In diesen Tagen treffen sich - wie immer zum Ende eines Jahres - Klimapolitiker, -diplomaten, -wissenschaftler und -lobbyisten zu einem UN-Klimagipfel, diesmal in Madrid. Und wie immer zu diesem Anlass ist der Klimawandel ein großes Thema für die Medien. Wie man das abstrakte Phänomen der globalen Erhitzung ganz praktisch herunterbrechen und anschaulich machen kann, zeigt der Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) auf seiner Internet-Seite: Dort können sich Interessierte für jede einzelne Gemeinde des Landes anzeigen lassen, was der Klimawandel konkret bedeutet.

Grundlage dieses datenjournalistischen Projekts sind die Ergebnisse des großangelegten Forschungsprojekts "Klimaszenarien CH2018", die im vergangenen Jahr vom National Centre for Climate Services (NCCS) vorgelegt wurden. Zwar sind die reinen Informationen auch auf der Projektwebsite öffentlich zugänglich - aber die Aufbereitung durch ein fünfköpfiges SRF-Team bringt sie nahe an die Menschen.

"Diesen Effekt hat der Klimawandel auf Ihren Wohnort" - das ist das Motto der interaktiven SRF-Website zu Klimaszenarien für die Schweiz; Quelle: Screenshot srf.ch

"Machen Sie eine Reise in die Zukunft und erfahren Sie, wie es in ein paar Jahrzehnten in Ihrer Gemeinde aussehen könnte", so die Einladung. Es gibt ein Eingabefeld, in das man seinen Wohnort eintragen kann - von A wie Aadorf bis Z wie Zihlschlacht-Sitterdorf. Danach können die Nutzerinnen und Nutzer sich entscheiden: Wollen Sie in eine Schweiz schauen, wie sie in einigen Jahrzehnten bei ungebremstem Treibhausgas-Ausstoß aussähe? Oder in eine Zukunft mit schnellem und strengem Klimaschutz? Doch statt unverständliche Kürzel wie "RCP 2.6" oder "RCP 8.5" zu erklären, wird beim SRF eine einfache Frage gestellt: "Sind Sie eine Schönfärberin oder ein Schwarzmaler?" Man kann also ein "optimistisches" oder ein "pessimistisches Szenario" wählen.

Kein Klimaschutz? "Da kommt einiges auf Aadorf zu"

Das Ergebnis sind jeweils vier Infografiken: In simplen Kurvendiagrammen wird gezeigt, welche Veränderungen es bei wichtigen Klimaparametern wie (im Winter) Frost- und Neuschneetagen sowie (im Sommer) Hitzetagen und Tropennächten erwartet werden. Bei ambitioniertem Klimaschutz, ist deutlich zu sehen, ändert sich nur wenig.

Macht die Welt jedoch weiter wie bisher, ändern sich die Klimaverhältnisse in der Schweiz drastisch. Das zeigt das Beispiel des im Kanton Thurgau auf immerhin 521 Höhenmetern liegende Aadorf. Zum Ende des Jahrhunderts wird es dort dann nur noch knapp 50 Frosttage geben - heute sinkt das Thermometer dort an 107 Tagen pro Jahr unter null Grad Celsius. Auch die Zahl von Tagen mit Schneefall wird sich mehr als halbieren. Und im Sommer wird es in Aadorf viel heißer: Hitzetage (mit Temperaturen von mehr als 30 °C) gibt es heute fünf pro Jahr, Ende des Jahrhunderts werden es mit durchschnittlich 29 fast sechsmal so viele. Und sogenannte "Tropennächte" (in denen die Temperatur nicht unter 20 °C fällt) sind in Aadorf bisher fast unbekannt - bis 2100 wird es pro Jahr durchschnittlich fünf geben. "Da kommt einiges auf Aadorf zu", heißt es im Begleittext. Wem diese Aussicht zu düster ist, der kann mit einem Klick ins optimistische Szenario (auch künftig praktisch keine Tropennächte in Aadorf, fast keine Veränderung bei den Schneetagen usw.) wechseln.

"Das Bettlaken klebt am Rücken, durchs Fenster strömt immer noch warme Luft, die Temperatur will einfach nicht unter 20 Grad sinken. Die Tropennacht raubt den Schlaf" - Nächte wie diese sind bislang in vielen Schweizer Orten praktisch unbekannt, bis Ende des Jahrhunderts könnte es zum Beispiel in Aardorf (Kanton Thurgau) durchschnittlich fünf Tropennächte pro Jahr geben; Quelle: Screenshot srf.ch

Eine Schwierigkeit bei der Kommunikation zum Klimawandel ist, dass viele Menschen meinen, das Thema gehe sie nichts an - Veränderungen seien allenfalls in ferner Zukunft oder fernen Ländern zu erwarten. Und diese "emotionale Distanz" ist laut Studien einer der Gründe, warum Klimaschutzmaßnahmen relativ schwer umzusetzen sind. Das SRF-Datenprojekt ist ein Versuch, diese Distanz zu mindern.

Dass jede und jeder - noch - Einfluss nehmen kann auf die künftige Klimaentwicklung, betont ein begleitendes Interview mit der Klimaforscherin Sonia Seneviratne. "Vieles wird von gesellschaftlichen und politischen Entscheidungen im kommenden Jahr abhängen", so die Professorin der ETH Zürich. "Ich glaube, wir sind gerade an einem Punkt, an dem alles offen ist."

Toralf Staud