Nach dem Corona-Lockdown erholt sich der Absatzmarkt für Pkw langsam wieder. "Im Juli war jedes vierte in China verkaufte Auto ein deutsches Fabrikat", erklärt Anja Kohl, eine der Moderator:innen der Sendung "Börse vor acht". Trotzdem würden die Aktien der Autobauer dem Dax weiter hinterherhinken.
Wer jetzt denkt "na und?", der besitzt vermutlich keine Anteilsscheine von Volkswagen, Daimler oder BMW. Und gehört damit zur übergroßen Mehrheit der Deutschen: Nicht einmal zwanzig Prozent der Bevölkerung über 14 Jahren besitzen derzeit Aktien oder Aktienfonds. Praktisch alle deutschen Haushalte jedoch finanzieren mit ihren Rundfunkgebühren die Sendung "Börse vor acht", die auf einem der prominentesten Sendeplätze ausgestrahlt wird, den die ARD zu bieten hat: direkt vor der Tagesschau.
Ein Crowdfunding erbrachte mehr als das Doppelte der avisierten Summe
Eine Gruppe von Klimaaktiven will jetzt Anja Kohl & Co. genau diesen Sendeplatz nun streitig machen: "Klima° vor acht" heißt die Initiative, die dafür ein sehr erfolgreiches Crowdfunding gestartet hat: Um selbst ein entsprechendes Fernsehformat zu entwickeln, wollte die Gruppe bis Ende September ursprünglich 20.000 Euro sammeln – bereits kurz vor Schluss der Frist waren schon mehr als 40.000 Euro zusammengekommen.
"Unser Ziel ist, die Medienlandschaft in Deutschland dazu zu bewegen, mehr und besser über die Klimakrise zu berichten", sagt Friederike Mayer, die Sprecherin der Initiative - und vor allem solle das Klima zu einem täglichen Thema werden. Natürlich gebe es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bereits heute durchaus gute Berichterstattung rund um die Erderhitzung, räumt sie ein. "Was aber fehlt, sind einfache, verständliche Formaten zur Primetime, die deutlich machen, was die Klimakrise für jeden Einzelnen bedeutet." Nur jeder sechste Deutsche besitze Aktien, betont Mayer: "Das Thema Erderwärmung jedoch betrifft alle. Und das merkt man der Berichterstattung nicht an."
"Klima° vor acht" ist nicht die einzige Initiative, die derzeit bessere Berichterstattung fordert: "Journalist:innen, nehmt die Klimakrise endlich ernst!", ist ein Offener Brief überschrieben, den kürzlich die Journalistin Sara Schurmann initiierte. "Die Coronakrise hat gezeigt, was für einen Unterschied ein schnelles und entschlossenes Handeln macht", schreibt Schurmann, die als Freie etwa für die Zeit oder den Tagesspiegel arbeitet. Zugleich sei während der Pandemie deutlich zu sehen, "was passiert, wenn man sich den wissenschaftlichen Erkenntnissen gegenüber verschließt und wie schnell eine Krise eskalieren kann, wenn man sie zu lange nicht ernstnimmt". Und anders als Covid-19 könne die Klimakrise nicht nur jede:n treffen, so der Offene Brief, "sie wird jede:n treffen".
Schumann kritisiert, dass zu wenige Journalisten, die über politische oder wirtschaftliche Vorgänge berichten, dabei auch auf die Auswirkungen auf das Klima hinweisen. "Viele Journalist:innen betonen zu Recht den Unterschied von Aktivismus und Journalismus. Aber die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels als vierte Gewalt zu kontrollieren, ist kein Aktivismus. Es ist wissenschaftlich, menschlich und journalistisch geboten", schreibt Schumann. Mehr als 50 Medienschaffende unterstützen sie mit ihrer Unterschrift. Und wäre es – nur mal ein Beispiel – tatsächlich bereits Aktivismus, wenn Anja Kohl während der eingangs erwähnten Börsensendung nüchtern angemerkt hätte, was die so genannte "Erholung des Automarktes" für den Ausstoß an Treibhausgasen bedeutet?
"Umweltjournalismus: Die Angst, alarmistisch zu klingen"
Bereits vor Jahresfrist hatte der Schweizer Journalist Christian Mihatsch im Basler Medienmagazin edito seine Kolleg:innen zu mehr Engagement aufgefordert. "Umweltjournalismus: Die Angst, alarmistisch zu klingen", war sein Beitrag überschrieben. "Es wird heute in der Schweiz definitiv mehr über Klimathemen berichtet", urteilt Mihatsch anderthalb Jahre später – allerdings liege das eher am Umfeld als an einer aktiven Debatte in den Redaktionen: "Wegen der Dürre in Deutschland und der Schweiz, den Rekordtemperaturen in der Arktis und apokalyptischen Brände wie in Kalifornien ist die Klimakrise schlicht viel präsenter."
"In Österreich läuft gerade ein Schwerpunkt auf allen Kanälen des Öffentlichen Rundfunk", sagt Hannes Höller, Sprecher des Klimabündnisses Österreich. Unter dem Motto "Unser Klima, unsere Zukunft – Wir haben es in der Hand" erscheinen mehr als 150 Beiträge in allen ORF-Kanälen, im Fernsehen, im Radio, online, in den Landesstudios und im ORF-Teletext. "Das Format läuft nicht zu ersten Mal, es deckt alles ziemlich gut ab", urteilt Höller. Österreichische Umweltverbände seien eingebunden worden, "die Berichterstattung geht bis auf die lokale Ebene und ist ziemlich motivierend".
Sitzblockaden vor Funkhäusern und Druckereien
Kann sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland davon etwas abgucken? Zumindest wächst der Druck aus der Klimaschutzbewegung. Im Juni hatten Aktive von "Extinction Rebellion" (XR) eine Zufahrt zum Norddeutschen Rundfunk in Hamburg besetzt, um mehr mediale Aufmerksamkeit für die Erderwärmung zu fordern. In Großbritannien hatte Anfang September der dortige Zweig von XR in einer hoch umstrittenen Aktion Druckereien des Murdoch-Konzerns blockiert, um gegen die Klimaberichterstattung etwa der Sun oder der Times zu protestieren.
Zu den Forderungen von "Klima° vor acht" erklärte die ARD-Programmdirektion auf Nachfrage: Die jetzige Börsensendung kurz vor acht befasse sich bereits jetzt regelmäßig auch mit Zusammenhängen zwischen Ökonomie und Ökologie. Eine Sprecherin verwies auf die ARD-Themenwoche "#Wieleben – Bleibt alles anders" im November, "in der die Redaktion die Themen Klima und Nachhaltigkeit behandeln wird".
Der Initiative "Klima° vor acht" genügt das bei weitem nicht. Sie will nun eine sechs Teile umfassende Testreihe der möglichen Sendung produzieren, wie sie sie sich vorstellen. "Ein Produktionsstudio haben wir bereits gefunden, bis Ende des Jahres soll die Serie fertig sein", sagt Sprecherin Friederike Mayer. "Wir holen uns fachliche Expertise von Fernseh-Experten ein", sagt Mayer, die selbst als Lektorin arbeitet. Kontakt zur ARD habe es bisher aber noch nicht gegeben. Und die Gruppe glaubt auch nicht, dass die sechs Folgen tatsächlich in der ARD ausgestrahlt werden. Aber darum gehe es auch nicht, so Mayer: "Wir wollen zeigen, was gute Klimaberichterstattung ist – und dass es geht." Zu sehen sein werde das Ergebnis auf YouTube.
Nick Reimer