Die Berliner Charité ist eine der ältesten und größten Universitätskliniken Europas. Zu ihren bis heute prägenden Köpfen gehören herausragende Pioniere der Medizingeschichte wie Robert Koch oder Rudolf Virchow. Beide Mediziner aber wären vermutlich verwirrt, stünden sie heute vor einem Lageplan der Charité – viele der in unseren Tagen bekannten Fachdisziplinen wie die Transfusionsmedizin, die Gerontopsychiatrie oder Geschlechtsspezifische Medizin waren zu ihren Lebzeiten zumindest unter den heutigen Begriffen unbekannt. Das hat mit dem Stand der Forschung zu tun, ist aber auch ein Spiegelbild unserer Vorstellungen davon, welches professionelle Spezialwissen erforderlich ist, um mit einem Phänomen wie Krankheit umgehen zu können.

Ähnliches ist beim Umgang mit den Problemen von Umweltzerstörung, Biodiversitätsverlust und Klimawandel zu beobachten: Klimaanpassungsmanagement, Energieberatung oder Umweltpsychologie – diese hochspezialisierten und längst als mitentscheidend betrachteten Professionen sind auch als Reaktion auf neu entstandene oder neu verstandene Probleme und wachsende Herausforderungen entstanden. In allen Fällen ging diese Spezialisierung und Professionalisierung mit vergleichbaren Prozessen einher, ganz gleich, ob es sich um Transfusionsmedizin oder Umweltpsychologie handelt: Zunächst werden Wirkungszusammenhänge theoriegestützt systematisch erforscht, dann bilden sich Standards der guten fachlichen Praxis heraus, schließlich werden Zuständigkeiten etabliert und Mittel bereitgestellt, damit Fachleute ihre Fachkompetenz überhaupt anwenden können.

Als eigene Profession steckt die Klimakommunikation noch in den Anfängen

Auch die Klimakommunikation gehört in die Reihe neu entstandener, neu erkannter Herausforderungen: Zwar ist das mit dem Klimawandel verbundene Grundproblem der Kommunikation seit langem bekannt. Als Knowledge-Action-Gap, als Lücke zwischen Wissen oder Bewusstsein einerseits und adäquatem Handeln andererseits wird es beschrieben. Salopp formuliertn lautet die Frage: Warum tun wir nicht, was wir wissen? Längst ist anerkannt, dass der Kommunikation bei der Überwindung der Kluft eine entscheidende Rolle zukommt. Doch als eigene Profession steckt die Klimakommunikation noch in den Anfängen.

Fridays-for-Future-Sommercamp 2019 in Dortmund: Mit der Fridays-Bewegung haben sich Ausmaß und Intensität der Debatte über Klimaschutz sprunghaft vergrößert; Fotos: Carel Mohn

Wie eine Professionalisierung gelingen könnte, ist in den vergangenen Jahren in wachsender Intensität erforscht und beschrieben worden. Pioniere hierbei waren in der sozialwissenschaftlichen Forschung das „Program on Climate Change Communication“ der Yale University und der George Mason University in den USA, Autoren wie Per Espen Stoknes (Schweden) oder George Marshall (Großbritannien), Letzterer auch als Gründer des britischen „Think-and-Do-Tanks“ Climate Outreach.  Klimafakten selbst hat hierzu mit dem Handbuch der Klimakommunikation einen Beitrag geleistet, und mit Klimaaktiv in Österreich oder der baden-württembergischen Klimaschutzagentur KEA gibt es im deutschsprachigen Raum auch erste staatlich geförderte Institutionen, die versuchen, fachliche Standards von Klimakommunikation zielgerichtet zu verbreiten.

Aber keine Transfusionsmedizin ohne Ärztinnen und Ärzte, die beherrschen und durchdrungen haben, worum es bei Bluttransfusionen oder Organtransplantationen geht – und keine Klimakommunikation ohne Fachleute, die über Kenntnisse verfügen, wie Menschen und ganze Gesellschaften ins Klimahandeln gebracht werden können. Doch wer sind eigentlich diejenigen, aus denen sich die Fachleute für Klimakommunikation rekrutieren könnten? Wer gehört heute bereits zu jenen, die – ob auf Grundlage „guter fachlicher Praxis“ und anerkannter Standards oder nicht – ganz praktisch Klimakommunikation betreiben? Wer also ist überhaupt Klimakommunikator:in?

Wirksame Kommunikation: Die Werbung des Klempners für die Wärmepumpe

Hierfür haben wir uns gründlich  mit den Zahlen und Daten einer Profession im Entwicklungsstadium beschäftigt. Das Ziel hierbei war, einen Überblick zu bekommen, wie groß die Zahl der Menschen ist, die bereits heute faktisch an Klimakommunikation beteiligt sind – und die ihre Wirkung als Kommunizierende durch weitere Professionalisierung noch steigern könnten.

Ausgangspunkt war dabei eine von uns selbst entwickelte Arbeitsdefinition. Entscheidendes Charakteristikum ist selbstverständlich, dass die Person kommuniziert – also irgendeine Art von Reden, Sprechen, Schreiben, Senden, Veröffentlichen oder Posten zu Klimathemen. Doch genauso wie uns das tägliche Essenkochen nicht gleich zum Koch oder zur Köchin macht, muss nicht jeder, der einmal über das Klimathema spricht, gleich Klimakommunikator:in sein. Unsere Definition haben wir daher um die Merkmale Häufigkeit, Intention und Form ergänzt. Sie lautet:

Klimakommunikation findet statt, wenn Menschen regelmäßig, absichtsvoll und konstruktiv zu Klimathemen sprechen, informieren und sich am Austausch in der Gesellschaft beteiligen, um damit wirksame Maßnahmen zur Stabilisierung des Klimas zu erreichen.

Gehen wir also mit dieser Definition vor, so haben wir auf unserer Suche nach Klimakommunikator:innen in Deutschland mindestens drei Gruppen von Menschen ausgemacht, die professionell über die Klimathemen kommunizieren.

1. Menschen in Organisationen, die als Ganzes dem Klimaschutz gewidmet sind oder als mindestens eines ihrer Kernziele den Klimaschutz haben

Zu dieser Gruppe zählen wir Nichtregierungsorganisationen wie Germanwatch, die Klima-Allianz Deutschland, die Fridays-Bewegung oder die großen Umweltorganisationen wie Greenpeace oder NABU. Auch ausgewiesene Klimaforschungseinrichtungen wie das Potsdam-Institut oder diverse Helmholtz-Einrichtungen zählen zu dieser ersten Gruppe

2. Personen, die für den Klimaschutz in einer Organisation zuständig sind, die primär andere Ziele verfolgt

Zusammengefasst haben wir hier unter anderem kommunale Klimaschutzbeauftragte, Klimaschutzbeauftragte bei Unternehmen, Behörden, in Parteien oder anderen politischen Organisationen, im Gesundheitssektor oder bei Sozialverbänden, aber auch Journalistinnen, die sich innerhalb ihrer Redaktion auf Klimathemen spezialisiert haben.

3. Klimakommunikator:innen, die sich selbst kaum als solche bezeichnen würden

Diese Gruppe ist noch schwieriger zu (er)fassen als die vorherigen – obwohl diese Menschen im Gespräch entscheidende Impulse für den Klimaschutz geben können. Zum Beispiel der Klempner, der seinen Kunden dringend vom Einbau einer Gasheizung abrät oder die Hausärztin, die ihren Patienten mehr pflanzliche Ernährung nahebringt oder der Rettungssanitäter, der über die besonderen Risiken von Hitzewellen aufklärt. Beides sind zwar sehr praktische und wirkungsvolle Beiträge zum Klimaschutz, die Kommunikation erfordern – doch weder der Klempner noch die Hausärztin würden ihren Beruf im engeren Sinne als „Kommunikationsjob“ beschreiben, obwohl diese beiden von allen genannten Personen unserem Alltag und unseren alltäglichen Problemen womöglich am nächsten stehen.

 

Um die Kernergebnisse unserer Recherche vorwegzunehmen: Zwar sind die Definitions- und Abgrenzungsprobleme immens. Gerade weil es – anders als bei der Umweltpsychologie oder der Energieberatung – noch keine Fachgesellschaften oder von Berufsverbänden anerkannte „gute fachliche Praxis“ der Kimakommunikation gibt, ist eine genaue Zahlenangabe unmöglich.

Ist die IT-Fachfrau am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (die auch bei der privaten Grillparty auf ihren Job angesprochen wird) nun Klimakommunikatorin oder nicht? Kann man wie besagter Rettungssanitäter hochwirksame Klimakommunikation betreiben, auch wenn man sich selbst dessen womöglich gar nicht bewusst ist? Und was ist mit den rund 20.000 Mitarbeitenden der 147 Mitgliedsorganisationen der Klima-Allianz, zu denen auch Institutionen wie der Arbeit-Samariter-Bund, der Deutsche Mieterbund oder die Erzdiözese Freiburg zählen – betreiben deren Mitarbeiter wirklich alle Klimakommunikation? Sicher nicht.

Selbst bei enger Definition: Zehntausende kommunizieren tagtäglich für Klimaschutz

Doch selbst mit relativ eng gefasstem Blick zeigt sich: Allein in Deutschland gibt es zehntausende Menschen, die sich Tag für Tag durch Sprechen, Schreiben oder Veröffentlichen mit dem Ziel Klimaschutz unmittelbar an den öffentlichen Debatten beteiligen. Nimmt man noch jene hinzu, die in Organisationen tätig sind, die sich ausdrücklich dem Klimaschutz verpflichtet haben oder die wie die erwähnte Hausärztin oder der Klempner faktisch zu konstruktiven Klimadebatten beitragen, dann ergibt sich gar ein Potential von Hunderttausenden von Menschen in der Klimakommunikation.

Doch helfen derlei Betrachtungen weiter, wenn es gilt, im Klimaschutz die berühmte Lücke zwischen Wissen und Handeln zu schließen?

Kehren wir in Gedanken noch einmal zurück zu Robert Koch, Rudolf Virchow und die Infotafel am Eingang zur Berliner Charité: Derlei Lagepläne mit ihrer Auflistung von Instituten und Fachkliniken bilden ab, wie wir Krankheit und Gesundheit sehen, welches Spezialwissen wir als unabdingbar betrachten, um Krankheit und Gesundheit zu verstehen. Ein Universitätsklinikum ohne ausgebildete Kardiologen, Nuklearmedizinerinnen oder Fachleuten für Neurochirurgie könnte somit seinen Auftrag nicht voll erfüllen.

Auf den Lageplänen und Organigrammen des Klimaschutzes ist die Klimakommunikation derzeit erst noch dabei, ihren Platz als ausgewiesene Fachdisziplin neben Traditionsdisziplinen wie etwa der Meteorologie, der Energieberatung oder der Photovoltaik zu finden. Zehntausende aber stehen bereits in den Startlöchern, den Job zu übernehmen.

Transparenzhinweis: Klimaaktiv sowie die Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg sind Kooperationspartner von Klimafakten