Die UN-Klimakonferenz in Madrid ist mit einem enttäuschenden Minimalkompromiss zu Ende gegangen. Die deutschen Schlagzeilen füllten sich derweil mit Texten über Aktivistin Greta Thunberg, die auf ihrer Heimreise mit den Unzulänglichkeiten der Deutschen Bahn Bekanntschaft machte.
Das ist lustig; ein toller Gag für die sozialen Medien und auch ein passendes Symbolbild für die verheerende deutsche Verkehrspolitik des letzten Jahrzehnts. Wenn darüber jedoch hunderte Texte veröffentlicht werden, symbolisiert es leider auch, wie Medien versagt haben, die Klimakrise als das darzustellen, was sie ist: die größte, menschengemachte und damit abwendbare Bedrohung, der die Menschheit je ausgesetzt war.
Natürlich, es gibt viele Journalistinnen und Journalisten, die über Jahre und Jahrzehnte qualifiziert über Klimaforschung, Energiewende und nationale sowie internationale Klimapolitik berichtet haben. Es gibt Online-Portale wie Klimareporter.de oder Klimafakten.de, die sich explizit mit Klimafragestellungen auseinandersetzen. Andere Medienangebote haben in jüngster Zeit reagiert, so bietet die Süddeutsche Zeitung einen wöchentlichen Newsletter zum Thema an, das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv.org hat eine Klimaredaktion etabliert, der Kuratorenservice piqd.de hat einen eigenen Kanal "Klima & Wandel". Das Problem an all diesen Angeboten ist, dass sie nur eine Leserschaft erreichen, die ohnehin schon interessiert ist.
Klimaberichterstattung muss in die Breite gehen
Um die umfassende gesellschaftliche Transformation anzustoßen, die zur Lösung der Klimakrise unbedingt erforderlich ist, muss aber ein möglichst großer Teil der Gesellschaft einbezogen werden – und insbesondere jener, der den Ernst der Lage noch nicht begriffen hat. Blättert man deutsche Tageszeitungen durch, egal ob lokal oder überregional, kann man Texte mit Klimabezug oft an einer Hand abzählen. Die wenigen Zeitungen wie die Frankfurter Rundschau, die einst wenigstens über eine Umweltseite verfügten, haben diese abgeschafft. Die Süddeutsche Zeitung handelt solche Themen vorwiegend auf ihren Wissenschaftsseiten ab.
Die taz hat 1992 ihre Umweltseite mit der Wirtschaftsseite verschmolzen. Die Zeitung selbst begründete diesen Schritt damit, dass die ökologische Transformation auch die reale Wirtschaft umwälzen müsse. "Wirtschaftliche Entscheidungen haben ökologische Konsequenzen und umgekehrt. Ökologische Politik lässt sich nur gegen die Partikularinteressen kapitalistischer Unternehmen durchsetzen. Warum also nicht in der taz zusammenbringen, was zusammengehört?" Was als Ansatz logisch klingt und damals progressiv war, würde ich im Jahr 2019 als gescheitert betrachten. Im Nachhinein müssen sich die taz und die komplette Nachhaltigkeitsbewegung Agenda21 vielleicht fragen lassen, ob es falsch war, sich darauf einzulassen, wirtschaftliche und ökologische Interessen gleichberechtigt zu betrachten.
Die Erderhitzung ist ein übergeordnetes Thema, das auf Gesundheit, Migrationsbewegungen, Landwirtschaft, Mobilität, Energieversorgung und Infrastruktur ausstrahlt.
Wer einfach weitermacht wie bisher, der versagt
Kein deutsches Medium hat bisher einen Weg gefunden, die übergeordnete Bedeutung der Klimakrise angemessen abzubilden. Vielleicht haben viele Menschen zwar den Eindruck, dass das Thema inzwischen allgegenwärtig ist. Das liegt vor allem an Greta Thunberg und #FridaysforFuture. Doch auch hier verharren viele Medien in dem althergebrachten Stil, zwar über diese Protest-Phänomene zu schreiben, weniger aber über die systematischen Verursacher der Klimakrise. Die weltweiten Treibhausgasemissionen steigen täglich weiter, der Meeresspiegel hat den höchsten Stand seit Menschengedenken, Eiskappen schmelzen mit beispielloser Geschwindigkeit, Ozeane werden immer saurer, klimabedingt werden Naturkatastrophen wie die australischen Waldbrände immer häufiger, destruktiver, mit steigenden menschlichen und finanziellen Verlusten. Wer diese Geschehnisse und ihre Ursachen als Medium nicht als die herausragende Herausforderung unserer Zeit abbildet, sondern einfach weitermacht wie bisher, der versagt.
Der Journalist Bernhard Pötter hat das in einer lesenswerten Kritik auf uebermedien.de so formuliert: "Anstatt zu entlarven, dass ernsthafte Klimapolitik von interessengeleiteten Nebelkerzen gebremst wird, ziehen sich Redaktionen auf eine angebliche Objektivität zurück. Anstatt die bereits sichtbaren und fühlbaren Anzeichen einer großen Veränderung aufzuspüren und konservativ ihren Fortgang abzuschätzen, wird vom Weltuntergang fantasiert. Anstatt klar zwischen Klimakrise, Glyphosat und Plastikmüll zu unterscheiden, wird alles zusammengerührt, weil in der Natur ja alles mit allem zusammenhängt. Und anstatt Ressourcen und Jobs für langwierige und komplexe Recherchen bereitzustellen, fällt die Berichterstattung über Klimapaket und UN-Verhandlungen oft in das Bermuda-Dreieck zwischen den Ressorts Politik, Wirtschaft und Wissenschaft."
Diese Medienkritik ist alles andere als neu. Franz Alt schrieb in seinem Buch Wege zur ökologischen Zeitwende bereits 2002: "Wenn 95 Prozent der Beiträge weiterhin suggerieren, oft eher unterschwellig, alles bleibt im bisherigen Bannkreis, dann kann man nichts erreichen. Das gleiche gilt für das Fernsehen. Da kann eine Ökosendung zwischendurch auch nichts erreichen. Ein grundsätzlich anderes Herangehen ist also gefragt […] Man muss es in den Medien darauf anlegen, hier ein Tor aufzuweiten für einen neuen geistigen Impuls, für die Logik einer rettungsfähigen Lebensordnung."
Sport, Börsekurse, sogar das Fernsehprogramm – aber kein Klima
Nun ist es nicht so, dass ich auf die Frage, wie es besser ginge, die ultimative Antwort hätte. Vermutlich gibt es auch nicht nur eine. Sinnvoll wäre es aus meiner Sicht, die Leserinnen und Leser zu fragen. Genau das habe ich kürzlich in der Konstanzer Stadtbibliothek im Rahmen eines Workshops getan. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass keine einzige Zeitung das Thema Klimakrise angemessen ernst nimmt. Frappant: Fast jede Zeitung verfügt über mehrere Seiten Sportberichterstattung, sogar Börsenkurse und Fernsehprogramm werden noch abgedruckt. Als sehr naheliegend wurde die Idee empfunden, dem Thema Klimakrise kontinuierlich und prominent mehr Platz einzuräumen – möglicherweise in einem eigenen Ressort.
Eine ganz ähnliche Forderung verfolgen Twitter-User seit längerem unter dem Hashtag #Klimavor8. Sie verlangen von der ARD, vor der Tagesschau abwechselnd mit dem Format "Börse vor 8" eine Sendung auszustrahlen, die sich den Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit widmet. Eine entsprechende Petition wurde auf der Plattform change.org gestartet.
Weiterer Vorschlag aus dem Konstanzer Workshop: Lokalmedien sollten in Gemeinden und Regionen ganz konkret Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele und zur notwendigen Anpassung an den Klimawandel dokumentieren und darüber aufklären, welche Auswirkungen auf die jeweilige Region zukommen. Natürlich kann man solche Seiten überblättern, Sendungen überspringen. Deswegen erscheint es mir wichtig, sicherzustellen, dass Redakteurinnen und Redakteure aller Ressorts und Formate Klimaschutzfragen immer mitdenken. Eine Berichterstattung über eine Bilanzpressekonferenz eines Unternehmens ohne Auskunft über die Klimabilanz darf es nicht mehr geben. Ein Text über die Planung eines neuen Wohnviertels muss die Klimaauswirkungen beleuchten. Ein Text über ein attraktives Reiseziel sollte nicht ohne Hinweis auf klimaschädliches Fliegen auskommen. Aus dem Workshop in Konstanz kam der Vorschlag, jedem Text eine kleine Infobox beizufügen, die jeweils die Klimafrage einordnet.
Sicher gäbe es auch andere Möglichkeiten, aber die Idee ist deutlich: Kleine und große Störer im normalen Medienprogramm, damit das Publikum es sich nicht gemütlich machen kann im scheinbar normalen Alltag. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verfolgen diese Strategie inzwischen in einem Format, dass sie #traintalk nennen: Im öffentlichen Nahverkehr klären sie über den Klimawandel auf.
Die politischen Ansätze zur Lösung der Klimakrise und der stockenden Energie-, Verkehrs- und Agrarwende polarisieren und tragen zur Spaltung der Gesellschaft bei. Das liegt unter anderem daran, dass Medien vielfach die immer gleichen Lautsprecher zu Wort kommen lassen – und es auch immer noch Medien gibt, die meinen, es sei journalistisch in Ordnung, Leugnern des Klimawandels eine Bühne zu bieten. So hat zum Beispiel die WELT immer noch einen Text mit dem Titel „Die CO2-Theorie ist nur geniale Propaganda“ online. Er stammt aus dem Jahr 2011, wird aber in den sozialen Medien heute noch eifrig geteilt. Der WELT bringt es Klicks, und damit Werbeeinnahmen.
Nach ähnlichem Prinzip verfahren viele Talkshow-Redakteure bei der Zusammensetzung ihrer Gesprächsrunden im Studio. So saß 2017 Alex Reichmuth bei Sandra Maischberger, Journalist bei der rechtskonservativen Schweizer Weltwoche. Zur besten Sendezeit durfte er behaupten, die Ergebnisse vieler tausend Klimawissenschaftler seien "getürkt". Natürlich gibt es in der Klimaforschung offene Fragen. Selbstverständlich hat die Klimakrise regional unterschiedliche Gesichter. Logischerweise gibt es tausend verschiedene Lösungsansätze. Über all dies kann kontrovers gestritten werden. Nicht aber darüber, ob der Klimawandel menschengemacht ist. Das ist wissenschaftlich geklärt.
Redaktionsleitfaden zum Umgang mit der Klimakrise
Einem solchen Missverständnis von journalistischer Neutralität lässt sich am besten durch einen Redaktionsleitfaden entgegentreten, wie sich ihn beispielsweise vor ein paar Monaten der Guardian gegeben hat. Die britische Zeitung verordnet sich selbst, auch sorgsam mit Sprache umzugehen, also etwa nicht verharmlosend von Klimawandel zu schreiben, sondern von Klimakrise oder Klimakollaps.
Lokalzeitungen haben die Möglichkeit, im Zeichen der Klimakrise neue Akzente zu setzen und ein besonderes Augenmerk auf die regionalen Auswirkungen, Herausforderungen und die Akteure zu richten. Sie könnten zum Beispiel über ein regelmäßiges Kolumnen-Format verschiedene Stimmen zu Wort kommen lassen – von #FridaysForFuture, kommunalen Klimaschutzmanagern, lokalpolitischen Verantwortungsträgern bis hin zu Unternehmerinnen. Weil das Ausmaß der Klimakrise und ihre Komplexität anstrengend und auch deprimierend sind, ist es notwendig, immer wieder auch auf Erfolge und Vorbilder hinzuweisen. Denkbar wäre ein Format "Köpfe der Woche", das Aktionen, Firmen oder Einzelpersonen zeigt, die zum Klimaschutz beitragen.
Konkrete Klimaschutz-Angebote vor Ort vorstellen
Vielfach wurde in Konstanz der Wunsch geäußert, in den Medien mehr über ganz konkrete Möglichkeiten zum Klimaschutz zu erfahren. Dabei ging es weniger um die verschiedenen Protestformen wie #FridaysForFuture oder ExtinctionRebellion, sondern eher um Mitmach-Initiativen, Car-Sharing-Angebote, Energiespartipps, Förderprogramme für Sanierungen oder Bundestagspetitionen.
Ein weiteres Anliegen war den Konstanzern der Ausbau des Leserdialogs zu diesen Themen. Viele wünschen sich, dass sowohl ihre Anliegen als auch ihre Expertise wahrgenommen werden. Medien können das einbinden, beispielsweise über Mitmach-Fomate, wie die Initiative FixMyBerlin, die gemeinsam mit dem Tagesspiegel Berlinerinnen und Berliner befragt, wie die Straßen in der Hauptstadt aussehen müssten, damit sich auch Radfahrerinnen und Fußgänger sicher fühlen. Ein gelungenes Beispiel ist aus meiner Sicht auch das Feinstaub-Radar der Stuttgarter Zeitung, das Umwelt-, Lokal- und Datenjournalismus sowie Bürgerengagement miteinander vereint. Wie Community-Dialog gelingen kann, zeigt weiterhin die Süddeutsche Zeitung über ihre Werkstatt Demokratie, unter anderem zum Thema Klimawandel. Solche Formate eignen sich dazu, sowohl die Ängste und Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernstzunehmen, als auch konsensorientierte Lösungsvorschläge zu erarbeiten.
Manche Redakteure werden jetzt fragen: Verprellen wir damit nicht einige unsere Leserinnen und Leser? Werden die sich nicht genervt abwenden? Klar, das Risiko besteht - aber gefällig zu sein, ist keine journalistische Aufgabe. Zudem ergeben sich neue Chancen: Viele Lokalzeitungen kämpfen im Moment um ihr Überleben, auch weil ihr Abonnentenstamm überaltert ist und jüngeres Publikum kaum noch Zeitung liest. Eine Positionierung zum entscheidenden Zukunftsthema Klimakrise und das Angebot, daran aktiv mitzuwirken, könnte dies möglicherweise ändern.
Daniela Becker
Dieser Text erschien zuerst im Online-Magazin KlimaSocial auf riffreporter.de und wurde hier leicht gekürzt