Zahlreiche Extremwettereignisse in Deutschland und weltweit, der angekündigte Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaabkommen, der UN-Klimagipfel in Bonn, der Skandal um manipulierte Abgas- und Verbrauchsdaten von Pkw ("Dieselskandal") – reihenweise hätte es im abgelaufenen Jahr 2017 Anlässe gegeben für Talkshow-Debatten über Klimawandel und Klimapolitik. Und mit dem Streit um den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung war ein klimarelevantes Thema sogar prägend für die wochenlangen Sondierungsverhandlungen für eine "Jamaika-Koalition", bei denen ansonsten nur wenige inhaltliche Streitpunkte erkennbar wurden.
Dennoch war der Klimawandel nur ein einziges Mal Thema bei den großen Polittalks von ARD und ZDF: in der Maischberger-Ausgabe vom 11. Oktober. Das ist das Ergebnis einer Auswertung, bei der die Redaktion von klimafakten.de alle Sendungen von Anne Will, Maybrit Illner, Maischberger und Hart aber fair ausgezählt hat. Klimawandel und Klimapolitik machten damit lediglich 0,7 Prozent aller Themen aus.
Hinweis: Bei der Auswertung haben wir einzelne Sendungen mehreren Themengebieten zugeordnet. Die Gesamtsumme der thematischen "Treffer" für alle zehn Themengebiete ist daher größer als die Zahl der 143 Sendetermine.
Kaum besser ist die Situation, wenn man auch weitere Umweltthemen einbezieht: Zusammengenommen kommen Klima und Umwelt auf gerade einmal fünf Sendungen – zweimal ging es um den Dieselskandal, einmal um Naturschutz und Artensterben, einmal um das Ackergift Glyphosat und, wie erwähnt, einmal um den Klimawandel. In der Summe ergibt dies einen Anteil von lediglich 3,5 Prozent aller 143 erfassten Sendetermine. Übrigens kein einziges Mal wurden in den großen Polit-Talkformaten des öffentlichen-rechtlichen Fernsehens energiepolitische Themen diskutiert. Dabei gäbe es mit Kohleausstieg, Windkraftausbau oder den Strompreisen auch hier genügend kontroverse und verbrauchernahe Themen, die eine breite Öffentlichkeit interessieren dürften.
Trump und Erdogan - Lieblinge der Talkshow-Redaktionen
Vergleichsweise häufig befassten sich die Sendungen hingegen mit dem Themenfeld Sicherheit/Kriminalität/Terror - es stand 2017 allein 16 Mal auf der Talkshow-Agenda. Außenpolitischen Themen widmeten die genannten TV-Redaktionen mit 48 Sendungen sogar ein Drittel aller Termine - häufigster Anlass waren die dauerprovozierenden Präsidenten der USA und der Türkei, Donald Trump und Recep Tayyip Erdogan.
Den höchsten Anteil von Sendungen mit Umwelt- oder Klimabezug gab es übrigens bei der ARD-Talkshow Hart aber Fair. Dort standen sie bei insgesamt 34 Sendeterminen immerhin drei Mal auf dem Programm. Keine einzige Sendung mit Umwelt-, Klima- oder Energiebezug gab es hingegen bei Anne Will.
Eine einzige Klima-Talkshow - und dann auch noch mit irreführendem Titel
Die Klimabilanz der öffentlich-rechtlichen Talkshow-Redaktionen wird noch magerer, wenn man die einzige einschlägige Sendung genauer betrachtet: Als bei Maischberger am 11. Oktober diskutiert wurde, geschah dies ausgerechnet unter dem Titel "Xavier und die Wetterextreme: Kippt unser Klima?" Die wissenschaftlich seit Jahrzehnten geklärte Frage, ob es einen Klimawandel gibt, wurde hier mit einem Fragezeichen versehen.
Mit diesem Titel sowie der Auswahl der Studiogäste erweckte die Redaktion den irreführenden Eindruck, Realität und Ursachen des Klimawandels böten noch ernsthaften Anlass für Debatten. Und während die Runde im Studio anspruchsvolle wissenschaftliche Details wie den exakten Zusammenhang einzelner Extremwetter und der Erderhitzung zu analysieren versuchte, blieben politisch und gesellschaftlich relevantere Fragen weitgehend außen vor - etwa jene, wie man denn die klimaschädlichen Treibhausgas-Emissionen senken kann.
Zur Erklärung sagen ARD und ZDF: Klima und Umwelt kamen anderswo vor
Die klimafakten.de-Redaktion bat sowohl die ARD als auch das ZDF um eine Stellungnahme zu dem geringen Stellenwert von Umwelt- und Klimathemen bei ihren Talkshows. Die ZDF-Pressestelle verwies darauf, dass das ZDF während der sommerlichen Sendepause von "Maybrit Illner" auf dem gleichen Sendeplatz "Dokumentationen zu grundlegenden politischen Fragestellungen" gesendet habe. Hierzu zählten eine Doku zur Energiewende sowie ein Doku-Zweiteiler unter dem Titel "Wenn das Klima kippt".
Auch die ARD verwies darauf, das Themenfeld Klima-Energie-Umwelt immer wieder in anderen Sendungen aufgegriffen zu haben - von den Tagesthemen über den Presseclub bis hin zum Kulturmagazin "ttt". Auch bei "neuneinhalb", dem Nachrichtenmagazin für Kinder, sei beispielsweise am 11. November der UN-Klimagipfel in Bonn Titelthema gewesen.
Die Analyse: So sind wir vorgegangen
Für ihre Analyse hat die Redaktion von klimafakten.de sich angesehen, welche politischen Themen die führenden Talkshow-Redaktionen zum Debattenthema ihrer Sendungen machen. Dazu haben wir zwischen dem 22. Dezember 2017 und dem 2. Januar 2018 die Online-Mediatheken der vier Sendungen Hart aber fair, Anne Will und Maischberger in der ARD sowie Maybrit Illner im ZDF analysiert. Hierbei haben wir alle Sendungen des Jahres 2017 jeweils einem von insgesamt neun übergreifenden Themenfeldern zugeordnet (Europa-/Außenpolitik, Kriminalität/Sicherheit/Terror, Flucht/Migration/Integration, Umwelt-/Energie-/Klimapolitik, Wirtschafts-/Finanz-/Sozialpolitik, Gesundheit/Pflege, Wahlkampf/Parteien/Regierungsbildung, Familie/Gesellschaft/Lebenswelten, Sport sowie Vermischtes).
In Einzelfällen wurden dabei Sendungen mehreren Themenfeldern zugeordnet, wenn eine eindeutige Kategorisierung nicht möglich erschien. Dies war beispielsweise der Fall bei der Maischberger-Sendung vom 28. Juni mit dem Titel "Streit um Abschiebungen: Ist die Politik zu lasch oder zu hart?". Diese Sendung haben wir sowohl dem Themenfeld Kriminalität/Sicherheit/Terror als auch dem Themenfeld Flucht/Migration/Integration zugerechnet.
Carel Mohn