Wie sollte man am besten über Klima und Klimawandel sprechen? Das ist das Leitthema des K3-Kongresses. Am Dienstagmittag trugen dazu die Hamburger Kommunikationsforscherin Irene Neverla und der Wiener Sprachwissenschafter Martin Reisigl vor. Es war die erste Veranstaltung der Reihe "Forum und Debatte", ihr Titel lautete "Klimawandel in der öffentlichen Debatte – vom Meta-Thema über die kommunikative Vielfalt zur Handlungsbereitschaft".
Der Klimawandel hat plötzlich alle anderen Themen nach hinten gedrängt
Nach rund 40 Jahren Berichterstattung durch Journalismus und Medien sei der Klimawandel derzeit das herausragende Thema in der deutschsprachigen Öffentlichkeit, stellte Neverla fest. Wie Medienanalysen und Rezipientenbefragungen zeigen, hat es derzeit alle anderen anderen Themen auf die hinteren Ränge verwiesen, von Migration bis zu Arbeitsplätzen. Die Ursache für diese Veränderung in der öffentlichen Kommunikation sieht Neverla im Zusammenwirken von Wissenschaft, Journalismus und neuen Sozialen Medien - und persönlicher Erfahrung der jüngst erlebten heißen Sommermonate. Reisigl lieferte eine kritische Analyse der Narrative, anhand derer Klimawandel behandelt werde. Er präsentierte fünf Vertextungsmuster - und plädierte er vor allem für jenes der Verknüpfung von Argumentation und Emotion, idealerweise begleitet von persönlicher, direkter Ansprache der Adressaten anhand konkreter Lebenssituationen.
Irene Neverla griff in ihrem Vortrag weit in die Vergangenheit zurück: Sie zeigte unter anderem das inzwischen legendäre Titelbild des Spiegel vom August 1986, das den Kölner Dom zur Hälfte unter Wasser zeigte. Dies sollte ein (zuspitzendes) Sinnbild sein für den drohenden Meeresspiegel-Anstieg - wurde aber seitdem immer wieder von Leugnern des menschengemachten Klimawandels genutzt, um angeblich ständig vorkommende Übertreibungen in den Medien anzuprangern.
Mit den ersten Sachstandsberichten des IPCC habe in den 1990er Jahren eine "Zeitenwende" eingesetzt, im April 2006 landete der Eisbär und im April 2007 der Pinguin auf der Titelseite des US-Magazin Time, denn in Arktis und Antarktis drohe das Eis zu schmelzen. Doch warum, fragte Neverla, bewirkten diese Berichte über vier Jahrzehnte hinweg so wenig in der öffentlichen Meinung und der konkreten Politik? Und warum sei just in den vergangenen Monaten der Klimawandel als Thema im öffentlichen Bewusstsein "regelrecht in die Höhe geschossen"?
Nicht Medien, sondern Familie und Schule prägen Umweltbewusstsein
Neverla und ihr Team von der Universität Hamburg haben dazu eine empirische Studie erstellt, die in dem im Frühjahr erschienen Band "Klimawandel im Kopf - Studien zur Wirkung, Aneignung und Online-Kommunikation" dokumentiert ist. Die Untersuchung galt der Mediennutzung, der Medienaneignung (Was passiert in den Köpfen?) und der Wirkung (Was wissen Menschen? Wie hoch ist ihre Handlungsbereitschaft? Wem schreiben Sie Verantwortung zu?).
Die Untersuchung ergab einen, so Neverla, "fast erschütternden Befund": Es bestünden kaum Zusammenhänge zwischen dem Ausmaß der Mediennutzung und dem Wissen des Einzelnen. Offenbar könnten Medien Themen auf die Agenda setzen - aber detailliertes Wissen sei durch Journalismus kaum zu vermitteln. Das Umweltbewusstsein werde eher durch Familie und Schulen vermitteln, und die so geprägten Menschen würden dann selektiv nach Wissen suchen und Medien nutzen. Dabei habe sich gezeigt: "Online-Medien haben ein großes Potenzial als Informations-Quelle." Sie hätten den Typus des "Social-Media-Aktivierten-Nutzers" entstehen lassen, für den diese Medien die zentrale Informationsquelle sind.
Der Audimax des Karlsruher KIT ist der zentrale Ort der Konferenz; Foto: K3/DKK/Stephan Röhl
Der Journalismus liefere, so Neverlas Fazit, das "Grundrauschen": Journalismus habe den Klimawandel auf die Tagesordnung gesetzt und in die Köpfe gebracht. Soziale Medien seien nun vor allem unter Jugendlichen die für Vertiefung und Diskurs meistgenutzten Medien, dienen sie doch auch zur Mobilisierung von Protesten. "Sollte der Journalismus also anders berichten?" fragte Neverla rhetorisch. Nicht grundsätzlich - doch sollte man den Klimawandel und dessen Folgen künftig zum Beispiel stärker auf regionaler und lokaler Ebene betrachten. In der anschließenden Diskussion trug Neverla noch ein geradezu leidenschaftlich formuliertes Plädoyer vor: Die Bürger mögen doch der Wissenschaft glauben, um Erkenntnisse zu bemüht zu sein und sachgerecht sowie korrekt zu arbeiten. Und den Journalisten mögen die Öffentlichkeit glauben, in entsprechender Weise um die Vermittlung dieses Wissens bemüht zu sein.
Kritik an der Narrativ-Mode
Auf hohem Abstraktionsniveau präsentierte im zweiten Teil der Veranstaltung der Sprachwissenschafter Martin Reisigl fünf "Vertextungsmuster" bei Berichten und Diskursen zum Klimawandel:
◦ Deskription – die Repräsentation des Wahrgenommenen
◦ Explikation – das Verständlichmachen eines Sachverhaltes
◦ Argumentation – das Überzeugen von einer These durch Begründungen
◦ Narration – Wiedergabe vergangener Ereignisabfolgen
◦ Instruktion – Anleitung zu einem bestimmten Handeln (etwa zu Energiesparen)
Dabei machte Reisigl klar, dass er dem zuletzt schwer in Mode gekommenen Muster der "Narration" skeptisch gegenübersteht. Dessen Wirkung sei oft eher eine Handlungsentlastung für den Einzelnen, weil in der Erzählung kein Handlungsdruck entstehe. Es besteht zum Beispiel die Gefahr der Subjektivierung wie auch der Fiktionalisierung, was zu einem abgeschwächtem Realitätsanspruch führe.
Diese Botschaft erreicht Menschen: "Es geht um Deine Sache!"
Narrative als Erzählmuster hätten keinen Platz, sobald wissenschaftliche Aussagen über komplexe Veränderungen zu treffen sind, meinte Reisigl. Nur in Ausnahmefällen sieht er in der Kommunikation zum Klimawandel Raum für Narrative - sie könnten nützlich sein etwa bei biographischen Erzählungen, bei Geschichten von subjektiv erlebten Wetterextremen oder bei Dystopien, die wachrütteln sollen.
Das "zentrale Kommunikationsprinzip" jedoch, um Handlungsänderungen zu erreichen oder Menschen für einen klimaschonenden Lebensstil zu motivieren, laute "Tua res agitur: Es geht um Deine Sache!" Egal ob Journalisten oder Wissenschaftler, so Reisigl, ihre Kommunikation wirke am besten, wenn sie dieses alte Muster benutzen: "Wie die Bewegung #FridaysForFuture klar sagen, es geht um ihre Zukunft. Dort ist der Schwerpunkt zu legen."
Claus Reitan