Beim Projekt Medien-Doktor, gestartet im Jahr 2010, begutachten Journalisten die Arbeit von Kollegen – ähnlich wie beim Peer-Review-Verfahren in der Wissenschaft. Nach festen Kriterien werden Zeitungstexte, Hörfunk- und Fernsehbeiträge auf einer Skala von ein bis fünf Sternen beurteilt. Anfangs war das Projekt auf Gesundheitsjournalismus beschränkt, seit drei Jahren behandelt der Medien-Doktor auch Beiträge zum Thema Umwelt. Untersucht werden die Veröffentlichungen beispielsweise darauf, ob sie übertreiben oder verharmlosen, ob sie Quellen für Behauptungen nennen und natürlich, ob schlicht die Fakten korrekt sind.
Getragen wird das Projekt vom Lehrstuhl Wissenschaftsjournalismus der Technischen Universität Dortmund. Leitende Redakteurin ist die Biologin Dr. Wiebke Rögener (Foto: medien-doktor.de), davor arbeitete sie selbst als freie Journalistin, unter anderem für die Süddeutsche Zeitung.
Frau Rögener, Ihr Projekt bewertet journalistische Beiträge nach festen Qualitätskriterien. Was ist insgesamt Ihre Diagnose: Woran leidet der deutsche Umweltjournalismus?
Hauptproblem sind erstaunlicherweise nicht die Mängel, die häufig in der Fachliteratur genannt werden: Dass der Umweltjournalismus zu sehr auf Übertreibung setze oder aber verharmlose und "Grünfärberei" betreibe. Wir sehen die größten Mängel vielmehr bei der Kontextualisierung, also der richtigen Einordnung von Forschungsergebnissen. In mindestens vier von fünf Texten werden diese nicht ausreichend eingeordnet, nicht in gesellschaftliche und auch nicht in wirtschaftliche Zusammenhänge.
Haben Sie dazu ein Beispiel aus der Berichterstattung über die Klimaforschung?
Da fällt mir ein sonst gar nicht schlechter Radiobeitrag ein über Dürren und Hitzewellen, die die globale Getreideernte beeinflussen. Das ist ja wirtschaftlich ein immens relevantes Thema. Darauf jedoch ist der Beitrag nur sehr, sehr wenig eingegangen. In der Pressemitteilung des Forschungsinstituts zu der zugrundeliegenden Studie stand immerhin noch, dass Dürren auf verschiedene Länder ganz unterschiedlich wirken – und dass in einigen Ländern gravierendere Auswirkungen auf die Ernährung und das Einkommen von Farmern zu erwarten sind als in anderen, beispielsweise weil die Bauern in reicheren Ländern gegen Ernteausfälle versichert sind und die in armen Ländern nicht. Es genügt aber nicht zu sagen: Das ist der Klimawandel, und so wirkt er sich auf die Getreideernte aus. Sondern die Frage ist ja, was heißt das für die Menschen in den einzelnen Ländern? Und da ist die Antwort für Deutschland eine andere als für in ein beliebiges afrikanisches Land.
In Ihrer Auswertung bemängeln Sie oft das Fehlen von Belegen und Informationen zur Datenbasis. Was bedeutet das?
Es wird häufig sehr ergebnisorientiert berichtet und weniger darüber, wie man zu den Ergebnissen kam und wie fundiert sie sind. Wir jedoch finden es sehr wichtig zu sagen, auf welche Untersuchungen sich die Ergebnisse gründen. Ist das eine Hochrechnung? Eine Messung? Eine Langzeitstudie mit vielen Messpunkten oder eine kleine Stichprobe? Gerade die Unsicherheiten, die mit den jeweiligen Verfahren verbunden sind, werden sehr oft nicht kommuniziert. Der ganze Prozess, der zum Ergebnis geführt hat, wird häufig nicht dargestellt. Und damit verbunden dann eben auch nicht, wie zuverlässig ein Ergebnis ist, und welche Unsicherheiten bestehen.
Eigentlich sind die Kriterien, die Sie aufgestellt haben, gar nicht so schwierig einzuhalten. Woran scheitert es in der Praxis?
In Gesprächen mit den Journalisten, deren Arbeiten wir begutachtet haben, hören wir natürlich ganz häufig: "Ich hatte zu wenig Zeit und zu wenig Ressourcen für ausführliche Recherchen. Ich musste den Artikel ganz schnell von heute auf morgen schreiben, und dann habe ich das nicht alles geschafft." Als Zweites wird oft auf den begrenzten Platz oder die begrenzte Sendezeit verwiesen. Nach dem Motto: "Das konnte man nicht alles unterbringen."
Natürlich ist es zeitaufwändig, den Methodenteil einer wissenschaftlichen Untersuchung anzugucken und Experten zur Qualität der Studie zu befragen – statt nur schnell eine Pressemitteilung zusammenzufassen und noch zwei Zitate der Studienautoren einzuholen. Aber es ist unserer Ansicht nach unverzichtbar.
Wie reagieren die Journalisten auf Ihre ja teils scharfe Kritik?
Erstaunlich positiv. Die häufigste Antwort ist - auch von Leuten, die nicht so gute Bewertungen bekommen - dass sie sich bedanken, weil sich jemand ausführlich mit ihrer Arbeit beschäftigt hat. Die meisten Kollegen vermissen offenbar fundiertes Feedback zu ihren Beiträgen.
Unsere Kritik richtet sich auch gar nicht so sehr an die einzelnen Autorinnen und Autoren. Ich denke schon, dass der Zeitdruck sehr gewachsen ist und die Honorare für Freie nicht ausreichend sind – als Resultat ist dann der der Aufwand, den man treiben will und kann, begrenzt. Von daher richtet sich unsere Kritik auch an die Redaktionen, die mehr Zeit und Ressourcen zur Verfügung stellen müssten, damit Autoren notwendige Standards einhalten können.
Was vermissen Sie persönlich in der Kommunikation zum Thema Klimawandel?
Mir fehlen solide recherchierte Beiträge zu offenen Fragen der Klimaforschung. Natürlich ist es immer richtig zu betonen, dass es den Klimawandel gibt und man da dringend handeln muss. Aber es gibt eben eine Menge offener Fragen, zum Beispiel: Welchen Anteil hat der Klimawandel an Dürren oder Hochwasserkatastrophen, und welche anderen Ursachen gibt es? Sind einzelne Stürme tatsächlich schon vom Klimawandel bedingt? Bei jeder Naturkatastrophe zu sagen: "Ah, das ist bestimmt der Klimawandel", das hilft nicht weiter. Manche Wahrscheinlichkeiten erhöhen sich, manche Zusammenhänge sind unsicher, und bei manchen sind Forscher unterschiedlicher Meinung. Ich denke, dass ein transparenter Umgang mit offenen Fragen gut wäre.
Wie sollen Journalisten damit umgehen, wenn Wissenschaftler randständige Positionen verbreiten?
Man kann nicht einfach sagen, das ignorieren wir. Ich selbst würde mir das auf jeden Fall immer anhören wollen. Aber wenn man solche Positionen dann in der Berichterstattung aufnimmt, muss man sie natürlich einordnen. Man muss zum Beispiel sagen: Es gibt diese Position, aber es gibt 99 Prozent der Wissenschaftler, die es anders sehen.
Probleme sehe ich da aber weniger bei Artikeln über die Klimaforschung, sondern eher im Bereich der Gesundheitsberichterstattung. Dort haben pseudowissenschaftliche Heilverfahren durchaus ein Forum in der Presse, und unwissenschaftliche Positionen finden ohne jede Einordnung Verbreitung. Dem muss man entgegentreten.
Und wie können Wissenschaftler damit umgehen, wenn Journalisten Positionen verbreiten, die randständig in der Wissenschaft sind?
Zumindest bezogen auf den Klimawandel kommt dies in Deutschland nicht als Massenphänomen vor. Da muss man sich um den Journalismus nicht so furchtbare Sorgen machen, eher finden solche Positionen über einschlägige Internetblogs Verbreitung. Aber wenn man so etwas in einem journalistischen Beitrag sieht, sollte man es natürlich richtigstellen. Man kann einen Leserbrief schreiben, einen Kommentar oder einen Onlineartikel. In jedem Fall würde ich für ein sehr ruhiges Reagieren plädieren. Wenn man da eine große Aufregung macht, verschafft man solchen Positionen eine völlig unangemessene Aufmerksamkeit.
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