Angelika Humbert
ist Professorin an der Universität Bremen und forscht am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung über Eisschilde.
1. Wozu braucht es für die klimapolitische Debatte eigentlich noch einen weiteren IPCC-Report?
Es braucht keine weiteren Fakten, um mit dem Handeln zu beginnen – das nötige Handlungswissen ist schon lange da. Es braucht aber diesen und weitere IPCC-Reports, um den aktuellen Kenntnisstand etwa über die Kryosphäre bekanntzumachen, etwa die zu erwartende Entwicklung der Eisschilde, Gletscher und Schelfeise unter verschiedenen Emissionsszenarien.
2. Wenn Sie sich die Medienberichte und politischen Debatten nach Erscheinen des AR6 vorstellen: Was erwarten Sie, über welche Frage wird dann ZU WENIG diskutiert werden?
Ganz spontan: Warum nach so vielen Jahren die Politik noch immer nicht handelt.
In meinem Fachbereich: über die Instabilität von Eisschilden. Heute ist etwa die Westantarktis noch stabil – aber das kann sich schnell ändern. Wie stellen wir sicher, dass wir darauf vorbereitet sind? Oder Grönland: Das Schmelzen an der Gletscheroberfläche ist an den Rändern des Eisschildes extrem. Aber im medialen Bild schmilzt das Eis immer. Ich fürchte, das Thema ist ‚ausgelutscht‘, und man kann es deshalb nicht mehr in der nötigen Bedeutung diskutieren.
3. Und worüber ist bereits VIEL ZU VIEL geredet worden?
Eisberge. Jeder einzelne Eisberg kommt groß in die Medien, obwohl deren Abbrechen vom Eisschelf ein natürlicher Prozess ist.
4. Welche verbreiteten Fehleinschätzungen zu Klimapolitik oder -forschung sehen Sie, die uns davon abhalten, das Richtige fürs Klima zu tun?
Das ist schwierig, da muss ich etwas ausholen: Klimaforschung befasst sich ja mit einem extrem komplexen System. Allein so ein Eisschild ist extrem komplex; wenn ich mich mit Forschungspartnern etwa aus den Ingenieurwissenschaften unterhalte, dann wollen die alles immer linearisieren, vereinfachen und kriegen die Panik, wenn sie erkennen, wie komplex dieses System ist. Dass diese Komplexität und damit ein Handeln unter Unsicherheit uns beim Klima immer begleiten wird, das geht in der Debatte unter. Deshalb scheinen alle zu glauben, die Forschung komme in fünf Jahren mit perfekten Simulationen um die Ecke – und bis dahin muss man noch nichts unternehmen. Das ist meines Erachtens die Fehleinschätzung, die am meisten blockiert.
5. Wenn Sie sich etwas wünschen dürften vom IPCC, was wäre das?
Dass er klar kommuniziert.
6. Wie bewerten Sie die Erreichbarkeit des 1,5-Grad-Limits?
Machbar. Aber mein Vertrauen darin, dass die Gesellschaft sich bewegt, geht gegen null.
Gernot Klepper
ist Ökonom am Institut für Weltwirtschaft in Kiel, wo er für viele Jahre Leiter des Forschungszentrums zu Globalen Gemeingütern und Klimawandel war.
1. Wozu braucht es für die klimapolitische Debatte eigentlich noch einen weiteren IPCC-Report?
Eigentlich nur für ein Update der neusten Einsichten; die grundsätzlichen naturwissenschaftlichen Fragen zur Existenz des Klimawandels sind geklärt. Für konkrete Folgen des Klimawandels müssten regionale Reports erstellt werden.
2. Wenn Sie sich die Medienberichte und politischen Debatten nach Erscheinen des AR6 vorstellen: Was erwarten Sie, über welche Frage wird dann ZU WENIG diskutiert werden?
Die strukturellen Fragen des gesellschaftlichen Wandels und die machtpolitische Dimension globaler Klimapolitik.
3. Und worüber ist bereits VIEL ZU VIEL geredet worden?
Da wage ich keine Prognose.
4. Welche verbreiteten Fehleinschätzungen zu Klimapolitik oder -forschung sehen Sie, die uns davon abhalten, das Richtige fürs Klima zu tun?
Die Hoffnung, Regierungen wäre der Treiber von Klimaschutz. Und die Vorstellung, dass Unternehmen generell gegen klimapolitische Maßnahmen eingestellt seien.
5. Wenn Sie sich etwas wünschen dürften vom IPCC, was wäre das?
Dass er aus dem politischen Korsett der UN herausgenommen wird.
6. Wie bewerten Sie die Erreichbarkeit des 1,5-Grad-Limits?
Technisch und ökonomisch möglich, politisch höchst unwahrscheinlich.
Wolfgang Cramer
ist Professor und Forschungsdirektor am Mediterranean Institute for arine and errestrial Biodiversity and Ecology (IMBE) im südfranzösischen Aix-en-Provence.
1. Wozu braucht es für die klimapolitische Debatte eigentlich noch einen weiteren IPCC-Report?
Der nächste IPCC-Report hat vor allem die Ambition, dem unter hohem Zeitdruck erstellten "1,5-Grad-Bericht" von 2018 eine genauere Analyse der Klimaentwicklung angesichts der Ziele des Pariser Abkommens an die Seite zu stellen. Das wurde auch deshalb notwendig, weil die Klima- und Klimafolgenforschung nach 2015 viel stärker als vorher untersucht hat, wieviel eine ambitionierte Politik an Schäden vermeiden könnte (Spoiler: eine ganze Menge, aber immer noch zu wenig, denn selbst bei einer Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad werden immer noch Millionen von Menschen schwer getroffen werden). Insbesondere wird sich der neue Bericht stärker als bisher mit den regionalen Änderungen überall auf dem Planeten befassen – diese Forderung war auch immer schon konkret an den IPCC gestellt worden.
2. Wenn Sie sich die Medienberichte und politischen Debatten nach Erscheinen des AR6 vorstellen: Was erwarten Sie, über welche Frage wird dann ZU WENIG diskutiert werden?
Dazu habe ich keine vorgefasste Meinung und möchte die Diskussion abwarten. Es wird aber vermittelt werden müssen, dass es sich bei diesem Bericht um den der Arbeitsgruppe 1 handelt, also derjenigen, die sich konkret mit der Physik des Klimasystems befasst. Sicherlich werden viele Fragen zu Klimawirkungen und notwendigen Politikänderungen gestellt werden – aber die lassen sich erst nach Erscheinen der Berichtsbände aus den Arbeitsgruppen 2 und 3 [Anfang 2022] aktualisiert diskutieren.
3. Und worüber ist bereits VIEL ZU VIEL geredet worden?
In den vergangenen Monaten wurde sehr viel über COVID-19, Klimawandel und den Verlust an Biodiversität gesprochen. Es gibt natürlich Zusammenhänge, insbesondere die gemeinsamen Ursachen, die letztlich mit dem globalisierten Raubbau an unseren natürlichen Ressourcen zu tun haben. Oder auch bei den Konsequenzen, etwa den kurzzeitigen Rückgang der Emissionen aufgrund der Lockdowns. Aber so, wie die Diskussion geführt wurde, wird sie wohl auch wieder von der Tagesordnung verschwinden; und ein tatsächliches Umsteuern in unserem primär auf Verbrauch und Zerstörung aufgebauten Wirtschaftssystem wird erneut als eine extremistische Position gesehen werden.
4. Welche verbreiteten Fehleinschätzungen zu Klimapolitik oder -forschung sehen Sie, die uns davon abhalten, das Richtige fürs Klima zu tun?
Was die Klimapolitik angeht, wird immer noch die Vorstellung propagiert, man könne mit gigantischem Technologieaufwand und ohne den Rückbau struktureller Absurditäten wie unserem auf Auto und Flugzeug aufgebauten Verkehrssystem eine Situation erreichen, die für die nachfolgenden Generationen einen akzeptablen Lebensstandard mit vergleichbaren Chancen für alle in Aussicht stellt. Es gibt nicht die Spur einer wissenschaftlichen Erkenntnis, die diese Vorstellung stützt.
Es gäbe stattdessen durchaus Wege, die globalen Treibhausgasemissionen vor allem durch Vermeidung von unnötigem Energieverbrauch, unterstützt (aber nicht ersetzbar) durch die vollständige Dekarbonisierung aller Systeme, zu reduzieren und dabei ein akzeptables Wohlstandsniveau für alle anzustreben. Dass dieses Niveau nicht dem entspricht, welches ich selbst und wir alle in gutsituierten europäischen oder amerikanischen Haushalten während der letzten Jahrzehnte gelebt haben, das werden wir früher oder später verstehen und akzeptieren müssen. Ein Elektro-SUV vor jeder Haustür in deutschen Vorortstraßen ist eben keine Antwort auf die Verkehrsprobleme und die Luftverschmutzung in Bangkok oder Manila, sondern erhöht weiter den Verbrauch von Ressourcen ohne wirkliche Chancengleichheit.
5. Wenn Sie sich etwas wünschen dürften vom IPCC, was wäre das?
Der IPCC wird sich noch stärker als bisher auf die Synthese von natur- und sozialwissenschaftlicher Forschung zum Klimawandel orientieren müssen.
6. Wie bewerten Sie die Erreichbarkeit des 1,5-Grad-Limits?
Ich habe lange dafür plädiert, den Unterzeichnern des Pariser Abkommens den guten Willen zu unterstellen, dieses Ziel zu erreichen. Dabei war auch mir klar, dass die Fakten seit mehr als zwanzig Jahren auf dem Tisch liegen und eine ernsthafte Klimapolitik etwa zur Jahrtausendwende viel weniger schwierig gewesen wäre als heute. Und natürlich ist das 1,5-Grad-Ziel weiterhin physikalisch-theoretisch erreichbar, wenn es wirklich drastische Emissionsminderungen gäbe.
Die praktische Politik aber macht mir deutlich, dass das Pariser Abkommen für die heute politisch Verantwortlichen längst tot ist. Einige sagen, jetzt müssten Kompromisse gemacht werden – dabei war das Pariser Abkommen bereits ein Kompromiss. Aus diesem Blickwinkel müssen wir uns leider eingestehen, dass das 1,5-Grad-Limit längst ad acta gelegt worden ist, mit erheblichen Folgen für unsere Kinder und Enkel.
Eva Horn
ist Germanistik-Professorin an der Universität Wien und forscht am Schnittpunkt von Kultur, Kommunikation und Klimawandel.
1. Wozu braucht es für die klimapolitische Debatte eigentlich noch einen weiteren IPCC-Report?
Die Situation ändert sich, die Methoden ändern sich, und es ist sozusagen „lebenswichtig“, die aktuelle Veränderung des Klimas zu beobachten und dieses Wissen gebündelt vorzulegen.
2. Wenn Sie sich die Medienberichte und politischen Debatten nach Erscheinen des AR6 vorstellen: Was erwarten Sie, über welche Frage wird dann ZU WENIG diskutiert werden?
CO2-Steuern. Und über all die anderen ökologischen Probleme, die nichts mit dem Klima zu tun haben.
3. Und worüber ist bereits VIEL ZU VIEL geredet worden?
Elektro-Mobilität als vermeintliche „Lösung“.
4. Welche verbreiteten Fehleinschätzungen zu Klimapolitik oder -forschung sehen Sie, die uns davon abhalten, das Richtige fürs Klima zu tun?
Dass es um eine Emissionsgerechtigkeit gehe („die USA und China emittieren doch viel mehr als wir“ oder aber auch: „die unterentwickelten Länder müssen jetzt aufholen dürfen“ etc.)
5. Wenn Sie sich etwas wünschen dürften vom IPCC, was wäre das?
Besser kommunizieren. Von Greta Thunberg lernen: einfach, klar und hochemotional.
6. Wie bewerten Sie die Erreichbarkeit des 1,5-Grad-Limits?
Ich bin da pessimistisch. Aber 1,5 Grad sind auch nicht der Punkt. So wenig wie möglich ist der Punkt!
Antworten weiterer Wissenschaftler:innen auf unseren Fragebogen finden Sie hier