Wissenschaftliche Falsch-Informationen in politischen Debatten sind ein inzwischen verbreitetes Phänomen, in Deutschland machten zuletzt fehlerhafte Berechnungen eines Lungenarztes zur Gesundheitsgefährdung von Stickoxiden erhebliche Schlagzeilen. Vor allem im Bereich Klimawandel sind gezielte Desinformationskampagnen wissenschaftlich belegt, aber zum Beispiel auch rund um die Risiken des Rauchens. Weil sie so weit verbreitet sind und längst Einfluss auf politische Entscheidungen haben, formulieren drei US-Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts Nature Climate Change vier Strategien, wie sich Desinformationskampagnen bekämpfen lassen. Es handele sich dabei, betonen sie, um "evidenzbasierte Strategien" - also solche, die auf wissenschaftlichen Untersuchungen fußen.
Die Verbreitung pseudo-wissenschaftlicher Behauptungen sei "keine moderne Erfindung", betonen die Soziologen Justin Farrell und Kathryn McConnell von der Yale-University und Robert Brulle, derzeit an der Brown University im US-Bundesstaat Rhode Island, aber sie sei lange unterschätzt worden, gerade auch von der Wissenschaft. Zugleich habe die Forschung in jüngster Zeit große Fortschritte bei der wissenschaftlichen Durchdringung des Phänomens gemacht. So wurde etwa nachgewiesen, dass - vor allem in den USA - ein "koordiniertes Netzwerk" privat- oder industrie-finanzierter Akteure existiert, das gezielt "den Eindruck wissenschaftlicher Ungewissheit bei Problemen erzeugt, deren Lösung politische oder wirtschaftliche Interessen bedrohen könnten". Der Bereich Klimawandel und Klimapolitik sei hierfür nur ein Beispiel, so die Autoren, aber sicherlich das bedeutendste. Seit den 70er Jahren seien hunderte Millionen von US-Dollar in PR-Kampagnen, Publikationen von Pseudo-Experten oder Parteispenden geflossen.
Aus den vorliegenden Erkenntnissen der Sozialforschung leitet das Autorenteam dann vier Gegenstrategien ab - unter anderem auf juristischem und politischem Gebiet.
1. Die Öffentlichkeit gegen Irreführungs-Strategien "impfen"
"Es reicht nicht aus, der Öffentlichkeit wieder und wieder den wissenschaftlichen Konsens zum menschengemachten Klimawandel zu erzählen", schreiben die Autoren. Es bringe auch wenig, öffentlich mit industrie-finanzierten Schein-Experten zu diskutieren und deren irreführende Falschaussagen zu widerlegen. Längst nämlich zeige die Forschung, dass das Publikum bei der Wahrnehmung wissenschaftlicher Fakten stark durch individuelle, oft politisch oder ideologisch geprägte Weltsicht bestimmt werde (Fachbegriffe sind hier "cultural cognition" oder "motivated reasoning"). Deshalb genüge die bloße Bekräftigung von Fakten allein nicht, um zweifelnde Teile der Öffentlichkeit zu erreichen.
In Anlehnung an die Medizin empfehlen sie eine Strategie des "Impfens": Indem man Menschen vorsorglich mit einer kleinen und abgeschwächten Dosis von Falschinformation versorgt, würden sie gewissermaßen immunisiert. Besonders erfolgversprechend sei dabei, typische Strategien von Desinformationskampagnen zu schildern, etwa das Aus-dem-Zusammenhang-Reißen von Zitaten oder den suggestiven Einsatz logischer Fehlschlüsse. Damit könne man beispielsweise schon in Schulen anfangen. Sehr sinnvoll sei es auch, über die Strukturen und die Finanzierung von Desinformationskampagnen aufzuklären.
2. Unternehmen verklagen - und Forscher verteidigen
Forschungsarbeiten haben in den vergangenen Jahren gezeigt, wie beispielsweise die Mineralölbranche die Öffentlichkeit beim Thema Klimawandel in die Irre geführt hat. Zum Beispiel werteten die Wissenschaftshistoriker Geoffrey Supran und Naomi Oreskes von der US-amerikanischen Harvard University die interne und die externe Kommunikation des Ölriesen Exxon zwischen 1977 und 2014 aus. Ergebnis: Während 80 Prozent der internen Dokumente die Realität des menschengemachten Klimawandels anerkannten, wurde dieser in 81 Prozent der Materialien für die Öffentlichkeit bezweifelt. Studien wie diese, so das Autorenteam, spielten inzwischen eine wichtige Rolle in Gerichtsverfahren, mit denen zum Beispiel in den USA Unternehmen für die Folgen der Erderhitzung und für ihre Falschinformationen zur Verantwortung gezogen werden sollen.
Daneben weisen die Autoren noch auf ein zweites juristisches Instrument hin: Weil Klimaforscherinnen und -forscher häufig auch persönlich von Wissenschftsleugnern angegriffen, verleumdet oder mit Klagen überzogen würden, sei es wichtig, sie hiergegen auch mit rechtlichen Mitteln zu verteidigen.
3. PR-Aufklärung, Divestment und gezielte, lokale Kampagnen
Darüberhinaus schlagen Farrell, McConnell und Brulle politische Strategien im weiteren Sinne vor. So sollten Versuche von Unternehmen, die öffentliche Meinung zu manipulieren, noch mehr erforscht und dann bekanntgemacht werden - die Autoren führen hier als Beispiel an, wie ein Energieversorger in New Orleans bezahlte Schauspieler engagierte, die bei einer Info-Veranstaltung zu einem umstrittenen Kohlekraftwerk offensiv als lautstarke Befürworter auftraten.
Als erfolgreich habe sich auch erwiesen, Investorengelder aus Unternehmen abzuziehen, die den Klimawandel verstärken ("Divestment"). Schließlich sollte man gezielt nach Regionen suchen, die bereits heute unter den Folgen der Erderhitzung leiden - und genau dort Informationskampagnen zum Thema verstärken. Dort dürfte der Effekt am größten sein, weil laut Forschung persönliche Erfahrungen etwa mit Extremwetterereignissen die Wahrnehmung der Klimawandel-Risiken deutlich beeinflusse.
4. Finanzströme offenlegen
Die vierte vorgeschlagene Strategie zielt auf das Geld hinter Desinformationskampagnen. Generell seien die Gegner von Klimaschutzmaßnahmen viel finanzstärker als deren Befürworter: Zwischen 2010 und 2016, so einer der Autoren in einer separaten Studie (Brulle 2018), seien für einschlägige Lobbyaktivitäten im US-Kongress insgesamt mehr als zwei Milliarden US-Dollar ausgegeben worden. Unternehmen etwa der Energie- oder Autobranche gaben dabei zehnmal so viel aus wie Umweltverbände oder Unternehmen aus dem Bereich Erneuerbare Energien. Dass bestimmte Unternehmen und unternehmensnahe Stiftungen auch bei Desinformationskampagnen eine entscheidende Rolle spielen, sei durch zahlreiche Forschungsarbeiten belegt. Zunehmend aber würden Geldquellen verschleiert und anonyme Fonds genutzt, so das Autorenteam. Deshalb fordern Farrell, McConnell und Brulle neue, strengere Transparenzregeln. "Finanzielle Anonymität", schreiben sie, "bietet einen fruchtbaren Boden für die Entwicklung von Desinformationsnetzwerken."
Das Fazit des Aufsatzes klingt aufrüttelnd: "Weil Wissenschaft weiterhin absichtsvoll und in großem Maßstab unterminiert wird, können es sich Forscher und Praktiker nicht leisten, den ökonomischen Einfluss, die institutionelle Komplexität, die strategische Raffinesse, die finanzielle Motivation und die gesellschaftliche Wirkung der Netzwerke hinter diesen Kampagnen zu unterschätzen." Die Verbreitung von Desinformation, so die Autoren, müsse jedenfalls als Teil einer größeren Strategie verstanden werden. "Jede koordinierte Antwort auf Desinformationskampagnen muss den Inhalt kontern - aber vielleicht noch wichtiger ist, es mit den institutionellen und politischen Architekturen aufzunehmen, die das Ausbreiten von Desinformation überhaupt erst ermöglicht haben."
Toralf Staud