Was reimt sich auf Anthropozän? Sie wissen schon, jenes Zeitalter, in dem der Mensch zum wichtigsten Einflussfaktor geworden ist? Auf Anthropozän reimt sich zum Beispiel „… muss zu Ende gehen“!
Nicht gerade sehr elegant gereimt? Kann sein, aber der Reim ist nicht von uns erfunden: Im März 2019 veröffentlichte die Punkrock-Band Die Ärzte ihren Song „Abschied“. „Los komm, wir sterben endlich aus“, singt Frontsänger Farin Urlaub im Refrain, „denn das ist besser für die Welt“. Der Song handelt von der Erderwärmung, von Umweltzerstörung und dem Ende der Menschheit: „das Anthropozän muss zu Ende gehen“.
Musik wird zuweilen als Treibstoff für gesellschaftlichen Fortschritt bezeichnet. Schließlich könne Musik viel besser Botschaften transportieren als das nackte Wort. Musik kann Emotionen erzeugen, Sympathie schaffen. Doch während Jugendliche freitags „for Future“ auf die Straße gehen oder diese als "Extinction Rebellion" gleich ganz blockieren, ist tote Hose in den Charts zum Thema Klimaschutz. Woran liegt das?
Ironie läuft offenbar gut
„Es ist verdammt schwer, einen sexy Popsong über Klimaschutz zu schreiben“, sagt Philipp Grütering, der 1997 in Hamburg die Electropunk-Hip-Hop-Band Deichkind mitbegründete. Grütering illustriert das an den Beatles: Deren größte Hits seien nicht „Mother Nature’s Son“ gewesen, „sondern eher Songs wie ‚Baby, you can drive my car‘“.
Materielle Verheißungen, statt Naturverbundenheit - einer der erfolgreichsten Songs von Deichkind könnte Grüterings These untermauern: 2012 veröffentlichte die Band ihren Hit „Leider geil“. 26 Wochen hielt der sich in den deutschen Charts mit Liedzeilen wie „Autos machen Dreck, Umwelt geht kaputt/ Doch 'ne fette neue Karre ist (leider geil).“ Grütering sagt: „Es ist nun mal so, dass die Produkte des Kapitalismus auch Spaß machen.“ Eine ironische Auseinandersetzung damit, das funktioniert – ein Verteufeln hingegen nicht.
Für diese These spricht auch die YouTube-Klickstatistik der Band K.I.Z.: "Globale Erwärmung" hieß einer ihrer Songs im Jahr 2007. Zur Melodie des Rhythm & Blues-Klassikers „Fever“ aus dem Jahr 1956 lautet der Text: „Fieber, die Welt hat Fieber/ Früher war's im Winter mal kalt.“ Bei Youtube ist der Song schlappe tausend Mal aufgerufen worden.
Ganz anders sieht es bei dem bös-ironischen Hit „Hurra, die Welt geht unter“ aus, den die Band 2015 veröffentlichte: Der wurde bislang mehr als 52 Million Mal angeklickt.
Entdeckt wurde K.I.Z. von Markus Staiger, Gründer des HipHop-Independent-Label Royalbunker, das bundesweit als Talentschmiede gilt. Staiger war unter anderem daran beteiligt, Rapper wie Sido, Kool Savas, Kay One oder Prinz Pi groß herauszubringen. „Rap reproduziert die Werte einer Gesellschaft“, sagt Staiger, „und in unserer Gesellschaft sind es materielle Werte, die im Zentrum stehen“. Es sei deshalb nur logisch, das Klimaschutz im Rap keine Rolle spielt: „Rapper kommen oft aus weniger privilegierten Gesellschaftsschichten, ihr Ziel sind oft Statussymbole, also der SUV von Mercedes zum Beispiel, der den anderen zeigen soll ‚ich habe es geschafft‘.“
Auch für den HipHop tauge der Klimaschutz nicht als Thema, zumindest nicht hierzulande: „HipHop basiert auf einer Schwarz-Weiß-Weltsicht, wir gegen die Feinde“, sagt Staiger. Zur Erderwärmung aber tragen alle bei, da funktioniere die Schwarz-Weiß-Brille nicht.
„Der Wissenschaftler hat’s geseh’n …“
Den ersten deutschen Hit zur Klimaerhitzung hat Peter Schilling geschrieben. „Die Wüste lebt“ war zwar bei weitem nicht so erfolgreich wie Schillings Klassiker „Major Tom“, hielt sich in den Hochzeiten der sogenannten Neuen Deutschen Welle (NDW) 1983 aber immerhin 16 Wochen in den deutschen Charts. Damals war das Phänomen Klimawandel tatsächlich noch ziemlich neu, im Text heißt es: „Der Wissenschaftler hat's geseh'n, er rätselt um das Phänomen. Und bittet um Geduld.“
Heute sagt Peter Schilling: „Die Menschen schauen sehr ungern auf das Klimaproblem, denn mittlerweile haben wir verinnerlicht, dass die Erderwärmung uns alle betrifft, unsere Katastrophe ist.“
Künstler sollten nicht mit erhobenem Zeigefinger arbeiten, meint Schiling. „Vielmehr ist es meiner Auffassung nach unsere Aufgabe, den Menschen Probleme über Geschichten nahezubringen, die wir erzählen. Aber das ist beim Thema Erderwärmung nicht so einfach.“
Anfang 2020 hat er für die Klimabewegung „Die Wüste lebt“ neu aufgelegt „In unserer menschlichen Natur liegt es, dass wir die Nachbarkatastrophe trefflich analysieren können, weil sie nicht uns betrifft. Mit den Folgen der eigenen Katastrophe wollen wir dagegen nur ungern konfrontiert werden.“
Klimathemen boomten in den vergangenen Jahren auch im Pop
„Umweltthemen haben schon immer eine Rolle in der Unterhaltungsmusik gespielt, auch der Klimawandel“, sagt Julian Weber, Musikredakteur bei der taz. Weber erinnert an Jan Delay („Songs wie Plastik“), an die Band Wir sind Helden oder an die isländische Künstlerin Björk, die stets ihre Naturverbundenheit hören ließ. „Fakt ist: Vor allem in der angloamerikanischen Subkultur haben Klimathemen musikalisch in den letzten Jahren zugenommen.“ Weber belegt dies etwa mit dem neuen Album Find the Sun der US-amerikanischen Musikerin Angel Deradoorian oder mit der neuen EP der New Yorker Rockband Dirty Projectors.
Eine der beliebtesten Bands Englands – The 1975 – hat gerade einen Song mit Greta Thunberg eingespielt, das neue Album der Londoner Punk-Band Good Sad Happy Bad macht den Klimawandel zum Thema. Für Musikkritiker Weber ist das eine logische Entwicklung: „Wenn sich Gesellschaft stärker mit einem Problem befasst, spiegelt sich das auch in der Unterhaltungsmusik.“
„Musik ist ein Soundtrack für bestimmte Zeiten, für politische Themen“, sagt Peter Garrett, Sänger der australischen Rockband Midnight Oil. Mit Songs über Umweltthemen feierte die Band vor allem in den 90er Jahre weltweite Erfolge, etwa mit Alben wie Diesel and Dust (1987), Earth and Sun and Moon (1993) oder Breathe. Die wohl berühmteste Songzeile von Midnight Oil klingt heute noch aktueller als Ende der 1980-er Jahre: „How can we dance when our earth is turning? How do we sleep while our beds are burning?”
"Natürlich helfen Songs, auf das Problem aufmerksam zu machen“, sagt NDW-Star Peter Schilling, der glaubt, dass es mehr Bands geben wird, die sich des Themas annehmen. „Dass daraus aber eine neue ‚Welle‘ entsteht, das glaube ich nicht: Dafür ist der Klimawandel viel zu komplex.“
Wo bleibt der Klima-Hit von Nena, Sido oder Herbert Grönemeyer?
Aber natürlich hat auch die Generation „Fridays for Future“ ihre Musik. In Köln traten zum Beispiel die Bands Brings und Bläck Fööss auf der Klimademo auf, in Wien war es dunkelbunt, in Aachen spielten Bands wie Moop Mama oder Culcha Candela, in Berlin zur Abschlusskundgebung die Kölner Band Annenmaykantereit.
„Gehobene anspruchsvolle Klänge für eine engagierte, gebildete Zuhörerschaft“, urteilt Produzent Markus Staiger: „Musik ist ja keine pädagogische Veranstaltung, Musik liefert den Soundtrack der gesellschaftlichen Stimmung“. Insofern zeige das Fehlen von Hits mit Inhalten zum Klimathema: es ist noch nicht so weit. Staiger: „Angekommen im Mainstream der Gesellschaft ist das Thema Klimaschutz erst, wenn sowohl Nena, als auch Sido und Herbert Grönemayer einen Klima-Nummer-Eins-Hit in den Charts landen.“
Nick Reimer