Zwei wildfremde Leute mit politisch diametralen Ansichten treffen aufeinander. Doch statt sich schief anzugucken, sich schweigend aus dem Weg zu gehen, schlecht übereinander zu reden oder sich gegenseitig zu beschimpfen (wie es in Sozialen Netzwerken so oft geschieht), kommen sie miteinander ins Gespräch. Dies ist, in aller Kürze, die Handlung des neuesten Werbespots des holländischen Brauereikonzerns Heineken. "Worlds Apart", lautet der Slogan - zu deutsch: "Welten voneinander entfernt".
"Sie können jetzt wählen: Gehen oder Ihre Differenzen bei einem Bier diskutieren" - Szene aus dem Heineken-Werbespot "Worlds Apart"; Foto: Screenshot
Der Clip zeigt jeweils drei Zweiergruppen, wie sie in einer kühlen Werkhalle aufeinandertreffen: eine Feministin und ein Rechtsradikaler, eine Transgender-Frau und ein Transgender-Verächter, ein Umweltschützer und ein Leugner des Klimawandels. Im Rahmen eines, wie Heineken es nennt, "Experiments" sollen sie einige Kartons vorgefertigter Möbel montieren (eine Theke, wie sich herausstellt) und einen Fragebogen beantworten. Nachdem sie also etwas gemeinsam getan haben, erfahren sie, dass sie politische Antipoden sind - und sollen sich dann entscheiden, ob sie trotzdem bei einem Bier (kunstvoll in Szene gesetzten Heineken-Flaschen, was sonst?) miteinander reden wollen.
Die Kampagne begibt sich in ideologische Minenfelder
In den sozialen Medien ist der Werbespot ein großer Erfolg, allein auf YouTube verzeichnet er bereits mehr als 13 Millionen Zugriffe. Die gesamte Kampagne ist ein Beispiel für sogenanntes "purpose-based marketing", also Werbung, bei der Unternehmen weniger ein Produkt in den Mittelpunkt stellen, sondern ein (häufig soziales oder ökologisches) Anliegen. Der hierzulande wohl bekannteste Vertreter ist die Brauerei Krombacher, die über Jahre einen Euro pro verkauftem Bierkasten in Regenwaldschutz zu stecken versprach.
Das Bemerkenswerte an der Heineken-Kampagne ist aber, dass sie kein Konsens-Anliegen wählt (wer hat schon etwas gegen den Schutz der Tropenwälder?) - sondern politisch heikle Themen anspricht. Der Klimaschutz zum Beispiel ist in Ländern wie Australien, Großbritannien oder den USA ein extrem polarisierender Debattengegenstand, für Linksliberale wie Konservative ist es entweder zustimmend oder ablehnend ein Identitätsthema. Die Brauerei geht dabei das Risiko ein, sich bei potenziellen Kunden in die Nesseln zu setzen, weil sie Menschen auf die Leinwand bringt, die völlig unverständliche, manchmal gar verhasste Meinungen vertreten.
"Eine schöne Idee, hochrelevant für unsere Zeit"
Unter Werbeexperten wird die Kampagne einhellig gelobt. "Das ist eine schöne, sehr erwachsene, geradezu demokratische Idee, Meinungen bei einem Bier auszutauschen", sagt etwa Oliver Oest, Geschäftsführer der Berliner Kommunikationsagentur Tinkerbelle. Dass es sich beim Absender der Idee um einen Alkoholproduzenten handelt, findet er nicht schlimm - für deutsche Verhältnisse, sagt er augenzwinkernd, seien die Heineken-Flaschen ja eher klein. Wichtig sei, dass hier ein weltweit präsenter Großkonzern einen positiven politischen Punkt macht, der "hochrelevant ist unsere Zeit".
Dass ausgerechnet ein Privatunternehmen eine solche Kampagne startet, liege halt einfach an deren größerem Werbebudget. "Auch Nichtregierungsorganisationen und öffentliche Auftraggeber können das", sagt Oest, "nur halt in eher kleinerem Rahmen", weil sie sich gegenüber der Öffentlichkeit und politischen Gegnern oft "für jeden Werbecent rechtfertigen" müssen. (Tinkerbelle hat vor kurzem mit einer Bauernregel-Kampagne des Bundesumweltministeriums für einiges Aufsehen gesorgt.)
Den Kern der Heineken-Werbung kann man gut als Vorlage für Wissenschaftskommunikation lesen. Auch sie stößt auf psychologische Barrieren, eine sachliche Information über Forschungsergebnisse prallt häufig an politischen und ideologischen Überzeugungen ab. Sich vor einem potenziell kontroversen Gespräch erstmal etwas kennenzulernen, eine persönliche Grundlage fürs Reden zu schaffen, raten auch Klimakommunikatoren. Dies kann, aber muss ja nicht bei Bier stattfinden.
Toralf Staud