Werden Wissenschaftler interviewt, dann fragt man sie üblicherweise nach Forschungsergebnissen – nach Zahlen, Daten, Fakten. Schon deutlich seltener ist es, dass Wissenschaftler über Schlussfolgerungen daraus sprechen sollen, etwa für die Politik – viele Forscher halten sich mit Aussagen dazu auch bewusst zurück. Ziemlich ungewöhnlich ist die Frage, die der junge Australier Joe Duggan Klimawissenschaftlern seit gut zwei Jahren stellt: "How do you feel about climate change?" Er will also wissen, was sie fühlen.
Duggan hat Wissenschaftskommunikation an der Australian National University in Canberra studiert. Für seine Masterarbeit im Jahr 2014 bat er Klimaforscher, die Frage in handgeschriebenen Briefen zu beantworten. Besser als wohl jeder andere Mensch wissen die Forscher, was derzeit mit dem Klima passiert, was die Ursachen sind, welche Folgen es hat. "Aber sie sind keine Roboter", schreibt Duggan auf seiner Website. "Diese Wissenschaftler sind Mütter, Väter, Großeltern, Töchter. Sie sind echte Menschen. Und sie sind besorgt." Mit seinem Projekt will er den Wissenschaftlern ein Gesicht geben.
Da ist Freude und Ergriffenheit, Trauer und Wut, aber auch Hoffnung
Die Antwortbriefe sind eindrucksvoll: Manche listen die Gefühle nüchtern auf, fast kalt; andere schildern sie sehr ausführlich und persönlich. Da ist Freude an der Arbeit, Ergriffenheit ob der Komplexheit und Schönheit des Klimasystems Erde. Auch Faszination darüber, just jetzt leben zu dürfen, wo man als Forscher Klimaänderungen beobachten kann, die nie zuvor ein Kollege erlebt hat.
Aber natürlich ist da Angst, Trauer, Wut. Einige äußern Fassungslosigkeit darüber, wie wenig ihre Forschungerkenntnisse zum Klimawandel in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik wahrgenommen werden. Frustration, dass etliche Menschen die Ergebnisse der Wissenschaft schlicht leugnen. Trauer darüber, welche Welt und welche Probleme die eigenen Kinder in wenigen Jahrzehnten vorfinden werden. Doch viele äußern auch Hoffnung, dass der Klimawandel noch gebremst wird. Und Optimismus, weil die technischen Lösungen für starke Emissionssenkungen längst verfügbar sind.
Dutzende Antwortbriefe von Wissenschaftlern hat Duggan auf seiner Website bereits veröffentlicht. Stefan Rahmstorf zum Beispiel vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (und Mitglied im Beirat von klimafakten.de) schildert einen Traum: "Ich bin beim Wandern und entdecke in der Ferne ein brennendes Bauernhaus. Kinder rufen aus den oberen Fenstern um Hilfe. Ich rufe die Feuerwehr. Abersie kommt nicht, weil jemand Verrücktes denen immer wieder sagt, es handele sich um einen Fehlalarm." Carlo Buontempo vom britischen Hadley Centre seufzt: "Ich fühle mich erschöpft. Als Wissenschaftler finde ich Konsens unglaublich langweilig." Nie habe er sich träumen lassen, anderen Leute wissenschaftliche Befunde predigen zu müssen. "Ich bin müde von den Debatten, die oft konfrontativ, dogmatisch und steril werden."
"Tag für Tag lasse ich Simulationen des Regionalklimas von Grönland ablaufen", schreibt Ruth Mottram vom Meteorologischen Institut Dänemarks. "Dann gehe ich nach Hause, und was wie Spezialwissen wirkt, wie weit entfernte Projektionen einer Zukunft beginnt real zu werden. Im Jahr 2050 werden meine Kinder etwas älter sein als ich jetzt. Ich kann einen flüchtigen Blick werfen auf eine Welt, wie sie sie möglicherweise erleben werden. Ich habe keine Ahnung, wie ich irgendwann anfangen soll, mit ihnen darüber zu reden."
Seit dem Start des Projekts wurden ausgewählte Briefe in mehreren Ausstellungen gezeigt. Und Duggan bittet alle Klimaforscher (aber auch alle Leserinnen und Leser), ihre Antwort auf seine Frage niederzuschreiben, abzufotografieren und per Twitter unter dem Schlagwort @ITHYF_Letters zu schicken.
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