"Was meint eigentlich der Begriff 'Klimawandel'?" Mit dieser - nur scheinbar - simplen Frage beginnt der britische Geograph und Klimatologe Mike Hulme seinen Vortrag in Salzburg. Zwischen dem, was Wissenschaftler über die physische Welt sagen, und den Bildern, die daduch in den Köpfen von Menschen entstehen, bestehe ein großer Unterschied. Mit nur wenigen Worten ist Hulme damit beim Kern dessen, um was es während der gesamten zweitägigen Konferenz für Klimawandel, Kommunikation und Gesellschaft (K3) Ende September ging.
Hulme, der Anfang der 2000er Jahre das britische Tyndall Centre for Climate Change Research mitaufbaute, lehrt heute als Professor für Humangeographie an der Cambridge University. Bekannt geworden ist er vor allem durch sein Buch Why we disagree about climate change (erschien 2014 auch auf Deutsch als Streitfall Klimawandel).
Wenn die vermeintlich "harten Fakten" der Wissenschaft auf den Wertekanon einer Person treffen, dann würden sie plötzlich ganz weich, betonte Hulme in seinem Vortrag: Menschen passen typischerweise eher die Informationen ihren Werten an als ihre Werte neu auftretenden Informationen. Und noch mit einer weiteren Vorstellung, die Naturwissenschaftler gern pflegen, räumt er auf: So etwas wie eine "objektive Wahrheit" über den Klimawandel gebe es nicht - jede Kommunikation arbeite mit Sprache, Begriffen und Bildern, und in ihnen schwängen stets schon Deutungen mit, Bedeutungsrahmen, sogenannte "Frames". Alle Kommunikation, so auch jene über den Klimawandel, sei daher kulturell geprägt und damit auch politisch.
Den Begriff des "Anthropozäns", so erläuterte Hulme anschließend in einem der Konferenzworkshops, finde er ausgesprochen intelligent: ein neues Erdzeitalter einzuläuten, um zu verdeutlichen, wie stark der Mensch bereits seinen Planeten verändert hat. "Dieses Labeling ist ein provozierendes Narrativ, das unser Denken verändert: Es geht plötzlich nicht mehr nur um das Klima, sondern um unser Handeln, unsere ethische Verantwortung gegenüber Mitmenschen, den nächsten Generationen aber auch Tieren und dem Ökosystem."
Technologien als Lösung der Klimakrise? Dieses Hoffen findet Hulme fatal
Das Anthropozän vermittle außerdem, dass die Zukunft noch offen sei und es am Menschen liege, den Planeten vor einer Vier-Grad-Erwärmung zu bewahren. Eine in den Medien übliche Erzählung des Klimawandels hält er hingegen für gefährlich: "Oft wird suggeriert, es sei zu spät, unseren Planeten noch zu retten", so Hulme, "aber täglich sterben Kinder an Unterernährung, ganze Arten verschwinden für immer, und es gibt Gewalt und Kriege – was soll das also heißen: Es ist zu spät?"
Hulme kritisiert außerdem ein zu starkes Ingenieursdenken: "Uns bleibt nur noch die Technologie – diese Denkweise halte ich für fatal." Diese "Erzählung" zeuge nicht nur von einer Art Ohnmacht, sondern blende die Folgen von mittlerweile diskutierten Technologien wie Geoengineering oder auch Carbon Capture and Storage (CCS) komplett aus. Doch einige Workshop-Teilnehmer merkten an: Könnten solche Technologien nicht vielleicht zur letzten Exit-Strategie werden, wenn die Staaten nicht rechtzeitig den Umbau hin zu CO2-armen Volkswirtschaften schaffen? "Diese vermeintlich einfachen Lösungen täuschen darüber hinweg, dass wir es mit einem tiefgreifenden Bruch in unseren Gesellschaften zu tun haben", konterte der Cambridge-Professor. "Ich glaube, wir müssen uns viel mehr mit dieser sozialen Spaltung auseinandersetzen und damit, dass es immer mehr abgehängte Menschen auf der Welt gibt, die zuerst von den Folgen des Klimawandels betroffen sind."
"Wissenschaft muss dialogischer werden"
Von vermeintlichen Patentlösungen auf politischer Ebene hält Hulme ebensowenig. "Auch ein CO2-Preis kann nicht verhindern, dass es massive Wertekonflikte und Kulturkämpfe geben wird.“ Die politischen Vorstellungen einer modernen Gesellschaft seien schon heute enorm unterschiedlich, erklärte der Forscher auch mit Blick auf die Erfolge rechtspopulistischer Parteien in Europa. Deshalb werde eine gute Kommunikation der Transformation gebraucht: "Die unterschiedlichen Seiten müssen miteinander reden, und es ist wichtig nicht über die Bedürfnisse der Menschen hinwegzuregieren", so Hulme. Dafür müsse sich auch die Wissenschaft verändern und aufhören ein monolithischer Block sein, um den Kritikern der sogenannten "Elitenherrschaft" den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Dafür hatte auch Silke Beck vom Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UfZ) in Leipzig einige Vorschläge: "Wir müssen nicht nur über technische Innovationen nachdenken, sondern eben auch darüber, wie wir sie in die Gesellschaft tragen", stimmt Beck ihrem Kollegen Hulme zu. "Dazu müssen möglichst viele wissenschaftliche Disziplinen zusammenarbeiten." Sie setze auf viele kleine Lösungen anstatt auf ein paar große Innovationen zu hoffen, deren Wirkung schwer abzuschätzen sei – Patchwork-Lösungen nennt Beck das. Die Menschen müssten in diesem Prozess ein Wort mitreden können und die Wissenschaft eienn Schritt aus ihrer "Blase" herausgehen. "Es geht nicht nur darum, Fakten zu erklären, sondern auch darum, zu vermitteln, welche Vorteile eine Veränderung für den Alltag der Menschen bringen kann." Nur so könne man eine Mehrheit wirklich "mitnehmen" und die Demokratie schützen.
Susanne Götze; Foto: Heide Spitzer