Mark Hertsgaard ist Umweltredakteur des linksliberalen US-Magazins The Nation und Geschäftsführer von Covering Climate Now, einem weltweiten Medienverbund zur Förderung des Klimajournalismus' (dem auch klimafakten.de angehört).
Saleemul Huq
ist Direktor des International Centre on Climate Change and Development in Dhaka, Bangladesch, und war als Leitautor an IPCC-Reports beteiligt.
Michael E. Mann ist Professor für Atmosphärenforschung an der Penn State University und Autor zahlreicher Bücher, zuletzt „The New Climate War“.
Dieser Beitrag ist ein leicht gekürzter und bearbeiteter Nachdruck aus der
Washington Post.

 

Eine der größten Hürden für starken Klimaschutz ist die Überzeugung vieler Menschen, man könne sowieso nichts mehr tun. Sie verweisen darauf, dass Rekord-Hitzewellen, -Brände und -Stürme schon heute verheerende Folgen haben für die Menschen und Volkswirtschaften überall auf der Welt. Und lange Zeit wurde ihnen erzählt, die Temperaturen würden sowieso noch jahrzehntelang weiter steigen – ganz egal, wie viele Öl-Förderanlagen durch Solarmodule ersetzt werden oder wie viele Menschen auf Fleischkonsum verzichten. Kein Wunder also, dass viele Leute den Klimakollaps für unausweichlich halten.

Doch schaut genau man hin, dann ist dies nicht, was die Klimawissenschaft sagt. Ganz im Gegenteil: Die beste Forschungsnachricht, von der Sie wahrscheinlich noch nie gehört haben, bedeutet, dass die Menschheit den Schaden durchaus noch auf einen Bruchteil der schlimmsten Prognosen begrenzen kann, falls – und das ist zugegebenermaßen ein großes „falls“ – Regierungen, Unternehmen und wir alle sofort entschlossen handeln.

Viele Jahre lang lautete die wissenschaftliche Daumenregel – jedenfalls wie Politik, Medien und Öffentlichkeit sie verstanden –, dass ein Großteil des kommenden Temperaturanstiegs schon unabänderlich im Klimasystem der Erde vorprogrammiert sei: Selbst wenn die Menschheit hypothetisch alle wärmetreibenden Emissionen von einem Tag auf den anderen stoppe, würde die lange Lebenszeit des Kohlendioxids in der Atmosphäre im Zusammenspiel mit den trägen thermischen Eigenschaften etwa der Meere, dennoch dafür sorgen, dass die globalen Temperaturen noch weitere 30 bis 40 Jahre anstiegen. Und da der Übergang zu einer kohlenstofffreien Weltwirtschaft mindestens ein oder zwei Jahrzehnte dauern würde, würden die Temperaturen also unweigerlich noch mindestens 50 weitere Jahre lang in die Höhe klettern.

Der Nutzen eines Emissionsstopps würde sich schon nach wenigen Jahren zeigen – und nicht erst nach drei bis vier Jahrzehnten

Doch auf der Basis neuerer Forschung hat die Wissenschaft diese Zeitverzögerung drastisch nach unten korrigiert: auf gerade einmal drei bis fünf Jahre. Das ist ein riesiger Unterschied, der einen Paradigmenwechsel und Hoffnung dafür bedeuten kann, wie Menschen – insbesondere junge Menschen – über den Klimanotstand und mögliche gesellschaftliche Maßnahmen dagegen denken und fühlen.

Diese revidierten wissenschaftliche Erkenntnisse bedeuten: Wenn man die Emissionen auf null herunterfährt, würde der weltweite Temperaturanstieg beinahe sofort gestoppt. Aber Vorsicht: Damit wird nicht sofort alles gut. Die weltweiten Temperaturen werden nicht gleich sinken, wenn die Emissionen aufhören. Und weil Eismassen und Ozeane nur sehr langsam auf eine Erwärmung der Erde reagieren, weil sie durch ihre Trägheit noch nicht den bereits verzeichneten Temperaturanstieg „verarbeitet“ haben, wird das Eis vorerst weiter schmelzen, und der Meeresspiegel wird weiter steigen. Doch zumindest der unerbittliche Temperaturanstieg würde bei einem Ende der Emissionen schnell enden – und man gewönne Zeit, um Lösungen zu entwickeln für den Umgang mit den bereits unvermeidlichen Klimafolgen.

Kurz gesagt: Wir sind nicht rettungslos verloren – oder müssen es zumindest nicht sein, wenn wir schnell und mutig handeln.

Sogenannte Kohlenstoffsenken spielen eine entscheidende Rolle im Klimasystem. Die Wiedervernässung von Mooren zum Beispiel, bietet ein großes und bislang kaum erschlossenes Potenzial, Kohlendioxid wieder aus der Atmosphäre zu "ziehen"; Foto: Carel Mohn

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, auf die wir uns beziehen, waren – allerdings leider tief vergraben – Teil des aktuellen Sachstandsberichts des UN-Weltklimarats (IPCC), genauer von Band 1 zu Naturwissenschaftlichen Grundlagen, der im August 2021 erschien. Erstmals waren sie sogar schon im wegweisenden IPCC-Bericht „1,5 ⁰C globale Erwärmung“ von 2018 erwähnt. Die wichtigsten Erkenntnisse dieses Berichts – dass die weltweiten Emissionen bis 2030 um 45 Prozent sinken müssen, wenn katastrophale Klimabrüche verhindert werden sollen – führten zu Schlagzeilen wie: „Noch zwölf Jahre für die Rettung des Planeten“.

Dieser Zwölf-Jahres-Zeitraum und das damit verbundene Konzept eines „Kohlenstoffbudgets“ – dass nur noch eine bestimmte Kohlenstoffmenge verbrannt werden kann, bevor die Temperaturen mit hoher Wahrscheinlichkeit um mehr als 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau steigen – gingen beide auf die fortentwickelten Forschungserkenntnisse zurück. Dennoch haben Öffentlichkeit wie auch Politik diese jüngere Forschung, welche die neuen Schätzungen ermöglicht hat, weitgehend ignoriert.

Die gute Nachricht bedeutet aber nicht, dass sich die Menschheit mehr Zeit lassen könnte mit den Emissionssenkungen

Laien können nun fragen: Wenn die Zeitverzögerung nur noch drei bis fünf Jahre beträgt statt 30 oder 40 – müssen wir zur Abwendung einer Klimakatastrophe trotzdem bis 2030 die Emissionen halbieren? Die kurze Antwort lautet: Ja.

Noch einmal zur Erinnerung: Der Temperaturanstieg endet erst, wenn die weltweiten Emissionen auf null fallen. Derzeit fallen die Emissionen aber nicht. Stattdessen pumpt die Menschheit weiterhin jedes Jahr etwa 36 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre. Je länger es dauert, diese 36 Milliarden auf null zu reduzieren, desto höher wird der Temperaturanstieg sein, den die Menschheit verkraften muss. Und wie der IPCC-Bericht von 2018 eindringlich klargemacht hat: Eine Erwärmung um mehr als 1,5 Grad würde entsetzliches menschliches Leid, wirtschaftliche Verluste und einen gesellschaftlichen Zusammenbruch verursachen – und womöglich nachhaltig irreversible Folgen haben.

Die gewandelte wissenschaftliche Einschätzung zur Zeitverzögerung beruht auf zusätzlichen Forschungsergebnissen, die ein sehr viel besseres Verständnis der Funktionsweise des Klimasystems ermöglichen. Die ursprünglich geschätzten 30 bis 40 Jahre basierten auf relativ einfachen Computermodellen, welche die CO2-Konzentration in der Atmosphäre als eine Art „Drehknopf“ betrachteten, der darüber bestimmt, wie hoch die Temperatur ist. Die lange Verzögerung des Erwärmungseffekts lässt sich auf die Meere zurückführen, die sich noch lange weiter erwärmen, nachdem der Drehknopf hochgedreht wurde.

Die Erkenntnis, dass wir unsere Zivilisation noch retten können, kann die lähmende psychologische Verzweiflung vieler Menschen vertreiben

Neuere Klimamodelle berücksichtigen dagegen die dynamischere Natur der Kohlenstoffemissionen. Ja, CO2 treibt die Temperaturen in die Höhe. Aber sogenannte Kohlenstoff„senken“ wie Wälder oder Meere absorbieren fast die Hälfte des ausgestoßenen CO2. Dadurch sinkt – sofern keine neuen Emissionen hinzukommen – die CO2-Konzentration in der Atmosphäre merklich, was den den verzögerten Erwärmungseffekt ausgleicht.

Das Wissen, dass 30 weitere Jahre Erhitzung keineswegs unausweichlich sind, kann grundlegend verändern, wie Menschen, Regierungen und Unternehmen auf die Klimakrise reagieren. Die Erkenntnis, dass wir unsere Zivilisation immer noch retten können, wenn wir nur schnell und entschlossen handeln, kann die lähmende psychologische Verzweiflung der Menschen vertreiben und sie stattdessen zum Mitmachen motivieren. Veränderungen des Lebensstils helfen, aber es braucht auch politisches Engagement. Die Halbierung der Emissionen bis 2030 erfordert die schnellstmögliche Wende weg von den heutigen, auf fossilen Brennstoffen basierenden Volkswirtschaften hin zu Wind- und Solarenergie sowie anderen kohlenstofffreien Alternativen. Diese kann nur stattfinden, wenn Regierungen ihre Politik grundlegend ändern.

Wenn die Bürgerinnen und Bürger begreifen, dass die Lage nicht aussichtslos ist, können sie besser Druck auf die Politik ausüben, solche Veränderungen vorzunehmen.

Übersetzung: Vivi Benthin;
Autorenfotos: CCN, michaelmann.net, WikimediaCommons/ICCCAD