Marcel Hänggi, 50, hat an der Universität Zürich Geschichte studiert und arbeitet seit vielen Jahren als freier Journalist und Buchautor in der Schweiz. 2013 wurde er von einem Fachmagazin zum "Wissenschaftsjournalisten des Jahres" gekürt. Diese Woche startet in der Schweiz eine von ihm mit-lancierte Volksinitiative, die bis zum Jahr 2050 einen kompletten Ausstieg des Landes aus fossilen Energieträgern fordert
Die Klimaschutzdebatte wird meist sehr abstrakt und wissenschaftlich geführt. Sie versuchen es populär, Ihr aktuelles Buch heißt "Null Öl, null Gas, null Kohle". Aber ist das nicht arg verkürzt?
Eine technisch geführte Debatte erreicht viele Leute nicht. Und sie suggeriert, dass sich das Problem allein mit besseren Technologien lösen ließe. Das ist meines Erachtens ein Hauptgrund dafür, dass die Klimakrise unterschätzt wird. Viele vertrauen darauf, dass eines Tages ein Daniel Düsentrieb auftauchen und das Problem lösen wird. Das ist eigentlich eine verpasste Chance - denn eine Welt ohne fossile Energien kann eine bessere sein.
Wie kann man Bevölkerung und politischen Entscheidungsträgern die Dringlichkeit von Klimaschutz besser kommunizieren?
Die Staaten der Welt haben Ende 2015 in Paris beschlossen, was nötig wäre ...
... nämlich die Erderhitzung auf deutlich unter 2°C zu halten, möglichst sogar unter 1,5°C.
Ich bin mir nicht sicher, ob die Regierungen wirklich verstanden haben, was sie da beschlossen haben – oder ob sie es ernst meinten. Ich glaube jedoch, dass die Kommunikation zum Thema Klimawandel nicht so schlecht ist. Gewisse Kreise wird man sowieso nicht erreichen. Die großen Hindernisse sind andere: Etwa die Fossilenergie-Industrie oder die Autoindustrie sind stark und haben ein Interesse daran, dass nichts geschieht.
Die Diskussion wird auch von Leugnern des wissenschaftlichen Konsenses beeinflusst. In Ihrem Buch betonen Sie: "Streiten sich ein Wissenschaftler und ein Antiwissenschaftler öffentlich, bleibt beim uninformierten Publikum die Botschaft hängen: Offenbar sind sich die ›Experten‹ selbst nicht einig". Wie tritt man den Leugnern am besten entgegen?
Eines sollte man nicht tun: Die Klimaleugner überzeugen wollen. Sie lassen sich von Fakten nicht umstimmen. Wenn man ihnen entgegentritt, dann für ein Publikum. Da gewinnt man wohl am besten mit Humor – und indem man souverän bleibt. Das ist angesichts der Primitivität der Argumente der Gegenseite nicht immer einfach.
Eine Untersuchung des Berliner Think Tanks adelphi zeigte kürzlich, dass das Leugnen der Erderhitzung bei vielen Rechtsaußen-Parteien zu finden ist. Wieso?
Es ist nicht so, dass die politische Rechte per se keinen Sinn für Umweltanliegen hätte. Aber es ist tatsächlich ein Merkmal der neuen rechten Bewegungen, die Realität des menschengemachten Klimawandels zu leugnen. Sie haben ganz unabhängig vom Thema Umwelt einen sehr eigenen Umgang mit Wahrheit entwickelt und eine starke Affinität zu Verschwörungstheorien.
"Die Klimakrise führt uns in den reichen Ländern vor Augen, dass der ökologische Kollaps unvermeidlich wird, wenn alle so leben wollen wie wir. Das löst Abwehrreaktionen aus - und Rechtspopulisten verstehen es, diese zu nutzen"
Dazu kommt, dass die Klimakrise uns Bewohnern der reichen Länder vor Augen führt, dass unser Lebensstil auf Kosten des Rests der Welt geht und dass der ökologische Kollaps unvermeidlich wird, wenn alle so leben wollen wie wir. Das löst Abwehrreaktionen aus. Die Populisten verstehen es, diese zu nutzen: Gerade, wenn man erkennen müsste, dass man selber das Problem ist, ist es verlockend, die anderen, die "Fremden" zum Problem zu stilisieren.
Wie muss Klimaschutz betrieben werden, um dagegen anzukommen?
Ein Problem sowohl in Kommunikation wie in der Politik ist, dass der Klimawandel oft als ein isoliertes Problem behandelt wird. Die Umweltämter zum Beispiel tun ihr Bestes - aber schon in benachbarten Politikbereichen wie Landwirtschaft, Energie oder Verkehr spielt die Klimakrise allenfalls noch eine untergeordnete Rolle. In der Schweiz sind Umwelt, Energie und Verkehr im selben Ministerium untergebracht, und eine ehemalige Ministerin konnte problemlos am einen Tag für Klimaschutz plädieren und am nächsten Tag den Ausbau der Flughäfen fordern.
Ihr Buch bietet auch positive Ausblicke. So betonen Sie, eine Gesellschaft könne sich auch ohne neue Techniken disruptiv verändern. Werte und Mentalitäten könnten sich ziemlich plötzlich wandeln - und sie nennen die gesellschaftspolitisch denkende Umweltbewegung um 1970. Meinen Sie, dass so ein Moment auch in der globalen Klimapolitik möglich ist?
Vielleicht erleben wir diesen Moment gerade!? Es ist natürlich zu früh, das zu beurteilen, aber die weltweiten Jugendproteste machen mir Mut. Auf der anderen Seite war beispielsweise die brasilianische Präsidentschaftswahl extrem entmutigend. Aber vielleicht ist jemand wie Bolsonaro ein Keim für eine Gegenbewegung – so wie es in den USA eine starke Gegenbewegung gegen Trump gibt und Politikerinnen wie Alexandria Ocasio-Cortez an Einfluss gewinnen, die vor wenigen Jahren im dortigen Politbetrieb noch kaum denkbar gewesen wären.
Seit dieser Woche werden in der Schweizer Unterschriften gesammelt für einen Volksentscheid, mit dem die Nutzung fossiler Energieträger in dem Land bis höchstens 2050 beschränkt werden soll; Screenshot: gletscherinitiative.ch
Sie haben eine Volksinitiative für mehr Klimaschutz in der Schweiz gestartet - und sie "Gletscher-Initiative" genannt. Weshalb?
Weil das Schwinden der Gletscher in der Schweiz das sichtbarste Zeichen der Klimakrise ist – in einem anderen Land hätten wir einen anderen Namen gewählt. Uns ist klar, dass wir die Gletscher nicht mehr retten können: Rund drei Viertel des alpinen Eisvolumens dürfte selbst dann verloren sein, wenn die Pariser Klimaziele erreicht werden. Aber dieser tragische Umstand soll eine Mahnung sein, jetzt endlich zu handeln.
Was ist das Ziel der Volksinitiative?
Natürlich gewinnen, also erreichen, dass bis spätestens 2050 alle fossilen Energieträger verboten werden und die Treibhausgasemissionen netto null erreichen. Aber drüber hinaus wollen wir auch ein Bewusstsein schaffen: Die weitaus meisten Leute anerkennen ja die wissenschaftliche Tatsache, dass sich das Klima wegen der menschlichen Treibhausgasemissionen erwärmt.
"Die unter Journalisten verbreitete Maxime 'Mach dich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten' ist falsch, wenn die Sache, um die es geht, das Überleben der menschlichen Zivilisation ist"
Aber noch immer dürfte den wenigsten das Ausmaß der Krise bewusst sein. Wir haben durch die Volksinitiative immerhin bereits erreicht, dass sich selbst wichtige Politiker aus Parteien, die bisher eher durch Nichtstun aufgefallen sind, wenigstens rhetorisch zum Netto-Null-Ziel bekennen. Wobei uns da die großartige Klimastreik-Bewegung sehr hilft.
Wie kamen sie dazu, vom Journalisten zum Aktivisten zu werden? Wie gehen Sie mit dem Rollentausch um?
Ich hatte die Idee zur Volksinitiative gleich nach der Klimakonferenz in Paris. Ich hatte die Nase voll davon, immer nur zu schreiben, was man tun müsste. Ich will es selbst tun! Damit ruinierte ich mir natürlich ein berufliches Standbein, denn ich kann heute nicht mehr als unabhängiger Journalist über Klimathemen schreiben.
Vor einem ähnlichen Problem sehen sich Klimaforscher: Müssen sie sich darauf bescheiden, wissenschaftlich festzustellen, was Sache ist, und hoffen, ihre alarmierenden Befunde würden gehört und richtig verstanden? Oder dürfen, ja müssen sie sich in die politische Debatte einmischen?
Die unter Journalisten weit verbreitete Maxime "Mach dich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten" ist falsch, wenn die Sache, um die es geht, das Überleben der menschlichen Zivilisation ist.
Interview: Julia Schilly