Man kann am schönsten Strand der Erde liegen, vor glasklarem Meereswasser, bei fantastischem Wetter – und sich trotzdem bitterlich darüber beklagen, dass diese lästigen Möwen am anderen Ende der Bucht ständig Lärm machen. Nichts im Leben ist jemals perfekt, an allem gibt es irgendetwas auszusetzen.

Im Urlaub kann dieser Zwang, selbst in den schönsten Dingen das Schlechte zu sehen, ein übler Stimmungsdämpfer sein. In der Klimapolitik jedoch kann diese Herangehensweise sogar gefährlich werden und zu schwerwiegenden Fehlentscheidungen führen.

Überall Nachteile!

Leider stoßen wir gerade bei Diskussionen über Klimatechnologien immer wieder auf dieses Phänomen: Man kann sich zum Beispiel darüber freuen, dass Photovoltaik großartig billig geworden ist. „Aber was ist mit der Energie, die man für die Herstellung braucht?“ hört man dann. „Außerdem braucht man dafür Metalle, die werden oft unter umweltschädlichen Bedingungen abgebaut – das kann man doch wohl nicht gutheißen!“

Oder man lobt die großartigen Fortschritte, die über Jahrzehnte bei Leistung und Effizienz von Windkraftanlagen gelungen sind. Doch dann heißt es: „Wie kann man es bloß befürworten, dass immer wieder Vögel von den Rotorblättern getötet werden? Und was ist mit dem Schwefelhexafluorid, das in den Windkraftanlagen enthalten ist? Das ist doch noch viel klimaschädlicher als CO2!"

Stilisierte Abbildung des vitruvianischen Menschen von Leonarda da Vinci auf der italienischen 1-Euro Münze. Die idealisierte Darstellung der menschlichen Anatomie gilt als Sinnbild von Perfektion und Ausgewogenheit; Foto: Banca d'Italia/EZB

Dasselbe Muster findet sich häufig in Gesprächen über Elektro-Autos oder Batteriespeicher, über Wärmepumpen oder pflanzliche Fleischersatzprodukte. Solche Einwände sollte man ernstnehmen. Nur wenn man Nachteile – egal bei welcher Technologie – offen und ehrlich sieht und sichtbar macht, kann man zielgerichtet an ihnen arbeiten und die Nachteile schließlich zum Verschwinden bringen. Man sollte sich also nicht durch naiven Techno-Enthusiasmus oder durch den Glauben, auf der ideologisch richtigen Seite zu stehen, dazu verleiten lassen, etwaige Nachteile kleinzureden oder auszublenden. Umgekehrt wäre es aber auch naiv, eine Technologie abzulehnen, nur weil sie Nachteile hat – denn alles auf der Welt hat Nachteile.

Verglichen mit dem Paradies ist jeder Vorschlag ziemlich mies

Der Fehler, etwas voreilig für schlecht zu erklären, bloß weil man daran einen Nachteil entdeckt hat, wird oft als „Nirwana-Fehlschluss“ bezeichnet – ein Ausdruck, der auf den US-Ökonomen Harold Demsetz zurückgeht. Wer diesen Fehlschluss begeht, vergleicht eine vorgeschlagene Lösung  mit einem Zustand, paradiesischer Perfektion. Und daneben erscheint natürlich jede echte, realistisch erreichbare Lösung geradezu enttäuschend und miserabel. Mit dieser Herangehensweise ist allerdings niemandem geholfen. Redet man alles, was nicht unerreichbaren Perfektionsansprüchen genügt, von vornherein schlecht, dann führt das bloß dazu, dass sich schlicht nichts ändert – und der oft viel schlechtere Status Quo bestehen bleibt.

Viel konstruktiver ist es, Nachteile ehrlich und rational zu analysieren. Wie ist das zum Beispiel bei der Photovoltaik genau?

Ja, für die Herstellung von Solarzellen braucht man Energie. Hartnäckig hält sich das Gerücht, für die Produktion sei mehr elektrische Energie nötig als die Solarzelle später liefert – das ist natürlich Unsinn. Nach ungefähr ein bis zwei Jahren haben moderne PV-Anlagen die Produktions-Energie wieder eingespielt, in sonnigen Lagen geht es schneller.

 

Redet man alles, was nicht unerreichbaren Perfektionsansprüchen genügt, von vornherein schlecht, dann führt das bloß dazu, dass sich schlicht nichts ändert – und der oft viel schlechtere Status Quo bestehen bleibt.

 

Photovoltaikanlagen beinhalten (wie praktisch alle technischen Geräte) verschiedene Metalle, zum Beispiel Aluminium. Die Gewinnung dieser Metalle kann mit Umweltproblemen in Verbindung stehen, daran sollten wir dringend etwas ändern. Wenn man das allerdings bei Alu-Dosen, Kühlschränken oder Motorrädern unproblematisch findet, kann man das Solarpanel deshalb nicht zum Problemfall erklären.

Seltene Erden sind in PV-Anlagen nicht enthalten, ihr Hauptbestandteil ist Silizium, das aus gewöhnlichen Sandgruben gewonnen werden kann. Trotzdem gilt selbstverständlich: Kaputte PV-Anlagen sollten sorgsam recycelt werden, auch kleine Anteile von Metallen und anderen Stoffen sollte man so gut wie möglich weiterverwenden.

Geht man so an eine neue Technologie heran, kann aus dem Aufzeigen eines Nachteils eine echte Verbesserung der Umweltbilanz werden.

Tote Vögel und Klimagase im Windkraftwerk

Ähnlich ist es bei den Schattenseiten von Windkraftanlagen: Auch die sind nicht abzustreiten, verdienen aber einen differenzierteren Blick. Ja, tatsächlich sterben regelmäßig Vögel beim Zusammenstoß mit Windrädern. Viel größere Probleme für die Vogelwelt sind aber die intensive Landwirtschaft, Umweltverschmutzung und Flächenversiegelung. Wenn man seltene Greifvögel schützen möchte, gehört ein Kampf gegen Windkraftanlagen sicher nicht zu den vorrangigen Maßnahmen. Und wenn man sich um kleinere Vögel sorgt, dann sind Fensterscheiben oder Hauskatzen eine ungleich größere Gefahr.

Dass Windkraftanlagen Schwefelhexafluorid enthalten – ein Klimagas, das bezogen auf dieselbe Menge noch viel schädlicher ist als CO2 – ist tatsächlich wahr. Doch erstens wird dieses Schwefelhexafluorid der Windkraftanlagen nicht in die Luft freigesetzt; es wird gut abgeschlossen im Inneren der Anlage dafür verwendet, Funkenschlag zu verhindern, und zweitens arbeiten Wissenschaft und Industrie bereits daran, Alternativen für dieses Gas zu finden. Viel größere Mengen von Schwefelhexafluorid werden im Übrigen durch ganz andere Dinge in die Atmosphäre entlassen, über die sich kaum jemand Gedanken macht, zum Beispiel durch zerbrochene Schallschutzfenster, für die das Klimagas ebenfalls oft verwendet wurde. Auch hier zeigt sich: Das Problem ist real, aber weniger groß als oft behauptet – und prinzipiell lösbar.

Greenwashing: Das Gegenteil ist auch verkehrt

Klar ist: Neue, klimafreundliche Technologien sind selbstverständlich nicht frei von Nachteilen. Wenn sie aber weniger schwerwiegende Nachteile haben als das, was wir heute haben, dann können sie trotzdem ein Schritt in die richtige Richtung sein. Wenn man es auf eine Formel bringen wollte, so könnte man sagen: Man soll nie gegen etwas sein, weil es Nachteile hat – man soll bloß gegen etwas sein, wenn es eine bessere Alternative gibt.

Der Paradies-Fehlschluss hat allerdings auch ein Gegenstück, das ebenso falsch ist: Man soll nicht sofort etwas für vorbildlich und weltrettend erklären, nur weil es Vorteile hat. Bloß weil eine Idee besser ist als nichts, muss es sich noch lange nicht um eine Maßnahme handeln, die uns zum Ziel bringen kann.

Hier landet man sonst nämlich sehr rasch beim sogenannten „Greenwashing“. Die Ölfirma pumpt zwar gewaltige Mengen an Kohlenstoff aus der Erde, aber dafür, so steht es in der Hochglanzwerbebroschüre, wird jetzt auch ein Regenwaldprojekt finanziert. Na bitte! Ist das dann nicht insgesamt eine tolle Sache? Sollten wir nicht auch hier großzügig über die Nachteile hinwegsehen? Oder das Kreuzfahrtschiff, auf dem Tante Henriette Urlaub macht, wird zwar mit Schweröl angetrieben, aber dafür werden die Cocktails an Bord jetzt mit Trinkhalmen aus Papier serviert. Ist das nicht auch ein lobenswerter Schritt in die richtige Richtung?

Sieht süß aus, ist aber eine große Gefahr für Wildvögel – eine viel größere jedenfalls als Windräder: die Hauskatze; Foto: Joaquim Alves Gaspar/Wikimedia Commons

Nein, nicht unbedingt. Die entscheidende Frage ist nämlich immer: Kann das, was uns präsentiert wird, langfristig Teil einer nachhaltigen Welt werden? Abgesehen von allen Nachteilen, die sich vielleicht noch ausbügeln lassen – lässt es sich theoretisch in ein zukunftstaugliches Gesamtkonzept einfügen?

Wenn wir uns diese Frage konsequent stellen, dann können wir sowohl dem Paradies-Fehlschluss als auch der Greenwashing-Falle entkommen. Es geht nicht darum, ob eine Technik hier und heute perfekt ist (denn das ist sie nie), sondern wie sie sich in eine hypothetische nachhaltige Zukunft einfügen könnte.

Bei Photovoltaikanlagen und Windkraftwerken lässt sich das recht leicht beantworten: Ja, sie können Teil einer nachhaltigen Zukunft sein. Es gibt keinen Grund, warum sie nicht Teil einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft werden können, in der sie mit erneuerbarer Energie hergestellt und nach Gebrauch recycelt werden.

 

Die entscheidende Frage ist immer: Kann das, was uns präsentiert wird, langfristig Teil einer nachhaltigen Welt werden? Die Nachteile beiseitelassend, kann es sich theoretisch in ein zukunftstaugliches Gesamtkonzept einfügen?

 

Bei anderen Technologien ist es schwieriger, eine Antwort zu finden, bei E-Autos beispielsweise: Ein großer Teil der schlechten Ökobilanz von Elektroautos kommt daher, das für ihre Produktion viel elektrische Energie benötigt wird, und das etwa bei der Produktion von Stahl große Mengen CO2 ausgestoßen werden. Doch längst ist klar: Wir müssen unsere elektrische Energie in Zukunft ohnehin aus erneuerbaren Quellen beziehen, und auch die Stahlproduktion muss ganz unabhängig vom Elektroauto auf CO2-neutrale Technologie umgestellt werden. Damit wird ganz automatisch auch die Klimabilanz der Elektroautos besser.

Insofern ist es möglich, dass Elektroautos heute zwar indirekt für große Mengen an Emissionen sorgen, langfristig aber trotzdem Teil eines nachhaltigen Gesamtsystems werden können – vielleicht noch nicht vollständig, aber doch in deutlich größerem Maß als heute. Und natürlich sollte man mit Blick auf die Vorzüge von E-Autos nicht der Frage ausweichen, ob wir mit der gegenwärtigen Zahl von Privat-Pkw pro Person oder mit der üblich gewordenen Größe von Autos ein Gesamtsystem nachhaltiger Mobilität aufbauen können.

Aber Erdöl in Automotoren zu verbrennen, kann ganz prinzipiell nicht Teil eines effizienten, dekarbonisierten, klimafreundlichen Gesamtsystems werden. Schwerölgetriebene Kreuzfahrtschiffe auch nicht – ganz egal, auf wie viele Plastikstrohhalme man dort verzichtet.

Weder Schlechtreden noch Bejubeln

Wir müssen also beide Denkfehler vermeiden: das voreilige Schlechtreden sinnvoller Lösungen, an denen man einen Nachteil entdeckt hat, ebenso wie das voreilige Bejubeln von Scheinlösungen, nur weil sie irgendwie ein bisschen besser sind als gar nichts zu ändern. Wir müssen uns Schritt für Schritt einer nachhaltigen Zukunft annähern. Und diese Schritte sollten möglichst groß sein. Natürlich ist das eine bedeutende Herausforderung.

Aber wir Menschen haben es immer wieder geschafft, mit Herausforderungen zurechtzukommen. Wenn uns am Strand die lärmenden Möwen ärgern, dann ziehen wir uns deshalb auch nicht schimpfend ins Hotelzimmer zurück. Wir holen den Kopfhörer aus der Badetasche und hören schöne Musik. Und dann haben wir durch klugen Technikeinsatz einen ziemlich guten Zustand sogar noch besser gemacht.