Die Kommunikationspsychologie weiß seit langem, dass Menschen die Medienberichte, die sie lesen, häufig danach auswählen, ob diese ihre Einstellungen und Überzeugungen bestätigen oder nicht. Der Fachbegriff hierfür lautet "motivated reasoning". Eine Untersuchung über Dokumentarfilme mit wissenschaftlichen Themen ergab jetzt überraschend auch Erkenntnisse dazu, wie sich dieser Mechanismus umgehen lässt: "Unsere Daten zeigen deutlich, dass Neugier auf wissenschaftliche Erkenntnisse ein Charakterzug ist, der mit einer bestimmten Art einhergeht, politische Informationen zu verarbeiten", sagte Dan Kahan von der Universität Yale der Washington Post.
Die entsprechenden Ergebnisse hat er mit seinen Co-Autoren Asheley Landrum vom Annenberg Public Policy Center, Katie Carpenter vom Cultural Cognition Project an der Law School der Universität Yale, Laura Helft von den Tangled Bank Studios und Kathleen Hall Jamieson von der University von Pennsylvania für einen Aufsatz zusammengefasst. Dieser soll in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift Advances in Political Psychology erscheinen.
Zunächst entwickelten die Forscher eine Art Messlatte um festzustellen, was wissenschaftliche Neugier ist. So fragten sie ab, ob ihre Versuchspersonen gern Bücher zu wissenschaftlichen Themen lasen oder entsprechende Veranstaltungen besuchten. Neben dem Grad der wissenschaftliche Neugier waren auch die politischen Anschauungen der Versuchspersonen bekannt, also ob sie den Demokraten oder den Republikanern zuneigten.
Was ist attraktiver? Ein wissenschaftlich überraschender Fakt - oder einer, der zum eigenen Weltbild passt
Die Teilnehmer der Studie bekamen dann je zwei Aufsätze zum Thema Klimawandel präsentiert, und sie sollten nur aufgrund der Überschrift auswählen, welchen sie lesen wollen. Dabei präsentierte jeweils eine der Überschriften einen Fakt als bekannt und langweilig, die andere hingegen einen Fakt als neu und überraschend. Die Forscher konstruierten dann mehrere Aufsatzpaarungen, und der Clou war: Einmal bestätigte der "langweilige" Text Zweifel am Klimawandel (und damit das republikanische Weltbild), ein anderes mal tat er es nicht (und bestätigte damit das typische Denken von Demokraten). Analog wurden die überraschenden Überschriften konstruiert: Mal passten sie zum Weltbild der Republikaner, ein andermal nicht.
In einem Fall waren zum Beispiel dies die zur Auswahl gestellten Optionen: "Wissenschaftler finden noch mehr Belege dafür, dass sich die Erderwärmung im letzten Jahrzehnt verlangsamte" (langweilig, aber passend zum republikanischem Weltbild) sowie "Forscher berichten von überraschenden Erkentnissen: Arktisches Eis schmilzt sogar noch schneller als erwartet" (überraschend, aber zum demokratischen Weltbild passend). Ein anderes Setting hatte die Optionen vertauscht: "Forscher berichten Überraschendes: Eis in der Antarktis wächst und trägt nicht zum Ozeananstieg bei" versus "Wissenschaftler finden noch mehr Belege für den Zusammenhang von Klimawandel und Extremwetter".
Welche Testperson welches Aufatzpaar zur Anschauung erhielt, wurde dann nach dem Zufallsprinzip bestimmt. Es bekamen also auch Demokraten Aufsätze, die ins republikanische Weltbild passten und umgekehrt. Ergebnis: Die wissenschaftlich Interessierten wählten häufiger einen Aufsatz, der überraschend klang, selbst wenn er ihren politischen Überzeugungen widersprach. Dieser Effekt war am stärksten sowohl ganz rechts als auch ganz links, also bei überzeugten Republikanern ebenso wie bei überzeugten Demokraten. Weitere Experimene mit Aussagen zu den Risiken der Erderwärmung und zu denen der Erdgasfördertechnologie Fracking zeigten ähnliche Ergebnisse.
Natürlich sei wissenschaftliche Neugier eher eine schwer veränderbare Grundeinstellung als etwas, das man Menschen anerziehen könne, wissen die Forscher. "Aber ein Teil der Bevölkerung hat diese Neigung", sagt Kahan, und für die Wissenschaftsvermittlung könne das hilfreich sein. Vielleicht, so Kahans Hoffnung, gäben die Wissenschafts-Neugierigen ihre Einsichten ja an Menschen in ihrem Umfeld weiter.
Susanne Ehlerding