Soziale Normen sind grundlegend für das menschliche Zusammenleben. In ihnen zeigt sich, was in Gesellschaften für gut und schlecht gehalten wird, was "sich gehört", was man von anderen erwarten kann (und was man glaubt, was von einem selbst erwartet wird). Soziale Normen haben deutlichen Einfluss auch darauf, wie Menschen in Sachen Umwelt- und Klimaschutz handeln. So zeigten die US-amerikanischen Verhaltensforscher Noah Goldstein, Robert Cialdini und Vladas Griskevicius 2008 in einer längst zum Klassiker gewordenen Studie, dass Hotelgäste weniger Handtücher waschen lassen, wenn man ihnen sagt, andere Gäste seien ebenfalls sparsam.
Doch viele traditionelle Konventionen, etwa zum Konsumverhalten oder zur Autonutzung, wirken heute eher umweltschädlich. Der kanadische Umweltpsychologe Robert Gifford bezeichnete soziale 2011 Normen in einem vielzitierten Aufsatz als einen von sieben "Drachen der Untätigkeit", die Menschen von klimaschonendem Handeln abhalten. Nun zeigt eine Studie in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals Global Environmental Change, dass es tatsächlich (noch) keine soziale Norm ist, sich um das Klima zu sorgen.
Während man sich beliebt macht, wenn man Rassisten widerspricht ...
Ein Forscherteam um die Psychologin Katherine Steentjes von der britischen Cardiff University untersuchte dazu die Reaktionen von 71 Testpersonen auf eine fiktive Situation. Den Probanden, allesamt Studenten, wurde eine Geschichte vorgelesen: Gemeinsam mit drei Kommilitonen feiern sie in einer Bar den Abschluss eines größeren Projekts. Und wie sie so beim Bier plaudern, sagt einer von ihnen: "Also, ich schere mich kein bisschen um den Klimawandel. Um ehrlich zu sein, ich verhalte mich absichtlich klimaschädlich, so oft es nur geht." Der Fortgang der Geschichte wurde dann variiert: Einige Testpersonen bekamen erzählt, ein anderer Student habe diese Aussage klar, aber freundlich zurückgewiesen. Eine zweite Gruppe jedoch wurde gesagt, der andere Student habe interessiert nachgefragt und so das Gespräch normal fortgesetzt.
Mit dieser Versuchsanordnung brachte das Autorenteam zwei soziale Normen in Konflikt: das Gebot, den Schutz des Klimas für gut und wichtig zu halten gegen das Gebot, oberflächlichen Bekannten im Smalltalk eher nicht direkt zu widersprechen. Zu Vergleichszwecken wurde anderen Probanden eine veränderte Variante der Begebenheit vorgelesen: Hier machte Student 1 nicht den Klimaschutz verächtlich, sondern entpuppte sich als Rassist ("... ich behandle Migranten mit Absicht so unverschämt wie möglich"). Student 2 äußerte sich wiederum mal empört, mal interessiert nachfragend.
... wird ein konfrontatives Eintreten für Klimaschutz nicht geschätzt
Nach den Vorlesen der jeweiligen Szenarien wurden die Testpersonen sodann befragt, was sie über Student 2 denken: Ob sie zum Beispiel mit ihm ein neues Projekt beginnen würden, ob sie künftig eher weniger Zeit mit ihm verbringen wollen und so weiter. Die Ergebnisse waren eindeutig: Wenn Student 2 einem Rassisten widersprochen hatte, wurde er positiv gesehen. Trat er hingegen einem Klimaschutzverächter entgegen, machte er sich unbeliebt.
In einem zweiten Experiment verschärften die Forscher ihre Versuchsanordnung: Student 2 widersprach nun Student 1 nicht nur höflich, sondern unterbrach ihn rüde. Wenn Student 2 dies bei einem Rassisten tat, machte er sich bei den Probanden sogar noch etwas beliebter. Tat er dasselbe jedoch bei einem Gespräch über Klimaschutz, wurde er deutlich negativer gesehen als bei der sachten Reaktion. "Tritt jemand Rassismus entgegen, fühlen sich ihm Zuschauer sozial näher", fassen die Autoren das Ergebnis zusammen, "weist jemand hingegen eine Geringschätzung von Klimasschutz zurück, distanzieren sich Zuschauer von ihm."
Offensichtlich gilt klimaschädliches Verhalten, so das Forscherteam weiter, allgemein nicht als so unmoralisch, dass dafür andere soziale Normen (etwa die unverbindliche Höflichkeit im Small Talk) zurückgestellt werden. Und interessanterweise gilt dies offenbar ganz unabhängig davon, was man selbst denkt: Die Probanden waren nämlich auch gefragt worden, wie stark sie selbst Rassismus und klimafeindliches Verhalten ablehnen. Ergebnis: Die Probanden lehnten beide Einstellungen ähnlich stark ab - und doch beurteilten sie es sehr unterschiedlich, wenn jemand anderes sich gegen die Einstellungen positionierte.
Psychologische Gründe, warum Klimaschutz nicht als Frage der Moral gilt
Warum aber gilt klimaschädliches Verhalten nicht klar als unmoralisch? "Zahlreiche psychologische Barrieren machen es schwierig", fasst das Autorenteam um Katherine Steentjes den Stand der Forschung zu dieser Frage zusammen. Bei rassistischen Taten oder Kommentaren sei das jeweilige Opfer zum Beispiel viel direkter und einfacher zu erkennen als bei der abstrakten, zeitversetzten und durch unzählig viele Handlungen verschiedener Personen verursachten Erderwärmung. "Das moralische Urteilssystem des Menschen ist nicht geeignet für den Klimawandel", formulierten die Psychologen Ezra Markowitz und Azim Shariff von der US-amerikanischen University of Oregon 2012 in einem Beitrag für Nature Climate Change das Problem.
Zwar können sich soziale Normen und Auffassungen von Moralität ändern, allerdings ist dies ein zäher Prozess. In einem Beitrag im Guardian kommentiert Adam Corner vom britischen Think Tank Climate Outreach die aktuelle Studie und erwähnt dabei eine Strategie, um diesen Wandel zu befördern. Bislang gebe es rund um das Thema eine "soziale Stille", und in den Medien bekämen Gegner des Klimawandels und Leugner der Forschung überproportional viel Raum, so Corner. Er bezieht sich damit, wie auch die Studie, vor allem auf die britische Gesellschaft. "Deshalb ist das Gefühl weit verbreitet, dass andere Leute sich nicht ums Klima kümmern - selbst wenn das unzutreffend ist." Aus diesem Grund sollten Menschen, denen Klimaschutz wichtig ist, darüber mehr und offener reden - um so das Meinungsbild und schließlich die soziale Norm zu ändern.
Um sich dabei möglichst wenig zu isolieren, sollten sie dies aber - so lässt sich die aktuelle Studie lesen - höflich und freundlich tun. Und besser nicht in konfrontativen Gesprächen, sondern eher in weniger aufgeladenen Situationen.
Toralf Staud