Müll trennen, Wasser sparen, zu Zahnbürsten aus Holz oder Bambus wechseln – Tipps und Ratschläge wie diese, wie man ganz individuell „das Klima retten“ kann, gibt es praktisch überall, in der Zeitung oder online, in Fernsehsendungen oder in Radios und Podcasts.

Speziell im Servicejournalismus hat sich dieser Blickwinkel etabliert. Was dabei für die einen inspirierend sein mag, kann für andere abschreckend oder gar realitätsfern wirken. Denn neben dem Faktor Zeit, braucht es für einige dieser klimafreundlichen Alternativen auch ein größeres finanzielles Budget. Kein Wunder also, dass manche überfordert oder frustriert sind, wenn es in einem Bericht wieder einmal darum geht, wie man im Supermarkt klimabewusster Einkaufen kann.

Ob in den Medien oder bei Marketing-Kampagnen: Appelle ans individuelle Verhalten sind bei Nachhaltigkeitsfragen überaus häufig; Foto: Carel Mohn

Faktisch sind all diese Empfehlungen nicht völlig falsch: Es braucht am Ende jede und jeder Einzelnen, um die Treibhausgas-Emissionen drastisch schnell und drastisch zu senken. Zugleich ist es stark verkürzt und lückenhaft, ständig den Einzelnen in den Fokus zu nehmen. Ganz so, als hänge klimafreundliches Handeln und Klimaschutz in bestimmten Bereichen allein von individuellen Entscheidungen ab – etwa bei Ernährung und Mobilität. Dabei zeigen zahlreiche Untersuchungen, zusammengefasst zum Beispiel 2023 in einem großen Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen, dass der Blick allein auf individuelle Entscheidungen viel zu kurz greift. Stattdessen, so die renommierten Berater der Bundesregierung, müssten Politik und Staat umweltfreundliches Verhalten „erleichtern, anreizen und auch einfordern“.

Eine kollektive Krise als individualisiertes Problem

In öffentlichen Debatten und den Medien werden Klimakrise und Klimaschutz dennoch häufig als ein Problem vor allem des privaten und persönlichen Verantwortungsbereichs gesehen, wie auch der Deutsche Ethikrat in seiner am 13. März veröffentlichten Stellungnahme zur „Klimagerechtigkeit“ feststellt. Die Debatte über Klimaverantwortung in industrialisierten Ländern wie Deutschland schwanke zwischen der individuellen Verantwortung, der Verantwortung der Wirtschaft und der Verantwortung der Politik und ende nicht selten in „einseitigen Verantwortungszuschreibungen“.  Akteurinnen und Akteure dieser drei Gruppen würden sich die Verantwortung, handeln zu müssen, demnach gegenseitig zuschieben. Doch erfordere die Bewältigung der Klimakrise, so der Ethikrat, „eine umfassende Transformation auf individueller wie gesellschaftlicher Ebene“. Verantwortung müssen demnach alle übernehmen und dabei zusammenarbeiten.

Dies zu thematisieren, sei Aufgabe von Journalismus, sagt Prof. Torsten Schäfer, selbst Umweltjournalist und Leiter des Studiengangs Onlinejournalismus an der Hochschule Darmstadt. Bisher jedoch fehle eine solche kollektive Perspektive in der journalistischen Berichterstattung oft. Dabei sei es wichtig, die Wirkung von gesellschaftlichen Zusammenschlüssen für den Klimaschutz zu verdeutlichen. „Im Kollektiv entstehen Effekte vom Individuum auf die Gruppe, von der Gruppe in den öffentlichen Diskurs und dann auch ins politische Handeln“, sagt Schäfer. Diese Dynamiken zu schildern und zu erklären und den Einzelnen auch als potenzielles Mitglied einer Gruppe zu beschreiben, sei daher wichtiger, als immer wieder Stellschrauben im privaten Konsum zu thematisieren.

In der Klimakrise kommt der Individualismus an seine Grenzen

Die Berichterstattung über die Klimakrise sei von einem Hyper-Individualismus geprägt, kritisiert Schäfer, und folge dabei einem Großtrend. „Die Gesellschaft hat in den letzten Jahrzehnten durch verschiedene Prozesse den kollektiven Bann aufgelöst und sich zu einer starken Ich-Gesellschaft entwickelt.“ Tatsächlich zeigen Studien, dass weltweit das individualistische Denken in Gesellschaften zugenommen hat. Und diese Entwicklung, so belegte etwa eine Untersuchung der University of Waterloo in Ontario/Kanada, dass sich diese Entwicklung während der vergangenen 50 Jahre nicht auf die Industrieländer beschränkte. Dafür analysierten die Autoren die Normen und Werte sowie die Lebensumstände von Menschen in insgesamt 78 Ländern wobei eine im Mittel hohe Zahl an Alleinstehenden und Single-Haushalten auf einen größeren Individualismus hindeutete.

Im Ergebnis zeigte sich insbesondere in der sozioökonomischen Entwicklung ein starker Einflussfaktor, heißt: Je höher das Pro-Kopf-Einkommen in einem Land, desto verbreiteter ist ein individualistischer Lebensstil. Damit lässt sich auch erklären, wieso die Autoren auch für Deutschland eine Zunahme bei den individualistischen Werten verzeichneten. Interessanterweise fanden die Autoren, dass auch die Klimakrise einen Einfluss in der Entwicklung hat – jedoch einen gegenläufigen. So führten Klimaveränderungen und die damit einhergehende Zunahme von Extremwettern in Ländern mit niedriger sozioökonomischer Entwicklung zu einem Rückgang des Individualismus.  

Die allgemeine Individualisierung der Gesellschaft zeige sich deutlich in der medialen Berichterstattung, sagt Schäfer. So habe beispielsweise die Rolle des Einzelnen als Konsumentin und Konsument einen immer größeren Raum eingenommen. Mit Blick auf den Klimaschutz habe das zu einer Anhäufung von Handlungsempfehlungen für das Individuum geführt, die nicht unbedingt motivieren, sondern viele auch frustrieren, sagt Schäfer. „Diese Art von Geschichten haben wir in den letzten 15 Jahren sehr oft im Journalismus gesehen.“

Individuelle Verantwortung frustriert und überfordert

Die Folgen lassen sich zum Beispiel in den Ergebnissen der Umweltbewusstseinsstudie 2020 des Umweltbundeamtes wiederfinden. Darin gab die Mehrheit der Befragten einerseits an, die Klimakrise als Bedrohung wahrzunehmen. Andererseits zeigten sich aber auch rund die Hälfte der Befragten überfordert, wenn es um die Frage ging, was sie denn selbst für den Klimaschutz tun könnten. Ein Fünftel gab sogar an, dass sie nicht das Gefühl haben, sich „auch noch um den Klimaschutz“ kümmern zu können.

Prof. Laura Henn, Umweltpsychologin und Leiterin des Fachgebiets Nachhaltiges Handeln und Wirtschaften an der Universität Hohenheim, ist die individualisierte Perspektive auch in den monatelangen Debatten um das Gebäudeenergiegesetz im Sommer 2023 aufgefallen. „Es ging viel um den eigenen Geldbeutel, die eigenen vier Wände. Was muss ich jetzt tun? Was ist mein Nachteil?“, sagt Henn. Bei diesem Blickwinkel sei in den Hintergrund geraten, dass der Eigenheim-Heizungskeller Teil eines großen Ganzen ist: nämlich der Frage, wie man es gesamtgesellschaftlich schafft, die deutschen Klimaziele einzuhalten.

 

„Es geht darum, die Big Points, die wirklich großen Hebel im individuellen Verhalten bewusst zu machen, die ungleich viel mehr Einfluss auf unsere Umweltauswirkungen haben als andere Dinge“

 

Das Heizverhalten der privaten Haushalte ist dabei ein relevanter Einflussfaktor: In drei von vier Wohnungen in Deutschland wurde laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft im August 2023 mit Gas oder Öl geheizt. Welche Folgen die vielen fossil betriebenen Heizungen fürs Klima haben, müsse im Rahmen der Berichterstattung thematisiert werden, sagt Henn. „Es geht darum, die Big Points, die wirklich großen Hebel im individuellen Verhalten bewusst zu machen, die ungleich viel mehr Einfluss auf unsere Umweltauswirkungen haben als andere Dinge“, so Henn. Dazu gehören laut Henn neben dem Heizen auch die Bereiche Mobilität, Ernährung, Öko-Strom und das politische Engagement. Zugleich bedeute dies aber nicht, die Verantwortung allein auf das Individuum zu reduzieren.

Weniger Einzelkämpfer, mehr „Wir“ 

Auch Torsten Schäfer sieht die Art und Weise, wie individualisiert über die Kosten von Klimaschutzmaßnahmen berichtet wird, kritisch. Zwar sei es richtig, Menschen darüber aufzuklären, welche Kosten auf sie beim Einbau einer Wärmepumpe zukommen. Allerdings mangele es dabei oft an einer umfassenderen Einordung der Summen – insbesondere hinsichtlich der Frage, was es die Gesellschaft kostet, wenn der Klimawandel ungebremst voranschreitet, weil fossile Heizungen nicht ausgetauscht werden. „Die gesellschaftlichen Kosten und Umweltkosten werden noch viel zu wenig recherchiert und gegenübergestellt, dabei sind sie zentral“, sagt Schäfer. So schätzt etwa das Umweltbundesamt die Umweltkosten durch Treibhausgasemissionen und Luftschadstoffe aus dem Straßenverkehr und der Erzeugung von Strom- und Wärme auf mindestens 241 Milliarden Euro – allein für das Jahr 2021.

Klimaschutz gemeinsam: Der Badminton-Club Grün-Weiß Obernzell aus Niederbayern hat unter dem Titel "Greenminton" eine preisgekrönte Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt; Foto: BCGW Obernzell

An einem kollektiveren Blick mangelt es Schäfers Überzeugung nach aber auch in der sonstigen Klimaberichterstattung. Viele Geschichten würden sich um Einzelpersonen drehen, die als Vorbilder fungieren sollen. Diese „individuellen Leuchttürme“ seien zwar wichtig für die Symbolik, sagt Schäfer, aber sie würden Klimaschutz ebenfalls in den privaten, geschlossenen Raum verlagern. „Gruppen-Vorbilder sind wirksamer und machtvoller, deswegen sollten wir beim Storytelling häufiger in Gruppen denken“, sagt Schäfer. Dies könne eine Familie, eine Nachbarschaft, eine Straße, ein Verein oder ein ganzes Dorf sein, das sich für den Klimaschutz engagiert.

 

„Gruppen-Vorbilder sind wirksamer und machtvoller, deswegen sollten wir beim Storytelling häufiger in Gruppen denken“

 

Schäfer beschreibt diesen Erzählansatz als “neues Wir”. Zu finden sei dieser bisher vor allem im konstruktiven Journalismus. Die Idee: Die Wirkung von Partizipation und Gemeinschaftlichkeit beim Klimaschutz zu verdeutlichen. Durch den stärkeren Fokus auf Gruppen können Menschen nicht nur überlegen, mit wem sie sich in ihrem eigenen sozialen Netzwerk zusammentun könnten, sondern außerdem ihre eigene Selbstwirksamkeit und Handlungsfähigkeit im Rahmen eines solchen Kollektivs erkennen.

In der Bewegungsforschung existiert der kollektive Identitätsansatz schon seit den frühen 1990er Jahren, wie die Soziologin Priska Daphi im Forschungsjournal Soziale Bewegungen schrieb. Diese „Wir-Identität“ bewirke schließlich, dass individuelle und kollektive Interessen nicht mehr getrennt angesehen werden und der eigene, individuelle Nutzen somit in den Hintergrund trete. Studien zeigen aber auch: Individuelle Gefühle der Bedrohung durch die Klimakrise können die kollektive Identität ebenso mit Blick auf autoritäre Tendenzen hin verstärken oder zu Abwehr und Abwertung fremder Gruppen führen statt die Bereitschaft zu Klimaschutz zu vergrößern.

Die Klimakrise ist ein kollektives Problem – und muss auch so benannt werden 

Erzählungen über Klimaschutz aus der „Wir“-Perspektive erfüllen jedenfalls eine wichtige Funktion. „Die soziale Einbettung und Unterstützung ist das Wichtigste, damit wahrscheinlich wird, dass Leute aktiv werden“, sagt Umweltpsychologin Henn. Denn wenn Menschen sich zusammenschließen, habe das immer eine soziale Komponente: Wer sich selbst als Teil einer Gruppe erkennt, kann motiviert und inspiriert dazu sein, selbst aktiv zu werden. Das kann Veränderungen im eigenen Verhalten bedeuten oder aber, sich gesellschaftlich oder politisch zu engagieren. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2016, die in der Fachzeitschrift Climate Change veröffentlicht wurde, bestätigt die Wirkung der kollektiven Perspektive: Darin fanden die Autoren durch Experimente heraus, dass die Bereitschaft, Geld für Klimaschutz zu spenden, mehr als doppelt so groß war, wenn die Klimakrise nicht als individuelles, sondern als kollektives Problem gesehen wurde.

Doch woran scheitert es bisher konkret, dass die kollektive Perspektive nur relativ selten in der Berichterstattung über Klimaschutz zu finden ist? Journalistik-Professor Schäfer sieht einen Grund darin, dass sich viele nicht an diesen Ansatz herantrauen, „weil wir im Journalismus immer glauben, dass wir dann zu aktivistisch oder zu politisch sind“. Dabei sei das Adressieren der Gruppen-Perspektive nichts Politisches, sondern einfach nur eine weitere Perspektive, bei der eben die Klimakrise als partizipativer Prozess im Mittelpunkt stehe.

Nachhaltigkeit als journalistischer Grundwert und Nachrichtfaktor

Zweifel entstünden aber auch dadurch, dass Journalistinnen und Journalisten sich ihrer Aufgabe in der Klimakrise nicht immer bewusst oder sich darüber unsicher seien, sagt Schäfer. Umso wichtig sei daher, diese immer wieder klar zu formulieren: „Wir haben den Auftrag, die existenzielle Bedrohung durch den Klimawandel stetig zu thematisieren und uns dafür einzusetzen, dass darüber eine Debatte stattfindet“, sagt Schäfer. Dazu sei es wichtig, offen, unparteiisch, kritisch und unabhängig auch unangenehme Fragen zu stellen. Dies setze voraus, dass die Förderung von Nachhaltigkeit als journalistischer Grundwert verstanden und anerkannt werde.

 

„Wir haben den Auftrag, die existenzielle Bedrohung durch den Klimawandel stetig zu thematisieren und uns dafür einzusetzen, dass darüber eine Debatte stattfindet“

 

Eine ähnliche Idee kommt von Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Schon 2021 sprach Pörksen im Deutschlandfunk darüber, dass dem Journalismus durch die Art, wie die Klimakrise beschrieben werde, eine große Bedeutung zukommt, etwa wenn es um mögliche Lösungen geht. Er schlägt vor, Nachhaltigkeit als weiteren, relevanten Nachrichtenfaktor zu verstehen und anzuerkennen – damit knüpft er an ein Konzept an, dass es in Journalismus und Kommunikationswissenschaft etabliert und akzeptiert ist: Dass sich Medien bei der Auswahl von Meldungen und Informationen an deren „Nachrichtenwert“ orientieren. Klassischerweise sind dies Faktoren wie Überraschung, Prominenz der Akteure, Konflikt/Kontroverse oder ob etwas in der Nähe des Publikums passiert.

Die Nachhaltigkeit als Wert zu berücksichtigen, bedeute Pörksen zufolge für den Journalismus in der Klimakrise, er müsste aus einer „Adlerperspektive Entwicklungen sortieren“, „globale Lösungsmöglichkeiten präsentieren“ und gegenüber der Politik „effektive Formen des Krisenmanagements einklagen“. Auch das Verständnis von Objektivität müsse dafür angepasst werden, denn es brauche vielmehr eine „engagierte Objektivität“ in der journalistischen Haltung – ohne dabei aktivistisch oder alarmistisch zu argumentieren.

Die Entwicklung der vergangenen Jahre jedoch scheint eher in die Gegenrichtung zu verlaufen: Der öffentliche Diskurs um Klimaschutz ist zunehmend aufgeladen und polarisiert. Viele Journalistinnen und Journalisten erleben bereits, dass ihre Berichterstattung über mögliche Lösungen und Maßnahmen – bisweilen bewusst – missverstanden wird. Der Deutsche Ethikrat nennt „Verdrängungen oder Polarisierungen“ als eine der größten Herausforderungen im bestehenden Klima-Diskurs. Dabei sei für eine demokratische Meinungsbildung gerade ein konstruktiver Diskurs über Lösungen und Maßnahmen sowie über die gesamtgesellschaftliche Verantwortung so wichtig.