Am Anfang stehen scheinbar simple Fragen zur fortschreitenden Klimakrise: „Warum braucht die Menschheit so lange, um etwas zu tun?“ Und: „Müssten Daten und Fakten nicht zu konsequentem Handeln führen?“ Darauf versucht die ARD-Dokumentation „Drama Klimaschutz – Warum Wissenschaft und Proteste scheitern“ in 45 Minuten Antworten zu finden (Erstausstrahlung am 4. Dezember 2023, weitere Sendetermine in den Dritten Programmen, Link in der Mediathek).
Das Timing des Films ist einerseits sehr passend: Auf dem UN-Klimagipfel COP28 in Dubai ringen die Staaten der Welt unter anderem gerade um die Entscheidung, wann das Verbrennen von fossilen Energierohstoffen wie Kohle, Öl und Gas beendet wird. Andererseits sind die Ausgangsfragen seit vielen Jahren in gleicher Form aktuell. Die Dokumentation findet darauf zwar einige interessante Antworten, greift am Ende aber doch zu kurz.
Der Kniff, den der Autor Tom Ockers für seinen Film ersonnen hat, ist zunächst einmal interessant: Er schickt den Klimaforscher Mojib Latif vom Geomar-Zentrum in Kiel als Reporter herum, an Schauplätze der Klimakrise sowie zu Fachleuten und Gesprächspartner:innen. Außerdem taucht Latif sozusagen in seine eigene Vergangenheit ein, weil die Dokumentation Archivaufnahmen enthält, in denen der Kieler Experte schon ab 1989 ähnliche Fragen ansprach wie der Film heute.
"Ich kann nicht sagen, ich habe es richtig gemacht –
sonst wären ja die Emissionen deutlich gesunken"
Ganz am Anfang zieht der Forscher eine ernüchternde Bilanz: „Ich arbeite seit Jahrzehnten in der Forschung, ich kommuniziere die wissenschaftlichen Ergebnisse“, sagt Latif. „Wenn ich es mal objektiv bewerte, kann ich nicht sagen, ich habe es richtig gemacht, sonst wären die Emissionen, zumindest die globalen Emissionen ja deutlich gesunken.“ Das bereitet die Bühne für eine Analyse der vielfältigen Ansätze, tatsächlich vom Wissen zum Handeln zu kommen. Doch schon die darauffolgende Vermutung seines Protagonisten, man müsse vielleicht „emotionaler kommunizieren“, ignoriert der Film wie später noch einige andere Spuren.
Für eine Dokumentation, die doch eigentlich nach Lösungen sucht, verbringt der Beitrag zudem erstaunlich viel Zeit mit Problemen: hier die Entwicklung und der Stand der Klimakrise, da die Denkweisen und Entscheidungsmuster der Menschen. Vermutlich ist das nötig, damit das Publikum die gestellten Fragen richtig einordnen kann. Aber die Gewichtung stimmt dann nicht; und es fehlt die Zeit, genügend Facetten der Antworten zu finden.
Durch den ganzen Film hindurch folgt die Kamera dem Forscher-Reporter Latif: auf verbrannte Waldflächen in Mecklenburg-Vorpommern und in das walisische Dorf Fairbourne direkt an der Irischen See, wo die Regierung verkündet hat, spätestens 2045 nichts mehr in den Küstenschutz zu investieren; Fairbourne muss darum als womöglich erster Ort Europas aufgegeben werden. Weitere Stopps sind die oberste Ebene eines Parkhauses, wo die zunehmende Größe von Autos zum Thema wird, und die Arktis, wo Latif in Archivaufnahmen aus dem Jahr 2010 schrumpfende Eisberge und Freiluft-Experimente mit erhöhten CO2-Werten in der Atmosphäre begutachtet.
In der ARD-Doku reist der Klimaforscher Mojib Latif wie ein Reporter zu verschiedenenen "Tatorten" der Klimakrise, hier zum Beispiel auf eine verbrannte Waldfläche in Mecklenburg-Vorpommern; Foto: MDR/Martin Kaeswurm
Außerdem zeigt der Film Gespräche, die Latif mit zwei Klimaaktivistinnen führt. Ihre Gruppen wollen laut Film-Kommentar „mit umstrittenen Methoden Klimaschutz erzwingen“. Die Mitgründerin der „Letzten Generation“ Lea Bonasera begleitet der Kieler Forscher im Juli 2023 zu einem Prozess in Berlin, bei dem ihre Straßenblockaden mit 1800 Euro Geldstrafe geahndet werden – er ist dann erleichtert, dass sie nicht ins Gefängnis muss. Und mit Carla Duvigneau von Fridays for Future spricht er über die Forderungen der beiden Organisationen und das Nebeneinander ihrer moderaten und radikaleren Methoden. Laut einem Protestforscher, der dann zu Wort kommt, ist eine solche Aufspaltung mit nur loser Koordination der Gruppen nicht ungewöhnlich. Es habe auch zum Erfolgsrezept etwa der Anti-Atomkraft-Bewegung gehört. Doch beide Seiten, die Wissenschaft mit ihren publikumsgerecht aufbereiteten Fakten und die Aktivist:innen mit ihren Forderungen und dem zivilen Widerstand, sind eigentlich ratlos, warum trotzdem zu wenig passiert
Wie beim Krieg gegen die Drogen hilft es in der Klimakrise wenig,
allein gegen die Produzenten des Gifts vorzugehen
Die erste Antwort darauf liefert im Film Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin: Ohne die „Schandtaten der fossilen Lobbyisten“ wäre die Welt bereits viel weiter in der Transformation. Große Bereiche der Industrie, bestätigt Latif, versuchten „mit Falschbehauptungen ihr Geschäftsmodell zu retten“. Ähnlich argumentiert Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), der die Mechanismen der Desinformation und des Zweifel-Weckens beschreibt. Immerhin erklärt er, es gebe einen „Markt für Ausreden, nichts zu tun“. Viele Normalbürger verspürten den geheimen Wunsch, dass „nichts dran“ sein möge an den Warnungen der Wissenschaft.
Wie beim Krieg gegen die Drogen hilft es eben nichts, oder nicht genug, allein gegen die Produzenten des Gifts vorzugehen, solange es eine ungebrochene Nachfrage danach gibt. Doch auch dieser Spur geht der Film nicht weiter nach. Obwohl der Neuroforscher und als Science-Slammer ausgezeichnete Publizist Henning Beck gleich zu Anfang erklärt: Es „ist die Psychologie, die Art des Denkens, die über Erfolg und Misserfolg entscheidet“, wenn es darum gehe, die Welt zu retten. In den Szenen mit ihm erklärt er dann aber im Wesentlichen die Funktion und Physiologie des Gehirns, um das aufgeworfene Rätsel über das Verhältnis von Wissen und Handeln zu lösen.
Es sind eindrucksvolle Bilder, wie Beck mit Latif vor einer großen Projektion des menschlichen Gehirns steht, und der Neurowissenschaftler vom Belohnungssystem und dem Unterschied zwischen Gegenwart und Zukunft erzählt: Die Aktivierung von Hirnzentren zeige nämlich zum einen, dass sich Menschen beim Nachdenken über ihre momentane Situation selbst spüren und eine „mentale Vorstellung von Dir in diesem Moment“ entwickeln. Dieser emotionale Bezug schwinde aber, wenn es um Zeiträume gehe, die Wochen oder gar Jahre später liegen: „Das Gehirn baut sich eine Vorstellung von der Zukunft auf, aber Du bist in dieser Zukunft eine fremde Person.“ Man könne deswegen bedenkenlos auf Kosten der eigenen Zukunft leben; und das werde zum Problem, wenn man langfristige Veränderungen umsetzen wolle.
Zum anderen, das zeigten die Hirnscans, bekommen Menschen eben nur dann einen motivierenden Dopamin-Kick aus ihrem Belohnungszentrum, wenn Ergebnisse ihres Handelns maximiert oder Erwartungen sogar übertroffen werden. Ein Verzicht oder der Drang, sich aus moralischen Gründen zurückzunehmen, seien dort hingegen nicht verankert. „Man rettet die Welt, wenn man konkret einen Nutzen im Hier und Jetzt hat und das langfristig auch funktioniert“, sagt Beck. „Die Kunst ist, das mit einem nachhaltigem Narrativ und Produkten zu verbinden. Nur dann wird es funktionieren.“
Mojib Latif trifft im Film auch die Mitgründerin der Protestgruppe "Letzte Generation", Lea Bonasera – und ist erleichtert, als sie nicht ins Gefängnis muss; Foto: MDR/Martin Kaeswurm
Diese Worte scheinen für den Filmemacher die Lösung des Problems schlechthin zu sein, denn er lässt den Gedanken nur noch einmal von der Sprecherin aus dem Off wiederholen, bevor der Abspann beginnt. Aber damit bleiben mehrere wichtige Fäden unvernäht, bleiben Aspekte unerwähnt, die Sozialwissenschaften und Klimakommunikation längst identifiziert und erforscht haben. Die erwähnte Psychologie beruht natürlich auf Hirnprozessen, aber sie ist mit den wenigen erwähnten keinesfalls ausgeschöpft.
Zunächst zum Belohnungssystem: Auch ohne Botenstoffe wie Dopamin zu bemühen, ist natürlich richtig, dass eine Problembeschreibung – die anfangs erwähnten „Daten und Fakten“ – allein keine Motivation zum Handeln auslöst. Die Psychologie nennt das die Informations-Defizit-Hypothese der Kommunikation und hat diese widerlegt. Dass sachliche Fakten etwa über Risiken allein wenig bewirken, weiß jede und jeder, die oder der schon mal abnehmen oder sich das Rauchen abgewöhnen wollte.
Attraktive Beschreibungen von Lösungsoptionen bieten viel bessere Aussichten. Sich darauf zu konzentrieren, wäre in der Tat ein Fortschritt gegenüber der bisherigen problem-zentrierten Debatte. Die neue Orientierung verspricht Erfolg – vor allem, wenn nicht nur „nachhaltige Narrative und Produkte“ im Mittelpunkt stehen, sondern auch positive Emotionen wie Zuversicht oder Stolz und soziale Erlebnisse von gemeinschaftlicher Handlungsmacht.
Bleibt man jedoch auf diesem Niveau stehen, dann reduziert man den Menschen mit seinem komplexen Geist immer noch zum Nutzen-Maximierer. Und dann ist völlig unklar, wie man mit widerstreitenden Aussichten auf Belohnungen umgeht: Hat das Klima Pech gehabt, wenn das neue, größere Auto und die dritte Flugreise in diesem Jahr mehr Nutzen und Genuss versprechen als Urlaub mit dem Lastenrad?
Für dieses Dilemma hat die Psychologie deutlich mehr zu bieten als Henning Beck im Film erklären darf. Menschen haben nämlich Gefühle sowie Werte, also grundlegende Ziele in ihrem Leben. Viele möchten im Einklang damit handeln, sich als konsistente, „gute“ Person erleben und sich gleichzeitig als in der Gemeinschaft eingebettet empfinden. Wenn die Kommunikation über Klimaschutz solche Faktoren ernstnimmt, genau zuhört und daran anknüpft, wenn vertraute Stimmen die Botschaft aufnehmen, dann laden sich Handlungsoptionen für Individuen mit einer Bedeutung auf, die im Wettstreit mit materiellen Genüssen den Ausschlag gibt. In umgekehrter Richtung passiert genau das schließlich seit Jahren, wenn Lobbyisten und mit ihnen verbündete Politiker:innen den Leuten einreden, Klimaschutz zur Sicherung der Lebensgrundlagen sei zu teuer oder schränke die Freiheit ein.
Gute Klimakommunikation kann auf das Ziel ausgerichtet sein,
dass Menschen gemeinschaftlich aktiv werden und politisch
Solchen Behauptungen kann Klimakommunikation die Basis entziehen, wenn sie an den Werten der Menschen anknüpft. Sie kann zeigen, dass das neue, klimafreundliche Verhalten nicht nur möglich und vorteilhaft, sondern auch schon verbreitet ist. Oder in der Sprache der Hirnphysiologie ausgedrückt: Sie kann Nutzen dort aufzeigen, wo man ihn nach alten Maßstäben nicht unbedingt vermutet.
Vorausgesetzt dabei ist, dass die von der Politik gesetzten Rahmenbedingungen das neue, klimafreundliche Verhalten nicht nur erlauben, sondern vielleicht auch noch fördern. Gute Klimakommunikation kann jedoch auch auf das Ziel ausgerichtet sein, dass Bürger:innen genau das von ihren Abgeordneten fordern. Diese Art von Kommunikation trocknet überdies den Markt und die Nachfrage für Desinformation aus, weil sie das enorme Bedürfnis zum Verharren in gewohnten Verhaltensmustern aushebelt. Beides lässt sich in Becks verkürztem Nutzen-Bild kaum erklären.
Daher bleibt die ARD-Dokumentation letztlich hinter ihren Möglichkeiten zurück. Die Analyse ist korrekt, aber die Folgerungen daraus sind unvollständig. Der Film beschreibt zwar einen wichtigen Schritt, nämlich Maßnahmen zum Klimaschutz aus den verbreiteten Verzichts-Diskursen zu lösen, sie als nutzbringend und attraktiv für die Bürger:innen auszugestalten und auch so zu präsentieren. Aber dann verpasst er die Chance, tiefer einzutauchen. Angeboten dafür hätte sich zum Beispiel, eine weitere Expertin wie Elke Weber von der Princeton University, Lea Dohm von der Allianz Klima und Gesundheit oder Katharina van Bronswijk von Psychologists for Future zu interviewen. Dann wäre das volle Spektrum möglicher Antworten auf die berechtigten Fragen der Dokumentation sicherlich besser beleuchtet worden.
Christopher Schrader
Dieser Text erschien zuerst im Online-Magazin RiffReporter