Erstmal klingt die Idee paradox: Kaufen für den Klimaschutz. Während es zur Minderung von Emissionen oft ums Sparen und Verzichten geht, wollen sogenannte "Carrot-Mobs" Menschen über den Akt des Einkaufens sensibilisieren. Denn bei dieser Aktionsform geht es nicht um Boykott, sondern um den sogenannten Buycott – also darum, durchs Einkaufen etwas Gutes zu tun. Dafür wählen die Klimaschützer ein Geschäft aus, das etwas für die Umwelt tun will, etwa auf Ökostrom umsteigen oder durch LED-Lampen oder moderne Kühltruhen Energie sparen. Um den Ladenbesitzer zu unterstützen, sorgen die Aktivisten des Carrot-Mob für einen Anstieg der Kundenzahlen, zum Beispiel durch öffentliche Aufrufe, in diesem Laden an einem bestimmten Tag einkaufen zu gehen.
Die Idee stammt ursprünglich aus den USA. Dort starteten Aktivisten 2008 das erste Mal einen Carrot-Mob in einem Laden in San Francisco. Der Name der Aktion ist abgeleitet von der sprichwörtlichen Karotte vor dem Eselskarren. Denn für die Ladenbesitzer sind zusätzliche Kunden attraktiv, und die eingesparte Energie kommt dem Geschäft auch auf längere Sicht auch zugute. Und während für einen herkömmlichen "Flash-Mobs" spontan Leute für irgendeine Sache zusammen kommen, sprechen die Aktivisten bei einem Carrot-Mob ihre Aktion vorher mit den Ladenbesitzern ab – daher rührt auch die Bezeichnung "Smart Mob".
Das Motto: Weg vom Frontalunterricht, Klimaschutz selbst erleben
Mittlerweile gibt es viele Varianten dieses ursprünglichen Happenings. In Hamburg brachten Klimaschützer eine Netto-Filiale dazu, dass ein bestimmter Prozentsatz des Umsatzes einzelner Produkte direkt in die Klima-Kasse für die Umrüstung des Ladens geht. Im Kölner Stadtteil Ehrenfeld organisierten Foodwaste-Aktivisten einen Carrot-Mob in der Bäckerei Schweitzer gegen Lebensmittelverschwendung. Mit Musikern lockten sie die Kunden in die Bäckerei, um den Laden für seine vorbildliche Einkaufspolitik zu belohnen. Die Bäckermeister produzieren pro Tag nur eine bestimmte Menge, um überschüssige Ware zu vermeiden.
In Hamburg haben "Guerillahäklerinnen" die Umgebung mit ihren Produkten geschmückt, um für einen Laden mit ökologischer Kleidung zu werben - natürlich auch mit gehäkelten Karrotten."Wir fanden die Aktion großartig", sagt Uli Ott, Ladenbesitzer der Modefirma Marlowe Nature in Hamburg. "Wir haben unsere Tageseinnahmen eingesetzt, um unsere Beleuchtung zu optimieren. Dazu kam dann ein Energieberater, der uns mit Informationen zur Seite stand", so Ladenbesitzer Ott.
Ein Beispiel für einen Carrotmob: Als Karotte verkleidet macht eine Aktivistin 2012 Werbung für ein Café in Santa Barbara (Kalifornien); Quelle: Community Environmental Council, Santa Barbara/Screenshot
In Berlin versucht sich die Initiative Bildungscent an einem Carrot-Mob mit Schülern. Der gemeinnützige Verein arbeitet mit 5000 Schulen im ganzen Bundesgebiet zusammen und organisiert alternative Lehrprogramme unter anderem zu Klimaschutz und Partizipation. Der Verein hat eine "Carrot-Mob-Akademie" aufgebaut. "Wir wollen den Schülern zeigen, wie man selbst aktiv werden kann", erklärt Georg Große-Löscher vom Bildungscent e.V. Als Unterrichtsstoff bleibe das Thema Klimawandel erstmal abstrakt und weit weg vom Alltag der Schüler. Das wollen die Pädagogen in Zusammenarbeit mit den Lehrern ändern. Das Motto: Weg vom Frontalunterricht, Klimaschutz selbst erleben.
Interessierte von 21 Schulen sind schon zu Workshops der "Carrot-Mob-Akademie" gekommen. Nicht alle Lehrer sind sofort begeistert, einige wollen ihre Schüler keine Werbung für Geschäfte machen lassen. "Wir erklären in unseren Tagesseminaren, wie die Lehrer so ein Projekt aufziehen, wie sie die Läden finden und die Schüler motivieren", so Große-Löscher. Acht Schulen hat Bildungscent schon überzeugt, zwei davon haben bereits begonnen. Darunter auch eine 10. Klasse des Sartre-Gymnasiums in Berlin-Hellersdorf.
Ein kleines Konzert, Lesungen, Improvisations-Theater
"Mit der Aktion können meine Schüler das Thema Nachhaltigkeit praktisch erleben und lernen, in der Öffentlichkeit damit umzugehen", sagt Geographielehrerin Tina Westendorf. Sie will das Thema Nachhaltigkeit im Lehrplan mit Leben füllen und ihren Schülern einen Anstoß zum Handeln geben. "Die Schüler sind von der Idee begeistert", so Westendorf. Mit ihrer 10. Klasse organisiert sie den Carrot-Mob in der Mensa einer benachbarten Schule. Die Schüler sollen mit den Mensa-Besuchern im Gespräch über recycelbare Kaffeebecher oder vegetarische Angebote lernen, sich öffentlich für mehr Klimaschutz zu engagieren. Sie motivieren die Mitschüler zum Einkauf – die Mehreinnahmen des Tages fließen in Klimaschutzvorhaben der Schule. Ein Energieberater steht den Schülern mit Vorschlägen für eine energieeffizientere Mensa zur Seite.
Der Kreativität sind bei dieser Unterrichtseinheit keine Grenzen gesetzt: Ein kleines Konzert, Lesungen oder Improvisations-Theater – alles in der Nachbarschaft. "Die Schüler lernen den öffentlichen Raum ganz neu kennen und werben gleichzeitig für mehr Klimaschutz", ist Carrot-Mob-Seminarleiter Große-Löscher überzeugt.
Sollten Sie also demnächst in einen Laden kommen, in dem eine Rockband spielt und Schüler zwischen Marmelade und Wursttheke über Energiesparlampen diskutieren, sind Sie wahrscheinlich in einem Carrot-Mob gelandet.
Susanne Götze