Wir kennen alle die Last der guten Vorsätze: weniger Zucker essen, Fahrrad statt Auto fahren, sich stärker politisch engagieren. Oft wissen wir genau, was gesund und gut wäre – doch die Umsetzung fällt schwer. Auch bei der Klimakrise ist sonnenklar, was zu tun wäre. Es scheint aber, als seien wir kollektiv gelähmt durch liebgewonnene Gewohnheiten oder das Verdrängen des Bedrohlichen. Gerade in dieser psychisch-mentalen Dynamik liegt die wohl größte Herausforderung der Klimawende.
Auf einem "Ausreden-Glücksrad" stellt die neue Ausstellung typische Verzögerungsargumente ("Discourses of Delay") spielerisch dar; Foto: Stefanie Kösling/MfK Frankfurt/Main
Warum also tun wir (noch) nicht, was wir wissen – als einzelne Person, als politisch verfasste Gemeinwesen, als ganze Menschheit? Dieser Frage geht ab dem 29. September 2023 dieAusstellung KLIMA_X im Museum für Kommunikation in Berlin nach. In sieben Ausstellungsbereichen geht es zwar auch um den Stand der naturwissenschaftlichen Klimaforschung – vor allem aber darum, wie Menschen mit Klimafakten umgehen, welche Gefühle diese auslösen, wie Medien, Nichtregierungsorganisationen oder Unternehmen darüber kommunizieren. Die Schau entstand im vergangenen Jahr am Museum für Kommunikation in Frankfurt/Main und ist nun in die Berliner Dependance an der Leipziger Straße gewandert. klimafakten.de war an Konzeption und Ausarbeitung der Schau beteiligt.
Hockeyschläger-Kurve und Desinformations-Kampagnen,
Klimatiere und ein Ausreden-Glücksrad
Wie über den Klimawandel kommuniziert wird, spielt eine wichtige Rolle dabei, Menschen zur Veränderung zu bewegen. KLIMA_X blickt zurück auf fünf Jahrzehnte Klimakommunikation: Der wegweisende Bericht des Club of Rome von 1972 und die ikonische Hockeyschläger-Kurve kommen dabei ebenso vor wie diverse IPCC-Reports, Desinformations-Strategien von fossilen Industrien oder Fridays-for-Future-Demonstrationen.
Jeder Mensch erlebt, verarbeitet und bewertet die Klimakrise anders. KLIMA_X lädt die Besucherinnen und Besucher ein, ihren eigenen Veränderungstyp auszukundschaften – versinnbildlicht sind diese durch verschiedene „Klimatiere“: Das Publikum wird aufgefordert, ein Tier zu wählen, dem man sich im Augenblick des Ausstellungsbesuchs am nächsten fühlt: Vielleicht dem wütenden Gorilla? Oder dem aufgeschreckten Huhn? Oder der fleißigen Biene? In einem interaktiven Netzwerkdiagramm können die Gäste hinterlassen, wie stark sie Emotionen im Zusammenhang mit der Klimakrise fühlen. Zur Auswahl stehen zwölf Emotionen beispielsweise „verärgert“ oder „verängstigt“, „machtlos“ oder „hoffnungsvoll“.
Mit "Klimatieren" sind verschiedene Emotionen versinnbildlicht, die man angesichts der Klimakrise spüren kann – hier (von links) der wütende Gorilla, die langsame Schildkröte, die bockige Ziege und das aufgescheuchte Huhn; Foto: Stefanie Kösling/MfK Frankfurt/Main
In weiteren interaktiven Stationen geht es um typische Verzögerungsargumente im Klimadiskurs („Ausreden-Glücksrad“) oder darum, wie die Zukunft aussehen könnte („Anruf in die Zukunft“). Es werden Beispiele gelungener Veränderung und gesellschaftlicher Umwälzungen gezeigt, die Mut machen für den Klimaschutz. Außerdem porträtiert die Ausstellung inspirierende Agent:innen des Wandels: Ausgewählte Menschen erzählen in Interviews, wie sie ihre Wege für eine klimafreundliche Art zu leben, zu konsumieren und zu wirtschaften gefunden haben.
„Die Ausstellung ist ein Meilenstein. Mit ihr ist die Klimakommunikation
wirklich in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“
„In Deutschland herrscht zu großen Teilen Einigkeit, dass wir ein ernsthaftes Klimaproblem haben, und immer mehr Menschen wollen ihren Beitrag zur Reduktion der Treibhausgase leisten“, sagt Katja Weber, Kuratorin der Ausstellung. „Warum dennoch die Umsetzung so schwerfällt, ‘warum wir nicht tun, was wir wissen‘ hat mit dem Zwischenraum zwischen KLIMA und dem X zu tun. Denn es gibt einen Gap zwischen Wissen und Handeln. Die Ausstellung versucht diese Leerstelle zu erklären.“
Aus der Perspektive von klimafakten.de markiert die Ausstellung einen Meilenstein: „Follow the science – es ist bitter, sich einzugestehen, dass dieser intuitiv richtige Ansatz der vergangenen Jahrzehnte nicht zu wirksamem Klimaschutz geführt hat“, sagt klimafakten.de-Chefredakteur Carel Mohn. „Wenn jetzt die Art, wie wir uns als Gesellschaft über die Klimakrise verständigen, in einem der weltweit wichtigsten Museen für Kommunikation verhandelt wird, dann gibt mir das Hoffnung: Die Frage der Klimakommunikation ist offenbar in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“
Die Ausstellung KLIMA_X ist bis 1. September 2024 im Museum für Kommunikation in Berlin zu sehen. Weitere Informationen, auch zu den sieben Klimatieren, gibt es auf dem „Expotizer“ zur Ausstellung.