder verhängt werden können. "Man hat mir geschrieben, ich solle die Polizei rufen..."
Am ersten Kursabend geht es um die Grundlagen: Was unterscheidet Klima vom Wetter? Wie stark hat sich die Erde schon erhitzt – und mit welchen Folgen? Die Teilnehmer erfahren, dass das Klima regional stärker schwankt als global. In Baden-Württemberg sind die Temperaturen in den vergangenen Jahrzehnten um 0,2 bis 0,3 Grad stärker gestiegen im weltweiten Durchschnitt. Eine Folge: Regen fällt weniger regelmäßig als früher, Trockenzeiten und extreme Niederschläge werden häufiger.
"Es ist wichtig, zu verstehen, wie sich die Erderhitzung dort auswirkt, wo wir leben, und welche Maßnahmen jetzt ergriffen werden müssen", erklärt Bettina Münch-Epple vom WWF die Grundidee hinter der Entscheidung, in Dutzende Volkshochschulen zu gehen. "So entsteht ein intensiver und konstruktiver Dialog zwischen Wissenschaft, Kommunen und Zivilgesellschaft, der notwendig ist, damit wir die Ziele des Pariser Abkommens erreichen", ergänzt Dr. Klaus Grosfeld, Geschäftsführer des Helmholtz-Forschungsverbundes Reklim.
In bislang 36 Volkshochschulen bundesweit wird der Kurs "kimafit!" angeboten, die Orte sind auf der nebenstehenden Karte verzeichnet. Für eine größere und interaktive Version klicken Sie bitte auf die Karte
Doch am ersten Abend in Brackenheim geht es auch um die ganz grundsätzlichen Fragen. Warum denn der Klimawandel auf der Nordhalbkugel stärker zuschlage als auf der Südhalbkugel, fragt einer der Teilnehmer. Eine andere meldet sich, Annette Salles, und erklärt: Auf der Nordhalbkugel gebe es mehr Landmassen, die sich grundsätzlich schneller erwärmen als das Meer. Außerdem würden Wind- und Wasserströmungen die Wärme besser in Richtung Nordpol transportieren als in Richtung Südpol.
Salles ist zufälligerweise selbst Wissenschaftlerin. In diesen Tagen schließt sie ihre Masterarbeit am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven ab. Sie ist in die VHS gekommen, um Gleichgesinnte kennenzulernen. Außerdem könne sie sich vorstellen, sagt sie, selbst einmal einen solchen Kurs zu leiten. Ihr Anliegen ist, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Öffentlichkeit zu tragen.
Die Vor-Ort-Kurse werden ergänzt durch Online-Videos
Den Abend leitet Dietmar Bruder, ein ehemaliger IT-Manager, der sich für seinen vorzeitigen Ruhestand eine neue Aufgabe gesucht hat. Irgendwas im Bereich Umwelt hatte ihm vorgeschwebt, als er entdeckte, dass Leiter für die "klimafit!"-Kurse gesucht würden, die Moderationserfahrung mitbringen. Sein Vater war Landwirt, heute unterstützt er seinen Bruder bei der Umstellung ihrer zwölf Hektar umfassenden Äcker und Streuobstwiesen auf Bio-Anbau. "Als Landwirt sieht man früher, wie sich das Klima ändert", erzählt er. 2018 war es sehr trocken, auch 2019 reichte die Bodenfeuchte nur bis Ende Juli, um die Kartoffeln gut wachsen zu lassen. Vielleicht müsse man bald auf Sorten umstellen, die schneller reifen, um sie vor der Sommerhitze ernten zu können, sagt Bruder, der auch einen zweiten "klimafit!"-Kurs ein paar Kilometer entfernt, in der neuen Klima-Arena in Sinsheim leitet.
Die Idee für das ganze Projekt stammt aus Emmendingen bei Freiburg, wo vor Jahren ein erster Kurs dieser Art stattfand. Der WWF stieg 2016 in eine Kooperation ein, da er bereits eine Online-Vorlesung zum Klimawandel erarbeitet hatte. Darin präsentiert der Journalist und Tierfilmer Dirk Steffens Erklärvideos zahlreicher Wissenschaftler zu Ursachen und Folgen des Klimawandels. Einige dieser Videos werden auch im neuen VHS-Kurs gezeigt, zu dem noch ein 40-seitiges Handbuch erstellt worden ist, in dem die Teilnehmer die wichtigsten Inhalte nachlesen können.
Mit "Challenges" sollen die Kursteilnehmer auch selbst aktiv werden
Aus dem Kurs in Emmendingen entstand ein Stammtisch, auf dem Ideen für neue Projekte besprochen werden können. Schließlich sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ja zum Handeln motiviert werden. In Brackenheim ruft Dietmar Bruder das Publikum zu einer "Challenge" auf: Bis zum zweiten Kursabend sollen sie sich überlegen, welches persönliche Projekt sie angehen wollen – am besten gemeinsam mit Freunden, ihrer Familie oder ihren Kollegen.
Zweimal pro Woche eine Strecke von unter fünf Kilometern mit dem Fahrrad zu fahren statt, wie bisher, mit dem Auto, schlägt Bruder als eine Möglichkeit vor. Würden zehn Prozent der Deutschen mitmachen, könne man so viel CO2 einsparen, wie eine Stadt der Größe Fuldas verursacht. Und er legt noch eins drauf: Würden zehn Prozent der Deutschen ihren Fleischkonsum halbieren, entspräche das dem CO2-Ausstoß einer Stadt wie Bochum: vier Millionen Tonnen im Jahr.
In seiner Ausbildung zum "klimafit!"-Kursleiter habe er ebenfalls eine Challenge absolviert, erzählt Bruder, und er fahre nun viel mehr Fahrrad und esse mit seiner Frau öfter vegan. "Man muss sich halt etwas aussuchen, das einem Spaß macht", rät er. "Und am letzten Kursabend werden wir dann ausrechnen, wie viel CO2 wir eingespart haben."
Alexander Mäder