Deutschland nimmt sich zu viel heraus, wie die anderen Industriestaaten auch. Es stellt heute nur etwas mehr als ein Prozent der Weltbevölkerung – und daher stünden ihm, würde man den Ausstoß von Treibhausgasen global gerecht pro Kopf verteilen, auch nur etwas mehr als ein Prozent jener Emissionen zu, die weltweit noch bis zum wahrscheinlichen Überschreiten von 2 °C Erwärmung ausgestoßen werden dürfen. Doch seit Beginn der Industrialisierung hat Deutschland schon das Siebenfache dieses Budgets an Kohle, Öl und Gas verfeuert – und die Emissionen hören nicht auf.
Dies ist einer der Gedankengänge in dem ungewöhnlichen und lesenswerten Buch The Seasons Alter von Philip Kitcher und Evelyn Fox Keller, zwei renommierten Wissenschaftsphilosophen aus den USA (bisher nur auf Englisch erhältlich). Es ist in Dialogform geschrieben, und den unbequemen Hinweis auf das weit überzogene deutsche Klimabudget bringt eine fiktive nigerianische Klimaaktivistin vor. Die Industriestaaten müssten sich dieser historischen Verantwortung stellen, argumentiert sie und versucht, einen Investor aus dem globalen Norden davon zu überzeugen, einen Marshall-Plan für den Süden aufzusetzen. Der Investor hält das zwar für wünschenswert, aber unrealistisch. Er weist darauf hin, er fördere bereits in Entwicklungsländern die erneuerbaren Energien. Doch die Aktivistin urteilt: "Das ist nicht genug." Zudem verbiete es sich, in der Entwicklungshilfe noch einen Profit zu suchen, wie es Investoren oft täten, sagt sie. Die Hilfe sollte doch eigentlich selbstverständlich sein.
"Wie man den Planeten reten kann" - in sechs Akten
The Seasons Alter, die Jahreszeiten wandeln sich, ist ein Zitat der Elfenkönigin Titania in Shakespeares Sommernachtstraum. Laut Untertitel will das Buch in sechs Akten zeigen, "wie man den Planeten retten kann". In jedem der sechs Kapitel versucht eine Frau, einen Mann davon zu überzeugen, mehr für den Klimaschutz zu tun. Doch der ist immer skeptisch: Mal ist es der Ehemann, der sich fragt, ob sich der ehrenamtliche Klimaschutz seiner Frau überhaupt lohnt, weil seiner Ansicht nach nur noch große technologische Innovationen wie das Climate Engineering den Temperaturanstieg bremsen könnten. Mal ist es der Mitarbeiter einer US-Senatorin, der bezweifelt, dass man mit der Transformation zu einer CO2-neutralen Wirtschaftsweise eine Wahl gewinnen kann.
Die Autoren Kitcher und Fox Keller wollen mit den sechs Dialogen zu Gesprächen anregen – in der Familie, am Arbeitsplatz und im öffentlichen Raum. Die Philosophen zeigen, wie es gehen könnte: Obwohl die Männer und Frauen in ihren Dialogen inhaltlich weit auseinanderliegen und sich gegenseitig Vorwürfe machen, ergeben sich konstruktive Gespräche. Denn beide lassen den jeweils anderen ausreden, versuchen ihr Gegenüber zu verstehen und halten fest, wo sie einer Meinung sind. Sie lächeln sich auch immer wieder an und versichern sich gegenseitig, dass sie das Gespräch nicht für vergeblich halten. Weil sie diesen alten Benimmregeln folgen, können sie die Verwicklungen der internationalen Klimapolitik durchsprechen.
Die Autoren skizzieren ein Verfahren für den Einsatz knapper Ressourcen
Die Dialoge sind gründlich und kommen weitgehend ohne Fachjargon aus – sind allerdings bisweilen abgehoben, was vermutlich den philosophischen Interessen der Autoren geschuldet ist. So erfährt man kaum etwas darüber, was die nigerianische Klimaaktivistin konkret tut oder wie das ehrenamtliche Engagement der Ehefrau für den Klimaschutz denn genau aussieht. Stattdessen werden grundsätzliche Aspekte diskutiert – und man kann das Buch als verständliche Einführung in die Klimaethik lesen: So muss die Nigerianerin beispielsweise erklären, warum ein Industriestaat seine Entwicklungshilfe aufstocken sollte, obwohl er sich im eigenen Land um Arbeitslosigkeit und Altersarmut, Konjunktur und Krankenversorgung kümmern muss, weil seine Bürger darauf einen Anspruch haben.
Dieses Argument hatte auch US-Präsident Donald Trump vorgebracht, als er den Ausstieg aus dem Weltklimavertrag von Paris ankündigte: Er sei zum Präsidenten der Menschen von Pittsburgh gewählt worden, nicht der von Paris, sagte er. Die Bürgermeister von Pittsburgh und Paris hatten sich gegen diese Vereinnahmung gewehrt. Doch dahinter liegt ein echtes Dilemma: Die Politik kann nicht alle Probleme gleichzeitig lösen.
Kitcher und Fox Keller skizzieren in ihrem Buch ein Verfahren, das es – anders als Trumps einseitige Entscheidung – erlauben würde, die Ressourcen gerecht auf die verschiedenen Probleme aufzuteilen: einen strukturierten Dialog, der alle Betroffenen einbezieht und dadurch moralische Überzeugungskraft gewinnt. Im ersten Schritt müssten im Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit die besten Optionen zum Klimaschutz ermittelt werden. Dabei sollten auch Vertreter benachteiligter Gruppen am Tisch sitzen, etwa Wohlfahrtsverbände. Dann überlegen sich alle Staaten, was davon sie umsetzen können, und beziehen Vertreter anderer Länder in die Debatten ein, um sicherzustellen, dass die Hilfe nicht am Bedarf vorbeigeplant wird. Am Ende würde auf internationaler Ebene verhandelt, wie man aus den nationalen Beiträgen einen gemeinsamen Plan zimmert.
"Auch in der globalen Politik ist Ehrlichkeit die beste Strategie"
An dieser Stelle im Buch fragt man sich, was Kitcher und Fox Keller von der aktuellen Klimapolitik halten, denn die Weltgemeinschaft hat sich ja 2015 in Paris auf ein Verfahren verständigt, das ihrem in groben Zügen ähnelt: Der Weltklimarat IPCC hat in Abstimmung mit den Regierungen der Welt die Handlungsoptionen bewertet, und im Weltklimavertrag haben sich die Staaten zu nationalen Plänen verpflichtet, die alle fünf Jahre auf einer Bilanzkonferenz besprochen werden sollen. Auch dass die Bedürfnisse der Entwicklungsländer zu berücksichtigen sind und alle Ebenen der Gesellschaft beteiligt werden sollen, ist im Vertrag festgeschrieben. Ob das zu ihren Vorstellungen passt, lassen die Autoren offen.
Vielleicht sind sie von der tatsächlichen Politik enttäuscht, denn die bisherigen nationalen Absichtserklärungen sind dürftig. In den kommenden Monaten soll zwar ein Vorab-Dialog den Willen zum gemeinsamen Handeln stärken. Doch mit dieser Aussicht ist nicht nur die Panafrikanische Allianz für Klimagerechtigkeit (PACJA) unzufrieden. In ihrer Bilanz des jüngsten Klimagipfels in Bonn forderte sie die afrikanischen Regierungen auf, über Alternativen zum Dialog unter dem Dach der UN nachzudenken, falls die Positionen der Entwicklungsländer weiterhin nicht ernstgenommen würden.
Wahrscheinlicher ist, dass Kitcher und Fox Keller optimistisch sind. Sie würden wohl antworten, dass die Industriestaaten ihre offenkundige historische Verantwortung nicht ewig ignorieren können, auch wenn psychologische Experimente nahelegen, dass sich Menschen nicht daran messen lassen wollen. Denn in ihrem Buch halten die beiden Philosophen fest: "Auch in der globalen Politik ist Ehrlichkeit die beste Strategie – vor allem, wenn es kaum Chancen gibt, sein Tun zu verheimlichen." Die Zahlen zum bisherigen Ausstoß von Treibhausgasen sind schließlich allgemein bekannt.
Philip Kitcher/Evelyn Fox Keller: The Seasons Alter. How to Save Our Planet in Six Acts. Norton (New York) 2018. $ 24,95
(ISBN 978-1-63149-283-9 - z.B. für die Bestellung in Ihrer lokalen Buchhandlung)
Alexander Mäder