Menschen sind – entgegen ihrer verbreiteten Selbstwahrnehmung – keine rein rationalen Wesen. Bei ihren Entscheidungen lassen sie sich häufig von Faktoren leiten, die nichts mit der Sache zu tun haben. Überraschend selten kommt es vor, dass sie nüchtern die vorliegenden Alternativen bewerten und sich dann für die beste entscheiden. Sondern sie orientieren sich – ohne darüber nachzudenken –auch an eigentlich belanglosen Punkten. Dieses irrational wirkende Verhalten wird in der Psychologie seit den 50er-Jahren untersucht, und Werbefachleute nutzen es schon lange, um Produkte zu verkaufen. In jüngster Zeit wird zunehmend darüber diskutiert, ob man diese vorhersagbaren Neigungen für einen guten Zweck einsetzen sollte: etwa, um Menschen zu einer energiesparenden und klimaschonenden Lebensweise zu bewegen.
Im Englischen werden solche Versuche, das Verhalten zu beeinflussen, als "Nudges" (wörtlich: Anstupser) bezeichnet. Ein typisches Beispiel für Nudging sind Urinale auf Männertoiletten, in denen direkt über dem Ablauf ein kleines Fußballtor hängt und so zu genauem Zielen eingeladen wird. Den Nudges ist gemein, dass sie keinen Druck ausüben und nicht die Wahlfreiheit einschränken, sondern nur die Art und Weise verändern, in der Handlungsoptionen präsentiert werden. Psychologen und Ökonomen haben inzwischen die Wirkungsweise einer Fülle ganz unterschiedlicher Maßnahmen untersucht. Offenbar hat das Nudging, so der Forschungsstand, einen zwar durchaus spürbaren, aber doch überschaubaren Effekt.
Menschen spenden mehr, wenn sie wenig dafür tun müssen
Die Psychologie weiß seit langem, dass Menschen dazu neigen, die Dinge grundsätzlich so zu belassen, wie sie sind. Aus diesem Grund wird im Zusammenhang mit Nudging beispielsweise über die Voreinstellungen von Apps debattiert, also den inzwischen weit verbreiteten, kleinen Service-Programmen auf Mobiltelefonen: Verbraucherschützer fordern von den Anbietern, bei den Standard-Einstellungen von Apps ein größtmögliches Maß an Datensicherheit und Privatsphäre vorzusehen. Denn es ist erfahrungsgemäß schwer, die Nutzer dazu zu bewegen, in den oft komplizierten Programmmenüs selbst die Einstellungen zu ändern.
Der Tourismusforscher Jorge Araña von der Universität Gran Canarias hat mit seinem Kollegen Carmelo León in einer ähnlichen Weise versucht, Menschen die Entscheidung für einen Klimaobolus bei Reisen abzunehmen: Bei der Hälfte ihrer 1680 Probanden – es handelte sich um Wissenschaftler, die zu Konferenzen auf die kanarische Insel flogen – war die Abgabe für Klimaprojekte bereits in der Tagungsgebühr enthalten. Sie konnte aber gestrichen werden, wenn man den Preis nicht zahlen wollte. Bei den anderen wurde die Abgabe hingegen nur empfohlen und konnte mit einem hinzugewählt werden.
Die Bereitschaft, den bereits eingepreisten Obolus zu akzeptieren war größer, als ihn selbst hinzuzufügen. Allerdings zeigten Araña und León auch die Grenzen dieser Maßnahme auf: Es funktionierte nur bei 10 oder 20 Euro recht gut, aber praktisch nicht mehr bei 40 oder 60 Euro. Der kleine Betrag für den guten Zweck wird also akzeptiert, auch wenn er schon in der Rechnung aufgeführt wird, bevor man ausdrücklich zugestimmt hat. Durch das Einpreisen stieg im Experiment die Bereitschaft zur Zahlung um rund 20 Prozentpunkte. Doch es muss ein relativ kleiner Betrag bleiben. Wenn eine Schmerzgrenze überschritten wird, scheinen sich die Kunden genauer zu überlegen, ob ihnen der Klimaschutz tatsächlich so viel wert ist – und entscheiden sich mehrheitlich dagegen.
Forscher unterscheiden drei Grundtypen von "Nudging"
Um Ordnung in die Fülle der Nudging-Ansätze zu bringen, hat der Wirtschaftswissenschaftler Robert Münscher von der Hochschule Worms mit seinen Kollegen eine Systematik entworfen. Der bereits berücksichtigte Klimaobolus fällt in die Kategorie veränderter Entscheidungsformate, die Menschen die „richtige“ Wahl erleichtern sollen: Sie müssen sich nicht mehr extra für eine als gut angesehene Sache entscheiden; vielmehr müssen sie, um ihr auszuweichen, sich bewusst dagegen aussprechen. In eine zweite Kategorie fallen Maßnahmen, die Menschen bei ihren Entscheidungen helfen – zum Beispiel, indem sie sie an eine Selbstverpflichtung erinnern: Das Handy könnte jeden Morgen melden, dass man sich vorgenommen hat, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Ein dritter Typ von Nudges bietet zusätzliche Informationen zur Entscheidung oder fasst komplexe Informationen verständlich zusammen, wie es etwa das Energieeffizienzlabel für Elektrogeräte tut.
Ein Beispiel für den dritten Typ ist eine Studie von Omar Asensio und Magali Delmas von der University of California in Los Angeles, die in L.A. rund 60 Haushalte drei Monate lang mit intelligenten Stromzählern ausstatteten und den Teilnehmern jede Woche eine Analyse ihres Verbrauchs schickten. Den Teilnehmern schrieben die Forscher aber nicht nur, welche Geräte in ihrem Haushalt wie viel Strom verbraucht hatten, sondern informierten sie auch über den Verbrauch ihrer effizienteren Nachbarn. Außerdem bezifferten die Forscher die Emissionen durch den Stromverbrauch und wiesen darauf hin, dass die Luftverschmutzung (bei der Stromerzeugung) das Risiko von Asthma und Krebs bei Kindern erhöhe. Im Vergleich zu den drei Monaten vor dem Experiment verbrauchten die Haushalte nun acht Prozent weniger Strom – vor allem, weil sie ungenutzte Geräte und das Licht häufiger ausschalteten. Familien mit Kindern senkten ihren Stromverbrauch sogar um 19 Prozent.
Kritiker bemängeln, Nudging ziele nicht auf dauerhafte Verhaltensänderungen
"Die Effekte des Nudgings sind klein, aber sie sind vorhanden und lassen sich nutzen“, sagt Münscher. Sie führen nicht direkt zu einer klimafreundlicheren Einstellung der Menschen, weil sie nicht zum Umdenken anregen, sondern nur auf eine anstehende Entscheidung ausgerichtet sind. Aus genau diesem Grund sieht zum Beispiel Adam Corner, Forschungsdirektor des britischen ThinkTanks Climate Outreach, die Strategie des Nudging kritisch – denn gerade beim Klimaschutz komme es auf langfristig anhaltende Verhaltensänderungen an, nicht auf einmalige. "Doch ein dauerhafter und substanzieller Wandel in Verhaltensmustern kommt nicht durch graduelles 'Umprogrammieren' unseres Verhaltens zustande, sondern durch das Verinnerlichen der Gründe, warum der Wandel nötig ist", schreibt Corner in seinem Buch Talking Climate. "Nudging ist in letzter Konsequenz ein 'Nicht-Denken-Ansatz' zur Verhaltensänderung - wo doch in Wahrheit das genaue Gegenteil nötig ist."
"Nudges helfen eben dort, wo Argumente nicht ziehen", erwidert Münscher. Dabei solle man (etwa im Interesse der Transparenz) ruhig darauf hinweisen, dass ein Nudge eingesetzt wird. Denn die sanfte Manipulation funktioniert oft sogar, wenn man Menschen über die Absicht aufklärt. Das zeigt ein Versuch von Hendrik Bruns von der Universität Hamburg und einem internationalen Team: Die Forscher baten Studenten um eine Klimaspende und trugen im Computerformular acht Euro als Vorschlag ein. Die Studenten spendeten im Durchschnitt 3,20 Euro – und sie zahlten immerhin noch 2,90 Euro, wenn man sie darauf hinwies, dass die Empfehlung ihre Spendenbereitschaft erhöhen solle. Ohne einen vorab eingetragenen Wert spendeten die Studenten hingegen nur durchschnittlich 1,70 Euro.
Für Dirk Helbing von der ETH Zürich bleibt dennoch ein schaler Beigeschmack – weil es über Soziale Netzwerke wie Facebook möglich ist, Millionen Menschen in eine Richtung zu stupsen. Die Anbieter können sogar auf große Mengen persönlicher Daten zurückgreifen, um für jeden Nutzer die wirksamste Nudging-Strategie zu wählen. Helbing bezeichnet diesen Ansatz als "Big Nudging" und kritisiert, dass in einer komplexen Welt nicht immer klar sei, in welche Richtung es gehen sollte. Die Nebenwirkungen des systematischen Nudgings vieler Menschen seien noch nicht erforscht. "Komplexe Systeme lassen sich nicht lenken wie ein Bus", schreibt Helbing im Sammelband Unsere digitale Zukunft. Er fordert: "Beim Big Nudging bräuchte es daher wissenschaftliche Fundierung, Transparenz, ethische Bewertung und demokratische Kontrolle."
Alexander Mäder