Stellen Sie sich vor, demnächst würde ein internationaler Forschungsbericht veröffentlicht, der den aktuellen wissenschaftlichen Sachstand zu den Gesundheitsrisiken des Rauchens und zur Prävention von Suchtgefahren zusammenfassen soll. Würden Sie von dieser Veröffentlichung einen Schub für den Nichtraucherschutz erwarten?
Vermutlich eher nicht. Die Gefahren des Rauchens sind seit Jahren und Jahrzehnten bekannt. Neue Fakten, oder vielmehr die Bestätigung seit langem bekannter Zusammenhänge zwischen Rauchen und Krebserkrankungen, dürften kaum zu einer zusätzlichen Mobilisierung für Gesundheitsschutz führen.
Beim Umstieg auf fleischlose oder zumindest fleischarme Ernährung - werden da kühle, wissenschaftliche Fakten den Ausschlag geben? Braucht es dafür weitere Studien und Forschungsreports? Oder vielleicht doch vor allem etwas anderes? Foto: Wikimedia Commons/Zeetz
Nimmt man dieses – fiktive – Beispiel zum Maßstab, so überrascht, welche hohen Erwartungen mit der jüngst erfolgten Veröffentlichung des Sechsten Sachstandsberichts (AR6) des Weltklimarats IPCC verbunden waren. In der Klimaschutz-Community haben wir uns lange und gründlich auf diesen gemeinhin als Weltklimabericht bezeichneten Report vorbereitet. Verbunden damit war wohl die Hoffnung oder Erwartung, der Bericht könne dem Klimaschutz so etwas wie einen Booster an öffentlicher Aufmerksamkeit und politischer Beachtung geben.
Kein Wumms, kein Wirbel, kein politischer Diskurs
Diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Tatsächlich sorgte der IPCC-Bericht kaum für Medien-Schlagzeilen und eine intensive politische Debatte löste er schon gleich gar nicht aus. Diese Nicht-Aufmerksamkeit ist auch einigen Klimaschutz-Aktiven aufgefallen, viele reagierten bestürzt bis empört. Diese Enttäuschung, über die geringe Resonanz auf den IPCC-Bericht gibt mir zu denken.
Oberflächlich betrachtet war für das Ausbleiben eines kommunikativen Wirbels rund um den Weltklimabericht der Krieg gegen die Ukraine verantwortlich, der just zum Erscheinen von Band 2 Ende Februar die öffentliche Aufmerksamkeit geradezu aufsog. Besteht also Anlass besorgt zu sein, dass der seit Jahren wichtigste Zustandsbericht zum Stand des Klimawandels und zu den Handlungsoptionen im Klimaschutz medialer Missachtung anheimfällt – und vom Kriegsgeschehen verdrängt wird?
"Der Report ist ein extrem wertvolles Dokument, weil er das Weltwissen zum Klimawandel bündelt. Aber die Wissenschaft wird nicht den gesellschaftlichen Willen zur Klimawende produzieren"
Ich denke nein. Zum einen, weil der neue Weltklimabericht kaum Aussagen über die Gefährlichkeit des Klimawandels enthält, die nicht seit langem bekannt wären. Auch die im IPCC-Report analysierten Maßnahmen für den Klimaschutz werden hierzulande seit Jahr und Tag diskutiert und teils auch bereits umgesetzt, wenn auch in viel zu beschränktem Maße und in einem indiskutabel langsamen Tempo. Um es überspitzt zu formulieren: Der IPCC-Bericht ist ein extrem wertvolles Dokument, weil er das Weltwissen in Sachen Klimawandel auf den Punkt bringt. Damit bietet er einen höchst verlässlichen Maßstab für jegliches Handeln.
Doch weniger geeignet ist er, die in Deutschland dringend notwendige Debatte über eine beschleunigte Transformation substanziell voranzubringen. Tatsächlich sind beachtliche Teile der Gesellschaft schon viel bereiter zum Handeln, als das von der Klimaschutz-Community gelegentlich wahrgenommen wird. Das Problem liegt also weniger im Wachrütteln. Stattdessen geht es um Debatten und Vorschläge, wie sich Klimaschutz schneller umsetzen lässt.
Der Optimismus der Klima-Community ist bisweilen besorgniserregend
Kann man den IPCC-Bericht 2022 also einfach abhaken? Nun, was mich besorgt, ist der Optimismus, um nicht zu sagen: die Gutgläubigkeit, mit der weite Teile der um Klimaschutz besorgten Öffentlichkeit weiterhin darauf setzen, ein Dokument wie der jahrelang erwartete IPCC-Bericht könne den weniger um Klimaschutz besorgten Teil der Öffentlichkeit ins Handeln bringen.
Genau dies wird nicht geschehen. Die Wissenschaft wird uns hier nicht retten und auch nicht den gesellschaftlichen Willen „produzieren“ können, schnellstmöglich aus Kohle, Öl und Gas auszusteigen oder eine Landwirtschaft zu beenden, die Biodiversität killt und den Klimawandel antreibt. Diese Aufgabe wird uns kein IPCC-Bericht abnehmen können und sie lässt sich auch nicht klinisch und sauber an die Forschung delegieren, der wir dann im Sinne von „follow the science“ einfach folgen müssten.
Statt klinisch und sauber wird es kontrovers und haarig werden in den klimapolitischen Debatten, die wir führen müssen – „haarig“ jedenfalls in dem Sinne, dass diejenigen, die sich dem Klimaschutz aus welchen Gründen auch immer verweigern oder entgegenstellen, auch durch eine wissenschaftlich noch so saubere Argumentation kaum zu erreichen sein werden.
"Die anstehenden Debatten werden kontrovers und haarig. Und jene, die sich dem Klimaschutz entgegenstellen, werden wir auch durch wissenschaftlich noch so saubere Argumentationen kaum erreichen"
Und doch ist es ja möglich, diejenigen zu erreichen, die sich mit harten Fakten und rationalen Argumenten nicht erreichen lassen. Dabei geht es weniger um ein Überzeugen als darum, das Gegenüber für etwas zu gewinnen. Oder haben wir es nicht hierzulande erlebt, dass beispielsweise manch eine:r, die/der gestern noch die Kohle für unverzichtbar erklärte, inzwischen zu einem überzeugten Verfechter erneuerbarer Energien geworden ist? Und haben wir nicht erfahren, dass in einem Land, in dem gestern noch Wahlchancen mit der Aufregung über einen „Veggie Day“ zerstört wurden, heute landauf, landab Speisekarten und Einkaufszettel neu geschrieben werden? Beim Ingangsetzen gesellschaftlichen Wandels sind weniger wissenschaftliche Fakten als sich verändernde gesellschaftliche Normen entscheidend. Oder ein Wertewandel – also ein veränderter Blick auf das, was uns wirklich etwas „wert“ ist.
Im Ringen mit denjenigen, die beim Klimaschutz bremsen oder zögern, sind wir in den vergangenen zehn Jahren einen großen Schritt weitergekommen. Auf die Frage „Müssen wir beim Klimaschutz schnell handeln?“ lautete die Antwort einstmals „Nein“. Auch dank einer hoch robusten Wissenschaft und dank engagerter Wissenschaftler*innen sind wir inzwischen bei einem „Ja, aber“ angekommen.
Jetzt ist es an der Zeit, dass wir uns dem „Aber“ widmen.
Der Beitrag erschien zuerst im AufRuhr-Magazin der Stiftung Mercator,
einem der Hauptförderer von klimafakten.de