"An der Nordfront läuft diesen Sommer eine vernichtende Offensive. Feindliche Kräfte haben große Geländegewinne erzielt, jede Woche verlieren wir 22.000 Quadratmeilen arktischen Eises. ... Im Pazifik gelang dem Feind dieses Frühjahr auf Tausenden von Meilen ein großer Durchbruch, als er einen vollen Angriff auf die Korallenriffe startete. Und Tag für Tag, Woche für Woche begehen Saboteure hinter den Linien brilliante Attacken: Vor ein paar Monaten entfachte unser Feind eine Feuersbrunst in Kanada, die uns zur Evakuierung einer 90.000-Einwohner-Stadt zwang. ... Eine seiner Fluten bedrohte Kunstschätze von unermesslichem Wert im Louvre. Der Feind setzt sogar Bio-Waffen ein, um psychologischen Terror zu verbreiten: Der Zika-Virus lässt auf einem ganzen Kontinent die Köpfe von Neugeborenen schrumpfen."

Natürlich, die Metaphern sind zugespitzt, die Analogien nicht immer hundertprozentig passend. Aber was der US-amerikanische Publizist und Klima-Campaigner Bill McKibben, u.a. Gründer der Organisation 350.org in einem Essay für die neueste Ausgabe des liberalen Monatsmagazins New Republic durchspielt, hat schon eine starke kommunikative Wirkung: Er schildert die Herausforderungen bei der Begrenzung des Klimawandels, als ginge es um einen Krieg gegen einen externen Feind.

Die Idee selbst ist nicht neu. Schon mehrfach erklärten Klimaschützer, für den notwendigen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft brauche es eine "Mobilisierung wie in Kriegszeiten" - zuletzt fand die Metapher zum Beispiel Eingang ins Wahlprogramm der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton. Und bereits seit vielen Jahren Jahren weisen Psychologen und Risikoforscher darauf hin, dass einer der Gründe für die zögerliche Reaktion auf den Klimawandel darin liege, dass kein einzelner, klar identifizierbarer Bösewicht dahinter steht - gegen derartige Bedrohungen nämlich reagieren Menschen und Gesellschaften üblicherweise schnell und konsequent. "Wenn es die Nazis wären, die heute die menschliche Zivilisation bedrohen würden - Amerika und seine Alliierten würden längst für einen großangelegten Krieg mobilisieren", schreibt auch McKibben.

In seinem Essay zieht der 55-Jährige das Gedankenspiel konsequent durch und stellt den Kampf gegen den Klimawandel als Dritten Weltkrieg dar, der eigentlich längst begonnen habe. Wie einst in den 1930er Jahren gegen Hitler-Deutschland versuche es die Menschheit bisher mit eher zögerlichen Schritten und einer Appeasement-Politik. Der Klimavertrag von Paris sei so etwas wie das Münchner Abkommen. Teilweise sehr detailliert vergleicht McKibben die rasante Aufrüstung der USA im Zweiten Weltkrieg mit dem, was heute erforderlich wäre für eine Energiewende - und neben den Hunderten von Panzerfabriken, Schiffswerften, Fallschirmnähereien etc., die einst unter Franklin D. Roosevelt aus dem Boden gestampft wurden, erscheint die notwendige Zahl von Solar- und Windrad-Fabriken plötzlich gar nicht mehr so entmutigend groß...

Nachtrag, 20.08.: Im Online-Magazin Vox.com hat der Klima- und Energiejournalist David Roberts auf McKibbens Essay geantwortet. Einerseits lobt er den Artikel - weil er sehr anschaulich darstelle, wie wichtig das Zwei-Grad-Limit bei der Erderwärmung ist und wie tiefgreifend die Wirtschaft umgebaut werden müsste, um das Limit einhalten zu können. Zugleich jedoch kritisiert Roberts den Essay scharf: Weil er zu sehr auf linke (und sehr linke) Konzepte setze und die Republikanische Partei komplett ausblende, das derzeit größte Hindernis für eine ambitionierte US-Klimapolitik. Vor allem aber könne die Kriegsmetapher auf viele Leute abschreckend wirken - und dazu führen, dass notwendige, kleine, realistische Schritte zum Klimaschutz unterlassen werden.

Nachtrag, 28.10.: In einer Sammelrezension mehrerer aktueller US-Sachbücher argumentiert Michael Svoboda auf Yale Climate Connections, dass in den heutigen USA eine Mobilisierung wie im Zweiten Weltkrieg praktisch unmöglich sei.

tst