Bertram Fleck, geboren 1949 in Mainz, war von 1989 bis 2015 Landrat des Rhein-Hunsrück-Kreises. Zuvor war der CDU-Politiker Referent des damaligen rheinland-pfälzischen Finanzministers und späteren Ministerpräsidenten Carl-Ludwig Wagner. Für seine Pionierarbeit wurden Fleck und der Rhein-Hunsrück-Kreis u.a. 2018 von der Agentur für Erneuerbare Energien als „Energie-Kommune des Jahrzehnts“ geehrt. Zweimal wurde Fleck als Landrat wiedergewählt; beim ersten Mal schon im ersten Wahlgang mit 54,3 Prozent gegen zwei Mitbewerber, im September 2006 dann als einziger Bewerber mit 84,7 Prozent für seine dritte Amtsperiode.

Das Interview ist ein Auszug aus dem Klima-Reader, den klimafakten.de Anfang 2022 gemeinsam mit der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung veröffentlicht hat.

 

Der Rhein-Hunsrück-Kreis produziert heute dreimal so viel Strom aus Erneuerbaren Quellen, wie dort verbraucht wird. Sie haben als Landrat die Entwicklung Ende der 90er Jahre angeschoben und dann bis 2015 geprägt. Herr Fleck, was ist ihr Erfolgsgeheimnis, Menschen auch aus ihrer Partei, der CDU, für Energiewende und Klimaschutz zu begeistern?

Bertram Fleck: Es gibt kein Geheimnis, sondern mehrere Faktoren. Zum Ersten hatten wir damals einen Kreisvorsitzenden namens Klaus Töpfer, der viele Jahre ein engagierter Bundesumweltminister war und mich und andere inspiriert hat. Ich selbst stamme zweitens mütterlicherseits aus einem landwirtschaftlichen Betrieb, daraus kommt meine besondere Nähe zur Natur, Landschaft und Tierwelt.

Mir wurde damals aber klar: Du kannst Motor, Antreiber sein, aber allein bekommst Du das nicht hin! Also bin ich, drittens, in die politischen Gremien gegangen und habe Netzwerke und Kooperationen geschaffen. Es galt, die Verwaltung, Kindergärten, Schulen, Landwirte, Architekten, die Verbraucherberatung, Genossenschaften die Bürger und Bürgerinnen und die Presse für die Erneuerbaren zu gewinnen, alle, die einen Beitrag leisten können. Der Schlüssel war schließlich, viertens, vor Ort mit gutem Beispiel voranzugehen und den Menschen aufzuzeigen, dass sie profitieren und die gesamte regionale Wertschöpfung vor Ort bleibt. Nicht zuletzt hat ein agiler Klimaschutzmanager eine sehr segensreiche Arbeit geleistet.

Wenn Sie mal Revue passieren lassen: Was dachten Sie zum ersten Mal , toll, jetzt läuft‘s!?

Das war vielleicht im Jahr 2004, als wir in einer Förderschule die erste Holzhackschnitzel-Anlage eingebaut haben. Mein Bauamtsleiter hatte größte Probleme damit, weil die Anlage teurer, schwieriger war – „moderner Kram“ eben! Aber ich war der Ansicht, Landkreise und Kommunen müssen vorangehen, den Bürgern zeigen, welchen Nutzen solche Technologien haben. Die Anlage funktionierte dann schließlich besser, als alle gedacht haben. Sie wurde zum Liebling des Hausmeisters und Modell für spätere drei Nahwärmeverbünde in Schulzentren des Kreises und weiteren fünfzehn in kleinen Ortsgemeinden.

Wann wussten Sie, dass Ihr Weg der richtige ist?

Als wir immer öfter zu Vorträgen über unsere Arbeit ins In- und Ausland eingeladen wurden, interessierte Besuchergruppen sich anmeldeten und vor allem, als wir Preise und Auszeichnungen bekamen, zuerst auf Landesebene, dann auf Bundes- und schließlich Europaebene. Das zeigte, dass wir nicht falsch liegen können.

Markenkerne der Union sind die Bewahrung der Schöpfung, Offenheit für Innovation, Maßhalten, ein sorgsames Auskommen und Wirtschaften mit dem Vorhandenen, nichts zu verschwenden. All dies können auch wichtige Stichworte in der Klimapolitik sein. Wie konnte es dazu kommen, dass die Union in den vergangenen Jahrzehnten beim Klimaschutz so wenig geliefert hat?

Es wurden in der Regierung von Angela Merkel zwar bestimmte Gesetzgebungsverfahren in Gang gesetzt. Aber auch ich finde, das war zu wenig – jedenfalls war es nicht ausreichend. Woran das lag, kann ich auch nicht sagen, denn tatsächlich ist eine gute Klimapolitik in der Programmatik der Union angelegt. Vielleicht hat man sich schwergetan, weil eine andere Partei – die Grünen – diese Politik jede Woche ins Schaufenster gestellt hat.

 

„Eigentlich ist eine gute Klimapolitik in der Programmatik der Union angelegt. Aber vielleicht hat man sich lange schwergetan, weil eine andere Partei – die Grünen – diese Politik jede Woche ins Schaufenster gestellt hat“

 

Aber das hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. Und seit 2021 gibt es die Klima-Union, ein Zusammenschluss von christdemokratischen Abgeordneten, Kommunalpolitikern, Wissenschaftlern, Unternehmern, die sehr gute Ansätze und Ideen haben, mit denen die CDU voran kommen wird.

Bestimmend für die Energiepolitik der Union waren in den vergangenen Jahren Politiker wie Joachim Pfeiffer, Thomas Bareiß oder Carsten Linnemann, die als Kritiker der Erneuerbaren gelten. Wie groß ist der Einfluss von Einzelnen auf den Kurs der Gesamtpartei?

Das kommt darauf an, wie gut sie in der Gesamtpartei vernetzt sind. Deshalb ist wichtig, dass sich in der Klimaunion Politiker wie Andreas Jung oder Wiebke Winter engagieren – der eine als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Union, die andere aus dem Bundesvorstand der CDU. Wichtig ist aber auch eine gute Vernetzung außerhalb der Partei zu Unternehmern, Wissenschaftlern und anderen Akteuren der Gesellschaft. Denn das sorgt für einen Sog in die Partei zurück: In einem großen Netzwerk kann man viel bewegen.  

Viele CDU-Stadtoberhäupter oder Landräte engagieren sich seit langem auf kommunaler Ebene für Klimaschutz und die Energiewende. Trotzdem ist dieses Engagement nicht auf die Landes- oder Bundespolitik übergesprungen. Woran liegt das?

Tatsächlich sind viele Bürgermeister oder Landräte die Treiber und „Umsetzer“ der Energiewende: Wir haben die Flächen für Biomasse und Windräder, wir schreiben die Flächennutzungspläne, wir haben etwa 170.000 Gebäude für energetische Sanierungen und entsprechendes Potenzial für Photovoltaik und Nahwärmeverbünde. Die Bürgermeister und Landräte müssen sich besonders Gedanken um die Mobilität machen, und sie sind vor allem nahe bei den Menschen.

 

„‘Photovoltaik verteuert Hausbau‘ – das ist billige Stimmungsmache gegen die Energiewende. Der arme Häuslebauer holt jedoch mit den investierten zehntausend Euro für die Solaranlage zum Schluss sein Geld nicht nur wieder herein, sondern macht damit sogar Gewinn“

 

Viel hängt deshalb vom Engagement der Verantwortlichen auf dieser Ebene ab – und von deren Geschick, die Menschen für die Pläne zu gewinnen. Gott sei Dank sind wir auf kommunaler Ebene in vielen Bereichen weiter als die Bundes- oder Landespolitik. Das Problem ist, dass dies von den Parteikolleginnen und -kollegen weder in Berlin noch in Mainz gesehen, geschweige denn gewürdigt wird! Wir hätten so viele praktische Vorschläge zu machen….

Hatten Sie je den Eindruck, in der falschen Partei zu sein?

Natürlich habe ich mich manchmal mit den eigenen Leuten schwergetan. In den letzten Jahren hat sich das aber gewandelt. Seit ein paar Jahren spielt das Klimathema eine immer größere Rolle in der Politik, man merkt, dass auch meine Parteifreunde aufgeschlossener werden – auch solche, die früher die Energiewende kritisch begleitet haben.

Ein Narrativ dieser Energiewende ist die „großen Transformation“. Oder in anderen Worten: „Wir brauchen einem Umbau der Gesellschaft.“ Ist das die richtige Erzählweise – gerade für die konservativen Anhängerinnen und Anhänger der Union?

Natürlich brauchen wir die richtigen Gesetze und Rahmenbedingungen aus der Politik, vor allem brauchen wir aber die Akzeptanz der Bevölkerung! Und dort stößt solch ein „Umbau“ eher auf kritische Reaktionen: Insbesondere die Älteren haben Angst vor Veränderungen, sie wollen, dass Vieles bleibt, wie es ist. Aber natürlich ist es schwierig, das Konzept der Energiewende in wenigen Worten strahlend zu beschreiben. Insofern ist es einfach, „die große Transformation“ zu kritisieren, wenn man selbst kein besseres Narrativ anbieten kann.

Wie wäre es mit „Klimaschutz ist Heimatschutz“? Schließlich wird sich unser schönes Leben in sicherer Umgebung radikal verändern, wenn wir heute nicht engagiert umsteuern!

Das gefällt mir gut, vor allem der Begriff „Heimat“, das macht jeden betroffen! Mir werden mit dem Klimawandel viel zu häufig untergehende Pazifikinseln oder der Eisbär am Nordpol verknüpft, das löst vor Ort bei uns nur begrenzte Emotionen aus. Wenn ich aber weiß, dass die Bäume in meinem Lieblingswald sterben werden, mein Garten Schaden nehmen wird, unsere Tierwelt teilweise gefährdet ist; wenn ich wahrnehme, wie sich gerade „meine Landschaft und Heimat“ durch Hitzeperioden und häufigere Unwetterereignisse verändert, dann wird klar, unsere ganze Lebensweise ist durch den Klimawandel gefährdet.

Es wird oft ein Gegensatz hergestellt zwischen den urbanen Akademiker:innen aus Prenzlauer Berg, München-Schwabing oder Hamburg-Altona, die Veganismus predigen und einen Autoverzicht fordern – und den hart arbeitenden Pendlern vom Land. Gibt es diesen Gegensatz wirklich?

Leider wird Vieles immer nur schwarz-weiß betrachtet! Natürlich ist der Pendler von der Energiewende anders betroffen als die städtische Mittelschicht. U-Bahn, S-Bahn, Busse im Minutentakt, so etwas gibt es auf dem Land nicht. Aber das bedeutet doch nicht, dass der Pendler nicht auch von neuen Ideen profitieren kann, von der Mitfahrerbörse bis zum Elektroauto. Oft brauchst du als Familie auf dem Land ein Zweitauto. Warum nicht ein Carsharing-Modell in Gemeinden etablieren, wo sich die Leute dieses Zweitauto, was ohnehin selten gebraucht wird, einfach sparen können?! Es gibt bei uns im Rhein-Hunsrück-Kreis etliche Beispiele, wo das prima funktioniert.

Stichwort „Schwarz-Weiß“ und „Narrativ“: Berichten die Medien auf der Höhe der Zeit?  

Auch das kann man nicht „schwarz-weiß“ beantworten! Natürlich gibt es Journalisten, die das Thema durchdrungen haben. Andererseits ärgere ich mich immer wieder. Es gab zum Beispiel die Idee der Bundesregierung, Photovoltaik auf jedem Neubau verpflichtend zu machen, was dann leider nicht umgesetzt wurde. Dazu schrieb eine große deutsche Tageszeitung sinngemäß: „Auch das noch! Der arme Häuslebauer muss jetzt zehntausend Euro mehr für eine Solaranlage berappen.“

 

„Mit dem Klimawandel werden viel zu häufig untergehende Pazifikinseln oder der Eisbär am Nordpol verknüpft. Das löst vor Ort nur begrenzte Emotionen aus. Wenn ich aber weiß, dass mein Garten Schaden nehmen wird; wenn ich wahrnehme, wie sich gerade ‚meine Landschaft und Heimat‘ durch Hitzeperioden verändert – dann wird klar, unsere ganze Lebensweise ist durch den Klimawandel gefährdet“

 

Dass der arme Häuslebauer aber beispielsweise tausende Euro für den Brandschutz, für den Schallschutz, den Wärmeschutz, für die Stellplatzverpflichtung und andere staatliche Auflagen ausgeben muss – ganz zu schweigen von der erheblichen Mehrbelastungen durch die Grunderwerbssteuer der Bundesländer-, das steht da nicht. Der arme Häuslebauer holt jedoch mit den investierten zehntausend Euro für die Solaranlage zum Schluss sein Geld nicht nur wieder herein, sondern macht damit sogar Gewinn. In dieser großen Tageszeitung steht aber nur: „Photovoltaik verteuert Hausbau“. Das ist billige Stimmungsmache gegen die Energiewende.

Sie haben sich in den frühen 90er Jahren auch für die Integration von Flüchtlingen im Landkreis Rhein-Hunsrück-Kreis eingesetzt. Konnten Sie da etwas für die Energiewende lernen?

Anfang der 90er kamen tausende Spätaussiedler zu uns, und wir waren zu Beginn auf uns allein gestellt. Ich habe damals gelernt: Wir müssen vor Ort anders arbeiten, Du brauchst neue Kooperationen und Netzwerke, die im Problem auch eine Chance für die Region sehen. Das hat uns dann am Anfang der Energiewende natürlich geholfen: Mir wird viel zu wenig über die Chancen von Sonne, Wind und Co. geredet und viel zu viel über die Probleme, die es natürlich auch noch gibt. Und natürlich stammt aus dieser Flüchtlingszeit auch der Ansatz, nicht allein zu kämpfen, sondern zusammen, gemeinsam – dann haben wir mehr Erfolg. Sicherlich ist das in der Kommunalpolitik nicht immer einfach, auch da gibt es Parteien, Fraktionen, Interessengruppen mit höchst unterschiedlichen Ansätzen. Aber uns ist gelungen, zusammen einen Funken zu zünden, der die Menschen dann mitgenommen hat.

Zum Schluss: Mit welchen Begriffen aus der klimapolitischen Debatte kann man einen gestandenen CDU-Politiker wie Sie so richtig in Rage bringen?

„Die Kosten der Energiewende sind zu hoch“ – das wird wie mit einer tibetanischen Gebetsmühle jeden Tag wiederholt. Dabei ist Strom aus Sonne und Wind in der Produktion ohne Subventionen heute billiger als aus Kohle oder Atomkraft. Aber auch die Behauptung, eine Energieversorgung zu einhundert Prozent aus Erneuerbaren sei nicht möglich, bringt mich auf die Palme. Diejenigen, die die Konzepte dafür ausgearbeitet haben, sind ja keine Phantasten, sondern anerkannte Wissenschaftler!

Interview: Nick Reimer