Das wohl populärste Thema der vergangenen Jahre rund um die Klimaforschung war der sogenannte "hiatus", also eine angebliche "Pause" bei der Erderhitzung seit 1998. Dass es sich dabei um ein Scheinthema handelte, haben Wissenschaftler schon seit längerem bemängelt - eine Übersichtsstudie in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals Nature bestärkt dies erneut. Den vermeintlichen Stopp des Klimawandels habe es nie gegeben, so das Fazit des Forscherteams um Iselin Medhaug von der ETH Zürich - doch aus der öffentlichen Kontroverse um das Thema könne man "einige Lektionen lernen".
Nun ist der Mythos eines verlangsamten oder gar gestoppten Klimawandels inzwischen aus den öffentlichen Debatten fast verschwunden. Dass mit 2014, 2015 und 2016 in gleich drei Jahren nacheinander neue Temperaturrekorde auftraten, hat die von vielen Leugnern des Klimawandels verbreitete Behauptung ad absurdum geführt. Doch unbestritten ist, dass zwischen 1998 und 2013 die Datensätze zur Temperatur an der Erdoberfläche einen Anstieg zeigten, der unter jenem der Vorjahre lag - und auch niedriger ausfiel, als gemäß der meisten Klimamodellen erwartet wurde.
Phasen mit langsamerer Erhitzung sind eigentlich nichts Ungewöhnliches
Nun sind Schwankungen im Klimasystem eigentlich überhaupt nichts Ungewöhnliches. Temperaturunterschiede zwischen einzelnen Jahren oder auch mehrjährige Phasen mit höheren oder niedrigeren Temperaturen sind Teil der natürlichen Klimavariabilität. Drei Autoren aus Deutschland und den USA um den Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf zeigten kürzlich in den Environmental Research Letters, dass auch die 15-jährige Phase ab 1998 mit ihrer relativ niedrigen Erwärmungsrate nicht ungewöhnlich war. Um gesicherte Aussagen über das Klima zu treffen, werden deshalb in der Forschung üblicherweise mindestens 30-jährige Perioden betrachtet.
Doch die Debatte um den "hiatus", erinnert der aktuelle Nature-Aufsatz, startete in einer politisch brisanten Zeit: 2009 sollte ja auf dem UN-Gipfel in Kopenhagen ein weitreichender Klimavertrag geschlossen werden. Zudem hatten kurz zuvor Falschbehauptungen über angebliche Betrügereien von Klimaforschern ("Climategate") ein großes Medienecho gefunden. Die These von einem Stopp der Erderwärmung nach 1998 wurde in zahlreichen konservativen Medien und Blogs vertreten, später auch breiter aufgegriffen. "Wissenschaftler hatten das Gefühl, sie müssten auf öffentliches Misstrauen antworten", schreibt das Schweizer Autorenteam rückblickend.
Entwicklung des Interesses an der vermeintlichen "Erwärmungspause": Die rote und blaue Kurve zeigen die Häufigkeit von Google-Suchanfragen zum Thema, die grauen Balken die Zahl der im jeweiligen Jahr erschienenen, begutachteten Fachveröffentlichungen; Quelle: Medhaug et al. 2017
Was die Gründe für das geringere Erwärmungstempo sein könnten, ob die Klimamodelle Fehler enthielten, wo im Klimasystem denn die "fehlende Wärme" abgeblieben sei - Fragen wie diese wurden deshalb in den folgenden Jahren von der Forschergemeinde intensiv untersucht. Hunderte Publikationen erschienen. Aufsätze zum Thema schafften es in renommierte Journale, selbst wenn ihr Erkenntniswert begrenzt war. Auch der Fünfte Weltklimabericht des IPCC 2013/14 widmete sich dem Thema ausführlich. Auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des naturwissenschaftlichen Bandes gab es zu keinem Thema so viele Fragen wie zum "hiatus". Das Ganze, so der Nature-Aufsatz, war "nicht nur ein wissenschaftlich getriebenes Forschungsthema, sondern auch ein öffentlich getriebenes".
Die Debatte um den "hiatus" war stark von der Öffentlichkeit getrieben
Die Schweizer Autoren haben nun fast 180 Studien zum "hiatus" ausgewertet, die zwischen 2007 und 2016 erschienen. Mit etwas Abstand, vor allem aber mit den inzwischen längeren und verfeinerten Datenreihen betrachten sie die vorgeschlagenen Erklärungen für die vermeintliche Erwärmungspause noch einmal gründlich. Widersprüche zwischen Forschungsarbeiten - manche hatten konstatiert, es gebe keine Erwärmungspause, andere hatten ihre Existenz bestätigt - klärten sich schlicht dadurch auf, dass sie den "hiatus" unterschiedlich definiert hatten, zum Beispiel verschiedene Zeiträume betrachteten. Abweichungen zwischen den real gemessenen Temperaturen und den Ergebnissen von Klimamodellen gingen auch darauf zurück, dass letztere nur die Lufttemperaturen berücksichtigten, in erstere aber auch Messungen der Meeresoberflächentemperaturen einflossen.
Das Ergebnis der Meta-Studie lässt sich salopp so zusammenfassen: Wenn man "hiatus" eng definiert, dann gab es tatsächlich einen - und er hatte viele kleine Ursachen. Von 1998 bis 2013 hat sich die Lufttemperatur der Erde wohl tatsächlich etwas langsamer erwärmt als vorher und nachher - aber dies gilt nur für die Luft, nicht für das gesamte Klimasystem. Im gleichen Zeitraum floss erheblich mehr Wärme in die Ozeane. Auch gab es tatsächlich etwas weniger Sonneneinstrahlung und eine leichte Verdunkelung der Atmosphäre durch vermehrte Aerosol-Partikelchen in der Luft. Zudem hätten Lücken im Messnetz den "hiatus" größer erscheinen lassen, als er tatsächlich war: In einigen Datenreihen war die Arktis nur mit wenigen Messpunkten vertreten - doch ist just sie ein Gebiet, in dem die Erwärmung besonders rasant verläuft.
Die Summe dieser Einflüsse könne die vorübergehende Verlangsamung der Erwärmungsrate erklären, so das Fazit des Nature-Aufsatzes. Berücksichtige man alle Faktoren, so ergebe sich auch "eine exzellente Übereinstimmung zwischen Messungen und Klimamodellen". Vor ein paar Wochen hatte ein Team des Hamburger Max-Planck-Instituts in Nature Climate Change bereits darauf hingewiesen, dass eine vorübergehende Verlangsamung der Atmosphärenerwärmung bereits durch so kleine Veränderungen im Klimasystem entstanden sein kann, dass man den exakten Auslöser des "hiatus" möglicherweise niemals finden wird. Die viele Aufregung um den entpuppt sich also im Rückblick als wenig substanziell.
"Vorsicht bei Begriffen, die von Klimawandelleugnern gepusht werden"
Was lässt sich nun aus der gesamten Debatte lernen? "Wissenschaft benötigt Zeit zum Analysieren, zum Testen von Hypthesen, zum Veröffentlichen von Ergebnissen", so das Resümee der Schweizer Autoren des aktuellen Nature-Artikels. "Sich an hektischer Kommunikation [in den Medien] zu beteiligen, ist für Forscher schwierig." Sie haben es nicht geschafft, sich dagegen zu wehren, dass "Medien und Politiker den scheinbaren Mangel an Erwärmung zum Herunterspielen des Klimawandels nutzten".
Der größte Fehler der Wissenschaft sei es gewesen, schreiben die beiden australischen Klimaforscher James Risbey und Stephan Lewandowsky in einem begleitenden Kommentar ebenfalls in Nature, dass man keine einheitliche Definition des "hiatus" verwendet habe. Zudem hätten sich die Klimawissenschaften durch öffentlichen Druck auf ein Gebiet drängen lassen, für das sie nicht gut gerüstet waren: Für Aussagen zu kurzen Zeitspannen sind die üblichen Instrumente der Klimatologie schlicht nicht geeignet. Allerdings hat man sich nicht getraut, dies der Öffentlichkeit auch klar zu sagen.
Im Guardian kommentierte der Potsdamer Forscher Stefan Rahmstorf: "Die wichtigste Lehre für Forscher, Medien und Öffentlichkeit ist nach meiner Ansicht, dass sie höchst vorsichtig sein sollten mit Begriffen und Erzählungen, die von sogenannten 'Klimaskeptikern' gepusht werden." Rahmstorf weist auch auf eine "interessante Doppelmoral" hin, wenn es um völlig übliche Klimaschwankungen geht: Zufällig habe er 2007 in einem Aufsatz im Fachmagazin Science darauf hingewiesen, dass in den 16 Jahre zuvor die Erwärmung außergewöhnlich stark ausgefallen war, stärker als in vielen Klimamodellen berechnet. "Doch das interessierte niemanden, weil es keine machtvolle Lobby gibt, die den Klimawandel hochzuspielen versucht." Als jedoch in den Folgejahren der Erwärmungstrend vorübergehend ans untere Ende des Erwartbaren rutschte, "wurde das plötzlich ein großes Thema der öffentlichen Debatte - getrieben von der Lobby der fossilen Energien".
Toralf Staud
Hinweis der Redaktion: Der im Text zitierte Stefan Rahmstorf
ist auch Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von klimafakten.de