George Marshall beginnt sein Buch mit einer Szene, die deplatziert wirkt, anmaßend, ja pietätlos: Sie schildert, wie der polnische Widerstandskämpfer Jan Karski 1942 in Washington saß und Felix Frankfurter, einem Richter des Obersten Gerichtshof der USA, von den Verbrechen der Nazis berichtete, von der systematischen Vernichtung der Juden, von den Massenmorden im KZ Belzec. Karski war zuvor als Spion im besetzten Polen unterwegs gewesen. Er hatte die unermesslichen Grausamkeiten mit eigenen Augen gesehen. Nun also berichtete Karski in Washington davon, um die USA zum Eingreifen zu bewegen. Doch der Augenzeuge erreichte nichts. "Ich muss offen sagen: Ich bin unfähig, ihm zu glauben", sagte Richter Frankfurter, nachdem er Karski konzentriert zugehört hatte. "Ich sage nicht, dieser junge Mann lügt. Ich sage nur: Ich schaffe es nicht, ihm zu glauben. Das ist ein Unterschied."

Es schockiert (gerade deutsche Leser), wenn George Marshall hier Holocaust und Klimawandel – beziehungsweise die Reaktion der menschlichen Psyche darauf – auf eine Stufe stellt. Aber je länger man Don't even think about it liest, desto einleuchtender sind die Parallelen. "Why our brains are hardwired to ignore climate change", lautet der Untertitel des Buches. Und tatsächlich ist das Gehirn des Menschen offenbar auf eine Weise verschaltet, dass es Dinge, die allzu schlimm, schmerzhaft und quälend sind, irgendwie ignoriert, ausblendet, verdrängt. Ein historischer Fall für diesen Schutzmechanismus der Psyche war laut Marshall eben der Holocaust. Im Privaten kann es zum Beispiel eine tödliche Krebserkrankung sein, die sich ein Patient oder seine Angehörigen einfach nicht eingestehen. Und auch der Klimawandel mit seinen längst absehbaren und potenziell wirklich katastrophalen Folgen wird eben weitgehend verdrängt – und dies nicht nur von den bekannten Wissenschaftsleugnern, die vor allem im angelsächsischen Raum mit seiner stark ideologisierten Klimadebatte stark sind.

Im deutschsprachigen Raum ist die Situation zweifellos eine andere, trotzdem ist das Buch auch hierzulande hilfreich. Denn das Verdrängen, betont Marshall, beginne ja nicht erst beim expliziten Bestreiten des Klimawandels oder seiner Ursachen. Weite Teile von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft ignorieren – bewusst oder unbewusst –, welche Konsequenzen man eigentlich aus dem Bekannten ziehen müsste. Obwohl die Faktenlage klar ist und schnelles Handeln eigentlich hochrational wäre, herrscht vielerorts Schweigen über den Klimawandel oder eine "Ja, aber ..."-Haltung. "

"Wie ist das möglich?", lautet die Leitfrage des 260 Seiten dicken Buches. Und vor allem: "Kann man etwas dagegen tun?"

Wieso glauben so viele Menschen an Gott, aber nicht an den Klimawandel – obwohl es für die Existenz des letzteren viel mehr Belege gibt?

Marshall ist einer der weltweit renommiertesten Experten für Klimakommunikation. Im Jahr 2004 hat er den britischen ThinkTank ClimateOutreach mitgegründet. In seinem Buch hat er jahrelange Reisen, ungezählte Gespräche mit Psychologen und Risikoforscher, Ökonomen und Linguisten, Kulturanthropologen und Psychoanalytikern verarbeitet.

Wie kann es zum Beispiel sein, fragt Marshall, dass etliche Menschen die Bedrohung durch den Klimawandel für zu unsicher halten – aber mit riesigem Aufwand und sehr schnell auf Gefahren wie Terrorismus reagieren oder gar auf jene durch (sehr unwahrscheinliche) Meteoriteneinschläge? Warum werden Wissenschaftler, die sonst hohes gesellschaftliches Ansehen genießen, zu Hassfiguren, denen jede Verschwörung zugetraut wird – nur weil sie auf dem Gebiet der Klimaforschung tätig sind? Warum glauben Menschen an Gott – bestreiten aber die Existenz der Erderwärmung, für die es viel mehr Belege gibt? Warum sind sie bereit, kirchliche Verhaltensregeln bis in den Intimbereich zu befolgen – weisen aber Vorschläge für Verhaltensänderungen als diktatorisch zurück, die zur Minderung des Klimawandels hochrational wären?

"Ich bin sicher", schreibt Marshall, "dass die Ursachen in dem liegen, was wir alle teilen: unsere gemeinsame Psychologie, unsere Wahrnehmung von Risiken, unsere tiefsten Instinkte zur Verteidi­gung unserer Familie und unserer Sippe." Wolle man mehr Menschen mit Fakten zum Klimawandel erreichen, so Marshalls Mantra, müsse man anders über ihn sprechen – und ihn anders denken.

"Würde der Klimawandel durch das Abschlachten niedlicher Hundewelpen verursacht, würden Millionen von Amerikanern auf die Straße gehen"

Zu Beginn des Buches absolviert Marshall einen Parforceritt durch Psychologie, Risiko- und Verhaltensforschung. Konzise und gut lesbar fasst er die einschlägigen Erkenntnisse der Wissenschaft zusammen: Beispielsweise hat der Mensch im Laufe der Evolution gelernt, wirksam auf Bedrohungen zu reagieren – allerdings vor allem auf solche, die plötzlich auftreten und jetzt, die von einer Person ausgehen und aus unmoralischen Handlungen resultieren. Doch der Klimawandel passt nicht in dieses Schema, er sendet sozusagen keine Alarmsignale, zitiert Marshall etwa den Glücksforscher Daniel Gilbert: "Würde der Klimawandel durch das Abschlachten niedlicher Hundewelpen verursacht, würden Millionen von Amerikanern auf die Straße gehen." Oder wäre ein düsterer Diktator für die Erderwärmung verantwortlich, hätte der UN-Sicherheitsrat längst drastische Maßnahmen beschlossen.

Marshall erklärt, wie unser Gehirn Informationen verarbeitet und – dass zum Beispiel weniger Fakten ausschlaggebend sind, wenn Menschen aktiv werden, sondern eher Emotionen. Und die üblichen IPCC-Grafiken sind halt alles andere als emotional. Menschen fühlen sich eher bedroht durch Risiken, die neuartig sind und ihm von außen aufgezwungen werden. Der Klimawandel hingegen ist seit langem bekannt und wird durch eigenes Verhalten mitverursacht. Menschen sind relativ unempfindlich, wenn es um die Verteilung von Zugewinnen gibt – aber wenn eine Politik zu Verlusten führt, reagieren sie hochsensibel, wenn sie glauben, die Verluste würden ungerecht verteilt. Bei internationalen oder auch nationalen Klimaverhandlungen aber geht es exakt um die Verteilung von Minderungsverpflichtungen. Wenn Menschen ihren Lebensstil und ihre Identität infrage gestellt sehen, lenken sie sich schnell ab, filtern einschlägige Informationen zu ihren Gunsten, reden die Probleme klein. Und so weiter.

Das Buch gliedert sich in 42 kompakte Kapitel. Jedes ist für sich allein lesbar und verständlich. Wer etwa einen Überblick zum Stand der psychologischen Forschung sucht, findet ihn beispielsweise in den Kapiteln 10 bis 13 auf weniger als zwanzig Seiten. Das Ergebnis der beschriebenen psychologischen Mechanismen ist laut Marshall jenes verbreitete (und durchaus nachvollziehbare) Beschweigen und Ignorieren des Klimawandels. Klimaforscher und -campaigner reagieren darauf meist, indem sie noch eindringlicher und lauter noch mehr Informationen liefern – aber das sei zwecklos. Im weiteren Verlauf blättert das Buch daher auf, auf welche kommunikativen und psychologischen Fallen man in der Klimadebatte achten sollte.

Bessere Kommunikation zum Klimaschutz braucht laut Marshall neue Worte, neue Denkmuster – und nicht zuletzt bessere Stories

Das fängt bei den Worten an. Viele wissenschaftliche Termini werden von der Öffentlichkeit nicht oder falsch verstanden. Unter "Unsicherheit" verstehen Forscher beispielsweise ganz normale Limitierungen des Wissens – die Öffentlichkeit aber hört, dass man eigentlich noch gar nichts weiß. Wenn Klimaforscher von "positiven Feedbacks" reden, meinen sie Rückkopplungen im Klimasystem, die die Erderwärmung verschlimmern – der Laie aber denkt an freundliche Rückmeldungen von Kollegen. Gefährlich sei auch, warnt Marshall, sich Begriffe aufzwingen zu lassen. Ein großer Sieg der Marktradikalen etwa sei, dass mittlerweile das Wort "Steuererleichterung" das Wort "Steuersenkung" weitgehend ersetzt habe – denn der neue Terminus transportiere sehr wirksam die Ansicht, Steuern seien eine (ungerechte) Belastung und nicht das (gerechte) Abtreten eines Gewinnanteils an die Allgemeinheit. Ebenso fatal sei die Etablierung des Begriffs "Climategate" – der einen Skandal suggeriert, wo es in Wahrheit um einen kriminellen Hack von Forschermails und deren selektive Veröffentlichung ging.

Problematisch sei auch, dass das Klimathema so stark mit der Umweltbewegung verknüpft ist. Das sei zwar historisch erklärbar, habe aber zu einer bestimmten (Bild)Sprache geführt, die weitere Zielgruppen (Konservative, Unternehmer, Gewerkschafter, Menschenrechtler etc.) eher abschrecke. Dabei prägen Worte und sprachliche Bilder nicht nur den Blick auf eine Sache – sondern auch, welchen Umgang man überhaupt für möglich hält. Marshall: "Wenn wir den Klimawandel als tickende Bombe denken, sehen wir ihn anders als wenn wir ihn als Fieber denken, als Glücksspiel oder als neue Apollo-Mission oder als Weltkriegsmobilisierung. In jedem Falle stellen wir uns andere Ursachen, andere Folgen – und andere Lösungen vor."

Zu den spannendsten Passagen des Buches gehören denn auch jene, in denen Marshall aufzeigt, welche Folgen bestimmte Denkkonzepte für die praktische Klimapolitik hatten und haben. Dem Blick der Forschung folgend begreife nämlich alle Welt den Klimawandel als ein Problem von Gasen. Die Politik habe sich Anfang der 1990er Jahre darauf eingelassen, weil sie diese Denkweise vom Ozonloch (durch FCKW verursacht) gewohnt war. Im Ergebnis ringt die Klimapolitik nun seit Jahrzehnten darum, welche Treibhausgase wie bekämpft werden, welche Emissionsquellen einzubeziehen sind, wie man die Emissionen aus Milliarden von Schornsteinen und Auspuffrohren überhaupt misst und so weiter und so fort.

Dabei wäre es doch zum Beispiel viel einfacher, Kohlendioxid an der Quelle anzugehen – also bei der Förderung fossiler Energieträger. Man könnte etwa über Produktionslimits für die Kohle- oder Ölförderer nachdenken – die wären viel einfacher zu managen als Emissionsgrenzen. Die Erzeuger würden sich natürlich vehement wehren. Doch verblüffenderweise, so Marshall, sei die Idee niemals auf keinem einzigen UN-Klimagipfel auch nur zur Sprache gekommen. Auch nicht von Umweltverbänden. Dies ist umso komischer, als etwa auf die Überfischung der Meere selbstverständlich mit Fangquoten reagiert wird, zum Schutz der Regenwälder natürlich illegale Rodungen verboten werden und beim Anti-Drogen-Kampf nicht die Süchtigen am härtesten verfolgt werden, sondern Produzenten und Dealer. Aber diese Themen werden halt anders gedacht als der Klimawandel.

Viele von Marshalls Analysen und Reflexionen sind erhellend und hilfreich. Ein "intelligentes und geniales Buch" hat die Washington Post in ihrer Rezension Don't Even Think About It genannt. Natürlich bietet Marshall nicht zu allen Problemen, die er aufzeigt, auch Lösungen und konkrete Ratschläge an – aber zu etlichen:

Zuallererst, rät Marshall, sollten Klimakommunikatoren an ihrer SPRACHE arbeiten. Sollten zum Beispiel über das reden, was man sicher weiß – statt wissenschaftliche Unsicherheiten zu betonen. Sie sollten die Folgen des Klimawandels im Hier und Jetzt ansprechen und zeigen – statt künftige Generationen oder die Eisbären in der Arktis (weil dies die emotionale Distanz zum Klimawandel nur erhöht). Sie sollten Katastrophenschilderungen eher vermeiden, zumindest immer Handlungs- und Lösungsmöglichkeiten mitliefern, um Abstumpfung und Lähmung zu vermeiden. Allerdings dürfe man auch nicht in eine Haltung verfallen, die Marshall bright-siding nennt, also schönfärberisch und überoptimistisch technologische Lösungen für die Klimakrise ausmalen – weil das den Eindruck bestärkt, man könne man in den Industrieländern weitermachen wie bisher.

Weil über die Akzeptanz einer Botschaft weniger ihr Inhalt entscheidet als ihr Überbringer, sollten Klimakommunikatoren NEUE BOTSCHAFTER suchen. Man kann eine breite Öffentlichkeit und auch skeptische Zuhörer besser erreichen, wenn beispielsweise Feuerwehrleute über Waldbrände erzählen oder Militärs über sicherheitspolitischen Aspekte des Klimawandels. Oder wenn sich, wie im vergangenen Jahr, der Papst zu Wort meldet. Und statt zum x-ten Male Wissenschaftler ihre Forschungsergebnisse referieren zu lassen, sollten man sie auch mal über sich selbst reden lassen – über ihre Motivation, ihre Gefühle, was sie ängstigt.

Klimaforschern rät Marshall übrigens explizit, NICHT IN TALKSHOWS mit Wissenschaftsleugnern zu debattieren. In diese m Gesprächsformat und der dort vorgegebenen Rededauer könnten sie nur verlieren.

Klimakommunikation darf nicht nur Fakten liefern, sondern muss auch GESCHICHTEN erzählen. Denn von Kindheit an erschließen sich Menschen die Welt durch Geschichten. Sind Informationen in Geschichten eingebettet, merkt man sie sich leichter und akzeptiert sie eher. Mehr noch: Eine wahre, aber dröge Story hat es sehr schwer gegen eine, die zwar erlogen ist, aber spannend. Welcher der beiden folgenden Sätze bleibt eher hängen? "Nach Abwägung aller Erkenntnisse kommen viele Wissenschaftler zu dem Schluss, dass unsere Emissionen höchstwahrscheinlich das Klima schädigen"? Oder: "Gemeine Wissenschaftler haben sich verschworen und fälschen Forschungsergebnisse, um mehr Fördergelder zu bekommen"?

INDIVIDUELLE APPELLE MEIDEN, denn sie gehen oft nach hinten los. Spricht man einzelne Personen mit Verhaltenstipps an, bringt das wenig an Emissionsminderungen, löst aber oft Schuldgefühle und Abwehrreflexe aus. Nicht zuletzt zeigen psychologische Experimente, dass sich Menschen schon nach einer "guten Tat" zufrieden zurücklehnen oder gar berechtigt fühlen, an anderer Stelle unmoralisch zu handeln (Fachbegriffe: single-action bias und moral licensing). In einer Untersuchung bekannte zum Beispiel ein Proband, dass er sich als Vielflieger gar nicht so schlecht fühle, weil er ja zuhause jedes Stück Papier recyclet.

Ganz am Schluss fragt das Buch, was Klimakommunikatoren VON KIRCHEN LERNEN können. Eine Menge, meint Marshall. Üblicherweise wird ja am Klimaschutz kritisiert, er komme zu sehr daher wie eine Religion – George Marshall aber argumentiert in den Kapiteln 39 und 40 das Gegenteil. Er findet, man solle sich bei Kirchen zum Beispiel abschauen, wie sie Menschen zu einer Gemeinschaft zusammenbringen oder wie sie Schuld in konstruktive Gefühle umwandeln. Oder auch, wie sie RAUM FÜRS TRAUERN bieten – genau solchen nämlich müssten Klimaschützer auch geben für den emotionalen Abschied vom fossilen Zeitalter, das ja liebgewonnene Vorzüge hatte. "Die klimaschonennde Welt wird neue Freuden bereithalten", so Marshall, "aber halt nicht mehr das süße Röhren eines Ford Mustang V8."

Trotz all der kommunikativen und psychologischen Schwierigkeiten, die Don't Even Think About It ausbreitet, sieht Marshall keinen Grund zur Verzweiflung. Natürlich ist der Klimawandel ein kompliziertes Problem, natürlich sind viele harte, psychologische Nüsse zu knacken – aber unmöglich ist das nicht. (Wenn manche Wissenschaftler oder Aktivisten resigniert das Gegenteil behaupten, dann ist auch das laut Marshall nur eine Entlastungsreaktion der Psyche). Und eigentlich gebe es auch Gründe für Optimismus.

Selbst wenn es zynisch klingen mag, so sei es doch gut, dass etliche Hauptverursacherstaaten des Klimawandels auch von seinen Folgen getroffen werden – das erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass sie aktiv werden. Und: "Es ist eine sehr glückliche Fügung, dass der Klimawandel gerade jetzt auftritt – während der am längsten andauernden Friedensphase in der entwickelten Welt seit der Entstehung des Nationalstaats. Und zu einem Zeitpunkt, an der wir ein zuvor nie erreichtes Niveau an technologischen Möglichkeiten, Reichtum, Bildung und internationaler Zusammenarbeit haben." Perfektes Timing sei das zwar nicht, gibt Marshall zu – aber das beste, das man sich vorstellen kann.

George Marshall: Don't Even Think About It. Why Our Brains Are Wired to Ignore Climate Change. Bloomsbury, New York/London/New Dehli/Sydney 2014. 260 Seiten. 27 US-Dollar

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