Für mehr als die Hälfte der Deutschen ist der Klimawandel ein Thema, das sie stark beschäftigt. Dies zeigen Daten des European Social Survey (ESS), einer großangelegten, europaweiten sozialwissenschaftlichen Untersuchung. Demnach gaben in Deutschland 53 Prozent der Befragten an, dass sie "viel" oder "sehr viel" über den Klimawandel nachdenken. Nur in einem untersuchten Land war die Zahl noch höher: mit 54 Prozent in der Schweiz; an dritter Stelle liegt Frankreich. Im Durchschnitt aller Länder haben 33 Prozent der insgesamt fast 34.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer viel oder sehr viel über den Klimawandel nachgedacht. Am niedrigsten liegt ihr Anteil in Russland (16 Prozent), Polen (18 Prozent) und Tschechien (19 Prozent).
Für die achte Welle des European Social Survey (ESS) wurden 2016 und 2017 in den 18 genannten Ländern insgesamt 34.837 Personen befragt; Quelle: ESS8-2016, ed.1.0/eigene Auswertung
Seit 2002 erkundet der ESS im Abstand von jeweils zwei Jahren die Meinungen und Haltungen zu politischen und gesellschaftlichen Fragen in vielen Ländern Europas. Im Jahr 2016 fand die achte Befragungswelle statt, an der sich 18 Länder beteiligten und bei der erstmals auch der Klimawandel ein Thema war. Seit Ende Oktober 2017 ist der gesamte Datensatz öffentlich zugänglich, einen ersten Vergleich von Klimawandel-Einstellungen in Europa hatte kurz vor Weihnachten ein Team des britischen National Centre for Social Research (NatCen) vorgelegt. Erstmals hat nun klimafakten.de gezielt die deutschen ESS-Daten zum Thema genauer ausgewertet.
Der ESS erlaubt den bisher wohl genauesten Einblick auf Ansichten und Einstellungen der Deutschen zum Klimawandel. Zwar gab es auch früher schon Untersuchungen zum Thema, etwa jene unter Beteiligung des Potsdamer IASS, deren Ergebnisse im Frühjahr 2017 vorgestellt wurden. Um repräsentative Zahlen zu erhalten, werden bei solchen Studien üblicherweise rund 1.000 Deutsche befragt - beim ESS liegt die Zahl mit 2.852 jedoch fast dreimal so hoch. Der Grund dafür ist, dass die Wissenschaftler eine genügend große Teilmenge aus den neuen Bundesländern erreichen wollten, um statistisch belastbare Aussagen und Schlussfolgerungen auch zu Ostdeutschland treffen zu können, erklärt Christian Schnaudt, der am Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften (Gesis) in Mannheim das deutsche ESS-Team mitkoordiniert.
Ostdeutsche denken weniger über das Klima nach als Westdeutsche
Und tatsächlich sind bisweilen bemerkenswerte Ost-West-Unterschiede erkennbar - etwa bei der eingangs geschilderten Frage, wie oft die Studienteilnehmer schon über den Klimawandel nachgedacht haben: Im Westen antworteten mit 54 Prozent etwas mehr Personen mit "viel" oder "sehr viel" als im Bundesschnitt (53 Prozent), im Osten mit 45 Prozent merklich weniger. Umgekehrt sagten in den neuen Ländern 17 Prozent der Befragten, sie hätten "sehr wenig" oder "überhaupt nicht" über den Klimawandel nachgedacht, im Westen waren es 12 Prozent (Bundesdurchschnitt: 13 Prozent).
Doch nicht nur zwischen Ost- und Westdeutschland sind in der Beschäftigung mit dem Klimawandel interessante Differenzen auszumachen, sondern auch bei anderen sozioökonomischen Faktoren: Zum Beispiel gaben mehr Männer als Frauen (56 gegenüber 50 Prozent) an, sie würden viel oder sehr viel über den Klimawandel nachdenken. Und je niedriger der Schulabschluss der Befragten war, desto höher war der Anteil jener, für die der Klimawandel selten oder nie Thema ist.
Hierzulande bezweifeln oder leugnen nur wenige den Klimawandel
Einen Befund aus anderen Studien bestätigte auch der ESS: Der Anteil von Menschen, die die Existenz des Klimawandels anzweifeln oder bestreiten, ist in Deutschland vergleichsweise gering. Fünf Prozent der Befragten meinten, das Klima wandele sich "wahrscheinlich nicht" oder "eindeutig nicht" (Durchschnitt in allen untersuchten Ländern: sieben Prozent; niedrigster Wert: zwei Prozent in Island; höchster Wert in der EU: zwölf Prozent in Tschechien). Unter den Zweiflern und Leugnern in Deutschland sind offenbar Männer überrepräsentiert - wegen der geringen Fallzahl sind diese Daten mit Vorsicht zu interpretieren, der Befund würde aber zu Studien etwa aus den USA passen.
Immerhin 95 Prozent der Deutschen (bzw. derer, die die Realität des Klimawandels anerkennen) sehen menschliche Einflüsse zu mindestens der Hälfte verantwortlich dafür. 56 Prozent schätzen, dass der Mensch hauptsächlich oder vollständig die Verantwortung für die gegenwärtige Klimaerwärmung trägt (was auch Stand der Forschung ist). Auch deuten die Zahlen darauf, dass Männer etwas stärker als Frauen klimawissenschaftliche Erkenntnisse ablehnen, unter ihnen gibt es etwas mehr Befragte (sechs), die ausschließlich oder vor allem natürliche Prozesse für den Klimawandel verantwortlich machen (Frauen: vier Prozent, deutscher Durchschnitt: fünf Prozent).
Unter Frauen und im Westen ist das Klima-Problembewusstsein größer
Der Befund, dass Männer und Ostdeutsche den Klimawandel weniger wichtig und weniger gefährlich finden und sich weniger um ihn kümmern wollen, findet sich mehrfach in den ESS-Daten. So antworteten auf die Frage "Wie besorgt sind Sie über den Klimawandel" insgesamt 45 Prozent der in Deutschland Befragten mit "sehr besorgt" oder "äußerst besorgt". Doch unter den Männern waren es lediglich 42 Prozent (Frauen: 48,0 Prozent), unter den Ostdeutschen 36 Prozent (im Westen: 46 Prozent).
Gesamtzahl der Befragten in Deutschland: 2.852, davon antworteten auf diese Frage: 2.800. Die Einteilung in ost-/westdeutsch erfolgte nach dem Ort, an dem die Person 2016 befragt wurde, nicht ihrem Geburtsort oder der Gegend, in der sie aufgewachsen ist; Quelle: ESS8-2016, ed.1.0/eigene Auswertung
Und danach gefragt, wie sich der Klimawandel auf die Menschen weltweit auswirken werde, meinten insgesamt 79 Prozent "schlecht" bis "äußerst schlecht". Hier waren es in Ostdeutschland lediglich 71 Prozent gegenüber 80 Prozent im Westen. Ein Mann-Frau-Gefälle gab es auch bei der Frage, wie stark man sich für den Klimawandel verantwortlich fühle: Von Männern kamen überdurchschnittlich viele Antworten wie "nicht sehr" oder "überhaupt nicht", Frauen hingegen sagten überdurchschnittlich oft "stark" oder "sehr stark".
Große Mehrheit für die öffentliche Förderung Erneuerbarer Energien
Insgesamt gibt es den Daten zufolge in Deutschland (zumindest relative) Mehrheiten für politische Maßnahmen gegen den Klimawandel. Sehr deutlich ist die Zustimmung zur "Verwendung öffentlicher Gelder zur Förderung erneuerbarer Energiequellen wie Wind- und Sonnenenergie" - dies wurde von 86 Prozent der Befragten "eher" oder "sehr" befürwortet (bei sechs Prozent Unentschlossenen und acht Prozent "eher" oder "sehr" dagegen). Eine Erhöhung der Abgaben auf fossile Brennstoffe wie Öl, Gas und Kohle wird immerhin noch von 40 Prozent der Befragten "eher" oder "sehr" befürwortet - demgegenüber sind 37 Prozent "eher" oder "sehr" dagegen (bei 24 Prozent Unentschlossenen).
Doch bei beiden Fragen zeigte sich erneut ein Ost-West-Gefälle: Während im Westen 87 Prozent der Befragten die Erneuerbaren öffentlich subventionieren wollen, sind es im Osten lediglich 78 Prozent. Eine Verteuerung fossiler Energieträger befürworteten im Westen 42 Prozent der Befragten, im Osten hingegen nur 29 Prozent. Einzig in den neuen Ländern gäbe es eine deutliche (relative) Mehrheit gegen diese Maßnahme (46 Prozent).
In weiteren Texten wird klimafakten.de in Kürze genauer auf die ESS-Daten für Österreich und die Schweiz schauen.
Toralf Staud