Die Ampelparteien sind mit hohen Zielen angetreten, als sie im Herbst 2021 ihre Koalition gebildet haben. Fortschritt wurde zum zentralen Begriff ihres Koalitionsvertrags. Er ließ sich beziehen auf eine wirtschaftliche Erneuerung im Zuge der Digitalisierung – genauso wie auf eine ökologisch nachhaltige Ausgestaltung von Energieversorgung, Verkehr und industrieller Produktion. Hinter der begrifflichen Gemeinsamkeit aber verbergen sich drei komplett unterschiedliche politische Konzepte von Transformation und drei radikal verschiedene Narrative des Wandels zur Nachhaltigkeit. Sie sind nahezu unvereinbar, weshalb es im politischen Alltag ständig zu heftigen Reibereien kommt. Und man muss keinen der drei Koalitionspartner schonen: Alle drei Narrative sind falsch.
Zudem hat auf Ebene der Bürger noch kein eigenes Narrativ verfangen, das aussichtsreich wäre, einen Weg in eine attraktive Transformation von unten zu weisen. Das erlebe ich jeden Morgen, wenn ich mit dem Fahrrad durch mein Viertel fahre, in dem gut 35 Prozent der Wähler mit ihrer Stimme dokumentieren, dass sie sich ökologische Veränderungen wünschen. Dennoch ist der öffentliche Raum derart vollgestellt mit Verbrennerautos, dass die Lebensqualität für Fußgänger, Radfahrer und Rollstuhlfahrer leidet. Ganz abgesehen vom Treibhausgasausstoß, der entsteht, wenn sie erst durch die engen Straßen losfahren. Die Gründerzeit-Häuser sind schlecht gedämmt und verschleudern fossile Energie. Und abends erzählen sich die Bewohner von ihren Reiseplänen auf andere Kontinente. Irgendjemand soll ihnen am besten das mit der Ökologie abnehmen.
Betrachtet man die Grünen als den transformationswilligsten der drei aktuellen Koalitionspartner, so zeigt sich an dessen wiederholten Konflikten mit der bürgerlichen Öffentlichkeit, welch schwierige kommunikative Aufgabe Klimapolitik zu bewältigen hat. Auf ein zwar latent klimabewusstes Publikum mit einem aber nur sehr beschränkten Veränderungswillen in der eigenen Lebensführung treffen Politiker, die die Dimensionen des erforderlichen Umbaus schon erkannt haben, aber mit jedem harten Einschnitt Gefahr laufen, Mehrheiten zu verlieren. Dass sich dieses Umweltbewusstsein der Grünen dann noch mit ihrer traditionell skeptischen Haltung gegenüber kosteneffizienten marktwirtschaftlichen Instrumenten paart, führt immer wieder zu großen Spannungen.
Ein erfolgversprechendes Narrativ für ehrgeizige Klimapolitik –
was sollte es enthalten?
Eine erfolgreiche Kommunikationsstrategie für die Klimapolitik müsste ein überzeugendes Bild vom Leben in einer nachhaltigen Zukunft zeichnen. Auf dem Weg dahin sollten die Zwischenschritte nicht zu weit von diesem Entwurf abweichen. Ein solches Narrativ könnte folgende Bausteine enthalten: klimaneutrales Wohnen mit Hilfe besserer Dämmung, Fernwärme und effizienter, strombasierter Wärmeerzeugung; nachhaltigere (und gesündere) Ernährung durch weniger Konsum tierischer Produkte und eine umweltschonendere Erzeugung; Umstieg auf kollektivere, dadurch energiesparende und emissionsfreie Verkehrsmittel wo möglich; ökologischere Konsummuster sowie eine erneuerbare Energieerzeugung mit modernen Speichertechniken. Die Wirtschaft sollte so weit wie möglich in Kreisläufen gestaltet und muss unabhängig von fossiler Energie sein.
Diese kurze Auflistung zeigt, dass mit hohem Kapitaleinsatz ein Innovationsschub in der europäischen Volkswirtschaft passieren muss. Neue Technologien spielen auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsform eine wesentliche Rolle. Das ist Konsens. Doch da, wo es bis jetzt umweltunverträglichen Überkonsum gegeben hat (Ernährung, Mobilität), wird den Haushalten auch eine maßvollere, um nicht zu sagen suffizientere, Lebensweise abzuverlangen sein. Die Rückkehr zu einem Maß in Relation zu den teilweise überschrittenen planetaren Grenzen sollte allerdings nicht mit dem abwertenden Begriff „Verzicht“ beschrieben werden. Stattdessen müssen sich Konsumnormen wieder an den ökologischen Grenzen orientieren.In diesem Text wird es darum gehen, wie eine attraktive Vision von Nachhaltigkeit aussehen könnte – und durch welche politischen Denkmuster und wirkmächtigen Metaphern wir davon abgehalten werden, ein überzeugenderes Narrativ zu entwickeln als die drei defizitären der Ampelparteien. Wer eine solche Vision entwirft, muss sich zwar mit hartnäckigen Klimawandelleugnern und Bewahrern des Status quo herumschlagen. Doch müssten Politiker so nicht permanent verbal gegenüber den schon jetzt ambitionierteren Zielen von EU-Parlament, -Kommission und -Ministerrat nachjustieren.
Die planetaren Grenzen der natürlichen Ressourcen und die Rückkehr zu einem maßvollen Verbrauch könnten ein Kernelement eines gemeinsamen Narrativs der Ampelparteien zur Klimapolitik sein. Im Bild ein Eingang zum Nationalpark Hainich in Thüringen; Foto: Uwe Glaubach/Wikimedia Commons
In Brüssel sind längst die Weichen für eine überaus ehrgeizige Klimapolitik gestellt. Dies wird unabhängig von kleinteiligen nationalen Entscheidungen ihre Wirkung entfalten und braucht Begleitung in Bund, Ländern und Kommunen. Das Europäische Emissionshandelssystem (ETS) mit verbindlichen jährlichen Reduktionszielen bis zum Jahr 2030 ist ein scharfes Leitinstrument, das Unternehmen und zunehmend auch Haushalte dazu zwingen wird, ihre Treibhausgasemissionen zurückzuführen. Mit der nächsten Entscheidung der EU über ihre Klimaziele bis 2040 wird ein bedeutender Impuls für die Transformation gesetzt.
Bisweilen ist aus der deutschen Politik zu hören, aus den festen Reduktionsvorgaben aus Brüssel würden sich erhebliche Preissteigerungen ergeben und diese könnten durch einen Umbau von Wärme- und Produktionsinfrastruktur gelindert werden. Das ist verantwortungsvolle Kommunikation. (Noch besser wäre es, würde dabei eine klare Perspektive für ein Klimageld aufgezeigt, das Einnahmen an Bürger rückvergütet.) Ab 2027 wird allmählich auch in den Privathaushalten ankommen, was die Unternehmen bereits seit einigen Jahren spüren, weil das für sie geltende Emissionshandelssystem bereits früher gestartet war: ein zunehmender Druck zur Emissionskappung. Durch die Ausgestaltung dieses Emissionshandels stieg dieser Druck für Unternehmen sehr langsam, erst in den vergangenen fünf bis sechs Jahren ist er richtig spürbar geworden und hat Investitionen in energieschonende Techniken ausgelöst. Fossile Brennstoffe werden, wie im Pariser Klimaabkommen von 2015 vereinbart, Mitte des Jahrtausends nicht mehr eingesetzt.
Doch die drei Regierungsparteien scheuen davor zurück, eine solche klare Vision technologischer Innovation und suffizienter Lebensstilanpassung zu zeichnen, die recht sicher in die Klimaneutralität führen würde. Neben Investitionen in Technik sind nämlich auch soziale und kulturelle Innovationen nötig, um die Ziele zu erreichen, für die zunächst Überzeugungsarbeit geleistet werden muss. Zu oft hatte sich in der Vergangenheit gezeigt, dass das Wahlvolk träge auf das dringende Erfordernis reagiert, den durchschnittlichen Temperaturanstieg gegenüber der vorindustriellen Zeit auf 2 Grad Celsius – und besser nahe 1,5 Grad – zu begrenzen. Um den Unterschied zwischen beiden Zahlen zu veranschaulichen: Bliebe der Anstieg bei 1,5 Grad Celsius, halten Fachleute für möglich, dass ein Teil der tropischen Korallenriffe in den Ozeanen gerettet werden kann. Sie waren in der Vergangenheit ein Frühindikator für das Massensterben von Arten auf der Welt. Bei 2 Grad höheren Durchschnittstemperaturen werden sie führenden Wissenschaftlern zufolge ganz verschwinden.
Dass die westdeutschen Grünen 1990 aus dem Bundestag flogen, lag wesentlich an ihrer aufs Klima ausgerichteten Kommunikation im Wahlkampf inmitten der Einheits-Euphorie. Der damalige Wahlkampfslogan (,Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter‘) sprach Bände. Die vorsichtige Reflexion über einen Veggieday in Kantinen im Wahlkampf 2013 erregte die Gemüter ähnlich wie der Entwurf für ein Gebäudeenergiegesetz im Jahr 2023, der als dirigistisch bis in den privaten Heizungskeller hinein wahrgenommen wurde. Diese Erfahrungen halten alle politischen Akteure jenseits von Kleinparteien davon ab, zu offensiv für Änderungen des Lebensstils zu werben.
Die – grundverschiedenen – Narrative der Ampelparteien zeigen die Unzulänglichkeit der aktuellen politischen Klimakommunikation
In den Ampelparteien haben sich drei Narrative für die Klimapolitik herausgebildet, die Chancen eines Schwenks zu erneuerbaren Energien herausstellen. Sie zeigen im Kern die Unzulänglichkeiten der aktuellen politischen Klimakommunikation. Die SPD und allen voran Bundeskanzler Olaf Scholz verbreiten die Idee einer grünen Gründerzeit. Durch die hohen Investitionen und die Umwandlung des Kapitalstocks der deutschen Industrie und Energieerzeuger werde es zu einer großen neuen Wirtschaftsdynamik kommen, Baubetriebe würden zahllose Aufträge erhalten, Technikhersteller einen Boom erleben. Es gelte nur, diesen Schub durch geschicktes Verwaltungshandeln zu entfachen. Nachhaltigkeit als Wohlstandsquelle.
Diese Vision aber hat ein Problem: Wer sich die Wachstumstheorien internationaler Ökonomen ansieht, wird in Ersatzinvestitionen, die den Kapitalstock in Richtung Klimaneutralität wandeln, keine Ursache für einen Produktivitätsschub erkennen. Seit den bahnbrechenden Arbeiten des Ökonomen Robert Solow gilt technischer Fortschritt als wesentlicher Treiber des Wachstums; ersetzt ein nachhaltiger Kapitalstock einen fossilen, geht das aber nicht zwangsläufig mit Produktivitätsgewinnen einher. Das wäre jedoch Voraussetzung für eine neue Gründerzeit. Anderes ließe sich von der Künstlichen Intelligenz sagen, die vermutlich Arbeitsprozesse in allen vorstellbaren Herstellungsverfahren viel effizienter gestalten wird. Doch Windkraftanlagen, die Kohlekraft ersetzen, führen nicht zwingend zu mehr Effizienz. Sie sind aber notwendig, um die Wirtschaft unabhängig von schädlichen fossilen Brennstoffen zu machen. Die Erzählung von der grünen Gründerzeit könnte also in einer großen Enttäuschung enden. Wenn man aber Dinge vom Ende her denkt, also vom Jahr 2050, sollte man nicht so argumentieren wie die SPD.
Die Grünen verbreiten seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine die Vorstellung, nach erheblichen Preissteigerungen für Brennstoffe würden Wähler verstehen, dass eine schnelle Umrüstung von Wirtschaft und privater Heizinfrastruktur im eigenen Interesse sei. So ließen sich die Folgen zwangsläufiger Preiserhöhungen abfedern. Mit detaillierten Mengenvorgaben für den Ausbau privater Wärmepumpen lasse sich der Umbau zielgenau gestalten, so war der Glaube vor dem Proteststurm. Das Muster ähnelt sich bei vielen neu diskutierten Vorhaben: Der Staat als Dirigent des ökologischen Wandels ohne große Rücksicht auf bestehende Strukturen.
Wer in dieser Debatte genauer hinsah, konnte schon an den geplanten Ausnahmen für Eigenheimbesitzer über 80 Jahren erkennen, dass ein solcher Ansatz nicht frei von Inkonsistenzen und absurder Bürokratie sein würde. Dass die kommunale Wärmeplanung erst nach der erbitterten öffentlichen Diskussion in den Gesetzentwurf allen privaten Investitionen vorgeschaltet wurde, war ein Beleg für eine einseitige und dogmatische Politik. Wieder einmal sind die Grünen mit diesen Plänen nicht über die Hürde gesprungen, ihre seit der Gründung in den siebziger Jahren starken Sympathien für dirigistische Ansätze zu überwinden und haben dadurch viel grundsätzlichen Zuspruch vor allem im bürgerlichen Lager verspielt.
Lang ist's her (1): Als "Klimakanzler" plakatierte die SPD im Bundestagswahlkampf 2021 ihren Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. Doch die von ihm geführte Ampelkoalition hat seitdem kein gemeinsames oder überzeugendes Narrativ für eine ehrgeizige Klimapolitik gefunden – im Gegenteil, die drei Parteien folgen drei sehr verschiedenen Konzepten; Foto: SPD
Die Vision der FDP ist noch einfacher. Sie ist der von CDU/CSU, der wichtigsten Oppositionsparteien im Bundestag, artverwandt und lautet: Wir lassen den Emissionshandel wirken und werden uns mit neuen Technologien aus der Ökokrise herauswachsen. Weil es der FDP vom Wesen her grundlegend widerspricht, freie Entscheidungen der Bürger zu beschränken, überhöht sie das Freiheitsversprechen im Hinblick auf den ökologisch-sozialen Wandel. Der Parteivorsitzende und Bundesfinanzminister Christian Lindner erklärte den Porsche, den privaten Flug und das Grillfleisch seiner Wähler für unantastbar, den Klimaaktivisten von Fridays for Future entgegnete er in ihrer anfänglichen produktiven Phase, das Klimaproblem solle „Experten“ überlassen werden. Man hört die FDP seither zum Beispiel mehr davon reden, wie private Haushalte (thermodynamisch ineffizient) mit Wasserstoff geheizt werden können, als eine Strategie gegen den Verlust an Biodiversität zu entwickeln. Ökoprobleme werden unter Verweis auf technologische Lösungen wegdefiniert.
Diese Haltung ist bemerkenswert. Denn während sich die Liberalen in anderen Fragen technologieoffen und staatsfern geben, suggerieren sie unter Verweis auf den Emissionshandel, schon zu wissen, wie die Entwicklung ausgeht: Nur Technik, keine Veränderung der Lebensgewohnheiten werde das Problem lösen. Diese Sichtweise aber wird von Wissenschaftlern der noch jungen Disziplin der Ökologischen Ökonomik seit gut vier Jahrzehnten und mit weitaus besseren Argumenten als im umstrittenen Club-of-Rome-Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ in Frage gestellt.
Sie heben vor allem auf die verzahnten Ökokrisen durch den Klimawandel und den Verlust an Biodiversität ab, betonen die häufige Irreversibilität von Umweltschäden und bezweifeln, dass eine dringend nötige Entkopplung von Wohlstand und Umweltverbrauch zu einer vollständig dematerialisierten Wirtschaft ohne Umweltbelastung führen werde – zumal Verbesserungen in industrialisierten Ländern häufig mit höheren ökologischen Schäden in neuen Produktionsstätten in Schwellenländern einhergehen. Auch praktische Probleme treten auf: So verweisen zum Beispiel Akteure aus der Energiewirtschaft auf die Schwierigkeiten, erneuerbare Energien von sonnenreichen Staaten nach Mitteleuropa zu transportieren und effizient umzuwandeln.
Die planetaren Grenzen mit sozialer Marktwirtschaft und maßvollem Lebensstil verbinden
Alle drei Großvisionen also haben ihre Tücken. Ein Ansatz, der planetare Grenzen mit der sozialen Marktwirtschaft und einem maßvolleren Lebensstil vereint, könnte einen Teil dieser Widersprüche auflösen. Mit dem Emissionshandel gibt es tatsächlich ein äußerst starkes ökonomisches Leitinstrument, mit dem sich durch demokratischen Mehrheitsbeschluss (im EU-Parlament) ein geringerer Treibhausgasausstoß im Rahmen der Ökogrenzen festlegen lässt. Er hat die Wirkung scharfer Ordnungspolitik, ermöglicht aber ein Suchverfahren nach dem derzeit günstigsten Weg, Treibhausgasausstoß zu vermeiden.
Was bislang fehlt, ist eine sinnvolle Begleitung der beschlossenen Reduktionen. Kommunen müssen (auch finanziell) ertüchtigt werden, dort Emissionen zu reduzieren, wo sie anfallen: im städtischen Verkehr, im Kraftwerkspark der mehrheitlich von ihnen gehaltenen Stadtwerke, der öffentliche Nahverkehr muss attraktiver werden – etwa durch eine bessere Taktung von Fahrten. Die Verkehrspolitik muss auch überregional kollektiven Transport zuverlässiger machen. Die Landwirtschaft muss in die Logik gekappter Emissionsmengen einbezogen werden.
„Der industriepolitische Ansatz der SPD, der den Menschen nicht weh tun soll und Klimaneutralität erreichen will, ohne Wähler davon etwas merken zu lassen. Die grüne Oberlehrer-Haltung, die das Wahlvolk zu Klimapionieren erziehen will, obwohl gerade der gutverdienende Teil ihrer eigenen urbanen Klientel zu den Hauptverursachern der Krise zählt. Und die FDP-Agenda, Freiheit bis zum klimapolitisch fragwürdigen Konsumverhalten zu verteidigen.“
Wenn die Dinge scheinbar so klar liegen, warum aber hapert es dann mit der Kommunikation? Dass es im politischen Alltag permanent knirscht, obwohl die drei Koalitionsparteien unter dem Oberbegriff „Fortschritt“ ein griffiges Motto für ihre Zusammenarbeit gefunden hatten, liegt an den beschriebenen grundsätzlich unterschiedlichen Narrativen, die immer weniger kompatibel scheinen: Der industriepolitische Ansatz der SPD, der den Menschen nicht weh tun soll und Klimaneutralität erreichen will, ohne Wähler davon etwas merken zu lassen. Die grüne Oberlehrer-Haltung, die das Wahlvolk zu Klimapionieren erziehen will, obwohl gerade der gutverdienende Teil ihrer eigenen urbanen Klientel zu den Hauptverursachern der Krise zählt. Und die FDP-Agenda, Freiheit bis zum klimapolitisch fragwürdigen Konsumverhalten zu verteidigen.
Lang ist's her (2): Mit einem auf Instagram geposteten Selfie wollten FDP und Bündnisgrüne im September 2021 eine Aufbruchstimmung zum Start der Ampelkoalition vermitteln. "Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus", lautete damals die Botschaft dazu. Foto: Instagram @volkerwissing
Man hätte sich vorstellen können, dass das Gemeinsame der Ampel-Parteien in einem ökoliberalen Verständnis der Nachhaltigkeitskrise liege – also ordnungspolitisch verbindliche Grenzen für den Treibhausgasausstoß, die Wasser- und Bodenqualität und den Biodiversitätsverlust auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse definiert und dann im Trial-and-Error-Verfahren Unternehmen kosteneffizient nach innovativen Verfahren zum Energiesparen suchen lässt. Doch der Vorbehalt, den Emissionshandel ins Zentrum der Überlegungen zu stellen, zeigt sich an Äußerungen von Bundeswirtschaftsminister Habeck, er könne nicht „wirkungsgleich“ mit dem überarbeiteten Gebäudeenergiegesetz zum Ausbau der Wärmepumpeninfrastruktur beitragen. Der Emissionshandel zielt aber gar nicht darauf ab, in Zwischenetappen wirkungsgleich zu sein – sondern bis zum festgelegten Endjahr eine vorgegebene Emissionsmenge nicht zu überschreiten. Das ist mehr, als alle anderen Instrumente können.
Ein kurzer Essay von 1966 eignet sich bis heute, die Perspektiven einer Transformationspolitik zu begreifen
Eines aber haben die Grünen längst viel besser als ihre politische Konkurrenz verinnerlicht. Und das dürfte entscheidend für Erfolg oder Misserfolg von Klimapolitik sein: Sie teilen die Sicht, dass ökologische Grenzen den Rahmen für ökonomische Entfaltungsmöglichkeiten vorgeben. Am lesenswertesten hat diese Sichtweise der britisch-amerikanische Ökonom Kenneth Boulding Mitte der sechziger Jahre in einem kurzen, aber bis heute gültigen Essay vermittelt. ‚The Economics of the Coming Spaceship Earth‘ von 1966 eignet sich tatsächlich viel besser als ‚Die Grenzen des Wachstums‘, um Perspektiven einer Transformationspolitik zu begreifen.
Boulding argumentiert, in der Menschheitsgeschichte sei es bislang immer möglich gewesen, eine ökonomische Barriere zu überwinden, indem Menschen weiterzogen, sich neue Territorien erschlossen oder auch unvorteilhafte Abfälle hinter sich ließen. Nun aber, also Mitte der 1960-er Jahre, zeige sich, dass aus einer solchen „Cowboy-Ökonomie“ eine „Raumschiff-Ökonomie“ werde – was zur Zeit der Veröffentlichung auf Fotos einer verletzlichen Erde aus dem Weltall anspielte. In dieser sei jeder Output einer Produktion zugleich Input einer anderen. Visionär empfahl der unkonventionelle Wirtschaftswissenschaftler den behutsamen Umbau zu einer Solarökonomie und zu einer Kreislaufwirtschaft, in der recycelte Kuppelprodukte eines Prozesses wieder in andere Produktionen eingebunden werden. Hätte man auf ihn gehört, wären die Probleme heute gelöst.
Mit einer Handvoll Publikationen haben Boulding und der rumänisch-amerikanische Ökonom Nicholas Georgescu-Roegen den Anstoß dafür gegeben, dass sich die wissenschaftliche Disziplin der Ökologischen Ökonomik gebildet hat. Sie waren die ersten Volkswirte, die das physikalische Konzept der Entropie und den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik in die ökonomische Theorie einbezogen haben. Auf sie geht also die materielle Fundierung des Wirtschaftens zurück, die aufzeigt, wie aus der Umwandlung von Energie und Materie nicht nur Produkte, sondern auch (irreversible) Umweltprobleme entstehen.
„Die Entkopplung von Wohlstand und Umweltverbrauch wird somit zur Menschheitsaufgabe. Gemessen daran sind diese zugrundeliegenden Konzepte einer breiten Öffentlichkeit relativ unbekannt. Es sollte eine kommunikative Aufgabe von Klimapolitik sein, diesen Zusammenhang zu verdeutlichen.“
In seinem Vorwort zum Buch ‚The Economy of Love and Fear‘ kam Boulding später noch einmal zu diesen Fragen zurück: Der Mensch sei in den vergangenen 100.000 Jahren gut und in den jüngsten 10.000 Jahren sogar nahezu optimal an die Erfordernisse des Überlebens angepasst gewesen, indem er expandierte. Doch diese Art der Expansion komme nun zu einem Ende.
Boulding war klug genug, dies vor allem energetisch, materiell und geographisch zu begründen. Die Expansion des Bruttoinlandsprodukts, als das Wachstum der Wirtschaft, ist potenziell grenzenlos. Aber insoweit sie einhergeht mit nicht absolut sinkenden Umweltbelastungen, ist diese Expansion eben doch problematisch. Die Entkopplung von Wohlstand und Umweltverbrauch wird somit zur Menschheitsaufgabe. Gemessen daran sind diese zugrundeliegenden Konzepte einer breiten Öffentlichkeit relativ unbekannt. Es sollte eine kommunikative Aufgabe von Klimapolitik sein, diesen Zusammenhang zu verdeutlichen. Denn, wie Boulding 1981 schrieb: Wie gut die Menschheit durch diese dringliche Aufgabe hindurchkommt, hänge davon ab, wie schnell sie neue Ideen und Institutionen schafft, die zu dieser Weltsicht passen. Mit anderen Worten: Ohne einen breiten Konsens über Ökogrenzen im Sinne Bouldings wird es keine erfolgreiche Nachhaltigkeitspolitik geben.
Die gerade wiederkehrende „Schlusslicht“-Debatte stellt wirtschaftliches Wachstum über jedes andere ökonomische Ziel
Schaut man sich aber die Geschichte des deutschen Wachstumsdiskurses seit Veröffentlichung seines Essays an, fallen einige erbitterte Sprachkämpfe auf. Bejahten die damals regierenden Sozialdemokraten im Verbund mit den Gewerkschaften unter Verweis auf das neue Schlagwort „Lebensqualität“ anfangs die neue Sicht, verlor dieses mit der bald darauf einsetzenden Ölkrise an Bindekraft. Gleichwohl blieb es als „qualitatives Wachstum“ eine Zeitlang in den Debatten erhalten. Die oppositionellen Unionsparteien hielten eine Umwertung nicht für nötig. Als die Grünen 1983 erstmals in den Bundestag zogen, lautete das rhetorische Motiv der gerade wieder an die Macht gekommenen Union sogar, mit den Grünen werde sich der Mensch zwangsläufig zurück zu Affen auf Bäumen entwickeln. Erst mit dem Wahlsieg 1998 und der rot-grünen Bundesregierung gab es ernsthafte Bemühungen, erneuerbare Energien systematisch auszubauen. Die konjunkturelle Delle Anfang des neuen Jahrtausends führte dann allerdings schnell wieder zur „Deutschland ist ökonomisches Schlusslicht“-Debatte, die wirtschaftliches Wachstum über jedes andere ökonomische Ziel stellte. Interessanterweise kehrt diese Metaphorik aktuell angesichts der schwachen Konjunktur wieder in den Diskurs zurück.
Der Grenz-Sicht, die auch von den domestizierten Grünen in ihrer Regierungszeit nie offensiv propagiert wurde, steht eine traditionelle Perspektive gegenüber, die eine Wirtschaft metaphorisch als einen Organismus begreift. Wächst er, wird er als gesund begriffen. Schwächelt die Produktion, gilt er als ungesund und braucht Medizin. Ihr Erfolg misst sich daran, ob die Wirtschaft auf den Wachstumspfad zurückkehrt. Erst mit Aufkommen des Klimaaktivismus seit Anfang 2019 und dem Erstarken von Umwelt-NGOs wurden ökologische Grenzen als ein Instrument der Umweltpolitik verstanden, mit dem sich chaotische Entwicklungen unter Kontrolle bringen lassen.
„Ein marktwirtschaftlicher ökoliberaler Ansatz übersetzt ökologische Grenzen durch geeignete Verfahren in einen Ordnungsrahmen, innerhalb dessen Unternehmen und Haushalte ohne groß nachzudenken nachhaltig wirtschaften und konsumieren können“
Um hier nicht missverstanden zu werden: Ein marktwirtschaftlicher ökoliberaler Ansatz nimmt keine Anleihen bei Degrowth-Strategien, die eine Vereinbarkeit von kapitalistischer Entwicklung und Lösung der ökologischen Krisen für unmöglich halten (prominent vertreten etwa von der taz-Redakteurin Ulrike Herrmann in ihrem Bestseller ‚Das Ende des Kapitalismus – Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind und wie wir in Zukunft leben werden‘). Es geht nicht darum, der Chemieindustrie zu erklären, sie solle die Hälfte ihrer Produktion einstellen, um zur Klimaneutralität zu kommen. Sondern darum, ökologische Grenzen durch geeignete Verfahren in einen Ordnungsrahmen zu übersetzen, innerhalb dessen Unternehmen und Haushalte ohne weiter nachzudenken nachhaltig wirtschaften und konsumieren können. Es geht um einen Rahmen, der es zum Beispiel kreativen Start-ups ermöglicht, Wärmedämmung ohne schädliches Styropor zu entwickeln und marktgängig zu machen. Das ist ein fundamentaler Unterschied.
Warum ist dieser kurze Ausflug in die Linguistik und ihre Teildisziplin der kognitiven Metapherntheorie aber dennoch wichtig? Weil sich für einem klimapolitischen Erfolg unsere Vorstellung vom Wirtschaften in dem Sinne anpassen muss, wie ihn Kenneth Boulding in seinem Vorwort zu ‚The Economy of Love and Fear‘ angedeutet hat. Der Mensch im Rahmen der Ökologie. Die Ökologischen Ökonomen haben diese Umdeutung in einem Bild veranschaulicht: Nicht die Umwelt sei eine Teilmenge der Wirtschaft, sondern die Wirtschaft eine Teilmenge der Ökologie.
Die einseitige Wachstumsfixierung der vergangenen Jahrzehnte hat den Blick auf diesen Zusammenhang verstellt. Heute betonen einflussreiche Ökonomen wie Clemens Fuest oder Rüdiger Bachmann, dass eine Nachhaltigkeitspolitik kein Gebot der Wachstumspolitik sei, sondern notwendig für den Erhalt von Wohlstand und Lebensgrundlagen. „Ob die Wirtschaft unter diesen Bedingungen dann noch wachsen wird, werden wir dann sehen, daran sollte man aber nicht wie an einem Fetisch festhalten, genauso wenig wie an Degrowth als Ziel per se“, sagte Bachmann kürzlich in einem Interview mit der Zeitung Das Parlament. Ergibt sich unter den scharf gestellten Ökogrenzen dennoch Wirtschaftswachstum, ist das willkommen. Aber Wachstum dient dieser jüngeren Generation von Ökonomen nicht mehr wie noch um die Jahrtausendwende als Begründung für Reformen von der Renten- und Gesundheitspolitik bis zur späteren Abwrackprämie als Impulsgeber in der Finanzkrise.
„Für einen klimapolitischen Erfolg muss sich unsere Vorstellung vom Wirtschaften im Sinne Kenneth Bouldings anpassen: Der Mensch im Rahmen der Ökologie. Die Ökologischen Ökonomen haben diese Umdeutung in einem Bild veranschaulicht: Nicht die Umwelt sei eine Teilmenge der Wirtschaft, sondern die Wirtschaft eine Teilmenge der Ökologie“
Das musste Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erleben, die als ehemalige Bundesumweltministerin und zentrale Akteurin vor der Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls 1997 schnell den Ruf als „Klimakanzlerin“ genoss, ihn aber irgendwann für immer verlor. Im Konfliktfall (etwa bei der Festlegung von Emissionsgrenzwerten für Verbrennerautos, aber auch in der mangelnden Priorisierung des Emissionshandels) entschied sie sich oft vermeintlich „für“ die Wirtschaft – oder besser gesagt für Lobbyinteressen von Wirtschaftsverbänden. Betrachtet man aber die soeben Fuest und Bachmann zugeschriebene Sichtweise aufs Wirtschaften, ist eine Entscheidung „für“ die Wirtschaft längst auch eine für die Lebensgrundlagen und somit die Ökologie geworden. Oder wie ich manchmal sage: Man muss nicht darüber streiten, ob „Börse vor acht“ durch „Klima vor acht“ ersetzt wird. Sie sind längst dasselbe.
Klimaneutrales Leben wird attraktiv sein –
aber es wird Anpassungsschmerzen geben
Eine erfolgreiche Klimakommunikation braucht ein positives Framing der Transformation (ohne allzu billige Anbiederungen an den Klimaaktivismus) und klare Leitbilder, wie Menschen zur Mitte des Jahrhunderts ohne fossilen Ausstoß trotzdem ein gutes Leben führen. Dabei darf Framing nicht über das Ziel hinausschießen und im Stile mancher Klimaaktivisten nur von Verheißungen der Klimapolitik schwärmen. Natürlich wird das auch Anpassungsschmerzen verursachen, aber die Einteilung der Welt in Lager (Technik vs. Verzicht, Stadt vs. Land, Veganer vs. Fleischesser, Lastenfahrrad vs. SUV) ist kontraproduktiv.
„Eine erfolgreiche Nachhaltigkeitspolitik braucht eine verlässliche obere Ebene, der Bürger vertrauen können, dass Klimaziele ohne allzu große Schockwirkungen erreicht werden. Und es braucht eine neugierige untere Ebene bei den Bürgern, die sich auf das große Wagnis einlässt, den eigenen Lebensstil an die ökologischen Grenzen anzupassen“
Klimaneutrales Leben wird attraktiv sein. Die Veränderungsgeschwindigkeit ist noch zu langsam, beschleunigt sich aber – wieder einmal durch effektive Vorgaben aus der Brüsseler Regulierung (die ihrerseits mit manchen bürokratischen Vorgaben auch übers Ziel hinausschießt). Mit der neuen Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) werden immer mehr Unternehmen angehalten sein, ihre Umwelteffekte offen zu legen. Banken können auf dieser Basis über ihre Kreditvergabe im Rahmen ökologischer Grenzen entscheiden, der ihnen von der Finanzaufsicht gesetzt wird. Der Emissionshandel wird Unternehmen immer stärker dazu treiben, in klimafreundliche Innovationen zu investieren. Haushalte werden steigende CO2-Preise zu spüren bekommen, sodass schon bald niemand mehr eine Gasheizung einbauen wird, nicht einmal aus Trotz.
Woran es in der Klimakommunikation aktuell am meisten fehlt, ist die Erkenntnis, dass eine erfolgreiche Nachhaltigkeitspolitik top down und bottom up gleichzeitig sein muss. Es braucht also eine Politik mit konsistenter Vision und gleichzeitig eine wachsende Nachhaltigkeitspräferenz in der Bevölkerung. Ihre in Umfragen dokumentierten Vorbehalte, den eigenen ökologischen Footprint anhand geeigneter Internet-Tools zu beobachten, zeigen leider, dass die allgemeine Zustimmung zu Nachhaltigkeitszielen noch lange nicht mit der Bereitschaft einhergeht, den eigenen Beitrag zu hinterfragen. Soll Klimakommunikation erfolgreich werden, braucht es eine verlässliche obere Ebene in der Politik, der Bürger vertrauen können, dass Klimaziele ohne allzu große Schockwirkungen erreicht werden. Und es braucht eine neugierige untere Ebene bei den Bürgern, die sich selbst hinterfragt und sich auf das große Wagnis einlässt, den eigenen Lebensstil an die ökologischen Grenzen anzupassen.