Frank Bilstein hat Betriebswirtschaftslehre in Koblenz sowie in den USA und Japan studiert und bei mehreren Unternehmensberatungen gearbeitet. Er ist Co-Autor des Buches "Manage for Profit, Not for Market Share" (Harvard Business Review Press, 2006). Seit 2013 ist Bilstein Partner beim Beratungsunternehmen A.T. Kearney in Düsseldorf.

 

"Die Deutschen haben kaum Ahnung vom Klimaschutz", lautete kürzlich eine Schlagzeile der Bild am Sonntag (BamS). Der zugehörige Text basierte auf einer Umfrage, die Sie verantwortet haben. Was war denn da los?

Wir haben 1.500 repräsentativ ausgewählte Deutsche befragt, welche Maßnahmen sich Ihrer Einschätzung nach am besten eignen, den CO2-Ausstoß eines Durchschnittsbürgers am stärksten zu senken. Dafür legten wir ihnen eine Liste mit sieben Möglichkeiten vor. Und nur vier Prozent wussten die richtige Antwort: Gebäudedämmung, also effizientes Heizen und Kühlen, bringt die größte Wirkung.

Vielleicht weil die meisten Menschen in Deutschland Mieter sind? Sie können ja gar keine Dämmung veranlassen ...

Aus genau diesem Grund haben wir auch alltäglich umsetzbare Optionen in die Befragung eingebaut, beim Heizen zum Beispiel Stoßlüftung oder die Temperatur um ein Grad herunterzudrehen. Die Wirkung jeder Handlung ist übrigens pro Jahr und Durchschnittsdeutschen gerechnet, die Daten hierfür stammen übrigens aus dem CO2-Rechner des Umweltbundesamtes.

Welche Antwort wurde denn am häufigsten genannt?

"Auf Plastiktüten verzichten" - 22 Prozent der Befragten meinten, dass sich dadurch am ehesten etwas gegen den Klimawandel bewirken lässt. Natürlich ist es angesichts des Müllproblems sinnvoll, auf Plastiktüten zu verzichten. Tatsächlich aber reduziere ich damit meinen CO2-Fußabdruck lediglich um drei Kilogramm pro Jahr. Zum Vergleich: Ein Hinflug von Berlin nach Mallorca produziert 722 Kilogramm Treibhausgas pro Kopf - einen einzigen solchen Flug durch den Verzicht von Plastiktüten aufzuwiegen dauert also 240 Jahre.

Frappierende Differenzen: Die persönliche Einschätzung, welche indivduellen Handlungen viel fürs Klima bringen (linke Seite), und der tatsächlichen Wirkung (rechts) klaffen teils weit auseinander. Der Verzicht auf Plastiktüten (ganz oben) zum Beispiel ist fürs Klima praktisch bedeutungslos, wird aber von den Befragten an erster Stelle genannt; Grafik: ATKearney

Wieso kamen - Ihrer Meinung nach - so viele Befragte ausgerechnet auf den Tütenverzicht?

Da kann ich natürlich nur mutmaßen. Die EU hat erste Plastik-Produkte verboten, auch in der Bundespolitik wird um ein Verbot etwa der Plastiktüten gestritten. Dem BamS-Artikel gegenüber war eine ganzseitige Anzeige platziert, in der eine Lebensmittelkette für Produkte ohne Plastik warb. All das zeigt: Plastik mit all seinen Problemfacetten nimmt derzeit einen breiten Raum in der öffentlichen Debatte ein.

Der Verbraucher aber hat nur eine bestimmte Anzahl von Slots, die er zur Lösung eines Problems zu investieren bereit ist. Offensichtlich ist das Plastikthema derzeit besonders präsent. Und so passiert es, dass er dem Klimawandel die falsche Problemlösung zuordnet.

An zweiter Stelle nannten die Befragten die Option "Spritsparendes Autofahren" - auch das ist falsch. Die richtige Antwort lautet? 

Auf einen Flug zu verzichten. Zwar fliegt überhaupt nur etwa jeder dritte Bundesbürger - aber schon ein einzelner Flug fällt derart ins Gewicht, dass er auch im Bevölkerungsdurchschnitt die gesamte Klimabilanz einer Person verhagelt. An dritter Stelle rangiert übrigens „weniger Fleisch essen“, erst danach folgt das Auto.

Dass viele Menschen die Klimawirkung einzelner Handlungen falsch einschätzen, zeigen auch andere Studien - klimafakten.de hat schon mehrfach über das Phänomen berichtet. Was läuft da falsch?

Zwei prinzipielle Dinge: Erstens gibt es drei verschiedene Gruppen von Verbrauchern: die Überzeugten, die Unentschlossenen und die Skeptiker. Ich bin mir sicher, dass die Leser von klimafakten.de vom Klimaschutz überzeugt sind und viele richtige Antworten kennen - die müssen nicht mehr abgeholt werden. Am anderen Ende des Spektrums stehen Leute, bei denen es wohl niemals gelingen wird, sie zu aktivem Klimaschutz zu motivieren. Dazwischen finden sich die Unentschlossenen, die wichtigste und größte Gruppe! Aber ausgerechnet für diese gibt es zu wenige auf sie zugeschnittene Angebote.

Sie sind Unternehmensberater, lassen Sie uns ein Gedankenexperiment wagen: Ein Auftraggeber beauftragt Sie, genau diese Zielgruppe für den Klimaschutz zu erschließen. Wie gehen Sie vor?

Tatsächlich befassen wir uns in der Wirtschaft tagtäglich mit solchen Fragen. Erstmal brauchen Sie einen sanften Einstieg, denn die Unentschlossenen bringen nur eine beschränkte Bereitschaft zur Veränderung mit. Radikalmaßnahmen überfordern sie ...

… weshalb ein Verzicht auf die Plastiktüte, die leicht ersetzbar ist, nahe liegt?

Genau, die Hürde zum Handeln ist hier nicht so sehr hoch. Zweitens müssen Sie die Botschaft extrem verdichten, denn die Unentschlossen haben nur wenig Lust, sich mit dem Problem zu befassen. Und drittens müssen Sie Optionen aufzeigen, die praktikabel und einfach sind: Es geht eben nicht nur um Verzicht, es gibt auch andere Lösungen. Nur wenn diese einleuchtend und leicht umsetzbar erscheinen, dann wagen die Unentschlossen auch den Versuch.

Sie sprachen eben von zwei prinzipiellen Dingen, die falsch laufen - was ist die zweite Sache?

Umweltverbände oder das Umweltbundesamt halten augenscheinlich wenig von gutem Marketing. Das ist bedauerlich, denn die Lösungen, auch für die Gruppe der Unentschlossenen, sind ja seit langem klar. Meine These ist: "Klimaschutz braucht besseres Marketing!"

Dann mal ran: Wie würden Sie vorgehen?

Wir geben eine "Treiberübersicht" mit zehn Maßnahmen vor, die tatsächlich geeignet sind, das eigene Leben weniger klimaschädlich zu gestalten - die Leute sollen dann selbst aus dieser Übersicht wählen, welche Knöpfe sie drücken. Wer partout nicht auf den Flug nach Mallorca verzichten will, der kann sich stattdessen für "weniger Fleisch" entscheiden und so zumindest einen Anfang machen.

Es brauche einfache Übersichten dazu, welche Klimaschutzmaßnahmen welche Wirkung haben, meint Frank Bilstein. Diese hier zum Beispiel hat sein Beratungsunternehmen erstellt; Grafik: ATKearney

Gegenthese: Dem Klimaschutz fehlt es weniger an vernünftigem Marketing, sondern an den richtigen Rahmenbedingungen! Von Köln nach München zu fliegen kostet zum Beispiel weniger als mit der Bahn zu fahren - die Politik müsste diese individuelle Option weniger attraktiv machen.

Wir brauchen beides: vernünftige Rahmensetzung durch die Politik und die individuelle Bereitschaft, klimaschädliche Lebensvarianten durch klimafreundlichere zu ersetzen. Denn beides bedingt einander. Die Politik wird schließlich durch die Mehrheit der Individuen bestimmt. Klimaneutral bis zum Jahr 2050 zu werden, dass schaffen wir nur mit beidem.

Und zum Glück hat sich die Politik ja aufgemacht, die Rahmen entsprechend zu ändern. Natürlich gibt es viele, die das Klimapaket als zu lasch kritisieren. Aber immerhin wird damit der Rahmen geändert: Bahnfahren wird billiger, Fliegen ein bisschen teurer.

Nun sind Sie kein Wissenschaftler, niemand, der sich bislang mit Untersuchungen oder Analysen zum Klimaschutz einen Namen gemacht hat. Wie sind Sie auf die Idee für Ihre Umfrage zu den Handlungsoptionen für den Klimaschutz gekommen?

Wie so oft haben Dinge im Persönlichen ihren Ausgangspunkt: Wir wollten nach einem Familienurlaub unseren Treibhausgas-Fußabdruck kompensieren. Dann fragten wir uns, wie wir darüberhinaus im täglichen Alltag am wirksamsten CO2 einsparen können. Einerseits war ich überrascht, wie komplex die Berechnung ist, zweitens wie wenig vernünftige Angebote es für solch einen Schritt gibt. Also bin ich tiefer eingestiegen und wollte es genauer wissen...

Interview: Nick Reimer