Wer zu viele Skrupel hat, fliegt raus. Zwei oder drei Mal geht das Spiel "Bad News" (zu deutsch: "Schlechte Nachrichten") beschwichtigend auf moralische Einwände ein, bevor es dem unverbesserlichen Gutmenschen mitteilt: "Game over". Man muss sich also auf die Aufgabe einlassen – und die Aufgabe lautet: die Welt mit erfundenen, aber maßgeschneiderten Nachrichten aus den Angeln heben.
Entwickelt hat das Spiel eine Gruppe von Wissenschaftlern und Journalisten aus ganz Europa, die sich "DROG" nennt und in Den Haag ihren Sitz hat. Sie möchte Menschen dafür sensibilisieren, warum und auf welchem Weg Falschinformationen in den sogenannten Sozialen Netzwerken verbreitet werden – und zwar spielerisch. "Die effektivste Methode, um Desinformation zu bekämpfen, ist, kritische und gut informierte Nachrichtenkonsumenten zu fördern", schreiben die Initiatoren in einem Begleitkommentar.
Emotionale und kontroverse Themen "laufen gut" auf Sozialen Netzwerken
Für das kleine Online-Spiel schlüpfen die User in die Rolle eines Produzenten von Desinformation, neudeutsch: Fake News. So sollen sie lernen, die Welt der echten und der manipulierten Nachrichten mit anderen Augen zu sehen. Das Spiel beginnt mit der Aufforderung, einen frustrierten Tweet abzusetzen und fragt, nachdem die positiven Reaktionen der ersten Follower hereinkommen, ob man einen falschen Twitter-Account für Donald Trump einrichten möchte? Das Foto ist echt und der Name des Accounts lautet: "45th Prësident of the Ünited States of Ameriça". Das fällt bestimmt niemandem auf…
So nimmt das Unheil seinen Lauf. Schon nach ein paar Schritten ist man im Geschäft und wird ermuntert weiterzumachen: "Vor einer Minute warst Du nur ein wütender Bürger, aber jetzt bist Du der große Chefredakteur einer aktuellen Nachrichtenseite." Die Aufgabe ist, möglichst viele Follower an sich zu binden – ohne seine "Glaubwürdigkeit" zu verlieren. Als Fake News-Produzent kann man nämlich auch Fehler machen, indem man auf die falschen Themen setzt. Dass Donald Trump Nordkorea den Krieg erklärt, klingt für viele plausibel. Dass Dinosaurier aus dem All die ägyptischen Pyramiden gebaut haben sollen, glauben einem hingegen nicht genügend Menschen.
Der Bildschirm des Bad-News-Game (noch in einer frühen Spielphase): Links die Zahl der Abonnenten, die man bereits gewonnen hat - rechts eine zynische Frage, in der die Funktionsweise von Desinformationskampagnen offengelegt wird: "Grundlegende Gefühle von Leuten auszunutzen, kann sehr effektiv sein. Wie willst Du das tun? 1. Wissenschaftler persönlich attackieren, 2. Gefühlig werden, 3. Über Wissenschaft reden"; Foto: Screenshot
Auch später bemüht sich das Spiel, den frisch gebackenen Chefredakteur in der erfolgreichen, also der unmoralischen Spur zu halten. Wenn man zwischen emotionalem und ernsthaftem Inhalt entscheiden soll und den ernsthaften wählt, wird man mit "Wie bitte? Nein!" ermahnt und darf noch einmal entscheiden: zwischen emotionalem Inhalt und emotionalem Inhalt. Was genau in den Artikeln steht, ist unerheblich und wird nicht weiter thematisiert – ohnehin lesen die meisten nur die Schlagzeile. Was vom Chefredakteur allerdings verlangt wird, ist, dass er seine Meinung geschmeidig den Erfordernissen anpasst: "Sie halten den Klimawandel für ein ernstes Problem? Wie langweilig! Das sagen doch schon alle anderen."
Wer auch nur ein paar Minuten spielt, lernt nach und nach das Besteck des professionellen Desinformanten kennen: Er befehligt eine Armee von Twitter-Bots, er stellt Fragen, die zwar jeder Grundlage entbehren, aber beim Publikum einen Nerv treffen ("Werden Augenzeugenberichte zurückgehalten? #InvestigateNow"), und schlägt im richtigen Moment zu und fordert den Rücktritt eines Verantwortlichen. Die Zahlen der Follower schießen in die Höhe.
Das Publikum durch Kenntnis von Desinformations-Strategien "impfen"
Mit ihrem Spiel setzen die Initiatoren auf innovative Weise eine Strategie um, die unter Sozialwissenschaftlern "Inoculation" genannt wird, zu deutsch "Impfung": Das Publikum wird – bevor es mit einer Falschmeldung in Kontakt kommt – über die Methoden von Desinformations-Kampagnen aufgeklärt. Dass diese Strategie wirken kann, hat im vergangenen Jahr ein Team um John Cook vom Center for Climate Change Communication an der George Mason University im US-Bundesstaat Virginia in einem Aufsatz gezeigt (Cook et al. 2017).
In einem Experiment stellten die Forscher ihren Versuchspersonen die sogenannte "Oregon-Petition" vor, in der angeblich 31.000 Wissenschaftler den vom Menschen verursachten Klimawandel bestreiten. Diese Desinformation (praktisch kein Unterzeichner der Petition ist tatsächlich Klimaexperte) erhöhte die Skepsis unter den Probanden: Sie schätzten den Konsens unter Klimaforschern als geringer ein und sahen den Menschen weniger stark in der Verantwortung. Das galt vor allem für die Verfechter einer freien Marktwirtschaft. Wurden die Probanden jedoch vorab am Beispiel der Tabakindustrie darüber aufgeklärt, dass man mit "falschen Experten" Stimmung machen kann, verpuffte die "Oregon-Petition". Auch andere Forscher (van der Linden et al. 2017) kamen bereits zu ähnlichen Ergebnissen.
Das Bad-News-Game ist nun der Versuch einer "Impfung", die sogar noch Spaß macht.
Alexander Mäder