Fabian Chmielewski arbeitet als Psychologischer Psychotherapeut in einer Praxisgemeinschaft im Ruhrgebiet. Als Supervisor unterstützt er die Ausbildung angehender Psychotherapeut/innen und gibt regelmäßig Seminare und Workshops auf Kongressen und an Ausbildungsinstituten. Er hat mehrere Fachartikel verfasst, als Ko-Autor ein Selbsthilfebuch zum Thema Selbstwert geschrieben und engagiert sich bei Psychologists for Future.
Der folgenden Artikel basiert auf einem ausführlichen Beitrag, der Ende 2019 im Psychotherapeutenjournal (Nr. 3/2019) erschien.

 

Im Zentrum unseres psychologischen Universums steht der Wunsch zu überleben. Unser Gehirn hat sich im Laufe der Evolution mit diesem Ziel entwickelt. Glaubt man der überwältigenden Mehrheit der Klimaforscher, so stellen künftige Klimaveränderungen eine Bedrohung unseres Lebens dar. Trotzdem scheinen sich viele Menschen nicht für die Bedrohung durch die Klimakrise zu interessieren.

Wie passt das zusammen?

Ein Grund könnte sein, dass die Evolution unser Gehirn auf konkrete Bedrohungen geeicht hat, die unmittelbar und sichtbar sind – auf brüllende Säbelzahntiger, nicht auf nüchterne Statistiken. Die Bedrohung durch den Klimawandel scheint zu abstrakt, zu weit weg, zu wenig "Hier und Jetzt" (siehe hierzu beispielsweise das Buch Don't even think about it von George Marshall). Womöglich erscheint die Klimakrise deshalb vielen Menschen nicht einmal als Bedrohung. Menschen haben zudem nur eine begrenzte Kapazität für Sorgenthemen: die bald fällige Steuernachzahlung liegt näher als das schleichende Waldsterben. Als "finite pool of worry" wird das Phänomen in der Fachwelt bezeichnet (Huh et al. 2016).

Cartoon: John Cook/SkepticalScience.com

Aber auch zahlreiche psychologische Bedürfnisse konkurrieren um unsere Aufmerksamkeit. Wir wollen kurzfristig angenehme Erlebnisse haben und unlustige vermeiden: Katzenvideos statt Klimadokus. Trotzdem: Man würde denken, dass trotz all dieser Widrigkeiten die Klimakrise – insbesondere durch die Medienpräsenz der #FridaysForFuture-Streiks – mittlerweile in jedem Bedrohungssystem angekommen sein müsste. Doch die notwendigen Maßnahmen werden immer noch nicht von ausreichend vielen Menschen unterstützt.

Geht es dann nicht um unsere Existenz und die unserer Nachkommen? Natürlich, es handelt sich beim Klima um eine existenzielle Frage. Allerdings können Menschen hierauf sehr unterschiedliche Antworten wählen. Shakespeare lässt seinen Hamlet drei Möglichkeiten aufzählen:

„Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden oder,
Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
Durch Widerstand sie enden? (….)
Schlafen – nichts weiter“

Erdulden, bekämpfen oder schlafen also. Shakespeare beschreibt hier schon - wie viele Jahre später der Psychologe Jeffrey Alan Gray - unsere (biologischen) Reaktionsmöglichkeiten auf existenzielle Bedrohungen: Freeze, Fight, Flight. Dieser Einteilung der Reaktionsmöglichkeiten bedient sich auch die Schematherapie, eine Weiterentwicklung der Verhaltenstherapie mit den Bewältigungsmodi Erdulden, (Über-)Kompensation, Vermeidung.

1. Erdulden ("Einfrieren")

Wenn wir uns die Zukunftsszenarien vorstellen, die mit dem Klimawandel einhergehen, und dies "erdulden", dann kann es passieren, dass wir in eine ohnmächtige Haltung geraten - die eine Unterwerfung unter ein scheinbar aussichtsloses Schicksal beinhaltet und in der Handlungsspielräume nicht mehr gesehen werden. Eine derartige Reaktion ist wahrscheinlich, wenn unser Bedrohungssystem von Schreckensnachrichten überflutet wird – ohne die Schwimmweste greifbarer individueller Handlungsmöglichkeiten.

Sich selbst als passiven Spielball politischer Ränke oder Naturgewalten wahrzunehmen, motiviert nicht zu einer aktiven Verhaltensänderung: "Andere Länder werden eh' nicht mitziehen beim Klimaschutz. Da macht es keinen Unterschied, ob ich mich individuell klimafreundlich verhalte." Aus dieser Art der Reaktion können starke Gefühle von Angst, Hilflosigkeit und Niedergeschlagenheit resultieren. Psychische Krankheiten können verstärkt oder ausgelöst werden.

2. Vermeiden ("Schlafen")

Wir können unsere Angst auf der Verhaltensebene zu "vermeiden" suchen: Wir können Nachrichten und Gesprächen über Klimaveränderungen aus dem Weg gehen. Wir können unsere Angst auch dadurch in Schach halten, dass wir gedankliche Vermeidungsstrategien anwenden. Wir können das Problem intellektuell anerkennen, es aber gleichzeitig gefühlsmäßig auf Distanz halten. Wir können die persönliche Betroffenheit verdrängen: "Der Klimawandel betrifft irgendwelche Inselvölker (in einer weit entfernten Zukunft), mich persönlich nicht."

Wir können auch auf einen, wie es der amerikanische Psychiater Irvin Yalom bezeichnet, "letzten Retter" vertrauen, der in letzter Minute kommen wird, um das Problem für uns zu lösen – sei es aus dem spirituellen oder dem technischen Bereich. Wir können uns subjektiv durch einzelne klimafreundliche Handlungen von der großen Verantwortung "freikaufen" – die psychologische Forschung spricht hier vom "single action bias". Leider verstärken wir uns auch kollektiv bei unserer Vermeidung. Wir richten uns insgesamt stark nach dem Verhalten unserer Bezugsgruppe aus: Wenn die anderen schlafen, schlafe ich auch.

3. Kämpfen ("Sich rüsten")

Die nach Ansicht der meisten Klimawissenschaftler überlebenssichernde Antwort wäre es – mit Hamlet gesprochen – sich zu waffnen gegen die "See von Plagen" des Klimawandels. Es gilt, die Bedrohung durch Widerstand – die nötigen klimapolitischen Schritte – zu beenden. Bei vielen Engagierten scheint die Konfrontation mit der Bedrohung diese kämpferische Reaktion aktiviert zu haben. Allerdings droht bei einem allzu kämpferischen Engagement ohne sichtbare Erfolge die Gefahr des langfristigen Ausbrennens.

Eine andere Art des kämpferischen Umgangs stellt das Engagement gegen den Klimaschutz dar: Nicht die Klimakrise wird dann als Problem gesehen, sondern Klimaschutz und die Klimaaktivisten. In einem Artikel von 2018 haben Sarah Wolfe und Amit Tubi die Hypothese aufgestellt, letztlich werde in beiden Formen des kämpferischen Umgangs ums Überleben gekämpft. Die beiden sind Vertreter der sogenannten "Terror-Management-Theorie", und diese kann in zahlreichen Experimenten nachweisen, dass Menschen – wenn bei ihnen Furcht vor dem Tod ausgelöst wird – diese Angst lindern, indem sie versuchen, ihr "symbolisches Überleben" zu sichern. Statt für das körperliche Leben zu kämpfen, wird hier die eigene Weltanschauung oder die Idee der eigenen Besonderheit – der Selbstwert – kämpferisch verteidigt ("Ich mag sterben, aber meine Weltanschauung, meine Werte oder das Andenken an mich werden weiterleben"). Menschen versuchen deshalb, ihre identitätsstiftenden Werte stärker auszuleben und sich von konkurrierenden Weltanschauungen abzugrenzen (Wolfe/Tubi 2018).

 

Wenn Menschen um ihr Leben fürchten, versuchen sie oft, ihr 'symbolisches Überleben' zu sichern. Und wenn zu ihrer Identität beispielsweise Freiheit und Wirtschaftswachstum gehören, dann suchen sie diese Werte zu verteidigen - koste es, was es wolle

 

Aus der Sicht der TMT ist deswegen eine entscheidende Frage für die Richtung kämpferischen Engagements: Was sagt meine Weltanschauung, was sagen meine zentralen Werte zum Klimaschutz? Ist einer Person beispielsweise der Schutz der Umwelt grundsätzlich sehr wichtig, dürfte sie sich durch die Konfrontation mit bedrohlichen Klimafakten mehr für das Klima einsetzen. Sind für mich hingegen Werte wie Wirtschaftswachstum oder individuelle Freiheit von zentraler Bedeutung, werde ich eher gegen alles kämpfen, was die Wirtschaft oder mich selbst in meiner Freiheit einschränkt – zum Beispiel gegen Gesetze zum Klimaschutz, die Autofahren teurer und weniger lustvoll machen.

Der Yale-Professor Dan Kahan weist darauf hin, klimawissenschaftliche Fakten würden durch soziale Bedeutungen "kontaminiert". Durch diesen Prozess "gehört" der Klimaschutz dann scheinbar stärker zu bestimmten (zum Beispiel "links-grünen") Weltanschauungen. Und bin ich Anhänger einer anderen Ideologie, die Klimaschutz nicht auf diese Weise einschließt, neige ich dazu, mich von allen Werten der als gegnerisch wahrgenommenen Weltanschauungen abzugrenzen. Klimaschutz wird zu einem Wert der "Outgroup", gegen den ich mich zur Wehr setzen muss (Barth et al. 2017).

Sowohl Klimaaktivisten als auch Menschen, die das Existieren des Klimawandels vehement bestreiten, führen also aus Sicht der TMT den gleichen Kampf. Beide kämpfen um ihr Überleben – und das ihrer Werte.

Verschiedene Reaktionsweisen erfordern auch verschiedene Strategien

Es besteht die Gefahr, dass unsere traditionellen Fight-Flight-Reaktionen eine angemessene Auseinandersetzung mit der Klimakrise verhindern. Diese Reaktionsbereitschaften sind in uns angelegt, sie sind keine psychischen Erkrankungen, sie basieren auf evolutionären Schutzmechanismen – und trotzdem können sie einer globalen Katastrophe den Weg bereiten.

Deshalb stellt sich die Frage: Wie kann man dysfunktionale Alarmreaktionen überwinden und den Weg freimachen für eine konstruktive Auseinandersetzung mit den bevorstehenden Problemen?

1. Den Menschen, die sich in ihrem "Erdulden" ohnmächtig fühlen, könnte man möglichst konkret formulierte Teilziele aufzeigen. Dies kann Vertrauen schaffen, selbst etwas bewirken zu können – statt Ohnmacht wird dann die Zuversicht gestärkt, durch individuelles Handeln (auch durch Unterschreiben von Petitionen, Teilnahme an Wahlen und Demonstrationen, mit gutem Beispiel vorangehen) einen kleinen Beitrag beim Kampf gegen ein überwältigendes Problem zu leisten. Aktiv zu werden und Kontrolle (zurück) zu gewinnen, sollte das Ziel sein. Engagement kann somit das beste Heilmittel gegen Klimaangst und -ohnmacht sein. Am besten nicht vereinzelt, sondern in einer Gruppe von Menschen, die sich gegenseitig stärken.

2. Menschen, die "schlafen", könnte man über typische Vermeidungsmechanismen aufklären. Es ist wichtig zu verdeutlichen, dass alle genannten Mechanismen normale psychologische Strategien und Strukturen widerspiegeln. Vor dem Hintergrund dieser verständnisvollen Haltung können gemeinsam die Kosten dieser Mechanismen überprüft werden. Emotionale Aktivierung kann intellektuelle Vermeidung erschweren. Die eigene Betroffenheit im "Hier und Jetzt" sollte spürbar gemacht werden - zum Beispiel liegt das drohende Waldsterben in Deutschland hier näher als die schmelzenden Polkappen. Persönliche Geschichten sind aktionsorientierter als das Aufzählen von Klimafakten. Wenn Vermeidungsmechanismen beiseitegeschoben werden, müssen zugleich aber auch Handlungsoptionen aufgezeigt werden, damit keine lähmende Überforderung eintritt (siehe 1).

3. Bei Menschen, die für den Klimaschutz "kämpfen", sollte das Engagement mit Selbstfürsorge ausbalanciert werden. Schwierig ist es, Leugner des Klimawandels von der Notwendigkeit des Klimaschutzes zu überzeugen. Folgt man der Literatur, kann dieser Versuch weder gelingen durch ein Mehr an sachlichen Informationen, noch durch eine angsterzeugende Kommunikation. Belehrung und Predigt haben meist die gegenteilige Wirkung: die bestehende Sicht wird noch stärker verteidigt. Eine Chance bestünde vielmehr darin, an übergeordnete Werte zu appellieren: Den Schutz des eigenen physischen und symbolischen Überlebens – der Schutz der eigenen Gene (eine lebensfreundliche Welt für die Kinder erhalten) und der Schutz individuell wichtiger Werte.

Was Klimaschutz-Engagement an Belohnungen bringen kann

Es ist angenehmer, Annäherungsziele zu verfolgen als Vermeidungsziele. Menschen unternehmen Handlungen lieber, um etwas Angenehmes zu erreichen, als etwas Unangenehmes zu verhindern. Es ist deshalb wenig einladend oder motivierend, sich mit Einschränkungen und Verzicht auseinanderzusetzen. Lieber hören wir, was es zu gewinnen gibt, wofür Veränderungen sich also lohnen könnten.

Engagement für Klimaschutz kann das Erleben von Sinn verstärken. Wissenschaftliche Befunde zeigen: Menschliche Gesundheit wird durch das Erleben von Sinnerfüllung verbessert. Die Bekämpfung des Klimawandels eignet sich besonders gut als sinnerfüllendes Ziel, weil wir dann ein Ziel außerhalb des eigenen "Egos" verfolgen. Handlungen, die nicht nur mir selbst zugutekommen, sondern auch anderen Menschen, am besten über mein eigenes Leben hinaus, erweisen sich in wissenschaftlichen Studien als besonders sinnstiftend.

Auch ein Gefühl der Zugehörigkeit kann als Belohnung für Engagement im Klimaschutz wirken. Der Existenzielle Psychotherapeut Irvin Yalom betont die Wichtigkeit der Erkenntnis der "Universalität des Leidens": Wir sitzen alle in einem Boot. In der Gemeinschaft lassen sich auch die unangenehmen Gefühle besser aushalten, die Fakten zum Klimawandel unweigerlich auslösen. Aber es geht nicht nur um geteiltes Leid: Auch das geteilte, übergeordnete Ziel, als globale Gemeinschaft beim Klimaschutz zusammenzuarbeiten, kann ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln.

 

Menschen wollen "Helden" sein – sie wollen ihre individuellen Fähigkeiten zur Anwendung bringen und dafür Anerkennung bekommen. Der Klimaschutz bietet hier viele Möglichkeiten

 

Der Klimaschutz bietet auch die Gelegenheit, das menschliche Bedürfnis nach Selbstwert in positive Bahnen zu lenken. Menschen wollen "Helden" sein – sie wollen ihre individuellen Fähigkeiten zur Anwendung bringen und dafür Anerkennung bekommen. Jeder hat hier seine persönliche "Superkraft": Der Klimaschutz bietet viele Möglichkeiten, durch die eigenen Fähigkeiten "Heldentaten" zu vollbringen.

Tatsächlich kann Klimaschutz auch das Erleben von Freiheit und Selbstbestimmung erhöhen, obwohl gerade der Wunsch nach Freiheit häufig dem Klimaschutz entgegengestellt wird ("Ich lasse mir nichts verbieten!"). Wenn es mir gelingt, automatisierte, schädliche Bewältigungsreaktionen zu reflektieren und abzustellen, kann ich neu, frei und selbstbestimmt entscheiden, wie ich mich angesichts der Klimaveränderung verhalten will. Das bewusste, reflektierte Steuern meines Verhaltens (jenseits der ersten Impulse zu fliehen, zu vermeiden oder zu kämpfen) kann mir die Freiheit geben, mein Verhalten selbstbestimmt nach meinen zentralen Werten auszurichten.

Der Klimawandel ist eine Krise, die uns alle betrifft. Sie bietet uns kollektiv und individuell zugleich aber auch die Chance, unsere gegenwärtige Lebensweise zu hinterfragen und neue Prioritäten zu setzen. Der unangenehme Preis für diese Chance ist es, der Realität mutig ins Auge blicken zu müssen.