Angesichts des Klimawandels müsse man "das Undenkbare denken" – das hatte die US-amerikanische Klima- und Sozialwissenschaftlerin Susanne Moser in ihrem Vortrag bei der K3-Klimakonfernz Ende September in Salzburg gefordert. Und mahnend fügte sie hinzu: Entweder male man sich rechtzeitig aus, wie grundlegend anders Wirtschaft, Politik und Konsum sein könnten - oder man müsse sich später an eine dramatisch andere Welt anpassen.
Gleich nach ihrem Vortrag zu Beginn des zweiten Konferenztages probierten es drei Dutzend Teilnehmer der Tagung in einem Workshop aus: Hermann Ott vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie stellte ihnen eine knifflige Aufgabe: Sie sollten eine PR-Strategie entwickeln für ein fiktives Regierungsvorhaben, demzufolge künftig jeder Deutsche nur noch eine Flugreise pro Jahr unternehmen dürfe. "Schon darüber nachzudenken, ist schwer", gab Ott zu, "selbst innerhalb der grünen Jugend." Doch: "Die Grenzen unserer Vorstellungskraft sind die Grenzen dessen, was wir erreichen können."
Verbrauchern die Mühe des Nachdenkens und Entscheidens abnehmen
Der Flugverkehr ist eine harte Nuss: Er macht bereits zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus (seine Wirkung aufs Klima ist noch deutlich höher, weil die Abgase in hohen Luftschichten stärker wirken als am Boden). Und für die nächsten 20 Jahre wird eine Verdoppelung des Luftverkehrs erwartet - während laut Paris-Abkommen der weltweite Treibhausgas-Ausstoß drastisch sinken soll. Nicht nur auf der Tagung in Salzburg gilt deshalb als ausgemacht, dass die Welt um erhebliche Einschnitte in der Luftfahrt nicht herumkommen wird. Hinzu kommt eine Paradoxie: Gerade auch umweltbewusste Menschen steigen sehr häufig ins Flugzeug.
Die Idee einer Einschränkung von Flugreisen vertritt unter anderem Michael Kopatz in seinem Buch Ökoroutine. Der Sozialwissenschaftler vom Wuppertal-Institut diskutiert darin Vorschläge, wie man Verbrauchern die vielen Entscheidungen abnehmen kann, die er Tag für Tag treffen müsste, wenn er sich konsequent für umweltfreundliche Verhaltensweisen und Produkte entscheiden will. Ein Beispiel ist die Ökodesign-Richtlinie der Europäischen Union: Sie legt unter anderem fest, dass elektrische Geräte im Stand-by-Betrieb höchstens ein halbes Watt verbrauchen dürfen - die EU nimmt dadurch dem Einzelkunden ab, bei jedem Produkt den Stromverbrauch zu prüfen. In seinem Buch versammelt Kopatz zahlreiche weitere Ideen: Man könnte die Zahl der Starts und Landungen sowie die Passagierzahlen an jedem Flughafen auf das heutige Niveau festschreiben und Treibhausgase einsparen, indem Flugzeuge effizienter werden. "Fliegen ist ein Menschheitstraum, aber kein Menschenrecht", schreibt er. "Die Begrenzung auf den Ist-Zustand bedeutet noch keinen Verzicht." Dennoch hält selbst Kopatz seinen Vorschlag für "sehr ambitioniert, vielleicht sogar utopisch".
Die Kampagne für die Offenhaltung des Flughafens Tegel in Berlin setzte auf den Glauben an unbegrenztes Wachstum im Flugverkehr; Foto: Carel Mohn
Bei den Salzburger Teilnehmerinnen und Teilnehmern kamen natürlich als erstes Fragen auf: Zählt ein Flug nach Barcelona so viel wie einer nach Sydney? Dürfen Menschen in Notlagen oder Politiker mit wichtigem Auftrag zusätzliche Flüge in Anspruch nehmen? Gibt es technische Alternativen wie Kerosin aus Algen oder neue Transportmittel wie die Hyperloop-Röhren von Elon Musk?
Im Workshop sollten all diese Details außer acht bleiben, es sollte ja ein Planspiel sein. Hermann Ott machte nur zwei Vorgaben, damit sich die Diskussion nicht zu stark auf soziale Ungerechtigkeit konzentriert: Die Flugrechte sind nicht übertragbar, können also auch nicht verkauft werden, und sie verfallen nach einem Jahr. Wie ließe sich, so die Knobelaufgabe, für ein solches Modell werben? Kann man Geschäftsreisenden und Touristen schmackhaft machen, weniger zu fliegen? (Dass und wie man Themen grundsätzlich in einen neuen Kontext packen kann, war ein weiteres Thema auf der Salzburger Tagung.) Um die Spannung zu erhöhen, bekam ein Teil der Anwesenden die Aufgabe, eine PR-Strategie der Luftfahrbranche gegen den Vorschlag zu entwickeln.
Klasse statt Masse – wie man den Urlaub aufwerten könnte
In Kleingruppen tüftelten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dann - und präsentierten schließlich eine ganze Reihe von Pro-Ideen: Zunächst einmal müsste man ausrechnen (und das Ergebnis veröffentlichen), wie viel Zeit auf dienstlichen Flugreisen vergeudet werde – und was dies die Volkswirtschaft jährlich koste. Natürlich müssten alternative Reisemöglichkeiten besser werden, so solle man etwa die ICE-Verbindungen zwischen großen Städten ausbauen. Man könne die Steuerbefreiung für Kerosin abschaffen, so die Subventionierung des Flugverkehrs beenden - und mit den zusätzlichen Steuereinnahmen den Schienenverkehr verbessern. Oder allen Menschen, die auf ihr Flugrecht verzichten, eine BahnCard100 spendieren.
Am ausführlichsten befasste sich der Workshop mit Urlaubsreisen. Slogans wurden ersonnen, die an das Gerechtigkeitsgefühl appellieren: "One world – one flight" oder "Damit auch Ihre Kinder noch reisen können". Als Maskottchen kämen Zugvögel in Frage, die ja auch nur einmal im Jahr in ihr Winterquartier fliegen. Vor allem aber versuchten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer – wie es auch Psychologen auf der Tagung empfohlen hatten – positive Gefühle zu wecken. Man müsse den Menschen die Idee des „Slow Travel" nahebringen: "Nachtzug nach Lissabon statt One Night in Paris". Und man könne die Vorteile für die Gesundheit betonen: "Jetzt wieder verfügbar: frische Luft, blauer Himmel und eine geruhsame Nacht".
"Nachtzug nach Lissabon statt One Night in Paris"
Letztlich müsse es aber wohl darum gehen, Reisen von einem Alltagsprodukt wieder zu etwas Besonderem zu machen, zu einem Genuss. Der Staat könnte das Urlauben aufwerten, indem er Arbeitnehmern eine zusätzliche Urlaubswoche pro Jahr schenkt. Man solle das Heimatgefühl stärken, denn: „Das Gute liegt so nah". Die regionale Tourismuswirtschaft würde profitieren, und die Deutschen könnten sich als Pioniere fühlen, getreu dem Motto: "Wir gehen voraus – zu Haus".
Nicht viel schwerer fiel es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, sich eine Gegen-Kampagne der Luftfahrtindustrie auszumalen: Arbeitsplätze würden verlorengehen! Warum reglementiert man nicht auch andere Reisen, beispielsweise die Kreuzfahrten? Fachkräfte werden ins Ausland abwandern, wo sie weiterhin beruflich und privat fliegen dürfen! Vor allem, so das Workshop-Ergebnis, würden Anti-PR wohl an Werte appellieren: Flüge stünden für individuelle Freiheit und Weltoffenheit, und Slogans könnten lauten: "Fliegen verbindet" oder "Das lass ich mir nicht verbieten!"
Doch eine Teilnehmerin sagte ganz zum Schluss: "Nach der positiven Vision fand ich die Kritik gar nicht mehr ganz so stark."
Alexander Mäder