Rund der Hälfte der Deutschen ist klar, dass der Klimawandel bereits heute ein ernsthaftes Problem ist. Ein weiteres knappes Drittel ist der Ansicht, dass die Folgen der Erderhitzung der Menschheit bereits innerhalb der nächsten fünf bis zwanzig Jahre Schwierigkeiten bereiten werden. Das ergab eine Umfrage der Universität im Schweizerischen St. Gallen im Auftrag der Umweltorganisation Greenpeace. 61 Prozent der Befragt ängstigt der Klimawandel, 75 Prozent bejahen einen Zusammenhang des Temperaturanstiegs und Trend zu mehr Extremwetter-Ereignissen.
Hauptthema der im Mai veröffentlichten Untersuchung sind die Einstellungen der Öffentlichkeit zu einem Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohleverstromung. Befragt wurden bundesweit 2.128 Personen, die eine repräsentative Auswahl der Gesamtbevölkerung darstellten. Zusätzlich wurden jeweils rund 500 Personen in der Lausitz und dem Rheinland befragt - also Regionen, in denen Braunkohleförderung und -verstromung noch ein relevanter Wirtschaftsfaktor sind. Dabei zeigten sich teils bemerkenswerte Unterschiede: Vor allem in der Lausitz wird ein Kohleausstieg deutlich kritischer gesehen als im Rheinland oder im deutschen Durchschnitt - und der Klimawandel als geringere Bedrohung eingestuft.
Lausitz: Weniger Leute sehen die Klimaschädlichkeit der Kohle ...
Auf die Frage beispielsweise, wie sehr die Kohleverstromung zum Klimawandel beiträgt, antworteten bundesweit 50 Prozent der Befragten "sehr stark". Diese Einschätzung ist korrekt, sowohl weltweit als auch in Deutschland gehören Stein- und Braunkohlekraftwerke zu den größten Verursachern des Treibhausgases CO2 (hierzulande stammt mehr als ein Viertel aller Treibhausgas-Emissionen aus Kohlekraftwerken). Im Rheinland (49 Prozent: "sehr stark") entsprach das Meinungsbild praktisch dem bundesweiten - in der Lausitz hingegen räumten bloß 35 Prozent der Befragten ein, dass Kohlekraftwerke ein großes Problem fürs Klima sind.
In der Lausitz erkennen deutlich weniger Befragte als im Rheinland oder auch bundesweit an, dass Kohlekraftwerke ein großes Klimaproblem darstellen; Grafik: Universität St. Gallen/Greenpeace Deutschland
Auch bei anderen Fragen zum Klima zeigten sich Abweichungen zwischen der Lausitz und dem Rest Deutschlands. Während sowohl deutschlandweit als auch im Rheinland jeweils 82 Prozent der Studienteilnehmerinnen und Teilnehmer angaben, dass der gegenwärtige Klimawandel hauptsächlich auf menschliche Aktivitäten zurückgeht, stimmte in der Lausitz mit 74 Prozent ein merklich geringerer Anteil diesem Befund der Klimaforschung zu. Ebenso wurde in der ostdeutschen Braunkohleregion das Ausmaß des wissenschaftlichen Konsens' zum menschengemachten Klimawandel (laut verschiedenen Studien liegt er zwischen 90 und knapp hundert Prozent) als schwächer eingeschätzt: Dort wurde er im Mittel auf lediglich 67 Prozent taxiert (also ein Dissens von einem Drittel der Klimaforscher angenommen); bundesweit und im Rheinland schätzten die Befragten den Konsens mit 71 Prozent ein und damit zumindest etwas näher an der Realität.
... und mehr Menschen bezweifeln die Realität des Klimawandels
Auf die eingangs erwähnte Frage schließlich, ab wann der Klimawandel ein "ernsthaftes Problem für die Menschheit" darstelle, antworteten in der Lausitz lediglich 41 Prozent (gegenüber bundesweit 49 Prozent), dass dies bereits heute so sei. Auch für die absehbare Zukunft (in fünf, zehn oder zwanzig Jahren) sehen in der Lausitz weniger Menschen den Klimawandel als problematisch an. Umgekehrt antworteten in dieser Kohleregion doppelt so viele Befragte (16 Prozent) wie im Bundesschnitt oder auch im Rheinland (jeweils acht Prozent), dass der Klimawandel erst in hundert Jahren, noch später oder gar niemals die Menschheit vor ernste Schwierigkeiten stellen werde.
Auch bei der Einschätzung, ab wann der Klimawandel ein "ernsthaftes Problem für die Menschheit" darstellt, weicht das Meinungsbild in der Lausitz vom Bundesdurchschnitt ab: In der ostdeutschen Kohleregion sind doppelt so viele Befragte der Meinung, dies werde erst in ferner Zukunft oder niemals der Fall sein - was übrigens im klaren Widerspruch zum Stand der Forschung steht; Grafiken: Universität St. Gallen/Greenpeace Deutschland
Auffällig ist, dass sich diese Abweichungen zwischen der Lausitz und Gesamtdeutschland mit Differenzen decken, die sich auch bei der Einstellung zu Kohlekraftwerken zeigen. So sind laut dieser Befragung bundesweit 75 Prozent für einen zügigen Kohleausstieg, im Rheinischen Braunkohlerevier immerhin noch 64 Prozent - in der Lausitz hingegen mit 43 Prozent signifikant weniger.
Politische Grundwerte und Identitäten prägen Blick auf die Realität
Auf die Frage nach spontanen Assoziationen zu dem Wort "Kohlekraftwerk", lauteten bundesweit die häufigsten Antworten "Rauch", "Dreck" und "Umweltverschmutzung" - in der Lausitz hingegen wurde mit Abstand am häufigsten der Begriff "Arbeitsplätze" genannt, dahinter folgte "rauchende Schornsteine". Dagegen fielen Worte, die die Umweltaspekte der Kohlekraft thematisierten, in der Lausitz deutlich seltener als bundesweit oder auch im Rheinland.
Möglicherweise besteht hier ein Zusammenhang: In der Sozialpsychologie ist es ein bekanntes Phänomen, dass politische Grundüberzeugungen, Werte, Weltanschauungen, persönliche Identitäten oder auch wirtschaftliche Interessen teils deutlich die Wahrnehmung der Realität und von Fakten beeinflussen - Fachleute sprechen in diesem Zusammenhang zum Beispiel von "motivated reasoning" oder "cultural cognition". Zwar betont der Autor der Greenpeace-Umfrage, Adrian Rinscheid vom Institut für Wirtschaft und Ökologie der Universität St. Gallen, dass die Befunde für die Lausitz (wie auch für das Rheinland) auf relativ kleinen Stichproben basieren, die keinen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung darstellen - weshalb die Ergebnisse nicht verallgemeinert werden sollten. Doch die möglichen systematischen Unterschiede, schreibt er, würfen gleichwohl Fragen auf.
Toralf Staud